Donnerstag, 30. Januar 2014

Verloren auf dem Verschiebebahnhof der Sozialversicherungen und in der Unterversorgung. Der Weg psychisch kranker Menschen in die Frühverrentung

Die Rente ist derzeit ja inmitten der aktuellen sozialpolitischen Diskussion. Vor allem die Ausweitung der "Mütterrente" und die "Rente mit 63" werden kontrovers diskutiert. Da passt eine solche Meldung und stimmt einen nachdenklich: »75.000 Menschen sind im vergangenen Jahr wegen psychischer Erkrankungen in Frührente gegangen, das sind 25.000 Menschen mehr als vor zehn Jahren ... Im Durchschnitt sind die Frührentner, die ihren Job wegen einer psychischen Erkrankung aufgeben mussten, erst 49 Jahre alt - und mehr als ein Viertel gilt als arm. Eine Erwerbsminderungsrente beträgt durchschnittlich rund 600 Euro.« Die Überschrift zu dieser Meldung liefert schon eine (scheinbare) Erklärung für das, was hinter diesen Zahlen steht: Stress treibt Arbeitnehmer in die Frührente. Aber schauen wir genauer hin. Was ist hier los?

Sonntag, 26. Januar 2014

Jenseits der sozialpolitischen Baustellen in Deutschland, aber inmitten der Frage nach unserer Mit-Verantwortung: Bangladesch, Katar und Indien

Screenshot-Collage Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online und Guardian
Immer wieder ist es angebracht, über den nationalen Tellerrand der sozialpolitischen Baustellen hinauszuschauen und den Blick zu weiten. Schauen wir also nach Bangladesch, nach Katar und nach Indien.

Viele werden sich erinnern: Es war die (bisher) größte Katastrophe in der Geschichte der Textilindustrie: 1.130 Menschen starben im April 2013 beim Einsturz einer Fabrik in Bangladesch, 332 Menschen gelten immer noch als vermisst. Es gab mindestens 1.800 Verletzte. Eine kurze Zeit lang wurden die Arbeitsbedingungen der vielen Näherinnen in Bangladesh thematisiert und eine im Ansatz kritische Diskussion über unsere Mit-Verantwortung schaffte es gar auf die Talkshow-Ebene, beispielhaft sei hier erinnert an die Sendung "Billigkleidung aus Bangladesch – sind wir schuld am Tod der Näherinnen?" von Günther Jauch im ARD-Fernsehen am 26.05.2013 - um dann schnell wieder abgelöst zu werden von anderen Themen und Ereignissen. Immerhin hieß es dann, die betroffenen Menschen und Familien vor Ort in der Textilhölle werden entschädigt und einige Textilkonzerne übten sich nach außen in Nachdenklichkeit. Vor diesem Hintergrund muss dann diese Meldung wieder einmal enttäuschen: »Fast ein Jahr danach warten die Näherinnen immer noch auf Hilfe der Firmen, für die sie geschuftet haben. Doch die schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu«, so kann man es dem Artikel mit der zutreffenden Überschrift "Im Stich gelassen" entnehmen.

Samstag, 25. Januar 2014

Studierst Du endlich oder willst Du ewig darben? Bildung lohnt sich ein Leben lang, vor allem für die Akademiker. Jedenfalls war das bisher so

Quelle: A. Schmillen und H. Stüber: Bildung lohnt sich ein Leben lang.
Lebensverdienste nach Qualifikation (= IAB-Kurzbericht Nr. 1/2014)
Das ist mal ein klare Ansage: Bildung zahlt sich aus. Personen, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, verdienen über ihr Erwerbsleben hinweg im Schnitt knapp 250.000 Euro mehr als Personen ohne Berufsausbildung und Abitur. Das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Für Abitur, Fachhochschul- oder Universitäts-Studium liegen die Bildungsprämien durchschnittlich bei rund 500.000 Euro, 900.000 Euro und 1.250.000 Euro. So stellt man sich ein hierarchisches Entsprechungsverhältnis von Bildungsabschluss und Einkommen vor. Und erneut wird das Auswirkungen haben auf die Entscheidungen der Eltern und der betroffenen Jugendlichen hinsichtlich der eigenen Bildungsbiografie. Ein Abitur sollte es schon sein - und ganz offensichtlich wird man dabei doch mehr als gestützt durch die Befunde der Wissenschaft. Die Daten entstammen einer Studie von Achim Schmillen und Heiko Stüber, die unter dem Titel "Bildung lohnt sich ein Leben lang. Lebensverdienste nach Qualifikation" veröffentlicht worden ist.

Wenn man sich die Unterschiede zwischen den durchschnittlichen Lebensverdiensten anschaut, die man mit einer Berufsausbildung oder mit einem Hochschulabschluss bekommen kann, dann werden solche Werte mit Sicherheit eine Debatte befeuern, die seit einiger Zeit unter der etwas reißerisch angelegten Überschrift "Akademisierungswahn" geführt wird. Denn bei den (potenziellen) Adressaten dieser Information, die vor der Frage stehen, welchen Bildungs- und Berufsweg sie selbst oder ihre Kinder einschlagen sollen, ist die Botschaft doch mehr als eindeutig: Ein Abitur und ein Studium sollten es schon sein. Koste es, was es wolle. Zu offensichtlich scheint der Beleg für den Tatbestand "Je (formal) höher, desto (materiell) besser". Nun lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen und dabei nicht nur die Daten zu hinterfragen, sondern diese (vergangenheitsbezogenen) Werte einzuordnen in eine noch schwierigere Diskussion, also ob alles so bleiben wird, wie es war, oder ob es anders kommen kann, als man heute denkt.

Mittwoch, 22. Januar 2014

Die Würde des Menschen ist unantastbar - "es sei denn, er ist altersdement oder sonst sehr pflegebedürftig". Das soll jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht zum Thema gemacht werden

Die Menschen ”haben Angst davor, Objekt der Pflegeindustrie zu werden und sich dann dem Tod entgegenzuhandeln«, so die Formulierung von Heribert Prantl in seinem Artikel "Pflegenotstand verletzt systematisch das Grundgesetz", der bereits im November des vergangenen Jahres in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist und in dem er über die Erkenntnisse aus der Dissertation der Rechtswissenschaftlerin Susanne Moritz berichtet. Die Arbeit (vgl. dazu Susanne Moritz: Staatliche Schutzpflichten gegenüber pflegebedürftigen Menschen, 2013) kommt zu einem dramatischen Ergebnis: Die praktische Umsetzung des Pflegerechts in den Pflegeheimen unterschreite insgesamt offensichtlich "die Grenze zu einer menschenwürdigen Existenz". Susanne Moritz »zieht spektakuläre rechtliche Konsequenzen aus der desaströsen Situation, der unzureichenden Reaktion der Politik darauf und der gesetzgeberischen Untätigkeit: Der Staat verletzte mit seiner Untätigkeit seine Schutzpflichten gegenüber Pflegebedürftigen so massiv, dass der Weg zum Verfassungsgericht eröffnet sei.« Und genau dieser Weg soll nun beschritten werden.

Dienstag, 21. Januar 2014

Die Krankenhäuser als Todesfalle? Zwischen notwendiger Aufklärung, Zahlenhuberei und diskussionsbedürftigen "Lösungen"

Es gibt bekanntlich die Lebensweisheit, dass man sich nur im bewusstlosen Zustand in eine Klinik einliefern lassen sollte. Das scheint wieder einmal bestätigt zu werden, wenn man die mediale Resonanz auf den neuen "AOK Krankenhaus-Report 2014" verfolgt.
Die diesjährige Ausgabe hat das Schwerpunktthema "Patientensicherheit". Und wie das heute so üblich ist, versucht man mit beeindruckenden, das Publikum erschreckenden Zahlen Aufmerksamkeit zu erzeugen in dem unermesslichen Strom an Nachrichten. Nun hat man mit Gesundheits- bzw. Krankheitsthemen angesichts des Stellenwerts dieser Themen immer schon die Nase vorne bei der Publikumsgunst und wenn man dann noch melden kann, dass angeblich fast 19.000 Menschen durch Behandlungsfehler in deutschen Krankenhäusern zu Tode gekommen sind, dann kann man sich der konzentrierten Aufmerksamkeit gewiss ein. Entsprechend sind die Schlagzeilen: "18.800 Tote durch Fehler in Krankenhäusern", meldet die Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online untertreibt fast schon, wenn hier getitelt wird: "Mehr Tote durch Behandlungsfehler als im Straßenverkehr". Die Untertreibung ist darin zu sehen, dass es 2012 etwas mehr als 3.600 Tote im Straßenverkehr gegeben hat, insofern werden ein Vielfaches an Menschen in den deutschen Kliniken zur Strecke gebracht. Ein wirklich heißes Eisen. Aber wie kommt man auf solche Zahlen?

Montag, 20. Januar 2014

Kritik an fragwürdigen "Zuverdienst"-Ausnahmen beim Mindestlohn. Gutachten warnt vor der Herausnahme von Rentnern und Studenten

Rentner und Studenten dürfen nicht außen vor bleiben, wenn die Regierung 8,50 Euro flächendeckend als Mindestlohn festlegt. Zu diesem Schluss kommt der wissenschaftliche Dienst des Bundestags - und wirft damit verfassungsrechtliche Fragen auf. Das Gutachten kommt der Union äußerst ungelegen. Das meldet heute die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift "Gutachter warnen vor Ausnahmen beim Mindestlohn". Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags liegt der Süddeutschen Zeitung vor, berichtet Thomas Öchsner in seinem Artikel. Es wurden von der arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, in Auftrag gegeben.
»Der allgemein verbindliche Mindestlohn sei eine Schutzvorschrift für Arbeitnehmer. Ausnahmen davon könnten "eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung darstellen, wenn die in Rede stehende Personengruppe zu den Arbeitnehmern zu zählen ist und sich von der allgemeinen Gruppe nicht so wesentlich unterscheidet, dass eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt wäre". Dies gelte prinzipiell auch für Saisonarbeiter, Rentner oder Studenten mit Arbeitsvertrag.«
Große Gruppen von den 8,50 Euro auszuschließen, berge die Gefahr, dass die Untergrenze "systematisch unterlaufen und ein neues Niedriglohnheer unterhalb des Mindestlohns gebildet wird", so zitiert Öchsner weiter aus dem Gutachten.

Sonntag, 19. Januar 2014

Immer diese Studien. Jetzt werden die Akademiker durch die mediale Niedriglohndebatte gezogen. Dabei ist die Neuigkeit ein alter, trotzdem bemerkenswerter Anteil

Seit Jahren wird in der Arbeitsmarktdebatte immer wieder das Stichwort "Niedriglohnbeschäftigung" aufgerufen. Naturgemäß gehen die Vorstellungen darüber, ab wann ein "Niedriglohn" beginnt - oder eben nicht - sehr weit auseinander. Was für die einen viel ist, mag für die anderen sehr wenig sein. Offensichtlich handelt es sich um ein letztendlich nur durch Festlegung auflösbares Dilemma. Eine solche gibt es auf der EU-Ebene und die verwendet man auch in der Arbeitsmarktforschung: Die "Niedriglohnschwelle" ist definiert als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns (Median), wobei die Betonung auf Median und nicht dem arithmetischen Mittel liegt, das wir ansonsten oftmals bei der Durchschnittsbildung verwenden. Es handelt sich also - wie auch die Schwellenwerte in der Armutsforschung - um ein relatives Konzept. Die Armut im (relativ) reichen Deutschland ist eben eine andere als im (nicht nur relativ) armen Rumänien. Und so ist das auch mit dem Niedriglohn. Wer nun genauer wissen möchte, wie es um die Niedriglohnbeschäftigung bestellt ist in unserem Land, der kann und muss schon seit Jahren zu den jährlich wiederkehrenden Berechnungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) greifen, die das routiniert haben. Deren Zahlen werden dann immer wieder zitiert, wenn es um das Thema Niedriglöhne geht. Und auch jetzt wieder bezieht man sich auf das IAQ und mit einem lauten Echo wird die Message durch die Medien getrieben: "Hunderttausende Akademiker arbeiten für Niedriglöhne", meldet die Süddeutsche Zeitung, sekundiert von Spiegel Online "Neue Studie: Hunderttausende Akademiker arbeiten zu Niedriglöhnen" und die Frankfurter Rundschau spricht gar von "Lohndumping nach der Universität". Die Ursprungsmeldung wurde übrigens von der Online-Ausgabe der WELT in die Welt gesetzt. Was ist passiert? Ein Generalangriff auf die akademischen Schichten? Schauen wir genauer hin.

Die (angeblich) mangelnde Ausbildungs- und Arbeitsfähigkeit der jungen Leute - und die der Betriebe, die allerdings irgendwie gerne "vergessen" wird

Schon Sokrates soll das hier geklagt haben:

„Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte. Die Jugend steht nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widerspricht den Eltern und tyrannisiert die Lehrer.“

Es muss - um den wissenschaftlichen Zitationsansprüchen genügen zu können - an dieser Stelle aber darauf hingewiesen werden, dass es wohl keinen Beleg dafür gibt, dass Sokrates das wirklich so gesagt hat, eine Nachweis-Quelle in den Schriften von Platon, aber auch von Aristophanes oder Plutarch, die von Sokrates und seinen geistigen Ergüssen berichten, findet man nicht. Aber gesagt haben könnte der alte Grieche das schon - in Platons "Staat" ist beispielsweise dieses Zitat von Sokrates überliefert: „Der Lehrer fürchtet und hätschelt seine Schüler, die Schüler fahren den Lehrern über die Nase und so auch ihren Erziehern" (zitiert nach Christoph Schlösser: Stimmt's? Verlotterte Jugend). Klingt wie der Beschwerdebrief einer heutigen Grundschullehrerin an die Eltern der ihr anvertrauten Kinder.

Neben der Schüler-Schelte kennen wir auch die Kritik an den Azubis, meistens fokussiert um den Terminus "mangelnde Ausbildungsfähigkeit" der jungen Leute. Die es sicher gibt, man könnte mehrtägige Veranstaltungen füllen mit anekdotischer Evidenz über unmögliche Exemplare aus Sicht der Erwachsenen. Und nun wurde diese Stoßrichtung scheinbar erneut bedient mit den Ergebnissen einer Befragungsstudie, die von der Unternehmensberatung McKinsey durchgeführt wurde. Spiegel Online textete dazu unter einer sehr verkürzten Rubrik Studie zur Arbeitsmoral: "Jeder vierte Chef klagt über Berufsanfänger". Schauen wir genauer hin.

Freitag, 17. Januar 2014

Wenn die Kraft der Zahlen die Rumänen und Bulgaren trifft, nicht aber die Polen. Und auch nicht die vielen anderen. Also die Deutschen. Und was übrig bleibt, wenn man genauer hinschaut

Zahlen in der sozialpolitischen Diskussion sind wichtig und haben ihre Bedeutung. Und immer wieder kann es erhellend sein, die Herkunft eines Wortes nachzuvollziehen. "Bedeutung" hat ihre Quelle im mittelhochdeutschen "bediutunge" = Auslegung. Man muss die Zahlen immer auch auslegen (können respektive wollen). Illustrieren lässt sich das gleichsam lehrbuchhaft an der aktuellen Debatte über die (angebliche) Zuwanderungswelle von Rumänen und Bulgaren in die deutschen Sozialsysteme. Seit dem denkwürdigen Spruch "Wer betrügt, der fliegt" aus den bayerischen Landen gibt es in den Medien eine massive Gegenbewegung, mit der semantisch (durch die Etikettierung des Begriffs "Sozialtourismus" als Unwort des Jahres 2013) wie auch mit ausdrücklichen Bezug auf die Datenlage versucht wird, den Apologeten eines Katastrophenszenarios Einhalt zu gebieten. Darunter sind nicht nur Vertreter, die überhaupt kein Problem sehen, sondern auch diejenigen einer differenzierten Position, die sehr wohl die lokalen Überforderungen anerkennen, die gesamtstaatliche Dimension aber nicht aus dem Auge verlieren bis hin zu denjenigen, die auf das grundsätzliche Dilemma aufgrund des enormen Wohlstandsgefälles innerhalb der EU und den daraus resultierenden (möglichen) Wanderungsmotiven hinweisen.

Und erneut werden wir Zeuge einer Indienstnahme der für viele Menschen immer noch sehr beeindruckenden Argumentation mit Hilfe von Zahlen, um das Augenmerk auf ein "Problem" zu lenken oder dieses darüber zu konstruieren. So platzierte beispielsweise die FAZ vor wenigen Tagen diesen Artikel: "Hartz IV: Mehr Geld für selbständige Rumänen und Bulgaren" und kurz darauf diesen hier: "Hartz IV: Rumänen und Bulgaren stocken häufig auf".

Mittwoch, 15. Januar 2014

32-Stunden-Woche für Vater und Mutter mit Kita neben dem Feldlazarett irgendwo im Teilzeit-Auslandseinsatz? Skurriles und Sinnvolles, das obligatorische Fragezeichen und die eigentliche Systemfrage

Ursula von der Leyen (CDU) will die Bundeswehr zum familienfreundlichen Arbeitgeber umbauen. Das Thema liegt ihr, so Christian Tretbar in seinem Artikel "Dienen zwischen Kita und Kaserne". Auf alle Fälle hat sie wieder einmal die mediale Aufmerksamkeit erregen können. Sie hat das mit der ihr eigenen Verve vorgetragen, so dass man zu dem Eindruck getrieben werden konnte, Deutschlands Freiheit wird in der Marine-Kita verteidigt. Und das sie die Bundeswehr zu "einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland" machen will, ist irgendwie konsequent, darunter macht sie es offenbar nicht. Um die Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu verbessern, sollten Teilzeitmöglichkeiten wie eine Drei- oder Viertagewoche sowie Lebensarbeitszeitkonten eingeführt werden, so die Vision der neuen obersten Soldatenfrau. Außerdem sollen Tagesmütter in Kasernen stärker zum Einsatz kommen. Wenn es nur das wäre. Aber sie agiert nicht allein, was neue "familienpolitische" Vorschläge angeht. Die Bühne betritt die neue Bundesfamilienministerin. Und die darf gleich gehörig Lehrgeld bezahlen. Die Luft in Berlin ist eben sehr bleihaltig, wie mancher aus der (hier durchaus positiv gemeint) Provinz stammende Politiker bereits schmerzhaft zu spüren bekommen hat.

Montag, 13. Januar 2014

Sozialleistungen für Zuwanderer innerhalb der EU: Das Spiel mit dem Feuer und die Löschversuche der EU-Kommission mit Papier. Immerhin 52 Seiten. Und das Feuilleton mischt auch mit

Das waren bestimmt hektische Tage im Headquarter der EU-Kommission in Brüssel. Die Stellungnahme von EU-Beamten zu einem vor dem EuGH anhängigen Verfahren, das von einem deutschen Sozialgericht weitergereicht wurde zur Klärung grundlegender europarechtlicher Fragen, die hinsichtlich der (Nicht)Anwendung sozialrechtlicher Bestimmungen aufgetreten sind, hatte zu Tobsuchtsanfällen in Bayern ("Wer betrügt, der fliegt") und unzähligen wütenden Leserbriefen und Forums-Kommentaren im Netz geführt, wurde doch die Botschaft transportiert, die abgehobene EU-Kommission wolle nunmehr die Scheunentore in die deutschen Sozialsysteme für die "Armutszuwanderer" aus dem Südosten Europas gegen "unseren" Willen öffnen. Schnell wurde aus einer Stellungnahme von Beamten in einem laufenden Verfahren, das sich noch über Monate hinziehen wird, quasi eine "Entscheidung" und alle Welt konnte sich so richtig aufregen. Der Druck muss enorm gewesen sein (die sprichwörtliche Unempfindlichkeit der Kommission vor emotionalisierten Lagen in einigen Mitgliedsstaaten und das kurz vor den anstehenden Europawahlen aber auch), denn heute konnten wir so etwas wie eine "Kommunikationsoffensive" der Kommission erleben (was nicht den üblichen Gepflogenheiten der EU-Beamten entspricht), denn der zuständige Sozialkommissar veröffentlichte einen "Leitfaden" zu der mittlerweile teilweise außer Kontrolle geratenen Thematik der Sozialleistungen für Zuwanderer.

Sonntag, 12. Januar 2014

Der Mindestlohn mal wieder: Für manchen sind 8,50 Euro zu hoch, für eine gesetzliche Rente auf dem Niveau des Existenzminimums ist das deutlich zu niedrig. Kann eine "Mindestbemessungsgrundlage" helfen?

Es ist schon ein - nicht nur - sozialpolitisches Kreuz mit dem Mindestlohn. Da hat man mal die 8,50 Euro pro Stunde in die Welt gesetzt und jetzt streiten sich alle um diesen Betrag. Für einen Teil der Arbeitgeber ist das natürlich viel zu viel, für andere ist das auch nicht mehr als ein "Hungerlohn". Und ganz frisch ist die Erkenntnis, dass auch die, die nach außen fest zu mindestens 8,50 Euro stehen, in praxi, also bei Tarifverhandlungen, dann auch schon mal die 8,50 Euro eine weitere Zeit lang 7,75 Euro sein lassen, wie jetzt in der Fleischindustrie zu beobachten (hierzu der Beitrag Überraschend unblutige Einigung auf einen Mindestlohn von 8,75 Euro in der Fleischindustrie. Aber nicht sofort, sondern ab 2017). Über die Gründe dafür wird sicher noch zu spekulieren und zu diskutieren sein und möglicherweise liegen sie - wie in dem Beitrag angedeutet - tatsächlich in der Machtfrage zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie der Einsicht, dass es derzeit betriebswirtschaftliche Realitäten "eigener Art" gibt.

Aber stellen wir uns einmal vor, die Tarifparteien hätten sich auf 8,50 Euro ab dem 1. Juli 2014 geeinigt oder noch hypothetischer der Gesetzgeber hätte das für sie erledigt mit einem flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn. Dann müsste man aus einer engeren sozialpolitischen Sicht den folgenden zusammenfassenden Befund zur Kenntnis nehmen: Nach derzeitigem Stand reicht ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro gerade aus, um die Aufstockung des Lohns vollzeitbeschäftigter Singles durch Leistungen nach SGB II ("Hartz IV") auszuschließen. Aber die auf dieser Basis erreichbaren Rentenanwartschaften reichen keinesfalls aus, um auch eine Existenzsicherung im Alter zu erreichen. Statt 8,50 Euro im Jahr 2015 müsste der Mindestlohn bei 11,21 Euro liegen - aber man bekommt auch bei diesem Stundenlohn nur dann eine Netto-Rente, die dem Existenzminimum entspricht, wenn der Biografie eine Vollzeit-Beschäftigung über 45 Jahre zugrunde liegt. Das war noch nicht alles.

Samstag, 11. Januar 2014

Überraschend unblutige Einigung auf einen Mindestlohn von 8,75 Euro in der Fleischindustrie. Aber nicht sofort, sondern ab 2017

Vor einiger Zeit wurden nach jahrelanger Funkstille in der deutschen Fleischindustrie Verhandlungen aufgenommen über einen branchenbezogenen Mindestlohn - nach den zahlreichen Medienberichten über skandalöse Arbeitsbedingungen in dieser Branche und den massenhaften Einsatz osteuropäischer Billigarbeiter auf Werkvertragsbasis waren selbst die dickköpfigsten Arbeitgeber bereit, hier mit den Gewerkschaften zu sprechen. Allerdings wurde dann im Dezember der Abbruch der Verhandlungen gemeldet - als nicht auflösbarer Streitpunkt wurde das Lohnniveau in den ostdeutschen Betrieben genannt, wo man - so die Arbeitgeber - den geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro nicht zahlen könne, ohne die dortigen Betriebe in schweres, existenzbedrohendes  Fahrwasser zu bringen. Die Gewerkschaften haben dies zurückgewiesen und auf den 8,50 Euro bestanden. Sie hätten jetzt nach den Verhandlungsergebnissen der Großen Koalition noch knapp zwölf Monate durchhalten müssen, denn dann kommt doch der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Zum 1. Januar 2015.

Und nun berichtet die FAZ von einer überraschenden Verständigung auf einen Tarifvertrag: Die Vereinbarung für die rund 80.000 Beschäftigten sieht die Einführung eines verbindlichen Mindestlohnes von 7,75 Euro je Stunde zum 1. Juli 2014 vor, der dann bis Dezember 2016 in drei Stufen auf 8,75 Euro steigen soll.

Freitag, 10. Januar 2014

Über die Zuckungen der Erregungsgesellschaft beim Thema Sozialleistungen für EU-Mitbürger - oder was eine Stellungnahme von EU-Beamten so auslösen kann. Ach ja - und die Frage nach den Profiteuren von dem, was als Missbrauch auf die Bühne tritt

Bekanntlich leben wir in einer medialen Erregungsgesellschaft. Dies kann man diese Tage erneut lehrbuchhaft studieren. Ausgelöst durch wahlkampfvorbereitende verbale Kraftmeierei aus Bayern ("Wer betrügt, der fliegt") debattieren die Medien und dadurch angereizt Politik und viele Menschen erregt über eine angebliche Massenzuwanderung "in unsere Sozialsysteme", vor allem die armen Mitbewohner des europäischen Hauses in Bulgarien und Rumänien vor den Augen habend. Und während man versucht, die komplexe Rechtslage hinsichtlich der Gewährung von Sozialleistungen an - ja wen eigentlich: EU-Ausländer oder nicht vielmehr EU-Mitbürger? - zu erörtern und darauf hinzuweisen, dass es zahlreiche offene Fragen gibt (vgl. hierzu den Blog-Beitrag "Ja gibt's das denn: Wenn Deutsche das Ausland "überlasten. Und ganz viele warten auf den EuGH" vom 9. Januar 2014), da wird man scheinbar von "Entscheidungen" oder besser: von Ereignissen, die als Entscheidungen kolportiert werden, überholt: "Brüssel fordert Hartz IV-Prüfung für arbeitslose EU-Zuwanderer", berichtet Roland Preuß in der Süddeutschen Zeitung und sofort setzt ein medialer Tsunami ein, der zu abertausenden von Kommentaren und wutschnaubenden Ausritten des (partei)politischen Apparates führt. Preuß notiert in seinem Artikel: »Armutszuwanderer müssen nach Ansicht der EU-Kommission in Deutschland leichter Zugang zu Sozialleistungen erhalten. Dies geht aus einer Stellungnahme der Kommission zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.« Das hört sich klar und eindeutig an und so wurde und wird das auch kolportiert. Wie immer im Leben ist es aber ein wenig komplexer und auch irgendwie nicht so eindeutig, wie es nun daherzukommen scheint.

Donnerstag, 9. Januar 2014

Ja gibt's das denn: Wenn Deutsche das Ausland "überlasten". Und ganz viele warten auf den EuGH

Die Debatte über die Zuwanderung von Menschen nach Deutschland geht munter weiter - sowohl in der mehr als einseitig-verzerrenden Variante der skandalisierenden Rede von der "Armutszuwanderung" mit dem dort mitlaufenden Bild von "unsere" Hartz IV-Töpfe auslöffelnden Massen aus den südeuropäischen Armenhäusern der EU (wobei das keinesfalls auf Deutschland bzw. Bayern beschränkt ist, wie der Wettstreit um Härte gegen Zuwanderer zeigt, dem man derzeit in Großbritannien beobachten muss), wie aber auch in einem parallel dazu vorgetragenen Lobgesang auf die vielen "qualifizierten" Zuwanderer, die wir als Gesellschaft - die aufgrund der demografischen Entwicklung angeblich auf die Knie geht - so dringend brauchen. Insofern wird der vom Statistischen Bundesamt für 2013 gemeldete wahrscheinliche Zuwanderungsüberschuss von mehr als 400.000 Menschen in diesem Diskussionsstrang sicher freudig begrüßt:

»Die ohnehin schon hohen Wanderungsgewinne in den beiden Vorjahren (2011: +279.000, 2012: +369.000) werden der Schätzung zufolge 2013 nochmals übertroffen: Das Statistische Bundesamt rechnet damit, dass sogar erstmals seit 1993 etwas mehr als 400.000 Personen mehr aus dem Ausland zugezogen als ins Ausland fortgezogen sind. Damals hatte der Wanderungssaldo bei 462.000 gelegen.«

Aber wie immer liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der Mitte oder anders formuliert: Die Wirklichkeit ist weitaus komplexer und selten schwarz oder weiß.

Dienstag, 7. Januar 2014

Die neuen Arbeitslosenzahlen aus dem "Jobwunderland" Deutschland - und ein Verarmungsprogramm für Arbeitslose in den USA


Wie in jedem Monat wurden die aktuellen Arbeitsmarktzahlen von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg verkündet. In ihrer Zusammenfassung schreiben die obersten Arbeitslosenverwalter der Republik: »Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist sehr stabil. Seine gute Grundverfassung zeigt sich an der weiter zunehmenden Kräftenachfrage: Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wachsen kontinuierlich ... Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben im Dezember saisonbereinigt leicht abgenommen. Aber das geringe Maß, in dem Arbeitslose vom Beschäftigungsaufbau profitieren, offenbart strukturelle Probleme bei der Jobsuche” (S. 7).

In den Nachrichten und am Folgetag in den Tageszeitungen werden wir hören und lesen können: Die Zahl der Arbeitslosen im Dezember 2013 belief sich auf 2.872.783. Damit gab es 32.962 Arbeitslose mehr als vor einem Jahr. Nun handelt es sich bei dieser Zahl um die "registrierten" Arbeitslosen. Soll heißen, daneben gibt es weitere Arbeitslose, die nur nicht als registrierte erfasst werden. Insofern wäre es natürlich korrekter, wenigstens die - von der BA offiziell in ihren Tabellenwerken auch ausgewiesene - Zahl der "Unterbeschäftigten" zu zitieren. Das waren nach der amtlichen Statistik 3.713.692 Menschen und damit fast 841.000 Menschen mehr, als in der "Arbeitslosenzahl" dargestellt (vgl. für eine genaue Aufschlüsselung die Abbildung von "O-Ton Arbeitsmarkt"). Aber hier soll nicht zum wiederholten Mal Klage geführt werden darüber, dass man die Zahl der "Unterbeschäftigten" nicht zuerst nennt und dann die der registrierten Arbeitslosen, die Politik hat daran schlichtweg kein Interesse.

Sonntag, 5. Januar 2014

Überall Konkurrenz, sogar (oder gerade) unter den Obdachlosen. Unter denen gibt es übrigens immer mehr Frauen. Und immer mehr "EU-Obdachlose"

Wohnungslosigkeit, Obdachlosigkeit - das sind Themen von "ganz unten" und sie berühren (scheinbar) elementare Selbstverständlichkeiten wie "ein Dach über den Kopf haben". Ist schon die Tatsache, wohnungslos zu sein oder gar auf der Straße zu leben, eine absolute Notlage, so hört doch selbst - oder sollten wir besser sagen: gerade - ganz unten die Konkurrenz zwischen den Abgehängten nicht auf, hier schlägt sogar das handfest durch, was seit einiger Zeit mit diffamierenden Begrifflichkeiten wie "Armutszuwanderung" oder „Sozialtouristen“ mit eigentlich ganz anderen Zielen und Absichten in den Medien platziert wird (wobei man aber auch anmerken sollte, dass die mehr als steilen Thesen und die offensichtliche Instrumentalisierung menschlicher Schicksale in vielen Medien durchaus auf eine breite Kritik und Ablehnung stößt).

Donnerstag, 2. Januar 2014

Gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt zum Jahresbeginn. Was will man mehr? Vielleicht etwas genauer hinschauen


Das  sind endlich mal positive Schlagzeilen: "Zahl der Beschäftigten erreicht Rekordhoch", meldet Spiegel Online und die FAZ titelt - fast - synchron: "Zahl der Erwerbstätigen auf Rekordhoch".
Die Abbildung verdeutlicht die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland seit dem Jahr 2005 - wenn man denn diese misst an der Zahl der "Erwerbstätigen", wie die FAZ richtigerweise im Titel vermerkt hat.

Seien wir ehrlich - wenn die meisten Menschen lesen, dass im nunmehr vergangenen Jahr 232.000 neue "Jobs" geschaffen worden sind oder die Zahl der "Beschäftigten" einen Höchststand erreicht hat, dann denken viele an "normale" oder halbwegs normale Jobs, nicht wenige gehen von einer vollzeitigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Die hat tatsächlich gerade am aktuellen Rand der Arbeitsmarktentwicklung auch zugenommen. Aber hinter den 232.000 zusätzlichen Erwerbstätigen, die uns das zurückliegende Jahr gebracht haben, kann sich eben vieles verbergen, das auch abweichen kann von der "Normalitätsvorstellung", die bewusst oder unbewusst in den Köpfen der Menschen herumspukt (übrigens aus guten Grunde).

Des einen Freud, des anderen (perspektivisches) Leid. Zur Neuordnung der Finanzierung der Krankenkassen


Gesundheitspolitik war schon immer ein Haifischbecken, in dem es um eine Menge Geld geht. Und die Mittel zur Finanzierung der Leistungen und der vielen Anbieter des Gesundheitssystems müssen organisiert, sprich: jemanden genommen werden. Der größte Finanzier sind die Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Und die holen sich den größten Teil ihrer Mittel von den Versicherten über Beitragseinnahmen. In der ganz früheren Welt war die GKV ein nur historisch zu verstehendes Abbild der deutschen Ständegesellschaft, mit Arbeiter- und Angestellten-Krankenkassen. Dann gab es wie so oft in der Sozialpolitik Reformen, die das alte System entsorgt haben. Die Krankenkassen wurden immer weniger und sie sollten "im Wettbewerb" um die Versicherten miteinander ringen.

Angesichts eines weitgehend gesetzlich und untergesetzlich festgelegten Leistungsspektrums konkurrierten viele Kassen über den kassenindividuellen Beitragssatz. Der konnte sich durchaus erheblich unterscheiden und ein Wechsel zwischen den Kassen war aufgrund des Kontrahierungszwangs für den einen oder die andere durchaus lohnend.