Immer wieder wird darüber berichtet, diskutiert und gestritten, ob die soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren – deutlich? – Zugenommen hat oder nicht. Ein erster flüchtiger Blick auf die Frontberichterstattung scheint eine eindeutige Botschaft zu vermitteln. So veröffentlichte der Bundesverband Deutsche Tafel seinen Jahresbericht 2013 mit einigen erschreckenden Erkenntnissen hinsichtlich der Menschen, die in den vielen Ausgabestellen der insgesamt 916 Tafeln, die es derzeit in Deutschland gibt, ihren Lebensmittelbedarf teilweise decken (müssen). Immer mehr, darunter auch immer mehr Menschen, die eine Arbeit haben, immer mehr Rentner und nun auch noch Studenten – so lassen sich einige Befunde zusammenfassen. Gleichzeitig geistern neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes durch die Medien, die mit solchen Überschriften auf den Punkt gebracht werden sollen: Jeder fünfte Deutsche kann sich keinen Urlaub leisten. Fazit: Es scheint so zu sein, dass die Verarmung in unserer Gesellschaft kontinuierlich weiter voranschreitet. Aber auch hier macht es Sinn, einen differenzierten Blick nicht nur auf die Zahlen, sondern auch auf die Relationen und die dahinter stehenden Verhältnisse zu werfen.
Informationen, Analysen und Kommentare aus den Tiefen und Untiefen der Sozialpolitik
Donnerstag, 29. Mai 2014
Dienstag, 27. Mai 2014
Die selbsternannte "Bildungsrepublik" kreißte und gebar eine föderalisierte Maus. Das "Bildungspaket" ist vor allem eine haushälterische Flickschusterei in Zeiten des Patchwork-Regierens
Ganz offensichtlich leben wir in einem Land der „Pakete“. Erst vor kurzem wurde mit einer erheblichen Kraftanstrengung das höchst umstrittene „Rentenpaket“ durch den Bundestag geboxt. Und schon steht die nächste Lieferung vor der Tür: Nach monatelangem Geburtswehen konnte heute seitens der großen Koalition zusammen mit den Bundesländern der interessierten Öffentlichkeit eine Einigung hinsichtlich der Verteilung von sechs Milliarden Euro, die laut Koalitionsvertrag zusätzlich für die Bildung ausgegeben werden sollen, verkündet werden. Das „Bildungspaket“ ist nun also endlich geschnürt und kann ausgeliefert werden. Das hört sich doch gut an. Mehr Mittel für Bildung – wer kann und will etwas dagegen haben? Aber wie so oft im Leben wendet man sich bei genauerem hinschauen mit erneuter Enttäuschung von dem ab, was sich hinter der Verpackung verbirgt. Was als großer „Durchbruch“, gar als „Meilenstein“ für die notleidende Bildung bezeichnet wird, ist bei genauerer Betrachtung - abgesehen von partiellen Verbesserungen - im Kern nichts anderes als eine haushälterische Flickschusterei. Eine Gruppe wird sich nach dieser Einigung zwischen Bund und Ländern ganz sicher freuen und eine Flasche aufmachen: die Länderfinanzminister. Das sei ihnen gegönnt, aber aus bildungspolitischer Sicht dürfte man schon deutlich mehr erwarten.
Sonntag, 25. Mai 2014
Die Notwendigkeit der Beherrschung "höherer Mathematik" im Allgemeinen und bei der "Mütterrente" im Besonderen
Nur weil am vergangenen Freitag das "Rentenpaket" verabschiedet worden ist, sollte man nicht glauben, dass die Diskussionen darüber nun erledigt sind. Vielleicht wird das "hysterische Gejaule" verstummen, von dem die Bundesarbeitsministerin Nahles (SPD) mit Blick auf die Nörgler und sonstigen Kritiker verächtlich gesprochen hat. Nicht aber der nüchterne Blick und die daraus abgeleiteten Anfragen an das, was die Regierenden der Bevölkerung und dem Rentensystem ins Nest gelegt hat. Nehmen wir als ein Beispiel die so genannte "Mütterrente", korrekt formuliert die rentenrechtliche Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. Bekanntlich wollte man auch hier eine "Gerechtigkeitsverbesserungsoperation" vornehmen, denn die bisherige Rechtslage hat unterschieden zwischen Kindern, die vor und solche, die nach 1992 das Licht dieser Sozialstaatswelt erblickt haben. Für die einen, die vor dem Stichtag geboren wurden, gab es nur einen Rentenpunkt, für die jüngeren Racker immerhin drei. Nun hat man diese "Gerechtigkeitslücke" zwar nicht geschlossen, aber immerhin halbiert, denn in Zukunft soll es für die älteren Exemplare zwei, wenn auch nicht drei Punkte geben.
Freitag, 23. Mai 2014
Eine "Höchstquote" für Studienabbrecher? Über abbrechende Weiterstudierende, Schein-Studierende mit Semesterticket und am System Gescheiterte. Und einige kritische Anfragen an unser Bildungssystem
Da ist wieder so ein Vorhaben, das einen leider bestärken kann in dem Empfinden, dass in unserem Bildungssystem einiges richtig schief läuft: Unis lehnen Höchstquote für Studienabbrecher ab. Also bekanntlich gibt es ja ganz viele Quoten, für Frauen in Aufsichtsräten, für Syrien-Flüchtlinge usw. - aber eine "Höchstquote" für Studienabbrecher? Schauen wir einmal genauer hin, um was es hier geht: Die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Gestalt der Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) plant eine Pflicht zur Absenkung der Studienabbrecher-Quoten an den Hochschulen in NRW.
Donnerstag, 22. Mai 2014
"Die EU ist keine Sozialunion", sagt die Bundeskanzlerin. Sozialleistungen an EU-Ausländer seien "eine große soziale Errungenschaft, die man mehr würdigen sollte", sagt ein Sozialrechtler
Immer wieder wirft man der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, sie würde eigentlich nie richtig Position zu umstrittenen Fragen beziehen. Nunmehr – wenige Tage vor den Europawahlen – scheint sie von dieser Linie abzuweichen: »Angela Merkel macht Sozialmissbrauch durch Ausländer zum Wahlkampfthema. In einem Interview lehnt die Bundeskanzlerin eine "Sozialunion" in Europa ab. EU-Bürger, die in Deutschland Arbeit suchen, sollten kein Hartz IV erhalten«, kann man dem Artikel "Die EU ist keine Sozialunion" entnehmen. Und in den Berichten über die Aussagen der Kanzlerin hat sich die Verwendung des Begriffs "Sozialmissbrauch" ohne jegliche Anführungszeichen verselbständigt, so beginnt beispielsweise der Artikel Merkel will „keine Sozialunion“ in der FAZ mit der Feststellung: »Die Bundeskanzlerin verschärft in der Debatte über Sozialmissbrauch durch EU-Ausländer den Ton«. Aber es gibt natürlich auch eine andere Seite der Debatte: Pauschale Ressentiments gegenüber EU-Ausländern seien oft falsch, sagte Eberhard Eichenhofer, Professor für Sozialrecht an der Universität Jena, im Deutschlandfunk. "Europa hat nämlich ein soziales Gesicht, was selten gesehen wird." Er spricht sogar von einer großer sozialer Errungenschaft, die man mehr würdigen sollte, als es zuweilen geschieht (Interview mit Eberhard Eichenhofer im Deutschlandfunk). Und Gudula Geuther kommentiert: Der Ton bei Zuwanderungsfragen stimmt nicht.
Mittwoch, 21. Mai 2014
"Hier regnet es Geld": Von "guten" und "schlechten" Bettlern. Sogar bei denen gibt es eine Unter- und Mittelschicht. Und "Luxusverdiener"
Das sind Überschriften, mit denen man in der Normalwelt punkten kann: Ein Blick ins Innere der Bettlermafia, so ist ein Artikel aus Österreich überschrieben: »In Wien hat das Bundeskriminalamt ein Jahr lang die Strukturen durchleuchtet. Entdeckt wurde ein System voller Ausbeutung, Folter und Menschenverachtung«, folgt man Andreas Wetz in seinem Beitrag. Aufhänger ist die Geschichte eines 33-jährigen Rumänen, der durch einen Unfall zum Krüppel wurde, und den Kriminelle mitten in Wien jahrelang zum Betteln zwangen. Haben wir es also mit einem "Geschäftsmodell" zu tun? Müssen wir uns verabschieden von der zuweilen fast schon romantisch daherkommenden Verklärung des bemitleidenswerten Einzelschicksals in der Fußgängerzone, das uns immer auch daran erinnert, dass wir es besser haben und nicht so enden möchten? Andere hingegen sehen in der Bettelei lediglich eine Störung ihrer Entfaltung in den Konsumzonen der Städte, ein (ästhetisches) Ärgernis, ein ordnungsrechtliches Problem, um das sich die zuständigen Stellen zu kümmern haben im Sinne einer Entfernung aus dem öffentlichen Raum.
Montag, 19. Mai 2014
Ein Geben und Nehmen: Die Große Koalition einigt sich auf das vorerst endgültige Design des "Rentenpakets"
Nun soll sie also vorliegen, die finale Version des "Rentenpakets" der Großen Koalition. Im Internet wurde ein Schriftstück veröffentlicht von heute, 13 Uhr, anderthalb Seiten zum Rentenpaket und eine knappe Seite zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppe "Flexible Übergänge in den Ruhestand" mit möglichen Ansätzen zur Verbesserung des geltenden Rechts. Nahles bekommt ihre Rente mit 63 - aber mit Modifikationen zum bisherigen Gesetzentwurf. Und am kommenden Freitag wird es noch mal spannend: »Dem Vernehmen nach dürfte am Freitag auf Antrag der Opposition über die einzelnen Teile des Rentenpakets getrennt abgestimmt werden. Einen solchen Antrag kann die Koalitionsmehrheit nicht ablehnen, hieß es.« Da darf man gespannt sein, wie groß die Zahl der Abweichler aus der Unionsfraktion bei dem Teil sein wird, der die ungeliebte "Rente mit 63" beinhaltet. Was aber sind nun die Kompromisse, auf die man sich angeblich verständigt hat?
Sonntag, 18. Mai 2014
Back to the 90's? Auf der Insel können sie es einfach nicht lassen: Privatisierung um jeden Preis. Jetzt soll es die Kinderschutzdienste in Großbritannien treffen. Dagegen regt sich massiver Widerstand
Die 1990er Jahre waren geprägt von Schlagworten wie Deregulierung, Privatisierung oder Public Private Partnership. In diesen Jahren blühte der neoliberale Zeitgeist und diffundierte in die Köpfe fast aller politischer Entscheidungsträger. Besonders markant und zugleich tief einschneidend war die Übernahme von großen Teil dieses Gedankengutes auf der bisher als „links“ titulierten politischen Seite. Als Lordsiegelbewahrer dieser Neuausrichtung der Sozialdemokratie galt Tony Blair, von 1994-2007 Vorsitzender der Labour-Party und von 1997-2007 Premierminister von Großbritannien. Er vertrat eine Politik des freien Marktes und operierte mit Schlagworten wie "New Labour" und "Dritter Weg". Seine Amtszeit war geprägt durch eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben in einzelnen bildungs- und sozialpolitischen Feldern bei gleichzeitiger Einführung marktorientierter Reformen. Dazu gehörte auch die Übertragung von bislang staatlich organisierten Dienstleistungen an privat-gewerbliche Unternehmen, von denen man sich offensichtlich mehr Effektivität und vor allem Effizienz erhoffte. Die damit verbunden der Privatisierung des Sozialstaates war schon damals heftig umstritten. Die mit ihr verbundene Ideologie und auch einige Versatzstücke dessen, was in Großbritannien von Blair auf den Weg gebracht wurde, haben auf die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder beeinflusst. Man schaue sich beispielhaft nur die zahlreichen Anleihen aus Großbritannien an, die sich im Abschlussbericht der so genannten „Hartz-Kommission“ finden lassen.
Nun sollte mittlerweile bekannt sein, dass auch die Privaten nur mit Wasser kochen und zuweilen auch erhebliche Kollerlateralschäden verursacht wurden durch die Beauftragung von auf Gewinn gerichteten Unternehmen im Sozialbereich. Trotz der vielen mehr als ernüchternden Erfahrungen, die wir hatten sammeln dürfen bzw. müssen, setzt die jetzige konservativ-liberale Regierung in Großbritannien auf eine konsequente Fortsetzung des damals unter Blair eingeschlagenen Weges. Nun haben sich die Privatisierungsbefürworter ein neues und überaus sensibles Feld für ihre Expansionsgelüste ausgesucht: den Kinderschutz.
Nun sollte mittlerweile bekannt sein, dass auch die Privaten nur mit Wasser kochen und zuweilen auch erhebliche Kollerlateralschäden verursacht wurden durch die Beauftragung von auf Gewinn gerichteten Unternehmen im Sozialbereich. Trotz der vielen mehr als ernüchternden Erfahrungen, die wir hatten sammeln dürfen bzw. müssen, setzt die jetzige konservativ-liberale Regierung in Großbritannien auf eine konsequente Fortsetzung des damals unter Blair eingeschlagenen Weges. Nun haben sich die Privatisierungsbefürworter ein neues und überaus sensibles Feld für ihre Expansionsgelüste ausgesucht: den Kinderschutz.
Samstag, 17. Mai 2014
Lampedusa als Menetekel: Ein Meer wie ein Monster, die Qual eines unauflösbar daherkommenden Dilemmas und der Blick zurück, als die Europäer Afrikaner waren
Es ist unangenehm, verstörend, es lässt einen verzweifeln und man verspürt den Impuls, das Thema auszublenden, zu verdrängen, die eigene Ohnmacht mit Nicht-Hinschauen zu bestrafen. Die Rede ist von den Namenlosen, die sich aufmachen - oder es versuchen (werden) -, die Festung Europa zu erreichen. Die ihr Leben riskieren. Eine unzählbare Masse an einzelnen Menschen, mit ihren eigenen Geschichten, Hoffnungen und Enttäuschungen, die verdichtet werden zu Zahlen oder einer einzigen Zahl, die angesichts ihrer scheinbaren Objektivität nicht nur eine Distanz(ierung) zu den einzelnen Menschen ermöglicht, sondern die bei vielen zugleich auch eine Abwehrhaltung produziert, ein (un)bestimmtes Gefühl, das "Boot ist voll", womit aber nicht die Seelenverkäufer auf dem Mittelmeer gemeint sind, sondern "unser" Territorium, unsere Insel, auf die die Schiffbrüchigen zu kommen versuchen. Dabei wird zu oft vergessen, dass sich Geschichte mit anderen Vorzeichen eben doch wiederholt - und zuweilen tun wir gut daran, uns der eigenen Historie zu erinnern. Doch zuvor ein Blick an den aktuellen Rand des tausendfachen Dramas, das sich in und um "unsere" europäische Badewanne namens Mittelmeer abspielt.
Mittwoch, 14. Mai 2014
Nicht nur für Banken gibt es einen "Reservefallschirm". Auch für faktisch entleihende Unternehmen, die einen (Schein-)Werkvertrag nutzen
Das ist ein weiteres frustrierendes Aktenzeichen für alle, die gegen den Missbrauch von (Schein)Werkverträgen kämpfen und denen sich in der Wirklichkeit immer wieder die bestehende Rechtslage in den Weg stellt, die seit langem identifiziert, diskutiert, und kritisiert wird. Und für deren Abänderung - durch eine kleine Änderung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - die Regierung alle Zeit der Welt gehabt hätte. Sie hat es aber bis heute nicht getan, sondern die Bundesarbeitsministerin hat lediglich angekündigt, auf der Basis des Koalitionsvertrags im Herbst die Sache mal anzugehen. Warum eigentlich erst im Herbst? Aber zuvor der Sachverhalt: Das angesprochene Aktenzeichen lautet 16 BV 121/13 und markiert einen Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 08.04.2014.
Thorsten Blaufelder hat in dem Blog seiner Kanzlei die Besprechung des Urteils unter die Überschrift "Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung führt nicht zu Festanstellung" gestellt, was zwar nicht grundsätzlich gilt, aber leider den Kern des konkreten Sachverhalts trifft.
Thorsten Blaufelder hat in dem Blog seiner Kanzlei die Besprechung des Urteils unter die Überschrift "Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung führt nicht zu Festanstellung" gestellt, was zwar nicht grundsätzlich gilt, aber leider den Kern des konkreten Sachverhalts trifft.
Die OECD kritisiert die "unsoziale Wirtschaftspolitik" in Deutschland und ermutigt zu "Reformen für nachhaltiges Wachstum mit mehr sozialer Teilhabe"
Alle zwei Jahre unternimmt die OECD eine umfassende Analyse der Volkswirtschaften ihrer Mitgliedsländer und veröffentlicht die dann als OECD Wirtschaftsberichte. Jetzt ist die neueste Version für Deutschland veröffentlicht worden (vgl. OECD-Wirtschaftsberichte: Deutschland 2014). Aber die Organisation bleibt nicht nur bei einer Bestandsaufnahme des volkswirtschaftlichen Zustandes, sondern gibt auch Empfehlungen, manche werden von ungebetenen Ratschlägen sprechen: OECD-Wirtschaftsbericht ermutigt Deutschland zu Reformen für nachhaltiges Wachstum mit mehr sozialer Teilhabe, so überschreibt die OECD ihre eigene Pressemitteilung. Aus einer sozialpolitischen Perspektive interessant sind die medialen Reaktionen, was sich bereits in den Headlines bemerkbar macht: OECD kritisiert unsoziale Wirtschaftspolitik in Deutschland oder Zu arm für den Aufschwung - um nur zwei Beispiele aus der Presselandschaft herauszugreifen - das verweist auf sozialpolitisch hoch relevante Aussagen.
Dienstag, 13. Mai 2014
Brandstifter unterwegs. Osteuropäische Saisonarbeiter in der Druckerpresse der Stimmungsmache kurz vor den Europawahlen. Und die Zahlen werden gebogen, bis sie passen
"Feuergefährlich ist viel, aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal, Unabwendbares."
Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter
Dass die BILD-Zeitung mit harten Bandagen kämpft, ist hinlänglich bekannt. Aber die Salve, die man nun abgefeuert hat und das nicht zufällig kurz vor den anstehenden Europawahlen, verbreitet schon eine brandgefährliche Substanz: So kassieren EU-Ausländer bei uns ab! - und damit gleich eine (scheinbar) konkrete Summe hängen bleibt: "Jährlich 3 Milliarden Euro für Kindergeld und Hartz IV".
Und dann nimmt man sich die polnischen Saisonarbeiter vor: Kindergeld-Stopp für Saisonarbeiter!, fordern Politiker, weiß die BILD-Zeitung. Und weiter: »Immer mehr EU-Ausländer bekommen Stütze aus Deutschland für ihre in der Heimat lebenden Kinder«. Und dann wird der Leser mit der nächsten Milliardenzahl konfrontiert: »Saisonarbeiter aus dem EU-Ausland bekommen bis zum Jahresende rund eine Milliarde Euro Kindergeld aus Deutschland für ihre in der Heimat lebenden Kinder.« Man beziehe sich dabei auf Angaben der FAZ, in deren Online-Ausgabe am 11.05.2014 ein Artikel von Sven Astheimer erschienen ist mit der ebenfalls knackig daherkommenden Überschrift Kindergeld für EU-Ausländer kostet Milliarden.
Wir haben es hier zum einen mit einem "klassischen" Fall der selektiven Dateninterpretation zu tun, darüber hinaus wird hier aber eine Debatte angeschoben und befeuert, die man nicht losgelöst sehen kann und darf vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahlen und der derzeit weit verbreiteten Kritik an allem, was irgendwie mit EU zu tun hat. Aber schauen wir genauer hin.
Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter
Dass die BILD-Zeitung mit harten Bandagen kämpft, ist hinlänglich bekannt. Aber die Salve, die man nun abgefeuert hat und das nicht zufällig kurz vor den anstehenden Europawahlen, verbreitet schon eine brandgefährliche Substanz: So kassieren EU-Ausländer bei uns ab! - und damit gleich eine (scheinbar) konkrete Summe hängen bleibt: "Jährlich 3 Milliarden Euro für Kindergeld und Hartz IV".
Quelle: Screenshot eines Artikels aus der Online-Ausgabe der BILD am 13.05.2014 |
Und dann nimmt man sich die polnischen Saisonarbeiter vor: Kindergeld-Stopp für Saisonarbeiter!, fordern Politiker, weiß die BILD-Zeitung. Und weiter: »Immer mehr EU-Ausländer bekommen Stütze aus Deutschland für ihre in der Heimat lebenden Kinder«. Und dann wird der Leser mit der nächsten Milliardenzahl konfrontiert: »Saisonarbeiter aus dem EU-Ausland bekommen bis zum Jahresende rund eine Milliarde Euro Kindergeld aus Deutschland für ihre in der Heimat lebenden Kinder.« Man beziehe sich dabei auf Angaben der FAZ, in deren Online-Ausgabe am 11.05.2014 ein Artikel von Sven Astheimer erschienen ist mit der ebenfalls knackig daherkommenden Überschrift Kindergeld für EU-Ausländer kostet Milliarden.
Wir haben es hier zum einen mit einem "klassischen" Fall der selektiven Dateninterpretation zu tun, darüber hinaus wird hier aber eine Debatte angeschoben und befeuert, die man nicht losgelöst sehen kann und darf vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahlen und der derzeit weit verbreiteten Kritik an allem, was irgendwie mit EU zu tun hat. Aber schauen wir genauer hin.
Angekündigter Doppelbeschluss: Die Rente mit 63 soll mit der Arbeitslosigkeit bis 61 fusioniert werden
In der Großen Koalition wird gerungen und gestritten um die Konkretisierung der Rente mit 63 hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen. Nunmehr gibt es nach Medienberichten angeblich eine Lösung der in den vergangenen Wochen viel diskutierten - angeblich - drohenden "Frühverrentungswelle" ab 61. Den "rollierenden Stichtag" werden wir uns merken müssen.
Sonntag, 11. Mai 2014
Vom (eigentlich frauenbewegten) "Muttertag" diesseits und jenseits des Blumenhandels bis hin zu einem (vergifteten) Lobgesang auf die unbezahlte Hausarbeit
Die Ausgestaltung der Familienpolitik ist eine höchst umstrittene Angelegenheit und weitaus stärker als in anderen gesellschaftspolitischen Feldern prallen hier Ideologien aufeinander - man denke nur an die aufgeheizte Debatte über das Für und Wider einer frühen außerfamilialen Kinderbetreuung, die sich oft genug in einem Entweder-Oder verengt. Hier gibt es Parallelen zum "Muttertag", der an jedem zweiten Sonntag im Mai eines Jahres abgehalten wird. Während die einen diesen "Feiertag" mit Blumen und einem netten Frühstück für die Mutter, zuweilen aufgrund mobilitätsbedingter Abwesenheit auch vermittels eines Glückwünsche aussprechenden Telefonats würdigen, wenden sich die anderen voller Skepsis ab und verweisen wahlweise darauf, dass es sich um eine reine Kommerzveranstaltung zugunsten des Blumenhandels und/oder um eine Erfindung der Nationalsozialisten als PR-Veranstaltung für das deutsche "Mutterkreuz" handelt. Beides enthält zwar im Kern eine Wahrheit, ist aber eine sehr grobe Verkürzung der Geschichte und Intention des "Muttertages". So widersprüchlich ist das auch mit der angeblich sich immer stärker durchsetzenden Selbstverständlichkeit einer Erwerbstätigkeit der Frauen und einem dem sich in den Weg stellenden Lobgesang auf die unbezahlte Hausarbeit.
Samstag, 10. Mai 2014
Toilettenfrauen sind keine "Trinkgeldbewacherinnen", sondern Reinigungskräfte. Das musste mal gesagt werden. Von einem Gericht. Andere Gerichte sehen das anders: "Eine Toilettenfrau ist keine Putzfrau". Was denn nun? Also ab in die Niederungen der Rechtsprechung
Toilettenfrauen sind Reinigungskräfte - ja klar, wird man jetzt denken. Aber so einfach ist es dann doch nicht, wie so oft, wenn wir es mit Rechtsprechung zu tun haben.
Im vorliegenden Fall geht es um einen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 9 KR 384/12): Die Richter haben entschieden, dass angestellte Toilettenfrauen nach Tarif bezahlt werden müssen. Das LSG hat eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin bestätigt, nach der angestellte Toilettenfrauen keine "Trinkgeldbewacherinnen", sondern Reinigungskräfte sind mit der Folge, dass für sie der Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks gilt.
Im vorliegenden Fall geht es um einen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 9 KR 384/12): Die Richter haben entschieden, dass angestellte Toilettenfrauen nach Tarif bezahlt werden müssen. Das LSG hat eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin bestätigt, nach der angestellte Toilettenfrauen keine "Trinkgeldbewacherinnen", sondern Reinigungskräfte sind mit der Folge, dass für sie der Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks gilt.
Donnerstag, 8. Mai 2014
Wer bietet mehr? Rente mit 63 oder gar eine Frühverrentungswelle ab 61? Ach was: Die FDP ist für die Rente mit 60. Wenn da nicht das Kleingedruckte wäre
Ein Baustein des „Rentenpakets" der Bundesregierung ist die „Rente mit 63“. Über dieses Vorhaben wurde in den vergangenen Monaten und Wochen erbittert gestritten. Neben der Frage, ob es sich hierbei nicht lediglich um einen gut dotiertes Wahlgeschenk für die Mitglieder der Industrie-Gewerkschaften handelt, ging und geht es immer wieder auch um die Frage, ob durch die Ermöglichung des abschlagsfreien Renteneintritts ab dem vollendeten 63. Lebensjahr möglicherweise eine Frühverrentungswelle ab dem 61. Lebensjahr droht. Aber auch wenn man eine solche wie die meisten Experten nicht am Horizont aufziehen sieht, stellen sich zahlreiche „Gerechtigkeitsfragen“, die mit den Voraussetzungen der Inanspruchnahme der geplanten vorzeitigen Renteneintrittsregelung verbunden sind. Aber all die damit verbundenen komplexen Fragen scheinen sich zu erübrigen, wenn man die neuesten Vorschläge, wie sie die mittlerweile außerparlamentarische FDP vorgelegt hat, betrachtet. Es wird viele Beobachter im ersten Moment überrascht haben, dass diese Partei sogar eine „Rente mit 60“ in die Debatte geworfen hat. FDP will Rente mit 60 ermöglichen, so die Schlagzeile in der FAZ oder Liberale propagieren den Ruhestand ab 60, wie Dorothea Siems ihren Artikel in der WELT überschrieben hat. Was ist hier los? Geriert sich die APO-FDP noch fortschrittlicher als irgendwelche Sozialromantiker? Sehen wir jetzt endlich die Konkretisierung dessen, was der im Jahr 2011 agierende FDP-Generealsekretär und mittlerweile zum FDP-Parteivorsitzenden aufgestiegene Christian Linder als "mitfühlenden Liberalismus" bezeichnet hat? Müssen sich die Oppositionsparteien jetzt warm anziehen angesichts einer anstehenden Sozialoffensive der FDP-Restpartei?
Dienstag, 6. Mai 2014
Vom Ritual der Anhörungen, viel Papier und einem "Rentenpaket", das mit Zwischenstopp im Bundestag unterwegs ist zum Empfänger. Und wie immer steckt der Teufel im Detail
Es ist eingetütet und bereits on the road - das "Rentenpaket" der großkoalitionären Bundesregierung. Gut, derzeit liegt es noch im Bundestag und vielleicht wird das eine oder andere auch noch im parlamentarischen Gang der Dinge auf die Verpackung gekritzelt, aber es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht zum Sommer die gesetzgeberische Umsetzung der beiden zentralen Bausteine dieses Vorhabens - also die vorübergehende "Rente mit 63" und die dauerhafte Anhebung eines Teils der "Mütterrente", beides verbunden mit einer dauerhaften Absenkung des Rentenniveaus über das bisherige Maß hinaus und einem tiefen Griff in die derzeit gut gefüllten Kassen der Rentenversicherung -, das Licht der Welt erblicken werden. Zu den rituellen Bestandteilen der Behandlung eines Gesetzesvorhabens gehört die Anhörung von "Sachverständigen", in aller Regel von Interessengruppen und einigen wenigen "Einzelsachverständigen", die von der einen oder der anderen Partei in den Ring gerufen werden. Die Effizienz und Effektivität dieser Form der angestrebten Kompetenzerweiterung des Parlaments wäre ein eigenes Habilitationsthema, hilfsweise mag man sich begnügen mit der Annahme, dass da nicht so wirklich viel passiert. Aber man möchte ja keinem weh tun, also werfen wir einen kurzen Blick auf die Anhörung zu dem "Rentenpaket" von Nahles & Co., die am 5. Mai stattgefunden hat.
Sonntag, 4. Mai 2014
Hebammen nicht mehr allein gelassen? Der Berg kreißte und gebar eine Maus oder ein Geschäft zu Lasten Dritter? Die Hebammen und ihre fortschreitende Versicherungslosigkeit, die vorläufig unter dem Dach der Krankenkassen geparkt werden soll. Bis zur nächsten Runde
Seit Monaten liegen die Nerven blank - bei einem Teil der Hebammen und zunehmend auch in der Politik, denn hier geht es nicht um exkludierte Langzeitarbeitslose im Hartz IV-Bezug, sondern um eine Berufsgruppe, die auf sehr viel Sympathie rechnen kann, deren Klagen über eine existenzbedrohende Infragestellung des Berufsstandes auf einen breiten emotionalisierten Resonanzboden stößt. Ein für die Politik gefährliches Gemisch, das entschärft werden muss. Koste es, was es wolle, dann aber am besten auf Kosten Dritter. Beispielsweise der Krankenkassen. Zugleich wird uns eine richtig harte Nuss vor die Füße geworfen, die zu knacken aufgrund der dem Sachverhalt innewohnenden Dilemmata als eine schier unlösbare Aufgabe daherkommt. Sollten wir uns dann nicht wenigstens freuen, dass der Bundesgesundheitsminister nun endlich Vorschläge zur Sicherstellung der Hebammenversorgung vorgelegt hat, die der Unsicherheit eines ganzen Berufsstandes und durch die Berichterstattung bedingt sicher auch vieler angehender Eltern ein Ende setzen wird? Wenn es denn nur so einfach wäre. Also schauen wir genauer hin.
Samstag, 3. Mai 2014
Und ewig grüßen die Dumpinglöhne. Aus der Welt der Sub-Subunternehmer-Ökonomie
Heute schon einen richtigen Brief verschickt, beispielsweise eine handgeschriebene Liebeseloge oder eine Anfrage nach Flensburg, das eigene Punktekonto beim Verkehrszentralregister betreffend? Dann hat man den Brief in einen Briefkasten der Deutschen Post geworfen und viele Menschen gehen davon aus, dass Mitarbeiter der Deutschen Post diese leeren und die mehr oder weniger wichtigen Schreiben in die großen Briefverteilzentren bringen. Aber bekanntlich gibt es solche und solche Mitarbeiter. Und wir leben in einer sich metastasierend ausbreitenden Subunternehmer-Ökonomie, von der auch unsere Briefe betroffen sind - sowohl bei der Zustellung wie auch schon beim Einsammeln. In dem wirklich lesenswerten Artikel Weniger ist leer von Bettina Malter müssen wir lesen: »Die Deutsche Post duldet Dumpinglöhne beim Einsammeln der Briefe. Lange war nicht bekannt, wie schlecht die Arbeitsbedingungen sind. Jetzt bricht ein Fahrer sein Schweigen.«
Donnerstag, 1. Mai 2014
Der Blick über den Gartenzaun: Von Jubelmeldungen über eine (scheinbar) tolle Beschäftigungsentwicklung und vom Anziehen der Daumenschrauben bei Langzeitarbeitslosen, getarnt als Hilfe. Schauen wir nach Großbritannien
Wir kennen das gerade in Deutschland: Erfolgsmeldungen hinsichtlich der Arbeitsmarktentwicklung - vom deutschen "Jobwunder" ist da immer wieder die Rede. Anlässlich der neuen Arbeitsmarktzahlen meldete sich die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zu Wort: »Der Arbeitsmarkt ist in guter Form ... Neue Höchststände mit fast 42 Millionen Erwerbstätigen und 29,4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten; dazu eine starke Frühjahrsbelebung nach den ohnehin schon guten Winterzahlen«, so die Ministerin. Nun auch in Großbritannien. Polly Toynbee berichtet von erwartbaren "triumphant headlines for the latest employment figures" - und ergänzt mit einem sarkastischen Unterton: "More people will be in work, which is good news: far better to have half a job than no job at all." Allerdings entzaubern sich die schönen Zahlen bei genauerer Draufsicht und gleichzeitig - im Schatten der scheinbar guten Arbeitsmarktentwicklung - werden die Daumenschrauben für die Langzeitarbeitslosen richtig angezogen mit einem "Hilfsprogramm", das den Begriff "workfare" praktisch werden lässt.
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