Samstag, 31. Dezember 2016

Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze für Kleinkinder. Wirklich?


Das Jahr 2016 geht zu Ende und erneut werden wir Zeuge einer eigenartigen, mehr als diskussionswürdigen Entwicklung in der Medienlandschaft: Da berichtet jemand über die Ergebnisse einer "Studie" von Wissenschaftlern und wenn man das gut platzieren kann, dann schreiben alle anderen ab und verbieten die Botschaft in der heute üblichen Schnelligkeit. Und wenn man sich das dann genauer anschaut, wird man konfrontiert mit der Ausgangsquelle, die aus einer "noch nicht veröffentlichten Studie", so dass man das glauben muss, was da berichtet wird und - für Wissenschaftler ein echtes Problem - auch nicht überprüfen kann anhand der Originalquelle, wer da wie vorgegangen ist und ob man den Ergebnissen vertrauen kann/soll.
Nehmen wir als Beispiel diesen Artikel, dessen Inhalt sich sehr schnell im Netz verbreitet hat, nachdem er am 30.12.2016 am frühen Morgen publiziert wurde: Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze für Kleinkinder, so die Online-Ausgabe der Rheinischen Post. Bereits die Überschrift lässt keinen Zweifel zu, sondern berichtet offensichtlich über einen nicht in Frage zu stellenden Tatbestand. Lesen wir weiter: »Nach einer noch unveröffentlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen aktuell bundesweit Betreuungsplätze für 228.000 Kinder unter drei Jahren. Das sind gut zehn Prozent der Kinder, für die Bedarf besteht.« Da haben wir sie, die "noch unveröffentlichte Studie".

Donnerstag, 29. Dezember 2016

Jenseits des "Wickelvolontariats" für Väter? Zehn Jahre Elterngeld und ein notwendiger Blick auf die Vorgängerleistungen Erziehungsgeld und Mutterschaftsurlaubsgeld


Das Jahresende ist ja allgemein die Zeit der Rückblicke und Bilanzierungen. Hinsichtlich des Elterngeldes bietet sich das vor allem deshalb an, weil diese Leistung am 1. Januar 2007 eingeführt wurde, mithin also zehn Jahre überblickt werden können.
Geregelt ist das Elterngeld im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Um den gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel, der mit der Einführung des Elterngelds verbunden war, verstehen zu können, muss man an dieser Stelle auf die Situation vor dem Jahr 2007 schauen. Bis dahin gab es das sogenannte Erziehungsgeld. Das war 1986 von der damaligen Koalition unter Helmut Kohl (CDU) eingeführt worden - und hatte eine interessante andere Leistung abgelöst, die vielen heute gar nicht mehr bekannt ist: das Mutterschaftsurlaubsgeld, das 1979 von der SPD/FDP-Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) in die Welt gesetzt worden ist. Mit dem ausdrücklichen Ziel einer besseren Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf, denn diese Leistung wurde ausschließlich an vorher abhängig beschäftigte Mütter ausgereicht, 750 DM pro Monat bis zu sechs Monate lang, in dieser Zeit gab es dann ein verlängertes Kündigungsverbot und die Mütter waren beitragsfrei in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung abgesichert. 1984 wurde der Leistungsbetrag dann auf 510 DM pro Monat abgesenkt. Aus Spargründen. Das Mutterschaftsurlaubsgeld wurde aus zwei Richtungen kritisiert. Zum einen, da Väter keinen Anspruch auf eine entsprechende Leistung hatten. Zum anderen kritisierte etwa 1985 der damalige Familienminister Heiner Geißler „das ungerechte Zweiklassenrecht des Mutterschaftsurlaubsgeldes, das nur eine in einem abhängigen Erwerbsberuf tätige Mutter erhält“. Vor dem Hintergrund dieser Kritiklinie versteht man dann auch die Intention des 1986 ins Leben gerufenen Erziehungsgeldes besser.

Dienstag, 27. Dezember 2016

Jetzt soll die SPD Hartz IV ändern. Also ein wenig. Beim Schonvermögen. Vom anschwellenden Wahlkampf und (nicht nur) juristischen Untiefen in der Grundsicherung


Also eigentlich ist die Sache relativ einfach: Sozialhilfe bzw. Grundsicherung kann man bekommen, wenn man nichts (mehr) hat. Wenn aber Einkommen und vor allem wenn Vermögen vorhanden ist, dann muss man darauf zurückgreifen, bevor der Staat bzw. die Gemeinschaft der Steuerzahler helfend einspringen. Also erst einmal verwerten, was da ist und dann auf die Hilfe der anderen vertrauen können. Im Kern geht es um die Vorstellung und die konkrete Voraussetzung von Bedürftigkeit, die gegeben sein muss, bevor das Existenzminimum von anderer Seite gesichert werden muss.

Aber keine Regel ohne Ausnahme(n). So auch bei dem zu verwertenden Vermögen. Denn was Vermögen ist, muss natürlich definiert werden. Wie ist es beispielsweise mit einem eigenen Auto? Jeder würde sofort zustimmen, wenn man argumentiert, dass jemand, der eine S-Klasse von Daimler fährt, kaum bedürftig ist. Aber wie ist es mit einem Auto generell? Ist ein Pkw nicht zumindest für diejenigen, die erwerbsfähig sind, ein von der Anrechnung freizustellender Vermögensgegenstand, denn wie soll man eine eventuelle Hilfebedürftigkeit durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beenden oder deutlich verringern können, wenn man gar nicht zur Arbeitsstelle kommen kann ohne ein Auto? Also würde man die vorrangige Verwertung eines jeden Autos vorschreiben, bevor man existenzsichernde Leistungen bezieht, könnte dadurch die Befreiung aus der Hilfebedürftigkeit be- bzw. verhindert werden und der Sozialstaat würde sich selbst ins Knie schießen. Aber sofort stellen sich notwendige Anschlussfragen: Wenn man denn im Angesicht der Argumentation ein Auto freistellt von dem anzurechnenden, mithin also zu verwertenden Vermögen - bis wohin soll das reichen? Ist davon auch ein Neuwagen betroffen oder nur ein gebrauchter Pkw? Und welchen Wert darf der dann haben? Fragen über Fragen tun sich da auf.

Samstag, 24. Dezember 2016

"Sozialpopulismus"? Wenn der Generalsekretär der Caritas positives Denken einfordert und zugleich viele Arbeitnehmer in Richtung Grundsicherung im Alter marschieren müssen

Um das gleich an den Anfang dieses Beitrags zu stellen: Sozialpolitik ist Politik und die ist niemals "wertfrei", "objektiv", "neutral" - sie kann es nicht sein. Die Ambivalenz von Sozialpolitik kann man daran verdeutlichen, dass sie einerseits immer höchst normativ sein muss, was man schon daran erkennen kann, dass eine der wichtigsten Bauelemente jeder Sozialpolitik ein bestimmtes Menschenbild ist, ob nun bewusst oder eher unbewusst, dass dem (Nicht-)Handeln zugrunde gelegt wird. Zum anderen aber haben sozialpolitische Maßnahmen immer auch eine funktionale Dimension, beispielsweise die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens in einer Gesellschaft, die selbst von denen zugestanden werden muss, die sich auf der Sonnenseite des Lebens befinden und denen ansonsten die Lebenslagen der unteren Hälfte der Gesellschaft völlig egal sind.

Im öffentlichen Diskurs gibt es nun hinsichtlich der sozialpolitischen Themen eine gewisse Aufgabenteilung, die sich zuweilen auch reflexhaft verfestigt hat. Da sind dann beispielsweise "die" Wohlfahrtsverbände, die für sich selbst eine "Anwaltsfunktion" reklamieren. Und die dann oftmals von der Gegenseite zu hören bekommen, sie würden soziale Probleme "dramatisieren"bzw. "skandalisieren", um sich im Kampf um mediale Aufmerksamkeit zu positionieren - oder gar, sie würden das nur machen, um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, die mit ihren Einrichtungen und Diensten verbunden sind, abzusichern.

Freitag, 23. Dezember 2016

"80-Cent-Jobs" für Flüchtlinge - billiger geht's nun wirklich nicht. Und dennoch: Sie werden kaum genutzt


Das war doch mal eine energische Ankündigung von Arbeitsministerin Andrea Nahles gewesen: 100.000 Jobs für Flüchtlinge wolle man schaffen, damit die erst einmal beschäftigt werden können. Wie so vieles im sozialpolitischen Leben hört sich das oftmals besser an als es dann ist. Und hier wurde in mehreren Beiträgen größte Skepsis gegenüber dem Ansatz aus Berlin vorgetragen: Bereits am 12. Juni 2016 unter der Überschrift "Nirwana-Arbeitsgelegenheiten" zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der "Ein-Euro-Jobs" und die dann auch noch 20 Cent günstiger?, dann am 14. Juni 2016: „Integrationsarbeit“ statt „80 Cent-Arbeitsgelegenheiten“? Und die Untiefen des Versuchs einer integrationsgesetzlichen Abbildung der Lebenswirklichkeit und - alle guten Dinge sind drei - am 24. Juni 2016: Kopfschütteln über 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge. Aber wenn sich die Maschine mal in Bewegung setzt, dann ist sie nicht mehr aufzuhalten. Dann muss man eben nachschauen, was daraus geworden ist.

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Die EU zwischen Personenfreizügigkeit und Wohlstandsgefälle. Europäische und deutsche Regulierungsversuche bei der sozialen Sicherheit

Man braucht gar nicht nach Großbritannien schauen, wenn es um die konfliktauslösende Dimension einer der vier Grundfreiheiten innerhalb der EU geht -  neben dem freien Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital gibt es die Personenfreizügigkeit. Deren Beschränkung aufgrund tatsächlicher oder nur vermuteter "Zuwanderung in die Sozialsysteme" war ein ganz entscheidender Antreiber für die Brexit-Befürworter. Das ist aber in anderen Mitgliedsstaaten der EU auch so.

In Deutschland wird der Topos von der "Armutszuwanderung" oder dem "Missbrauch" der höheren Sozialleistungen dich Zuwanderer aus ärmeren EU-Staaten seit Jahren durch die politische Arena gejagt. Immer wieder wird dann bei uns von "den" Rumänen oder "den" Bulgaren gesprochen, deren Migration in "das" reiche Deutschland als Problem ausgemalt wird. Frontrunner in dieser Debatte war immer schon Hans-Werner Sinn, der mittlerweile ehemalige Chef des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. So kann man nur als Beispiel von vielen dem folgenden Artikel über einen öffentlichen Auftritt von Sinn im badischen Freiburg entnehmen: »Auf die EU-Bürger bezogen sollten rumänische Zuwanderer nur Sozialleistungen in der Höhe ihres Heimatlandes erhalten oder bis zu der Grenze, wie sie in Deutschland Steuern gezahlt haben. Das solle dem "Sozialtourismus" bremsen. Tatsächlich beziehen in dieser Region die meisten Zuwanderer aus Rumänien, die Hartz IV kriegen, diese Sozialleistung zusätzlich zu einem Erwerbseinkommen – weil ihre Löhne niedrig sind und Kinder mitzuversorgen sind.« So  Ronny Gert Bürckholdt in Ökonom Hans-Werner Sinn betont seine nationalliberalen Positionen. Sinn taucht immer wieder mit seinen Positionen in der Debatte auf und auch die Kritiker arbeiten sich gerne an seinen Thesen ab.

Dienstag, 20. Dezember 2016

Sprachlosigkeit und Sprachprobleme bei Kindern weiter auf dem Vormarsch. Aber auch: Ambivalenz einer therapeutischen Lösung "des" Problems

Sprache ist eine elementare Angelegenheit. Dies nicht nur hinsichtlich ihrer Bedeutung für das spätere Leben, die Positionierung im Bildungssystem und die berufliche Entwicklung. Sondern auch hinsichtlich der Verständigung mit anderen sowie dem Inklusions- bzw. Exklusionseffekten, also das (Nicht-)Dazugehören, oftmals über Sprache vermittelt. Ihre Entwicklung und Ausdifferenzierung wird maßgeblich im Kindes- und Jugendalter vorangetrieben oder auch gehemmt. Vor diesem Hintergrund müssen solche Meldungen beunruhigen: »Immer öfter diagnostizieren Ärzte laut einer Studie Störungen bei der Sprachentwicklung. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen«, kann man diesem Artikel von Julia Emmrich entnehmen: Jedes achte Kind in Deutschland hat Sprachprobleme.

»Die Zahl der Kinder mit Sprachproblemen hat deutlich zugenommen. Kinderärzte diagnostizierten im vergangenen Jahr bei jedem achten Kind im Alter von fünf bis 14 Jahren Störungen bei der Sprachentwicklung. Vier Jahre zuvor hatte nur jedes Zehnte in dieser Altersgruppe Defizite.«

Klar erkennbar in den Daten ist eine Unwucht zwischen den Geschlechtern: Während im letzten Jahr 9,4 Prozent der Mädchen zwischen fünf und vierzehn Jahren von Kinderärzten Sprachdefizite bescheinigt bekamen, waren es bei den Jungen 14,4 Prozent.

Montag, 19. Dezember 2016

Kein deutsches Kindergeld mehr für EU-Ausländer, die hier und deren Kinder dort sind? Zur Ambivalenz einer (nicht-)populistischen Forderung

»Die Diskussion um Sozialleistungen für EU-Ausländer ist neu entfacht: Saisonarbeiter kassieren Kindergeld, obwohl ihr Nachwuchs gar nicht in Deutschland lebt ... Der Streit um das Thema ist voll entbrannt. CSU-Abgeordnete wollen die Regeln für den Kindergeld-Bezug von EU-Ausländern ändern – damit Saisonarbeiter, deren Nachwuchs gar nicht in Deutschland lebt, kein Geld mehr bekommen. "Falsche Anreize nach Deutschland zu kommen, müssen dringend vermieden werden", sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt.«

Moment - ist das nicht eine Forderung des SPD-Vorsitzenden, Vizekanzlers und Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel, der gerade überall damit zitiert wird? Schon richtig, aber das Zitat stammt aus dem Artikel Kindergeld und Hartz IV: So viel Geld kosten uns die Zuwanderer aus der EU vom 13. Mai 2014, der damals vom "Focus" veröffentlicht worden ist. Die Wiederauferstehung der Debatte in den letzten Tagen des Jahres 2016 wurde tatsächlich von Sigmar Gabriel besorgt: »"Es gibt kein Recht auf Zuwanderung in Sozialsysteme": SPD-Chef verlangt eine Kürzung des Kindergelds für EU-Ausländer, wenn deren Kinder nicht in Deutschland leben«, so wird er in diesem Artikel zitiert: Weniger Kindergeld für EU-Ausländer mit Familie im Heimatland. Etwas genauer: Wenn die Kinder nicht in Deutschland lebten, sondern in ihrer Heimat, "sollte auch das Kindergeld auf dem Niveau des Heimatlandes ausgezahlt werden". Und Gabriel warte "seit Monaten" darauf, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Vorschlag für eine solche Kürzung des Kindergeldes vorlege. Es gebe in manchen Großstädten Deutschlands "ganze Straßenzüge mit Schrottimmobilien", in denen Migranten nur wohnten, weil sie für ihre Kinder, die gar nicht in Deutschland lebten, Kindergeld auf deutschem Niveau bezögen. "Es gibt in Europa ein Recht auf Zuwanderung in Arbeit, aber kein Recht auf Zuwanderung in Sozialsysteme ohne Arbeit", sagte der Vizekanzler weiter.

Sonntag, 18. Dezember 2016

"Manche sind einfach schlechte Verlierer". Keine Beschäftigungsverluste durch den Mindestlohn? Dann ist er eben für keine möglicherweise entstandenen Jobs verantwortlich

Unter der Überschrift "Manche sind einfach schlechte Verlierer" wurde am 12.12.2016 in der Print-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit Peter Bofinger über seinen ewigen Kampf mit der Mehrheit deutscher Volkswirte um Mindestlohn und Sparkurs im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den "fünf Wirtschaftsweisen", veröffentlicht. Die Überschrift ist ein Zitat von Bofinger und bezieht sich auf das Streitthema gesetzlicher Mindestlohn. Die Interviewer führt in seiner Frage aus: »Als er 2014 beschlossen wurde, klatschten Sie. Die Mehrheit der Sachverständigen warnte, er koste viele Jobs. Mancher sprach von Hunderttausenden.« Die Antwort von Peter Bofinger: »Die Bilanz des Mindestlohns ist prächtig. Ich hatte das erwartet. Die Branchen-Mindestlöhne etwa am Bau, im Elektrohandwerk oder bei den Friseuren hatten nie Jobs gekostet. So ist es auch jetzt. Wo die Löhne vorher besonders niedrig waren, entstand sogar mehr Beschäftigung als anderswo ... Davon profitieren Arbeitnehmer, Staat und Sozialkassen.« Manche der Ökonomen, die sich schlichtweg vertan haben in der Diagnose, werden von ihm als schlechte Verlierer bezeichnet. Und an vielen Stellen ist Bofingers Bewertung bestätigt worden, beispielsweise mit Blick auf das besonders gerne und immer wieder als "Opfer" deklarierte Gastgewerbe in diesem Beitrag vom 18. November 2016: Der Mindestlohn nicht als apokalyptischer Reiter, sondern als Stimulus für das Gastgewerbe.

Aber offensichtlich haben wir es mit besonders renitenten schlechten Verlierern zu tun, die einfach nicht locker lassen wollen - und die offensichtlich immer wieder Medien finden, die ihnen zur Hand gehen bei der Aufrechterhaltung einer - nun ja - mehr als eigenwilligen Wirklichkeitskonstruktion.

Freitag, 16. Dezember 2016

Der Taylorismus lebt? Und dann im Büro? Eine Studie meint genau das gefunden zu haben


Überall wird man in den Medien mit Digitalisierung oder Arbeit 4.0 konfrontiert - bei den einen als apokalyptisch daherkommende Version der "Uns geht mal wieder die Arbeit aus"-Vorhersagen, bei anderen als eher als eine Verheißung auf ein interessanteres und anspruchsvolleres Arbeitsleben, in dem wir von den niederen Tätigkeiten befreit werden.
Und nun haben sich Wissenschaftler mit der Zukunft der Arbeit im Büro beschäftigt. Und was haben sie gefunden? Der Büroalltag von Millionen Menschen ist dabei, sich komplett zu verändern. Immer mehr Unternehmen messen die Leistung ihrer Mitarbeiter und standardisieren jede Tätigkeit - der Effizenz wegen. Was der Einzelne leistet, wird genau nachvollziehbar - und endet für viele Arbeitnehmer in großem Stress. So zumindest die Zusammenfassung einiger Befunde in dem Artikel Der Büroalltag wird zur Akkordarbeit von Alexander Hagelüken. "Es wurde irgendwie ein Dauerstress", zitiert er einen Software-Entwickler über seine Arbeit. "Alle vier Wochen muss was gezeigt werden und man hat immer diese Deadline." Früher dagegen sei es nur einmal am Ende der Entwicklung einer Software richtig stressig geworden - "und dann war es gut". Effizienzkonzepte aus der Industrie krempeln die Tätigkeit der Kopfarbeiter um. Ihr Job wird schneller, messbarer - und im Zweifel anstrengender. Aber die Wissenschaftler sind offensichtlich nicht einseitig auf die dunkle Seite der Medaille fixiert, folgt man diesem Bericht über die Studie: Neue digitale Arbeitsorganisation im Büro zwischen "Empowerment" und "digitalem Fließband": »Einerseits droht unter den Stichworten „lean“ und „agil“ die Organisation von Kopfarbeit an einem „digitalen Fließband“, andererseits zeichnen sich neue Möglichkeiten für mehr Selbstbestimmung und ein „Empowerment“ der Beschäftigten ab.«

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Armutsbericht: Work in progress. Aufblähen, ganz viele Einzelaspekte nebeneinander behandeln, große Zahlen kleinschreddern und dann kritische Passagen rauskratzen

Mittlerweile ist ein zweiter Entwurf des 5. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung an die Öffentlichkeit gedrungen. Bereits im Oktober gab es einen ersten Entwurf, der nunmehr an einigen Stellen überarbeitet worden ist. Während der erste Entwurf vom Bundesarbeitsministerium erstellt worden ist, haben bei der zweiten, jetzt vorliegenden Version das Kanzleramt und andere Ministerien mitschreiben können.

Zuerst eine Vorbemerkung: Als der Entwurf des 4. Armut- und Reichtumsberichts am 17.09.2012 veröffentlicht wurde, hatte man es mit 487 Seiten zu tun. Der nun vorliegende Entwurf des 5. Berichts kommt schon auf 649 Seiten. Wir werden nicht nur Zeuge einer gewaltigen text- und zahlenlastigen Aufblähung, sondern erleben zugleich ein bekanntes Vorgehen, wenn man sich entweder nicht entscheiden kann oder aber - was hier als These in den Raum gestellt wird - wenn man Verwirrung stiften will in dem Sinne, dass man sich verliert in einer Vielzahl an Einzelaspekten, die dann auch noch eine Gewichtung neben- bzw. nacheinander abgearbeitet oder auch nur angerissen werden. Und auch das erleben wir - wenn man denn das Problem der "großen Zahlen" hat, beispielsweise bei der Zahl der armen bzw. von Armut bedrohten Kinder, dann geht man hin und rechnet die Zahlen nach unten. Dazu mein Beitrag Armutsbericht: Welche Kinderarmut soll es denn sein? Die Zahlen werden eingedampft, bis die Kinderarmut in homöopathischen Welten verschwindet vom 13. Dezember 2016, wo demonstriert wird, wie man es schafft, eine Armutsrisikoquote von erschreckenden 19,7 Prozent unter den Kindern auf knapp 5 Prozent runterzurechnen.
Und dann sollte man - wenn man so ein Werk auf der Regierungsseite schon erstellen muss - nicht vergessen, den Entwurf des Berichts immer wieder "textkritisch" zu lesen und "problematische" Passagen umzuschreiben oder - wenn es denn sein muss - sie lieber zu streichen, als später mit ihnen konfrontiert zu werden.

Dienstag, 13. Dezember 2016

Armutsbericht: Welche Kinderarmut soll es denn sein? Die Zahlen werden eingedampft, bis die Kinderarmut in homöopathischen Welten verschwindet

Natürlich sind solche Zahlen und dann auch noch Kinder betreffend unangenehm: Insgesamt ist die Zahl der unter 15-Jährigen, die auf Hartz IV angewiesen sind, im vergangenen Jahr gestiegen. Etwa jedes siebte Kind in Deutschland ist von Hartz-IV-Leistungen abhängig, konnte man am 1. Juni 2016 in diesem Beitrag lesen: Ein Teil der armen Kinder im Blitzlicht der Medienberichterstattung, erneut die Abwertung von Geldleistungen und jenseits der Sonntagsreden sogar weitere Kürzungen ganz unten ante portas. 2015 waren im Schnitt 1,54 Millionen unter 15-Jährige betroffen. Das waren gut 30.000 Kinder und Jugendliche mehr als im Vorjahr. In Bremen und Berlin ist mit 31,5 Prozent fast jedes dritte Kind unter 15 Jahren von Hartz-IV-Leistungen abhängig (Ende 2015). Prozentual am wenigsten Betroffene gibt es in Bayern mit 6,5 Prozent.

Man muss berücksichtigen, dass hier nur ein Teil der Kinder aufgeführt wird, die in einkommensarmen Verhältnissen leben (müssen), denn die Gruppe der Hartz IV-Empfänger ist nur eine Teilgruppe der von Einkommensarmut "gefährdeten" Menschen, wie das die Statistiker nennen. Zur Größenordnung: Fast drei Millionen Kinder leben am Rande des Existenzminimums, also in Familien, denen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung steht. Drei Millionen.

Diese Zahl ist nicht irgendwie aus der Luft gegriffen, sondern sie basiert auf der international vereinbarten Regel, nach der jemand als von Einkommensarmut gefährdet ausgewiesen wird, wenn weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens vorhanden ist - ein relativer Armutsbegriff, wenn auch immer wieder gerne unter Beschuss der Dauer-Nörgler, so macht er dennoch Sinn, wenn man eine Teilhabeorientierung und keinen "veterinärmedizinischen" Armutsbegriff zugrundelegt. Wenn.

Montag, 12. Dezember 2016

Eine eigene Welt? Niedriglöhner im Jobwunderland Deutschland


Das sind den einen oder anderen sicher irritierende Schlagzeilen aus dem "Jobwunderland" Deutschland: Anteil der Niedriglohnempfänger wächst rasant, so ist einer der vielen Artikel dazu überschrieben. Etwas vorsichtiger bzw. genauer formulierend Jeder Fünfte verdient unter zehn Euro pro Stunde: »Laut Daten des Arbeitsministeriums arbeiten mehr als 20 Prozent der deutschen Beschäftigten zu Niedriglöhnen. Im Westen hat der Anteil zuletzt sogar zugenommen.« Wie kann das sein? Ist nicht erst vor nunmehr zwei Jahren der gesetzliche Mindestlohn als verbindliche Lohnuntergrenze für (fast) alle eingeführt worden? Und dann solche Meldungen?

Da lohnt es sich, genauer auf die Daten zu schauen. Ausgelöst wurde die aktuelle Berichterstattung durch eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken "Niedriglöhne in der Bundesrepublik Deutschland" und der nun vorliegenden Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 18/10582 vom 07.12.2016).

Sonntag, 11. Dezember 2016

Es weihnachtet sehr - bei den spendensammelnden Organisationen rollt der Rubel. Und da sind sie wieder, die Dialoger

Weihnachtszeit. Das sind nicht nur die alles entscheidenden Wochen des Glühweinabsatzes und die wichtigste Umsatzzeit des Einzelhandels, sondern auch der spendensammelnden Organisationen. Und die kämpfen - zuweilen im wahrsten Sinne des Wortes - um eine begrenzte Grundgesamtheit an mehr oder weniger spendenwilligen Mitmenschen. Da wird dann nicht nur mit einem wirklich guten Grund für eine Spende geworben, sondern mit allen Bandagen versucht, sich einen besseren Platz beim Einsammeln des pekuniären Beitrags zum "Gemeinwohl" und den "guten Taten" zu verschaffen. Und dann kommen sie - trotz einer seit Jahren kritischen Berichterstattung - wieder ins Spiel: die Dialoger. Bereits 2014 wurde der Beitrag Wenn "Dialoger" um Mitglieder für das Gemeinwohl werben und sich dabei in sittenwidrigen Vergütungsmodellen verfangen veröffentlicht. Darin ging es um den immer wiederkehrenden Spagat zwischen gut Reden und schlecht Handeln. Der Beitrag befasste sich vor allem mit den teilweise hundsmiserablen Arbeitsbedingungen, mit denen die Werber für die "gute Sache" der anderen konfrontiert werden. Vgl. dazu auch - ebenfalls aus dem Jahr 2014 - den Beitrag auf der Facebook-Seite von "Aktuelle Sozialpolitik": "Aus Liebe zum Leben" - aber das kostet was und manche kriegen sehr wenig dafür, wenn sie das Geld auftreiben, um die Liebe zum Leben leben zu können, am Beispiel der Johanniter.

Freitag, 9. Dezember 2016

Rettungsdienst: Blaulicht dauerhaft an für den Honorararzt an Bord, eine (mögliche) Sozialabgabenpflicht wird gesetzlich ausgeschlossen

Da gab es in den vergangenen Monaten eine Menge Aufregung: »Die vor allem in ländlichen Regionen verbreitete Beschäftigung von Honorar-Notärzten auf Rettungswagen ist nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes so künftig nicht mehr möglich«, konnte man beispielsweise diesem Artikel entnehmen: Honorar-Notärzte auf Rettungswagen nicht mehr erlaubt: »Die Richter in Kassel bestätigten ein Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern, das die Beschäftigung als Scheinselbstständigkeit eingestuft hatte (Az: L7R60/12 und B12R19/15B). Im konkreten Fall geht es um den Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes im Nordosten. Nach Angaben des Rechtsvertreters des DRK, BDO Legal, dürfen damit ab sofort in dem Bundesland keine Honorar-Notärzte mehr beschäftigt werden. Sie müssten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Fraglich sei, ob die Ärzte, die den notärztlichen Rettungsdienst bisher neben ihrem eigentlichen Job übernähmen, dazu bereit sind. Auch seien Konflikte mit dem Arbeitszeitgesetz zu befürchten.« Allerdings ist die Materie weitaus komplexer als sich das nach dem Zitat anhört. Siehe dazu den Beitrag Scheinselbständige "Pioniere in Weiß"? Wenn der Notarzt auf Honorarbasis arbeitet, bleibt das Blaulicht aus. Nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern droht ein Kollaps vom 13. September 2016.

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Von wegen sanfte Geburt. Der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende steckt fest im föderalen Interessendickicht

Am 13. November 2016 wurde mit einer fast schon überschwänglich positiv daherkommenden, nur am Ende die Vorfreude gleich wieder relativierenden Überschrift über die seit langem geforderten Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss berichtet: Ein Beitrag zur Armutsvermeidung bei Alleinerziehenden und ihren Kindern: Der Unterhaltsvorschuss wird endlich weiterentwickelt. Dennoch bleiben Fragezeichen. Endlich mal eine positive Botschaft, keine Kürzung, keine kleinkarierte Gesetzgebung, sondern ein Schritt nach vorn. Die beiden wichtigsten Elemente: Die Befristung des Unterhaltsvorschusses auf maximal sechs Jahre und die Begrenzung auf das 12. Lebensjahr bei den Kindern sollen abgeschafft werden. Darauf hat man sich im Kontext der großen Verhandlungen rund um eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geeinigt. Aber bereits in dem Beitrag vom 13.11.2016 musste dann eine Menge Wasser in den gerade erst aufgetischten Wein gegossen werden, denn es gab sofort heftigen Widerstand aus den Reihen der Kommunen und der Bundesländer. Dabei geht es um zwei Ebenen.

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Wo soll das enden? Sterbehilfe als Wachstumsbranche und eine fortschreitende Verschiebung der Grenzen

In diesem Blog wurde das Thema Sterbehilfe bereits in mehreren Beiträgen aufgerufen, so am 24. Oktober 2014: Vielleicht kein "Dammbruch", aber eine "Sickerblutung" in das gesellschaftliche Gewebe hinein. Es geht um das Sterben, um die Sterbehilfe. Und da braucht es Skepsis, Fragen und eine Warnung. Am 13. Juni 2015 ging es dann um Die Schweiz als letztes Asyl für Sterbehelfer auf der Flucht vor Verfolgung in Deutschland? Oder geht es um todbringende Geschäftemacher, die ihr Business retten wollen? Und am 8. November 2015 wurden die gesetzgeberischen Aktivitäten in Deutschland untersucht: Auf ganz dünnem Eis: Sterben und Tod als Gegenstand gesetzgeberischen Handelns. Zuerst das Hospiz- und Palliativgesetz, direkt danach der Regelungsversuch der Sterbehilfe. Der vorerst letzte Eintrag datiert auf den 13. Oktober 2016: Sterbehilfe weiter auf der Rutschbahn nach unten? Bereits die Überschriften der Blog-Beiträge verdeutlichen die grundlegende Skepsis, mit der hier an das Thema Sterbehilfe herangegangen wird - ausdrücklich nicht hinsichtlich der Unhintergehbarkeit einer individuellen Entscheidung. Wir sind konfrontiert mit einem letztlich unauflösbaren Spannungsfeld zwischen der individuellen Dimension und den (möglichen) gesellschaftlichen Konsequenzen von (aktiver) Sterbehilfe.

Gegenstand des Beitrags aus dem Oktober 2016 waren neuere Entwicklungen in unseren Nachbarländern Belgien und den Niederlanden, in denen die aktive Sterbehilfe schon viel weiter "entwickelt" ist - in Belgien wurde erstmals ein Minderjähriger ins Jenseits befördert und in den Niederlanden geht man immer weiter weg von den Todkranken und will nun auch "sterbewilligen" Senioren nach einem "erfüllten Leben" und ohne schwere Erkrankungen den assistierten Tod ermöglichen.

Dienstag, 6. Dezember 2016

Und ewig lockt die Statistik. Was fantastisch viele Ehrenamtliche mit möglicherweise ganz anderen PISA-Ergebnissen zu tun haben

Mit Zahlen kann man Politik machen, ach was: Mit ihnen macht man ganz handfest Politik. Die einen durchforsten unendliche Zahlenkolonnen im Ersatz für die eigentlich zu führenden Gespräche mit den Menschen selbst, die anderen leiten das, was sie sagen, aus dem ab, was ihnen die Zahlen sagen. Und Wissenschaftler lieben die Zahlen sowieso und rümpfen nicht selten die Nase, wenn jemand "empiriefrei" zu argumentieren wagt, auch wenn er oder sie ganz nah bei den Menschen ist. Das kann man verurteilen, kritisieren und ablehnen, es ändert alles nichts. Wenn die Währungseinheit Statistik ein eigenständiger Machtfaktor geworden ist, dann muss man eben kritisch auf die präsentierten "Daten und Fakten" schauen, ob sie halten, was sie versprechen. Oder ob durch die Herstellung entsprechender Zahlenwelten Potemkinsche Dörfer aufgebaut werden als Kulisse für eine Zufriedenheitsproduktion.

Montag, 5. Dezember 2016

Eine bodenlose Frechheit: Die Bundesregierung verramscht hoheitliche Kernaufgaben an eine Unternehmensberatertruppe. Und die kassiert ein fettes Honorar - für Schaumschlägerei

Nein, das geht gar nicht. Das ist eine echte Schweinerei. Erst am 28. Oktober 2016 habe ich diesen Beitrag gepostet: Ran an die mit Steuermitteln gefüllten Futtertröge oder: Wir machen auch Flüchtlinge ... Die Unternehmensberaterrepublik und ein sich verselbständigendes Staatsversagen. Darin wurde die gleichsam krakenhafte Durchdringung des Staates durch Unternehmensberater wie die von McKinsey beschrieben und ihr fortwährendes Eindringen in zentrale, hoheitliche Staatsaufgaben kritisiert. Und dann wird man mit so einer flapsig daherkommenden Überschrift konfrontiert: McKinsey gibt Merkel Abschiebetipps. Als ob es hier um irgendwelche Kochtipps geht oder Ratschläge, die kommende Grillsaison betreffend. Es geht hier zum einen um einen im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Angelegenheit, zum anderen um eine Sache, die den Kernbereich des hoheitlichen Handelns unseres Staates berührt. Selbst wenn eine Abschiebung gerechtfertigt und notwendig ist - sie bleibt immer etwas, das alle daran Beteiligten beschädigt. Das ist nicht wie der Rauswurf aus einer Eckkneipe oder der Ausschluss auf irgendeinem Verein. Und wenn das passieren muss, dann ist der Staat dazu verpflichtet, seine hoheitlichen Rechte als Staat mit seinen Beamten durchzusetzen unter der kritischen Begleitung der anderen Akteuere unseres Rechtssystems. Kann man darüber ernsthaft diskutieren?

Sonntag, 4. Dezember 2016

Schwerbehinderte auf dem Arbeitsmarkt: Überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, andererseits wird Inklusion in der Arbeitswelt (angeblich) immer alltäglicher


Wichtige Tage der Gesetzgebung liegen (nicht nur) hinter den Menschen mit Behinderungen, hat doch der Bundestag nunmehr ein Bundesteilhabegesetz verabschiedet, gegen dessen Entwurf es heftigen Widerstand aus den Reihen der Behindertenbewegung und der Sozialverbände gegeben hat. Im wahrsten Sinne des Wortes bis zum letzten Moment wurde hier um  Änderungen gerungen, offensichtlich mit Erfolg: »Nach Protesten bessert die Koalition das Behindertenrecht nach«, berichtet Thomas Öchsner in seinem Artikel Des Zornes Wirkung, obgleich die immer noch nicht ausreichen, um alle Kritiker zu besänftigen: »In 68 Punkten hat die Koalition das Bundesteilhabegesetz kurz vor knapp geändert. Die Macher sind zufrieden, Verbände auch. Andere sagen: "Der Kampf geht weiter."«, kann man diesem Bericht entnehmen:  68 Mal geändert, trotzdem noch Kritik. Aber um die Tiefen und Untiefen des Bundesteilhabesetzes soll es in diesem Beitrag gar nicht gehen, sondern um einen wichtigen Teilaspekt der Lebenslage von Menschen mit Behinderungen: ihrer Teilhabe am Arbeitsmarkt. Oder spiegelbildlich ihrer Exklusion. Womit wir natürlich auch wieder bei der Inklusion wären, deren Umsetzung ja eines der Ziele des nunmehr zumindest im Bundestag verabschiedeten Bundesteilhabesetzes sein soll. Und das hat seinen Vorlauf gehabt. Eine wichtiges Datum in diesem Zusammenhang ist sicher der 13. Dezember 2006. Vor zehn Jahren haben die Vereinten Nationen die UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention sieht ein gleiches Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderung vor. Deutschland hat die UN-BRK 2009 unterzeichnet und sich damit zur schrittweisen Umsetzung der Forderungen verpflichtet.

Freitag, 2. Dezember 2016

Schulabbrecher und Ausländer an die Front? Die - nicht wirklich - neue Personalrekrutierungsstrategie der Bundeswehr

Um ihren Personalbedarf zu decken, will die Bundeswehr stärker um Geringqualifizierte werben. "Angesichts der demografischen Entwicklung sowie der anstehenden strukturellen Anpassungen der Bundeswehr werden künftig verstärkt auch junge Menschen mit unterdurchschnittlicher schulischer Bildung beziehungsweise ohne Schulabschluss personalwerblich anzusprechen sein." Die "Erschließung neuer Potentiale zur Personalgewinnung" sei erforderlich, um den Personalbedarf zu decken und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten. Künftig sollen auch in Deutschland lebende Ausländer für die Bundeswehr gewonnen werden. "Bestehende Regelungen sind so zu erweitern, dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können".

Nein, diese Ausführungen stammen nicht aus einem der vielen, in den vergangenen Tagen veröffentlichten Artikel, sondern sie sind diesem Beitrag entnommen: Bundeswehr buhlt um Geringqualifizierte. Und der ist bereits am 15. Februar 2011 veröffentlicht worden.

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Habemus Tarifabschluss. Für die Leiharbeit. Das gefällt nicht jedem


Am 25. November 2016 hat der Bundesrat die vom Bundestag bereits beschlossenen Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gebilligt. Damit hat die heftig umstrittene Neuregelung der Leiharbeit (vgl. dazu den Beitrag Ein "kleingehäckseltes" koalitionsvertragsinduziertes Abarbeitungsgesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen vom 21. Oktober 2016) seinen parlamentarischen Weg beendet. Und nur wenige Tage später werden wir mit dieser Nachricht aus der Leiharbeitswelt konfrontiert:
"Wir haben seit Dienstag mehr als 24 Stunden Non-Stop verhandelt und eine deutliche Erhöhung der Entgelte erreicht. Der Kompromiss enthält viel von dem, was wir gefordert hatten. Die Gewerkschaften haben die vollständige Ost-West-Angleichung ab 2021 sowie eine überproportionale Anhebung der unteren Entgeltgruppen durchgesetzt." Mit diesen Worten wird Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied  und Verhandlungsführer für die DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit zitiert: Verhandlungsergebnis für die Beschäftigten der Leiharbeit erreicht. Und weiter erfahren wir über das Verhandlungsergebnis: Die Entgelte in der Leiharbeit steigen im Westen jährlich zwischen 2,5 und 3,2 Prozent pro Stunde. Im Osten steigen sie jährlich bis zu 4,82 Prozent pro Stunde. Die vollständige Ost-West-Angleichung in allen neun Entgeltgruppen erfolgt zum 01.04.2021. Die Entgelttabelle Ost entfällt zu diesem Zeitpunkt. Die dann gültige Tabelle West wird dann im gesamten Bundesgebiet angewendet. Und auch das sollte erwähnt werden: Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 36 Monaten und endet zum 31.12.2019.

Mittwoch, 30. November 2016

Zwischen Quantität und Qualität. Organisationen fordern in einem gemeinsamen Memorandum faire und sorgfältige Asylverfahren


Es kommen deutlich weniger Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland (durch). Noch vor einigen Monaten war das ganz anders. In der damaligen Dauer-Medienberichterstattung ging es auch immer um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dessen offensichtliche Überlastung bei der Bearbeitung der Asylanträge. Wenn schon die Erfassung der Flüchtlinge zeitweilig nicht mehr sichergestellt werden konnte, überrascht es nicht, dass viele Menschen monatelang warten mussten, um überhaupt einen Asylantrag stellen zu können und dann nochmals eine lange Zeit ins Land ging, bis eine Entscheidung getroffen wurde bzw. wird. Mittlerweile normalisieren sich die Systeme und man könnte annehmen, dass das auch für die Asylverfahren der Fall ist. Und das sollte ja auch der Fall sein, dieses Versprechen personifiziert der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, dem zusätzlich die Leitung des BAMF übertragen wurde, um genau diesen Zustand herbeizuführen - bewusst auf seinen Nimbus als Effizienzmaschine setzend. Nun haben wir das Ende des Jahres 2016 erreicht, in dem es eine vergleichsweise sehr überschaubare Zahl an Neu-Ankömmlingen gegeben hat, so dass sich auf der Asylverfahrensseite eine Menge entspannt haben müsste. Dennoch sind noch hunderttausende Asylverfahren offen und hinzu kommen dann solche Botschaften: »Deutsche Wohlfahrtsverbände und Menschenrechtsorganisationen haben am Mittwoch in Berlin an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) appelliert, faire Asylverfahren für Flüchtlinge in Deutschland sicherzustellen«, berichtet Ralf Pauli in seinem Artikel Verbände fordern faire Asylverfahren. »Zeitdruck, politische Vorgaben, unerfahrene Mitarbeiter: Die Qualität der Asylverfahren ist für Pro Asyl, Diakonie & Co nicht mehr hinnehmbar.«

Montag, 28. November 2016

Schloss Salem & Co. als lebender Verfassungsverstoß? Wieder einmal die Privatschulen und die - viel größere - Frage nach der Selektion im Bildungssystem


Was für eine Überschrift: "Würde man das Grundgesetz ernst nehmen, müsste Schloss Salem geschlossen werden", so die Süddeutsche Zeitung. Muss etwa Karlsruhe höchstselbst einschreiten gegen die Privatschulen im tiefen Süden des Landes? Susanne Klein scheint in ihrem Artikel ein gewichtiges Geschütz aufzufahren: »Kinder von Eltern mit hohem Einkommen besuchen deutlich häufiger Privatschulen als Kinder von Eltern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Das ist Realität. Doch ist es auch rechtens? Mit dem sozialen Ungleichgewicht an staatlich anerkannten Schulen in freier Trägerschaft befasst sich eine ... Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Untersuchung geht der Frage nach, welchen Anteil die Schulpolitik daran hat, dass sich viele der 5770 Privatschulen in Deutschland sozial abschotten. Die Antwort des Wissenschaftszentrums lässt sich in einem Vorwurf bündeln: Bei ihren Regeln und Kontrollen für Privatschulen missachten die meisten Bundesländer das Grundgesetz.« Das macht neugierig, also schauen wir einmal vorbei beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Sonntag, 27. November 2016

Statt außen vor (wieder) mitten drin? Jobchancen psychisch kranker Menschen sollen verbessert werden


Als "verheerend" bezeichnete Professor Iris Hauth die aktuellen Zahlen zur Arbeitssituation von psychisch Kranken. Nur etwa zehn Prozent der chronisch Kranken seien am ersten Arbeitsmarkt beschäftigt, und etwa die Hälfte gehe überhaupt keiner Beschäftigung nach, sagte die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) beim Kongress der Gesellschaft. Dies sei umso schlimmer, als sich eine regelmäßige Berufstätigkeit positiv auf den Krankheitsverlauf auswirke. Das berichtet Thomas Müller in seinem Artikel Psychiater wollen Jobchancen psychisch Kranker verbessern. Auch Anne Brüning hat sich in ihrem Beitrag Kranke sollen schneller wieder arbeiten können mit diesem Thema und den Vorschlägen auseinandergesetzt.

Samstag, 26. November 2016

Auf nach Österreich? Mit einem vergleichenden Blick auf die Rente hier und dort wäre das naheliegend. Für die Rentner in Deutschland

Das war ja zu erwarten. Das Gesamtkonzept zur Alterssicherung, das die Bundessozialministerin Andrea Nahles gestern der Öffentlichkeit präsentiert hat, wird von vielen kritisch kommentiert. Das kann bei so einem Thema auch nicht wirklich überraschen. Vor allem ihr Vorschlag, eine "Haltelinie" beim absinkenden Rentenniveau einzuziehen und das bei 46 Prozent bis 2045 zu stabilisieren, sorgt für strittige Diskussionen. So hat sich der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm zu Wort gemeldet, er hält das von Nahles vorgeschlagene Mindest-Rentenniveau von mindestens 46 Prozent für nicht ausreichend: "Die Rente muss höher sein als die Grundsicherung, sonst verliert das System seine Legitimität. Ein Niveau von 46 Prozent wird dafür nicht reichen", so wird er in dem Artikel Blüm und Riester kritisieren Rentenkonzept zitiert. Aber viele Kommentatoren argumentieren so wie Thomas Öchsner von der Süddeutschen Zeitung, der unter der bezeichnenden Überschrift Wer soll das bezahlen? schreibt:
»Nahles hat auch recht, wenn sie eine neue langfristige Haltelinie beim Rentenniveau und bei den Beitragssätzen fordert. Wer das Rentenniveau ins Bodenlose fallen lässt, untergräbt die Legitimation der Rentenversicherung ... Jedoch ist die Ministerin übers Ziel hinausgeschossen. Man kann darüber reden, die gesetzliche Haltelinie von mindestens 43 Prozent des Durchschnittslohns über 2030 hinaus zu stabilisieren. Die 46 Prozent, die Nahles anpeilt, werden allerdings viel zu teuer.« 
Es geht hier gar nicht um die Frage, warum das eigentlich so sein soll (vgl. dazu mein Hinweis auf die eigentliche Finanzierungsfrage als zentrale Baustelle der rentenpolitischen Diskussion, die aber weiterhin gemieden wird, in dem Beitrag Die Rente soll gesamtkonzeptionell verbessert werden. Aber welche Rente? Und der großen Koalition geht die Puste aus beim Anblick der wirklich großen Baustellen im Alterssicherungssystem vom 25.11.2016).
Auffällig ist hingegen, dass kaum bis gar nicht die eigentlich naheliegende Frage aufgerufen wird, wie hoch eigentlich viele Renten heute sind und wie hoch sie in Zukunft sein sollten.

Freitag, 25. November 2016

Die Rente soll gesamtkonzeptionell verbessert werden. Aber welche Rente? Und der großen Koalition geht die Puste aus beim Anblick der wirklich großen Baustellen im Alterssicherungssystem

Am Abend des 24. November 2016 haben die Spitzen der großen Koalition in Berlin über das für sie angesichts des anstehenden Wahlkampfs sicher mehr als leidige Renten-Thema gekreißt und herausgekommen ist - nicht wirklich überraschend - eine rentenpolitische Maus der Gemeinsamkeiten. Beim abendlichen Treffen wurden Maßnahmen vereinbart, die (noch) umgesetzt werden sollen in der laufenden Legislaturperiode und teilweise schon auf den gesetzgeberischen Weg gebracht worden sind: Zum einen der Ausbau der Betriebsrenten (Sozialpartnermodell und Steuerzuschuss für Geringverdiener, dazu liegt mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits ein Entwurf vor). Es geht um die Stärkung der (hoch umstrittenen) Kapitaldeckung innerhalb des Alterssicherungssystems. Entsprechend soll es auch Anpassungen geben bei der Förderung der Riester-Rente. Hier ist vereinbart worden, im Rahmen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes die Grundzulage der Riester-Förderung anzuheben, also die Förderung aus Steuermitteln auszubauen sowie die Doppelverbeitragung bei betrieblichen Riester-Verträgen aufzuheben. Hinzu kommt eine geplante Privilegierung der privaten Altersvorsorge im Sinne der Gewährung von Freibeträgen, falls man auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sein sollte. Und sonst? Vereinbart wurde eine Verlängerung der Zurechnungszeit bei Erwerbsminderungsrenten von heute 62 auf 65 Jahre. Und schlussendlich soll es eine Angleichung der Renten in Ost und West geben - in sieben Schritte bis 2025. Das war's. Und das Rentenniveau? Und die Bekämpfung der Altersarmut?

Donnerstag, 24. November 2016

Altenpflege: Sehenden Auges weiter rein in den großen Pflegekräftemangel?


An Zustandsbeschreibungen, Studien, Szenerien und Modellrechnungen hinsichtlich des Bedarfs an Pflegekräften besteht nun wahrlich kein Mangel. Unabhängig von der Tatsache, dass der Blick in die Zukunft immer unsicher sein muss, ist die Forschungslage zur Altenpflege ziemlich eindeutig: Wir marschieren seit längerem - kaum gebremst - in einen voluminösen Pflegekräftemangel hinein, der weit größere Ausmaße haben wird als das, was heute schon in den Einrichtungen und Diensten als Personalmangel erlebt werden muss (vgl. dazu auch den Beitrag Pflege & Co. auf der Rutschbahn des Mangels vom 23.11.2016).

Auch der BARMER GEK Pflegereport 2016, der heute veröffentlicht wurde, bestätigt den kritischen Blick auf die vorhandene, vor allem aber auf die zukünftige Entwicklung des Personals in der Altenpflege.

Die BARMER GEK hat ihre Pressemitteilung zum neuen Pflegereport so überschrieben: Postleitzahl beeinflusst Art der Pflege in Deutschland: »Wie Menschen in Deutschland gepflegt werden, hängt vom Wohnort der Pflegebedürftigen ab ... Demnach sind die massiven regionalen Unterschiede in der Pflege die Konsequenz des Angebots vor Ort. Je mehr Pflegedienste oder Pflegeheime es gibt, desto mehr Betroffene werden von ihnen betreut.« Die Unterschiede bei der Art der Versorgung von Pflegebedürftigen sind schon auf der Ebene der Bundesländer erheblich: In Berlin und Brandenburg ist nicht einmal ein Viertel in Heimen untergebracht. In Schleswig-Holstein sind es mehr als 40 Prozent, so Rainer Woratschka in seinem Artikel Brandenburg hat die wenigsten Heimbewohner. Generell ist das Angebot an ambulanten Diensten in den Stadtstaaten und Ostdeutschland höher, dafür gibt es im Westen mehr Heimplätze. »Beeinflusst werde die Form der Pflege aber auch vom Einkommen und den familiären Strukturen, heißt es in der Studie. Wer weniger Geld habe, komme wegen der privaten Zuzahlungen seltener ins Heim.«

Mittwoch, 23. November 2016

Pflege & Co. auf der Rutschbahn des Mangels: Mit Schmerzmitteln zur Arbeit. Das Blaulicht bleibt aus, bis die Kopfprämie wirkt. Über einen real existierenden Fachkräftemangel


Wenn in den vergangenen Jahren über den tatsächlichen oder einen vermeintlichen Fachkräftemangel diskutiert wurde, dann ging und geht es oftmals um akademische Qualifikationen. Bei Ingenieuren und Ärzten wurde Alarm geschlagen und pessimistische Szenarien an die Wand gemalt. Gerade an diesen Beispielen haben aber auch Kritiker versucht zu zeigen, dass man in vielen Fällen gar nicht von einem Fachkräftemangel sprechen könne, höchstens dann, wenn die Arbeitgeber auf eine offene Stelle nicht mehr einen Waschkorb voller Bewerbungen bekommen, sondern nur noch einige wenige und das dann als Mangel empfinden, was aus ihrer Sicht ja auch nachvollziehbar ist. Aber die wirkliche Welt, vor allem der vielgestaltige und regional bzw. lokal höchst differenzierte Arbeitsmarkt ist wesentlich komplexer. In der letzten Zeit hat sich zunehmend herumgesprochen, dass wir in ganz anderen Berufsfeldern mit einem schon vorhandenen und sich weiter verschärfenden bzw. einem demnächst bevorstehenden Fachkräftemangel eklatanten Ausmaßes konfrontiert sind oder sein werden. Da werden nicht nur die Erzieherinnen genannt, sondern auch viele Handwerksberufe. Und ganz weit oben stehen zahlreiche Gesundheitsberufe, nicht nur, aber sicher prominent vertreten die Pflege.

Dienstag, 22. November 2016

Der Weg würde ein steiniger sein: Vom dualen Krankenversicherungssystem zur "Bürgerversicherung" (light)


Vor wenigen Tagen wurde man mit solchen Schlagzeilen konfrontiert: Bürgerversicherung würde Zehntausende Arbeitsplätze bedrohen, so beispielsweise die FAZ. Dort erfahren wir: »Die Einführung einer gesetzlichen Bürgerversicherung könnte dazu führen, dass viele Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren - in den Privaten Krankenversicherungen (PKV). Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt veröffentlichte neue Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Eine solche von SPD, Grünen und Linken favorisierte gesetzliche Krankenversicherung für alle würde je nach Ausstiegsszenario dazu führen, dass in der PKV zwischen 22.700 und 51.000 Stellen abgebaut werden müssten.« Beim Übergang zu einer Bürgerversicherung würden zwischen knapp einem Drittel und rund drei Vierteln der Arbeitsplätze in der Privaten Krankenversicherung wegfallen oder rechnerisch gefährdet sein. Die Intention der Berichterstattung war klar - hier sollte in Richtung der eine Bürgerversicherung befürwortenden Kräfte aus den Gewerkschaften, der SPD und den den Grünen ein Keil getrieben werden über das Szenario eines umfangreichen Arbeitsplatzabbaus - das wurde bereits kritisch aufgegriffen und mehr als relativiert in dem Blog-Beitrag Ist die Private Krankenversicherung ein geschützter Arbeitsmarkt? vom 18. November 2016. Weitaus interessanter und aufschlussreicher als die Abschätzung möglicher (übrigens Brutto-)Jobverluste in einem Versicherungssegment sind die den Berechnungen zugrundeliegenden Wege hin zu dem, was unter dem Terminus "Bürgerversicherung" diskutiert wird.

Montag, 21. November 2016

Ein trojanisches Pferd? Ehrliche Suchbewegungen? Arbeitszeitflexibilixierung als "kontrolliertes Experiment" und die Semantik des Grundeinkommens bei Managern

In der Sozialpolitik ist immer eine Menge Bewegung. Nicht selten sogar zu viel Bewegung, wenn man den Ausstoß des Gesetzgebers in den sozialpolitischen Handlungsfeldern betrachtet, denn nicht selten werden wir Zeugen einer Verschlimmbesserung bestehender rechtlicher Regelungen, zuweilen auch realer Verschlechterungen unter dem nett daherkommenden Deckmantel der "Rechtsvereinfachung", wie man das gerade erst besichtigen konnte am Beispiel der letzten Änderungen im SGB II, die als "Rechtsvereinfachungsgesetz" verkauft wurden. Und mittlerweile ist ja der Regelfall der, dass man nicht einmal hinterherkommt mit dem Sammeln der Änderungen, geschweige denn, dass man ausreichend Zeit hat, die (möglichen) Auswirkungen in Ruhe zu durchdenken. Und schon wird wieder eine neue sozialpolitische Sau durchs Dorf getrieben. Meistens bleibt man im morastigen Klein-Klein stecken.

Da ist die Gleichzeitigkeit der Ankündigung bzw. der Erwähnung ganz grundsätzlicher, ja sogar systemverändernder Vorschläge ein Ereignis, das besondere Aufmerksamkeit generiert. Natürlich vor allem dann, wenn es sich um Protagonisten handelt, denen man die jeweilige Position eigentlich nicht wirklich zugetraut hätte, sondern eher im Gegenteil.

Freitag, 18. November 2016

Der Mindestlohn nicht als apokalyptischer Reiter, sondern als Stimulus für das Gastgewerbe. Und ist die Private Krankenversicherung ein geschützter Arbeitsmarkt?


Der Laden brummt, obgleich er doch eigentlich am Boden liegen müsste. Wer erinnert sich nicht an die Weltuntergangsstimmung, die im Vorfeld und kurz nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns vor allem seitens des Gastgewerbes verbreitet worden ist. Jobkiller war da noch eine milde Variante der Vorwürfe aus dieser Branche. Nun haben wir den gesetzlichen Mindestlohn seit gut zwei Jahren im Echtbetrieb und die Katastrophe ist ausgeblieben. Ganz im Gegenteil können wir hier endlich mal positive Nachrichten vermelden. Das Gastgewerbe brummt, so hat Stefan Sauer seinen Artikel über die neuesten Umsatzzahlen überschrieben. Derzeit sehen wir hier die höchsten Umsatzsteigerungen seit vielen Jahren. Nun könnte man einwerfen, der besonders positive September-Wert sei auf den warmen Spätsommer zurückzuführen. Deshalb der erweiterte Blick auf die Vergleichswerte die ersten neun Monate des Jahres zu denen in 2015: Es handelt sich »nicht bloß um eine wetterabhängige Eintagsfliege«, sondern die positive Entwicklung ist auch über den längeren Zeitraum erkennbar (zu den Daten vgl. auch die Pressemitteilung Gastgewerbeumsatz im September 2016 preis­bereinigt um 3,6 % höher als im September 2015 des Statistischen Bundesamtes).
Dafür gibt es wie immer mehrere Ursachen – aber auch hier taucht er wieder auf, der Mindestlohn.

Mittwoch, 16. November 2016

Das sinkende Rentenniveau mal auf bayerisch. Haltelinien mit "Schummelsoftware" modelliert. Und die private Altersvorsorge bröckelt weiter


In der rentenpolitischen Diskussion wird von den kritischen Geistern völlig zu Recht auf die zentrale Stellschraube Rentenniveau hingewiesen, das sich bekanntlich seit Jahren auf der Rutschbahn nach unten befindet (vgl. dazu ausführlicher meinen Beitrag Das Rentenreformdiskussionskarussell dreht sich. Die Umrisse der Folgen einer hilflos-konfusen Rentenpolitik werden erkennbar vom 1. November 2016 sowie den Beitrag Das große Durcheinander um Rentenniveau, Niveau der Renten, Rente als Wahlkampfthema. Und eine rechnerische Gewissheit mit fatalen Folgen vom 8. Oktober 2016). Man kann es hin und her wenden wie man will - wenn man an dieser Stellschraube nicht zu korrigieren gedenkt, dann wird es für einen Teil der Altersrentner mehr als zappenduster aussehen.

Und die Einschüsse in Richtung auf eine deutlich steigende Altersarmut (ja, nicht bei allen, aber bei vielen von denen, die nicht nur im Erwerbsleben das Pech hatten, überschaubare oder niedrige Verdienste zu haben, sondern die auch keine anderen spürbaren Einkommensquellen im Alter ihr eigen nennen können), kommen näher. Schauen wir dazu in den die Tage vom DGB Bayern veröffentlichten Rentenreport Bayern 2016, also einem Bundesland, das sicher nicht als Armenhaus der Republik charakterisiert werden kann.

Dienstag, 15. November 2016

Where you live can kill you. Arm und krank ist weit mehr als nur ein Sprichwort


Arm und krank - das ist kein leeres Sprichwort. Dass sozial weniger gut gestellte Menschen einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen, geht auch aus österreichischen Daten hervor. Hinzu kommt, dass für sie Leistungen des Gesundheitswesens in manchen Fällen sprichwörtlich unerschwinglich sind. So beginnt der Artikel Arm und krank ist kein leeres Sprichwort, der entstanden ist im Umfeld der Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Öffentliche Gesundheit (EUPHA), die vom 9. bis zum 12. November 2016 in Wien stattgefunden hat.
»Menschen in Haushalten unter der Armutsgrenze weisen einen dreimal schlechteren Gesundheitszustand auf als in Haushalten mit hohen Einkommen und sind doppelt so oft krank wie in solchen mit mittleren Einkommen«, wird aus Österreich berichtet. Dabei bezieht man sich auf den von Florian Riffer und Martin Schenk erstellten Bericht Lücken und Barrieren im österreichischen Gesundheitssystem aus Sicht von Armutsbetroffenen, der von der österreichischen Armutskonferenz  herausgegeben und 2015 veröffentlicht worden ist. Dort findet man auch diesen Hinweis: »Die Ergebnisse zum Einfluss von Armut und sozialem Status auf die Gesundheit in Österreich entsprechen den Forschungsergebnissen, die international vorliegen ...  Das Bild ist überall das gleiche: Mit sinkendem sozialem Status steigen die Krankheiten an, die untersten sozialen Schichten weisen die schwersten Krankheiten auf und sind gleichzeitig mit der geringsten Lebenserwartung ausgestattet. Es lässt sich eine soziale Stufenleiter nachweisen, ein sozialer Gradient, der mit jeder vorrückenden Einkommensstufe die Gesundheit und das Sterbedatum anhebt.«

Montag, 14. November 2016

Hartz IV: Auch die Kinder kommen unter die Räder. Von Sanktionen der Jobcenter sind jeden Monat tausende Familien betroffen


Der Hartz IV-Satz ist nun wirklich knapp bemessen. Nicht nur, aber vor allem das, was man den Kindern zugesteht, ist nach Auffassung vieler Experten deutlich zu niedrig dimensioniert. Für ein Kind bis zum 6. Lebensjahr stehen pro Tag knapp 8 Euro zur Verfügung, mit der neben den separaten angemessenen Kosten der Unterkunft alle Ausgaben für das Kind abgedeckt werden müssen. Und die Kinder leiden auch unter den Sanktionen, die gegen einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verhängt werden, weil sie mit ihm in einem Haushalt leben. Auf der Grundlage einer Sonderauswertung von Daten der Bundesagentur für Arbeit hat sich O-Ton Arbeitsmarkt einmal genauer das Sanktionsgeschehen angeschaut, von dem Familien mit Kindern betroffen sind. Hartz-IV-Sanktionen machen auch vor Kindern nicht Halt, so ist der entsprechende Bericht über die Ergebnisse der Datenauswertung überschrieben: »43.000 Hartz-IV-Empfängern mit Kindern haben die Jobcenter 2015 im Monatsdurchschnitt die Leistungen gekürzt, darunter 14.000 Alleinerziehende. 2.600 Betroffene mit Kindern wurden voll sanktioniert.«

Sonntag, 13. November 2016

Ein Beitrag zur Armutsvermeidung bei Alleinerziehenden und ihren Kindern: Der Unterhaltsvorschuss wird endlich weiterentwickelt. Dennoch bleiben Fragezeichen


Für das Jahr 2014 wird berichtet, dass es 404.000 alleinerziehende Väter und mehr als 2,3 Mio. alleinerziehende Mütter gab - mit den entsprechenden zu ihnen gehörenden Kindern. Wir reden hier also über keine kleine Gruppe und viele wissen aus der Berichterstattung oder eigener Erfahrung, dass die Lebenslagen vieler Alleinerziehender als teilweise äußerst prekär zu bezeichnen ist. Hunderttausende von ihnen befinden sich im Grundsicherungsbezug, also im Hartz IV-System. Unabhängig von den an sich mit dem Hartz IV-Bezug verbundenen äußerst beschränkten Lebensumständen wurde gerade in den zurückliegenden Monaten im Rahmen der vorerst letzten SGB II-Änderungen deutliche Verschlechterungen bei alleinerziehenden Leistungsberechtigten konzipiert und in den Gesetzentwurf eingebaut, was im letzten Moment über die Anhörung zum 9. SGB II-Änderungsgesetz und einer kritischen Medienberichterstattung verhindert werden konnte (vgl. dazu Keiner hatte die Absicht, Alleinerziehende und ihre Kinder im Hartz IV-System schlechter zu stellen? Aber nun zieht man die Reißleine. Eine Neuregelung bleibt notwendig und wäre - eigentlich - einfach vom 3. Juni 2016 - wobei derzeit nur die geplante Verschlechterung verhindert wurde und der notwendige Umgangsmehrbedarf noch einer Regelung bedarf).

Samstag, 12. November 2016

Rundreise durch die Pflege-Landschaft: Von einem ethischen Tabubruch bei Demenzkranken über Babyboomer mit Ansprüchen bis hin zu neubauenden Betreibern von Pflegeheimen

Es würde locker für eine Vollzeitbeschäftigung reichen, wenn man erfassen und einordnen soll, wie viele unterschiedliche Gewerke derzeit auf der Dauerbaustelle Pflege unterwegs sind und was genau sie da so treiben. Und wo derzeit nicht gearbeitet wird, obgleich dringender Bedarf besteht. Der Blick in die aktuelle Berichterstattung in den Medien öffnet einen bunten Strauß an Themen- und Problemfeldern, die zugleich alle auch irgendwie, vor allem für die Betroffenen, mehr oder weniger stark miteinander in Wechselwirkung stehen.

Unter der trockenen Überschrift Tarifverhandlungen gescheitert wird beispielsweise über das Scheitern eines wichtigen Unterfangens berichtet: In Brandenburg platzen Verhandlungen über einen einheitlichen Tarifvertrag in der Altenpflege. »Die Gewerkschaft verdi hat die Gespräche mit den Spitzenverbänden in der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Brandenburg ausgesetzt, ein einheitlicher Tarifvertrag für die Altenpflege in Brandenburg ist vorerst vom Tisch. Die Verhandlungen begannen bereits vor knapp drei Jahren auf Initiative des brandenburgischen Arbeitsministeriums und verliefen bisher ergebnislos. Der Tarifvertrag sollte nach Angaben des Arbeitgeberverbands Pflege auch anderen Bundesländern als Blaupause dienen.« Wenn von Seiten der Gewerkschaft berichtet wird, dass »ein Teil der Gesprächspartner keine Tarifverhandlungen mit verdi führen will und zwei weitere Spitzenverbände beklagen, dass sie für eine Aufnahme von Tarifverhandlungen von ihren Mitgliedern nicht mandatiert werden«, dann kann man an diesem Beispiel das Problem erkennen, dass aufgrund der vielgestaltigen Arbeitgeberlandschaft "normale" Tarifverhandlungen so gut wie unmöglich sind, denn neben den privaten Anbietern sind die Wohlfahrtsverbände und damit die Kirchen hier besonders aktiv - und die konfessionell gebundenen Arbeitgeber beharren auf dem "dritten Weg" und den damit verbundenen Sonderrechten für die kirchlich gebundenen Arbeitgeber.

Freitag, 11. November 2016

Die Herstellung einer Jugendhilfe zweiter Klasse über die minderjährigen Flüchtlinge? Und wenn man schon dabei ist ...


Die Kinder- und Jugendhilfe ist eine eigene Welt - auch und gerade für die Politik und die "Kostenträger", wie das bei uns so heißt. Es handelt sich auf der einen Seite um kommunalisierte Systeme und damit allein ist schon eine erhebliche Varianz der Angebote und der Bedingungen verbunden. Die Länder spielen mit und auf der Bundesebene gibt es als großen Rahmen eines der (noch) "schönsten" Sozialgesetzbücher. Das SGB VIII, das Kinder- und Jugendhilferecht. "Schön" deshalb, weil hier zum einen tatsächlich anders als in anderen Sozialgesetzbüchern (noch) zahlreiche individuelle Rechtsansprüche auf bestimmte Hilfen und Leistungen normiert sind, zum anderen wegen der Konzeption als ein umfassend von den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ausgehendes Regelwerk, dass eben nicht nur auf einen defizitfokussierten Ansatz der Hilfe, wenn es nicht mehr anders geht, eingeengt ist. Folglich nehmen Beratung und andere Angebote einen entsprechenden Raum ein.

Das alles ist verbunden mit einer hohen Fachlichkeit, sowohl auf Seiten des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, also den Jugendämtern, wie auch bei den vielen Jugendhilfeanbietern, oftmals in freigemeinnütziger Trägerschaft, wobei auch hier und in Teilbereichen zunehmend privatgewerbliche Anbieter anzutreffen sind.

Das kostet. Und die Kosten fallen überwiegend auf der kommunalen Ebene an. Man kann sich vorstellen, dass in Verbindung mit der Tatsache, dass individuelle Rechtsansprüche eine Sperre gegen budgetbedingte Einsparungen darstellen, große Anreize gegeben sind, nach Möglichkeiten zu suchen, Aufgabenanstiege schon im bestehenden System zu begrenzen.

Mittwoch, 9. November 2016

Aus den Augen, aus dem Sinn? Verloren auf den griechischen Inseln. Und einige wenige Stimmen, die an die Flüchtlinge erinnern


War da noch was mit Flüchtlingen? Schaut man in die meisten Medien, dann müsste man den Eindruck bekommen, dass das Aufreger-Thema der zurückliegenden Monate irgendwie weg ist. Hat sich das "Flüchtlingsproblem" gelöst? An der einen oder anderen Stelle wird die (vermeintliche) Ruhe an der Berichterstattungsfront gestört, beispielsweise so: »Brandbrief der Bürgermeister ans Land: Es fehlt an Geld für Sprachkurse, Wohnungsbau und Betreuung von Flüchtlingen. Selbst Jobprogramme reichten nicht aus«, kann man dem Artikel Städte fordern Hilfe bei der Integration von Flüchtlingen entnehmen. Die nordrhein-westfälischen Städte sehen sich derzeit mit der Aufgabe, Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren, völlig überfordert. Die Kommunen seien nicht in der Lage, die notwendigen Investitionen in Kinderbetreuung, Schulen, Sprachkurse, Berufsvorbereitung und in den Wohnungsbau zu stemmen. Auch wenn das so sein sollte - viele werden abwinken und argumentieren, da gehe es doch "nur" darum, dass die Städte mehr Geld haben wollten aus dem Topf der Finanzmittel, die seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen bereitstehen. Und tatsächlich geht es hier konkret um die Integrationspauschale des Bundes, die über die Länder an die Kommunen weitergeleitet werden soll, jedenfalls "zum großen Teil". Man ahnt schon, was hier passiert.

Dienstag, 8. November 2016

Frust am Herd - Köche auf der Flucht? Von klagenden und zufriedenen Azubis, Ausbildungsabbrüchen und einem Azubimangel zwischen Hysterie und Realität

Es ist eine Binsenweisheit - eine "ordentliche" Berufsausbildung ist auf dem Arbeitsmarkt mehr als die halbe Miete. Die Bedeutung einer Berufsausbildung kann man nicht nur studieren, wenn man sich die Probleme vieler Langzeitarbeitsloser anschaut, von denen mehr als die Hälfte über keine berufliche Ausbildung verfügen. Das Thema ist von fundamentaler Bedeutung. Gerade die berufsfachlich Ausgebildeten bilden das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft, ob als Facharbeiter, Handwerker, in den Gesundheit- und Sozialberufen, in den Büros usw. Und immer wieder hört man von den Lobeshymnen ausländischer Besucher und Beobachter auf das deutsche Berufsausbildungssystem. Die Politik schmückt sich gerne mit diesen Federn und suggeriert gar, dass unsere Art und Weise der Ausbildung ein "Exportschlager" sei, wobei das genauere Hinschauen dann oftmals zeigt, dass es eben nicht so einfach, eigentlich sogar unmöglich ist, ein derart kompliziertes und historisch gewachsenes System in anderen Ländern zu transplantieren.

Betrachtet man hingegen die Debatte im eigenen Land, dann wird man mit einer anderen Diagnostik konfrontiert. Da ist die Rede vom "Akademisierungswahn", vom "Azubimangel", unter dem immer mehr Unternehmen, die noch ausbilden, zu leiden haben. Da werden Fachkräftemangelprognosen erstellt und veröffentlicht, die Hinweise darauf geben, dass der "wirkliche" Fachkräftemangel vor allem in den Berufen des mittleren Qualifikationssegments zuschlagen wird, weil zu wenig ausgebildet wurde und wird. Und nicht oder deutlich weniger bei den im medialen Raum immer im Mittelpunkt stehenden akademischen Qualifikationen.

Montag, 7. November 2016

Wenn der "mordbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich" Anreize setzt, Patienten morbider zu machen als sie sind und denen das dann schmerzhaft auf die Füße fallen kann

Immer wieder sagt man, das Gesundheitswesen sei ein "Haifischbecken" angesichts des dreistelligen Milliardenbetrags, der da umgesetzt wird und um dessen Verteilung zahlreiche Akteure miteinander und mit harten Bandagen streiten. Da kann es nicht überraschen, wenn Anreize genutzt werden, sich besser in der Nahrungskette zu positionieren - vor allem dann, wenn die anderen das auch versuchen.
Und bei den Krankenkassen geht es um viele Geld. Derzeit immerhin 250 Mrd. Euro, 200 Mrd. davon werden aus dem Gesundheitsfonds verteilt. Bereits 1994 wurde ein Finanzausgleich zwischen den Kassen eingeführt, man hatte erkannt, dass es ungleich verteilte und nicht von der Versicherung beeinflussbare Vor- und Nachteile bei Einnahmen und Ausgaben zwischen den Kassen gab, die man über einen finanziellen Ausgleich kompensieren wollte. Dazu gehören beispielsweise Merkmale wie Geschlecht und Alter. Seit Anfang 2009 orientiert sich der Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den gesetzlichen Krankenkassen auch am Krankheitszustand - der Morbidität - der Versicherten, da man festgestellt hat, dass die ursprüngliche Fassung des RSA nicht ausreichend die Unterschiede einzufangen in der Lage war. Diese Weiterentwicklung des RSA erfolgte mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, das zum einen die Einführung eines Gesundheitsfonds im Jahr 2009 und die zeitgleiche Morbiditätsorientierung des RSA beinhaltete. So werden nunmehr bei der Verteilung der Gelder aus dem Gesundheitsfonds an die einzelnen Krankenkassen durch Zu- und Abschläge die Merkmale Alter, Geschlecht und Bezug einer Erwerbsminderungsrente sowie die Krankheitslast anhand von 80 ausgewählten Krankheiten berücksichtigt.

Samstag, 5. November 2016

Wenn hessische Unternehmerverbände was gegen Langzeitarbeitslosigkeit machen wollen - und ein "Spielhallenverbot für arbeitslose Hartz-IV-Empfänger" herauskommt

Es ist unbestritten und mehr als offensichtlich - die verhärtete Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der drängten Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Und jeder Akteur auf dem Arbeitsmarkt sollte seinen Beitrag leisten, um den betroffenen Menschen Chancen auf Teilhabe über Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Und es ist ohne Zweifel von großer, wenn nicht zentraler Bedeutung, dass die Arbeitgeber mitziehen bei der Integration erwebsloser Menschen. Vor diesem allgemeinen Hintergrund freut man sich angesichts der ebenfalls zu konstatierenden Verdrängung des Problems der Langzeitarbeitslosigkeit sowie einer an vielen Orten und bei vielen Menschen anzutreffenden Distanz gegenüber Hartz IV-Empfänger erst einmal, wenn sich die Vereinigung der hessischen Unternehmensverbände (VhU) zu Wort meldet mit einem Plan, der überschrieben ist mit 15 Punkte für weniger Langzeitarbeitslosigkeit in Hessen. „Die verfestigte Zahl der Langzeitarbeitslosen ist jedoch weiterhin Grund zur Sorge. In Hessen gibt es immer noch rund 64.000 Langzeitarbeitslose, davon die meisten im Arbeitslosengeld-II-Bezug. Trotz der guten Lage am Arbeitsmarkt sind dies immer noch genauso viele wie im Jahr 2012", so wird  Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), zitiert. Dann aber stutzt man, was der Vereinigung bzw. dem Herrn Hauptgeschäftsführer offensichtlich besonders wichtig ist bei den Maßnahmen im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit.

Freitag, 4. November 2016

Überall gibt es Azubi-Mangel-Alarm. Ein Märchen? Eine statistische Illusion?

Mittlerweile scheint sich ein großes Problem der vergangenen Jahre irgendwie verflüchtigt zu haben - der Mangel an Ausbildungsplätzen. Wurde man früher ständig konfrontiert mit der Suche nach zusätzlichen Ausbildungsplätzen, um die noch nicht "versorgten" Jugendlichen doch noch in eine Berufsausbildung bekommen zu können, muss man heutzutage beim Blick in die meisten Medien den Eindruck gewinnen, dass das Problem ein ganz anderes geworden ist: Azubi-Mangel wird landauf landab proklamiert. Unternehmen klagen darüber, Ausbildungsstellen nicht mehr besetzen zu können, weil sie keiner mehr darauf bewirbt. Und auch die Meldungen aus der Bundesagentur für Arbeit klingen vielversprechend: »Die von Seiten der Kammern bislang vorliegenden Daten zu den 2016 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen sprechen für eine stabile Entwicklung. Nach den Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, des Handwerkskammertages sowie der Kammern der Freien Berufe wurden bis zum 30. September 2016 insgesamt 474.700 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das waren rund 200 mehr als vor einem Jahr.« Und der Blick von oben bringt beruhigende Erkenntnisse:

»Rein rechnerisch zeigten sich Angebot und Nachfrage am Ausbildungsmarkt ausgeglichen. So kamen bundesweit auf 100 gemeldete betriebliche Ausbildungsstellen 106 gemeldete Bewerber. Gegenüber dem Vorjahr hat sich auch diese Relation leicht verbessert (damals 110).«

So die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihrer Mitteilung Ausbildungsmarktbilanz 2015/2016: Günstige Entwicklung, aber weiterhin deutliche Ungleichgewichte, die aber ein "aber" bereits in der Überschrift enthält. Dazu schreiben die Arbeitsverwalter: »Es bestehen aber weiterhin erhebliche regionale, berufsfachliche und qualifikatorische Ungleichgewichte ... Regional betrachtet gab es in Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Baden-Württemberg und im Saarland deutlich mehr Ausbildungsstellen, als Bewerber gemeldet waren. Im Gegensatz dazu fehlten betriebliche Ausbildungsstellen vor allem in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und in Niedersachsen.«

Donnerstag, 3. November 2016

Sanktionen und Mehrfachsanktionen gegen das Existenzminimum der Menschen in der Willkürzone und der Hinweis auf ein (eigentlich) unverfügbares Grundrecht


Sanktionen im Hartz IV-System sind eine existenzielle Angelegenheit, wird hier doch das staatlich gewährte Existenzminimum unterschritten oder in den Fällen der Vollsanktionierung sogar vollständig entzogen. Der eine oder andere wird sich an das berühmte Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 erinnern, denn dort hatte das höchste deutsche Gericht bereits in den Leitsätzen in aller (scheinbaren) Klarheit ausgeführt: »Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden« (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010 - 1 BvL 1/09).

Wenn man diese Leitsätze liest, dann kann man schon die Frage stellen, wie es möglich ist, dass dieses "unverfügbare Grundrecht", das eingelöst werden muss, über den Weg der Sanktionierung monatelang unter das Existenzminimum abgesenkt werden kann bzw. darf. Und das BVerfG hat doch auch in dem Urteil über die Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahr 2012 eine explizite Bezugnahme auf die Entscheidung aus dem Jahr 2010 vorgenommen und in den Leitsätzen gemeißelt: »Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfGE 125, 175). Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht.«

Mittwoch, 2. November 2016

Unbeirrt die Fahne hoch im eigenen sozialpolitischen Schützengraben. Die "fünf Wirtschaftsweisen" machen auch in Sozialpolitik und das wie gewohnt. Also extrem einseitig

Sie haben es wieder getan. Wie jedes Jahr im oftmals trüben November haben sie ihr Jahresgutachten der Bundesregierung in Gestalt der Bundeskanzlerin höchstpersönlich übergeben. Gemeint sind die umgangssprachlich als "fünf Wirtschaftsweise" titulierten derzeit vier Herren und eine Dame, die den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bilden. Es handelt sich um ein Gremium der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung. Der Rat wurde durch ein Gesetz im Jahre 1963 installiert mit dem Ziel einer periodischen Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. In der eigenen Aufgabenbeschreibung des Rates findet man neben der durchaus nachvollziehbaren Aufforderung, sich mit Wirtschaftsthemen zu befassen, u.a. diesen Hinweis: »Aufzeigen von Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder Beseitigung, jedoch ohne Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen.« Das sollten wir uns mal merken.

Das Jahresgutachten 2016/17 steht unter der wie auf einem Wahlplakat gedruckten Überschrift "Zeit für Reformen". Und gleich im Vorwort, noch vor dem Dank an alle, die irgendwas beigetragen haben, statuieren die Wirtschaftsweisen ihren Anspruch mit energisch daherkommenden Formulierungen: »Im vorliegenden Jahresgutachten skizziert der Rat Reformen für Europa und Deutschland, um die politische Handlungsfähigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu stärken. Jetzt ist die Zeit, diese Reformen umzusetzen.« Wie war das noch mal mit der Formulierung aus der Aufgabenbeschreibung?

Dienstag, 1. November 2016

Das Rentenreformdiskussionskarussell dreht sich. Die Umrisse der Folgen einer hilflos-konfusen Rentenpolitik werden erkennbar

Die Diskussion über die Zukunft der Alterssicherung hat in den vergangenen Monaten ordentlich Fahrt aufgenommen. Und der noch amtierenden Bundesregierung ist klar, dass sie vor Beginn des Wahlkampfs irgendwas machen muss, um die Wogen geglättet zu bekommen - auch unabhängig davon, dass sich die Großkoalitionäre selbst unter noch offenen rentenpolitischen Handlungszwang gesetzt haben durch den eigenen Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013. Darin heißt es neben den bereits abgearbeiteten Punkte, man werde die betriebliche Altersvorsorge stärken: »Sie muss auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Klein- und Mittelbetrieben selbstverständlich werden. Daher wollen wir die Voraussetzungen schaffen, damit Betriebsrenten auch in kleinen Unternehmen hohe Verbreitung finden.« Und für die armen Schlucker in der Rentenversicherung hatte man sich auch was vorgenommen: »Wir wollen, dass sich Lebensleistung und langjährige Beitragszahlung in der Sozialversicherung auszahlen. Wir werden daher eine solidarische Lebensleistungsrente einführen. Die Einführung wird voraussichtlich bis 2017 erfolgen.« Und mit Blick auf die noch ausstehende Renteneinheit zwischen West und Ost: »Der Fahrplan zur vollständigen Angleichung, gegebenenfalls mit einem Zwischenschritt, wird in einem Rentenüberleitungsabschlussgesetz festgeschrieben« (vgl. zu allen Zitaten Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Berlin, 14.12.2013, S. 52 f.). Offensichtlich sind da noch einige Baustellen offen.

Und zwischenzeitlich hat die ganze Angelegenheit einen weiteren kräftigen Schub bekommen zum einen durch die Erkenntnis, zu welchen fatalen Folgen der mit dem Paradigmenwechsel in der deutschen Rentenpolitik Anfang des Jahrtausends eingeleitete Sinkflug des Rentenniveaus hinsichtlich des (Nicht-)Sicherungsniveaus für Millionen zukünftige Rentner führen wird, zum anderen haben die Gewerkschaften eine Kampagne gestartet, die genau an dieser Stelle andockt. Und die Gefahr für die etablierte Politik, dass andere Parteien das Thema hochziehen, konnte man beispielsweise an der aggressiven Reaktion der Bundeskanzlerin gegenüber den Gewerkschaften ablesen, sie würden Ängste schüren und der AfD in die Hände spielen. Die Nerven liegen blank.

Samstag, 29. Oktober 2016

Griechenland: Der sich selbst überlassene Außenposten der EU gegen Flüchtlinge und für viele Griechen der Blick auf die eigene "200-Euro-Generation" und eine lebenslange Armutsfalle

Wir leben hier nicht auf einer Insel, auch wenn man nicht selten den Eindruck vermittelt bekommt, das sei so. Kaum sind die Flüchtlingszahlen bei uns geschrumpft, ist das Thema aus den Schlagzeilen. Aber nicht nur hinsichtlich der Menschen, die (nicht mehr) zu uns (durch)kommen, sondern wenn man nicht genau nach links und rechts in den Medien schaut, dann könnte man glauben, dass die Flüchtlingskrise insgesamt irgendwie vorbei ist. Das folgt dem gleichen Muster wie die Nicht-mehr-Berichterstattung über die Vorgänge in der Türkei. Nach einer kurzen Aufwallung in den Medien berichtet heute kaum noch einer über den systematischen Umbau des türkischen Staats (und der Gesellschaft) nach der Blaupause von Erdogan. Aber die Flüchtlingskrise und das Sterben derjenigen, die über das Mittelmeer die Festung Europa zu erreichen versuchen, ist keineswegs beendet. Sogar ganz im Gegenteil.

Man muss nur hinschauen: 3.800 Tote im Mittelmeer - allein in diesem Jahr, so ist eine der dazu leider passenden aktuellen Meldungen überschrieben. 2016 sind so viele Flüchtlinge im Mittelmeer gestorben wie nie zuvor, hat das Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mitgeteilt. Es sind fast schon so viel wie im gesamten Vorjahr, als 3.777 Menschen auf See starben. Selbst das Sterben und seine Wahrscheinlichkeit kann man in nackte Zahlen pressen: »Die gefährlichste Überfahrt sei die zwischen Libyen und Italien: Hier kommt der Organisation zufolge im laufenden Jahr ein Toter auf 47 Ankömmlinge. Bei der wesentlich kürzeren Überfahrt von der Türkei nach Griechenland beträgt das Verhältnis demnach 1:88.« Die steigende Zahl von Toten muss auch vor dem Hintergrund eines starken Rückgangs der nach Europa Geflüchteten gesehen und bewertet werden (dieser Rückgang ist in erster Linie zurückzuführen auf die fast vollständige Schließung des Fluchtwegs über die Türkei, die - noch - funktioniert). Die Gründe, die der UNHCR-Sprecher für die hohe Zahl an Toten nannte, stellen eine Anklage gegen die Abschottungspolitik der Europäischen Union dar, ohne dass die EU beim Namen genannt wurde, worauf der Artikel Massengrab Mittelmeer hinweist: »Die Hälfte der Flüchtlinge kam aufgrund der weitgehenden Schließung des östlichen Mittelmeers über die sehr viel gefährlicheren Seewege von der libyschen oder auch von der ägyptischen Küste. Die Menschenschmuggler verwenden zunehmend Schlauchboote und andere instabile Fahrzeuge, die der Überfahrt nicht gewachsen sind. Viele Boote sind stark überfüllt. Beides ist Ergebnis der EU-Militärmission "Operation Sophia", die darauf abzielt, möglichst viele fluchttaugliche Schiffe zu zerstören.«

Freitag, 28. Oktober 2016

Ran an die mit Steuermitteln gefüllten Futtertröge oder: Wir machen auch Flüchtlinge ... Die Unternehmensberaterrepublik und ein sich verselbständigendes Staatsversagen

McKinsey kommt. Allein das genügt, um bei vielen Menschen ganz bestimmte Assoziationen auszulösen, beispielsweise die von smarten Unternehmensberatern, die durch Werkhallen und Büros ziehen und eine Schneise der Entlassungen hinterlassen. Der deutsche Schriftsteller Rolf Hochhuth hatte sein Theaterstück, dass 2004 uraufgeführt wurde, so betitelt, obgleich die Unternehmensberatung selbst gar nicht in dem Stück auftaucht, in dem es um Massenentlassungen im Zuge von Fusionen geht, die in einer eigentlich florierenden Wirtschaftslage zum Zweck der Gewinnsteigerung durchgeführt werden. Allein der Name reicht. In der "normalen" Wirtschaft erfüllen McKinsey & Co. seit langem ihre Aufgabe, den Auftraggebern die Ideen und die Legitimationsfolien für "Umstrukturierungen" zu liefern, mit für viele Arbeitnehmer oftmals sehr bitteren Folgen. Aber das bleibt nicht begrenzt auf die Welt der Profit-Wirtschaft. Die Meckies dringen seit Jahren - protegiert von höchsten politischen Stellen - auch zunehmend in Kernbereiche der Staatswesens ein. Mit dem gleichen Geschäftsmodell, mit dem sie in der "normalen" Wirtschaft ihre krakenhafte Erfolgsgeschichte haben schreiben können.