Dienstag, 31. März 2015

Am Rande ihrer Kapazitäten und immer mehr Menschen mit Pflegebedarf. Auf der Straße. Und in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe


In unserer durchökonomisierten Welt würde ein Unternehmen, das davon berichten kann, dass ein Betriebsteil eine Kapazitätsauslastung von 200% irgendwie geregelt bekommen hat, sicher einen Effizienzpreis gewinnen. Mit einem hübschen Fotoshooting dazu. Aber hier reden wir nicht über die glamouröse Welt der High-Tech-Industrie oder hipper Start-Up-Unternehmen, sondern über die Kältehilfe als Teil der Wohnungslosenhilfe in Berlin. Denn die muss solche eben nur scheinbaren Erfolgsmeldungen verkünden, die in Wahrheit natürlich offen legen, dass die Hilfseinrichtungen nicht nur am Rande, sondern oftmals weit über der eigentlichen Kapazitätsgrenze arbeiten - müssen. »Trotz bereits erhöhter Platzkapazitäten seien die Einrichtungen fast durchgängig überbelegt gewesen. Pro Nacht standen 532 Schlafplätze bereit, Mitte Februar gab es einen Spitzenwert mit 699 Übernachtungsgästen. Allein die Notübernachtung der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße hatte fast täglich eine 200-prozentige Auslastung«, kann man dem Artikel Kältehilfe am Rande ihrer Kapazitäten von Annette Kögel entnehmen. Die Notübernachtungen der Berliner Kältehilfe berichten trotz des an sich milden Winters von einem beispiellosen Ansturm Wohnungsloser und warnen vor einer systematischen Überforderung des vorhandenen Hilfeangebots. Das liegt am hohen Zustrom von Flüchtlingen und auch mehr Familien würden vor der Tür stehen, für die aber die Angebote der Kältehilfe eigentlich nicht geeignet seien. Der stetig wachsende Anteil an Nichtdeutschen bringe auch massive Verständigungsprobleme mit sich. 31 Prozent der Gäste hatten einen deutschen Pass, 69 Prozent kamen aus dem Ausland. Davon waren 13 Prozent Nicht-EU-Bürger. Es suchen zunehmend Osteuropäer Hilfe in den Einrichtungen.

Montag, 30. März 2015

Die Deutsche Post DHL schiebt den Paketdienst auf die Rutschbahn nach unten und einige sorgen sich um Ostergrüße, die liegenbleiben könnten

Am Wochenende konnte sich die Gewerkschaft ver.di noch über den Abschluss der Tarifverhandlungen für die Angestellten im öffentlichen Dienst der Bundesländer freuen, der eine Lohnerhöhung in zwei Stufen in diesem und im kommenden Jahr vorsieht. Die von manchen befürchteten Streikaktionen sind damit vom Tisch. Aber die Großgewerkschaft ver.di hat viele Baustellen, sehr viele. Und eine davon ist die Deutsche Post DHL, eines der Nachfolgeunternehmen des ehemaligen Staatsmonopolisten Bundespost. Und die Führungsspitze dieses weltweit agierenden Konzerns ist zutiefst unzufrieden. Im vergangenen Jahr hat man einen Umsatz von 56,6 Mrd. Euro gemacht - und mit fast genau 3 Mrd. Euro EBIT (Ergebnis der betrieblichen Tätigkeit) bzw. - noch schlimmer - einem Gewinn nach Kapitalkosten (EAC) von 1,56 Mrd. Euro wurde viel "zu wenig" Gewinn gemacht. Da muss noch mehr drin sein, die Anleger brauchen eine "Story". Aber dafür muss man das machen, was man heutzutage so lernt auf den Business Schools dieser Welt: Kosten senken. Vor allem "natürlich" die Personalkosten. Denn da ist aufgrund der vielen "Altlasten" aus der Vergangenheit noch "Luft" drin und außerdem drücken die Billigkonkurrenten vor allem bei den Paketdiensten wie Hermes oder GLS von unten mit deutlich geringeren Personalkosten - und das im Paketboom aufgrund der "Amazonisierung" unserer Gesellschaft. In diesem Kontext hat man sich im Post-Tower in Bonn offensichtlich entschieden, den eigenen Paketdienst auf die Rutschbahn nach unten zu setzen - in Richtung auf die Billiganbieter.  Darüber wurde hier bereits berichtet, beispielsweise in dem Beitrag Endlich viele neue Jobs. Und dann wieder: Aber. Die Deutsche Post DHL als Opfer und Mittäter in einem Teufelskreis nach unten vom 25. Januar 2015. Als erste Welle des Wachstums nach unten hat man nun in ganz Deutschland 49 Zustellfirmen mit dem Namen Delivery gegründet - und dafür bereits nach eigenen Angaben etwa 5.000 Beschäftigte angestellt, die bis 2020 auf mindestens 10.000 aufgestockt werden sollen. Wobei es sich nicht um neue Arbeitsplätze handelt, sondern der weit überwiegende Teil davon sind Mitarbeiter, die zuvor beim Mutterkonzern Post AG mit befristeten Verträgen gearbeitet haben. Und die jetzt zu schlechteren Bedingungen in den neuen Billigtöchtern schaffen dürfen.

Sonntag, 29. März 2015

Die Tarifvertragsmaschinerie funktioniert - wenn sie denn zur Anwendung kommt. Zur Parallelität von Tariflohnsteigerungen und Tarifflucht

Erst der Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie, dann in der Chemieindustrie - und jetzt gibt es auch für den öffentlichen Dienst der Länder eine Einigung zu vermelden - wenn denn die Bundestarifkommission von ver.di derm Verhandlungsergebnis zustimmt: Um 2,1 Prozent sollen die Gehälter für Angestellte der Bundesländer steigen - rückwirkend ab März. 2016 gibt es noch mal 2,3 Prozent mehr Geld für den öffentlichen Dienst. Es geht hier immerhin um rund 800.000 Angestellte der Länder. Und erste Politiker wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) haben bereits angekündigt, diesen Abschluss auch auf die Beamten des Landes übertragen zu wollen, auch Bayern hat sich bereits entsprechend geäußert. Man sollte dabei im Hinterkopf behalten, dass deutlich mehr als eine Million Beamte in den Bundesländern beschäftigt und von diesen zu finanzieren sind.

Funktioniert doch, die Tarifvertragslandschaft in Deutschland, werden die einen oder anderen mit Blick auf diese Zahlen und Ergebnisse sagen. Und da passt es genau, wenn das Statistische Bundesamt diese Tage vermelden kann: Reallohn­index im Jahr 2014 um 1,7 % gestie­gen. Das ist relativ gesehen viel, denn laut Bundesstatistiker »war dies der höchste Anstieg seit Beginn der Zeitreihe des Reallohnindex im Jahr 2008. Die Nominallöhne waren im Jahr 2014 um 2,6 % höher als im Vorjahr ... Die Verbraucherpreise legten im Jahr 2014 um 0,9 % zu.« Jetzt profitieren also endlich auch "die" Arbeitnehmer von der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Könnte man so stehen lassen, wenn dann nicht wieder solche Einsprengsel in der Berichterstattung auffallen: Beispielsweise solche Artikel: Löhne driften auseinander: »Die Löhne zwischen Chefs und Angestellten gehen immer weiter auseinander. Zwei Drittel der Vollbeschäftigten verdienen hierzulande unterm Durchschnitt. Ohne die Einführung des Mindestlohns wäre die Entwicklung noch dramatischer.« Und besonders relevant: Tarifflucht führt zu höheren Gehaltsunterschieden. Ein Artikel, der über eine neue Studie berichtet, die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben und veröffentlicht wurde: Einkommensschere wird durch Tarifflucht größer. Das hört sich dann schon nicht mehr so umfassend positiv an. Also schauen wir einmal genauer hin.

Freitag, 27. März 2015

Die Armut kriegen wir auch noch wegdefiniert. Stehen wir vor einer Renaissance der "veterinärmedizinisch" fundierten Armutsberichterstattung?


Hat sie denn derzeit nicht genug zu tun, wird sich der eine oder andere fragen. Rentenpaket, Mindestlohn, Tarifeinheitsgesetz, demnächst auch Leiharbeit und Werkverträge - und Änderungen bei der betrieblichen Altersvorsorge liegen schon auf dem Schreibtisch der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Da kann man anscheinend noch ein neues Fässchen aufmachen. Vielleicht steckt dahinter eine Strategie, vielleicht hat man einfach nur ein wenig von diesem und jenem geplaudert. Wie dem auch sei - dann kommen solche Schlagzeilen in die Öffentlichkeit: Nahles will Vorurteile über Arme und Reiche aufklären. Das hört sich fast noch aufklärerisch an, eine solche Kommentierung hingegen zeigt mit dem nackten Finger auf das Pulverfass, an dem die Bundessozialministerin angeblich die Lunte zu legen gedenkt: Andrea Nahles definiert die Armut weg, so hat Mark Schieritz seinen Blog-Beitrag überschrieben. Aber zuerst ein Blick auf das, was die Ministerin gesagt hat, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, offensichtlich einer Mischung aus Home Story und politischen Fragen: "Ein schönes Auto zu fahren, das ist für mich Luxus", so ist die Zusammenfassung in der Online-Ausgabe überschrieben. Dass wir erfahren, die Frau Ministerin sei Autoliebhaberin und dass sie am liebsten auf ihrem Pferd "Siepke" unterwegs ist, mag den einen oder anderen Geist interessieren, hier interessiert das nicht mal molekular. Aber so eine Zwischenüberschrift dann schon: »Nahles hält nicht viel von der gängigen Armutsgrenze«. Jetzt wird es sozialpolitisch richtig spannend.

Donnerstag, 26. März 2015

Der Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze! Das muss so sein. Wenn eine enttäuschte Ideologie auf Wirklichkeit trifft

Das wird viele Arbeitsplätze kosten - so lautet eine der Hauptbotschaften im Vorfeld der Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes seitens der Kritiker einer solchen Lohnuntergrenze. Nicht nur einige Arbeitsplätze hier und da, sondern fast eine Million Jobs werden bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde vernichtet. Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung hat eine Pressemitteilung dazu am 19.03.2014 kurz und bündig so überschrieben: Der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro gefährdet bis zu 900.000 Arbeitsplätze. Viele Medien haben das damals abgeschrieben und die Zahl geistert auch noch heute durch die Landschaft. »Die gesamten Beschäftigungsverluste belaufen sich danach auf bis zu 900.000 Arbeitsplätze. Dabei ist auch der Verlust von 660.000 geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen (einschließlich Rentner und Studenten) mitgezählt. In Vollzeit-Stellen entsprechen die gesamten Verluste in etwa 340.000 Arbeitsplätzen.« Grundlage für diese Aussage war eine Studie von Ronnie Schöb, Marcel Thum und Andreas Knabe (Der flächendeckende Mindestlohn, 2014). Aber nun ist er da und Ende Februar 2015 wurde Heinrich Alt von der Bundesagentur für Arbeit so zitiert: »... eines kann man schon jetzt sagen: Für die Horrorprognosen des Münchner Ifo-Instituts, das mit dem Mindestlohn eine Million Arbeitsplätze verloren gehen, gibt es bislang keine Hinweise.«

Das nun lässt die Mindestlohn-Gegner natürlich nicht ruhen - und man legt nach im Kampf um die öffentliche Meinungsbildung: Unter der - fast schon weichgewaschen daherkommenden - Überschrift "Zahlreiche ungelöste Probleme" serviert uns eine arbeitgeberfinanzierte Lobbyorganisation eine düstere Bilanz der ersten Tage: »Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland wirkt sich zunehmend negativ auf Unternehmen und Beschäftigte aus. Das ist ein Ergebnis eines Papers der beiden Ökonomen Prof. Knabe und Prof. Ronnie Schöb, die im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erstellt wurde.« Es muss natürlich eigentlich "das im Auftrag ..." und nicht "die" heißen, denn es geht ja um "das Paper", aber auch auf der arbeitgeberfinanzierten Seite gibt es offensichtlich Probleme mit der Rechtschreibung, nicht nur bei der vielgescholtenen Jugend.

Mittwoch, 25. März 2015

Jenseits der Psycho-Spiele: Griechenland nach fünf Jahren Abstieg, einer Schneise der Verwüstung im Gesundheitswesen - und das Märchen von den griechischen Luxusrenten

Varoufakis gegen Schäuble und retour, Tsipras ohne Krawatte bei Merkel, angeblich-tatsächliche Stinkefinger gegen Deutschland, ein SPIEGEL-Titel mit einer Fotomontage von Merkel inmitten deutscher Wehrmachtsoffiziere an der Akropolis - ein unbefangener Beobachter könnte und müsste zu dem Befund kommen, dass die vergangenen Monate gekennzeichnet waren und sind von den ständigen Übungsversuchen einer Laienschauspielertruppe auf dem schwierigen Gelände der Psychopolitik. Aber um diese Ebene soll es hier gar nicht gehen. Es geht auch nicht um die Frage, ob Griechenland im Euro, neben dem Euro oder ganz außerhalb des Euros seine Zukunft verbringen soll und vor allem soll es nicht um Emotionen gehen, die von interessierten Medien und Politikern hier und dort gerne verstärkt und instrumentalisiert werden - und denen man sich als teilnehmender Beobachter natürlich auch nicht entziehen kann. »Viele Griechen machen die Gläubiger des Landes für das Leid verantwortlich, das ihnen widerfahren ist. Deutschland gilt als treibende Kraft des „Spardiktats“, das aus Griechenland eine „Schuldenkolonie“ gemacht hat. Viele Griechen vergessen allerdings, dass ihre eigenen Politiker – die sie ja wieder und wieder gewählt haben – ebenfalls große Schuld tragen. Sie häuften nicht nur seit den 80er Jahren jenen Schuldenberg auf, unter dem das Land jetzt stöhnt. Auch in der Krise versagten sie«, so die Einordnung von Gerd Höhler in seinem Artikel Fünf Jahre Abstieg. In diesem Beitrag sollen die handfesten sozialpolitischen Auswirkungen der letzten Jahre auf die tatsächlichen (und behaupteten) Lebenslagen der Menschen in Griechenland in den Mittelpunkt gerückt werden.

Montag, 23. März 2015

Die Entsorgung der Flüchtlinge. Über das Arbeiten an einem Asyl als Fata Morgana

In Deutschland streitet man wieder - über Zahlen, Zuständigkeiten für hinter den Zahlen stehende Menschen und natürlich eigentlich über Finanzen: Bundesregierung lehnt mehr Geld für Flüchtlinge ab, so eine der vielen Überschriften aus dem föderalen Gerangel:

»Die Appelle von Ländern, Kommunen und der Opposition haben nichts gebracht: Die Bundesregierung will nicht mehr Geld ausgeben, um Flüchtlinge besser zu versorgen ... Über die für 2015 und 2016 zugesagte eine Milliarde Euro hinaus werde es keine finanzielle Unterstützung geben.«

Die Bundesländer befürchten, dass der Zustrom von Flüchtlingen in diesem Jahr wegen der Krisen und Kriege in der Welt wesentlich größer wird als vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prognostiziert. Das BAMF geht bislang für 2015 von 300.000 Asylanträgen aus. Schleswig-Holstein rechnet 2015 bundesweit mit mehr als einer halben Million Asylanträgen. Die Bundesländer wiederum stehen unter Druck ihrer Kommunen. So fordert der Deutsche Städte- und Gemeindebund: »Die Länder müssten "sofort die Zahl ihrer Erstaufnahmeeinrichtungen weiter erhöhen", damit eine ordnungsgemäße spätere Verteilung auf die Kommunen möglich sei.« Das alles kostet Geld.

Sonntag, 22. März 2015

Die Geschlechter und ihre Löhne. Einige Gedanken und kritische Anmerkungen zum „Equal Pay Day“ im April 2015

Wieso denn „Equal Pay Day“ im April 2015, wird die eine oder der andere jetzt erstaunt fragen? Der war doch schon am 20. März, überall gab es an diesem Tag Aktionen und selbst die Gesetzgebungsmaschinerie soll angeworfen werden, nach der Frauenquote (für Aufsichtsräte von einigen wenigen börsennotierten Konzernen) will die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) noch in diesem Jahr die gleiche Entlohnung von Frauen und Männern in einem „Entgeltgleichheitsgesetz“ festschreiben. »Die Politik habe zu lange zugeschaut, jetzt müsse gehandelt werden«, so wird die Ministerin zitiert. Um die Gehaltsunterschiede offenzulegen, wolle sie ein Auskunftsrecht gesetzlich verankern und Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern verpflichten, gerechtere innerbetriebliche Strukturen zu schaffen. Und das Thema scheint wirklich auch im medialen Mainstream angekommen zu sein - wenn man das daran messen möchte, dass selbst Günther Jauch seine Talksendung am 22.03.2015 unter den Titel Der ungerechte Lohn – warum verdienen Frauen weniger? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Von wegen! gestellt hat. In vielen anderen Medien wurde über die Geschlechter und ihre Löhne berichtet - beispielsweise im Radio: Lohntransparenz - Hat der Wert der Arbeit ein Geschlecht?, fragt etwa der Deutschlandfunk in einer Hintergrundsendung. Auch der Hessische Rundfunk hat sich auf die Suche gemacht: Zahlemann und Töchter – Warum Frauen weniger verdienen, so der Titel einer Sendung zum Thema. Aber sortieren wir in einem ersten Schritt einmal die Fakten - und korrigieren dann auch noch das "wahre" Datum des "Equal Pay Day" - der eigentlich erst auf den 11. April dieses Jahres zu terminieren wäre.  Um die ganze Sache dann noch so richtig zu verkomplizieren, könnte man darauf hinweisen, dass zum einen (ausgehend von 7 statt 22 Prozent Lohnlücke) der Equal Pay Day viel früher im Jahr hätte angesetzt werden müssen - oder aber man hätte das Datum deutlich nach hinten verlängert müssen, wenn man ihn von einem "Gender Pay Gap Day" zu einem "Gender Income Gap Day" erweitern würde, was auch schon vorgeschlagen wurde. Alles klar? Ein offensichtlich echtes Durcheinander, dass einer Aufdröselung zugeführt werden muss.

Samstag, 21. März 2015

Die Pille umsonst. Für Hartz IV-Empfängerinnen. Bis zum 27. Lebensjahr. Scheinbar eine gut gemeinte Forderung aus Bayern

Immer wieder sollte man etwas länger nachdenken, bevor man seiner Freude über eine Forderung - die "sozial" daherkommt - Ausdruck verleiht. Und eine zustimmend-wohlwollende Reaktion wird bei vielen diese Meldung auslösen: CSU für kostenlose Pille an Hartz IV-Empfängerinnen. »Die CSU fordert kostenlose Verhütungsmittel für bedürftige Frauen. Bis zum 27. Lebensjahr sollen Hartz IV-Empfängerinnen die Pille oder andere Verhütungsmittel auf Rezept erhalten, sagte die Frauen-Unions-Vorsitzende Angelika Niebler am Samstag bei einem kleinen CSU-Parteitag in Bamberg. Damit soll die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche reduziert werden.«

Es gab unter den CSU-Bundestagsabgeordneten auch Widerstand gegen den letztlich erfolgreichen Antrag der Frauen-Union: „Die CSU ist die Partei der Familie“, sagte der schwäbische Abgeordnete Stephan Stracke. „Partei der Familie heißt Ja zu Kindern.“ Doch dieses Argument überzeugte die Mehrheit offensichtlich nicht, kann man der Meldung entnehmen.

Bei vielen wird diese Forderung deshalb auf positive Resonanz stoßen, weil die Hartz IV-Empfänger nun wirklich jeden Cent umdrehen müssen und dadurch entlastet werden könnten - wenn auch nur bis 27 Jahre, danach sollen sie wieder zahlen, obgleich man auch nach diesem Alter schwanger werden kann. Das ist schon eine erste Merkwürdigkeit, die mit der Forderung der CSU-Frauen einhergeht. Aber vielleicht lohnt es sich, hier einmal innezuhalten und grundsätzlich nachzudenken. Da könnte man auf einige kritische Gedanken kommen.

Donnerstag, 19. März 2015

Der (nicht nur) niedrigzinsgebeutelte Riester-Rentner wird gerettet! Über demnächst ganz viel Geld von den Versicherungen für deutsche Infrastruktur

Jetzt wird bald wieder so richtig in die Hände gespuckt. Überall werden Baustellen errichtet und die gerade in Westdeutschland vielerorts vor sich hinbröselnde Infrastruktur wird endlich saniert oder abgerissen und neu gebaut. Der gewaltige Investitionsstau, der sich in den zurückliegenden Jahren aufgestaut hat, wird mit entschlossenem Mitteleinsatz abgebaut und die infrastrukturelle Basis für die kommenden zwanzig, dreißig Jahre wird vor unseren Augen entstehen. Das ist nicht - um es an dieser Stelle gleich anzumerken - die Vision verrückter Utopisten, sondern eine der Botschaften, die wir in wenigen Wochen überall zu lesen und zu hören und zu sehen bekommen werden. Und diese Botschaft wird geliefert werden von einer Expertenkommission unter Vorsitz von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im August 2014 eingesetzt hat. In dieser Kommission vertreten ist - neben der irgendwie immer anwesenden Deutschen Bank mit Jürgen Fitschen - auch die deutsche Versicherungswirtschaft, konkret durch Dr. Helga Jung von der Allianz SE und Dr. Torsten Oletzky von der Ergo. Und die hat bekanntlich ein sehr schwerwiegendes Problem: Sie ist aufgrund des jahrelangen Niedrigzinsumfeldes und der Anlagevorschriften immer weniger bis gar nicht mehr in der Lage, die erforderlichen Renditen auf die Anlage des ihr anvertrauten Kapitals zu erwirtschaften und die in der Vergangenheit versprochenen bzw. in Aussicht gestellten Auszahlungsbeträge realisieren zu können.

Und da sind wir bei unserem Riester-Rentner, der ja nun schon so einiges erleiden musste, nachdem er sich auf diese scheinbare Honigspur der staatlich, also mit Steuermittel geförderten privaten Altersvorsorge begeben hat. Der Riester-Rentner (wie auch andere privat für das Alter Vorsorgende, man denke hier an die vielen kleinen Selbständigen) ist nicht nur mit der "Kosten"- bzw. Profitwirklichkeit der Versicherungen und anderer Akteure der Finanzwelt konfrontiert, sondern er ahnt auch, dass es noch schlimmer kommen muss angesichts der geld- und damit zinspolitischen Rahmenbedingungen, die in den kommenden Jahren relativ plausibel so bleiben werden wie sie sind: richtig mies für den Normal-Sparer. Verständlich, dass man da nach jedem Strohhalm greifen möchte, der sich einem zu bieten scheint. Und deshalb werden wir in den kommenden Wochen auch erleben, dass bei den notwendigen Legitimationsversuchen der zu erwartenden Vorschläge der Fratzscher-Kommission die Riester-Rentner, von denen es immerhin einige Millionen in diesem Land gibt, wie auch die an eine oder mehrere Lebensversicherungen gebundene Sparer in den Mittelpunkt gerückt werden, wenn es darum geht, zu begründen, warum alle und besonders der kleine Sparer von dem Modell der Kommission profitieren wird. Man könnte an dieser Stelle bereits ein erstes Fazit vorwegnehmen und argumentieren, dass der „kleine Sparer“ noch nie in der Vergangenheit wirklich gut weggekommen ist. Warum soll das also jetzt anders werden? Aber schauen wir einmal genauer hin.

Mittwoch, 18. März 2015

Prekäre Arbeitsverhältnisse hinter der glitzernden Fassade der Bankenwelt? Wie wäre es mit der Trutzburg der Geldpolitik, der Europäischen Zentralbank (EZB)?

Schwarzer Rauch, brennende Müllcontainer, herausgerissene Pflastersteine, berstende Schaufenster, brennende Polizeifahrzeuge: Seit dem frühen Morgen an diesem 18.03.2015 haben einige Demonstranten im Umfeld der von Blockupy organisierten Proteste die Stadt Frankfurt rund um die Europäische Zentralbank (EZB) lahm gelegt. Anlass ist die offizielle Eröffnungsfeier des neuen Glaspalastes der EZB, der übrigens 1,3 Milliarden Euro gekostet hat. »Während Demonstranten vor dem weiträumig abgesperrten EZB-Glastürmen randalierten, feierte die Notenbank in kleinem Rahmen mit gut 100 geladenen Gästen«, so die Formulierung im Artikel Drinnen Party, draußen Protest. Es soll aber an dieser Stelle gar nicht um die Fragen gehen, die Blockupy oder andere Kritiker hinsichtlich der Politik der EZB aufwerfen - sondern um die EZB als Institution, in der Menschen arbeiten. Gleichsam - aus dem Blickwinkel wieder Außenstehender - im Herzen der Finanzmacht. Interessant ist in diesem Zusammenhang dann aber schon, dass es offensichtlich in dem Unternehmen EZB vergleichbare Probleme gibt, die wir im Kontext der sozialpolitischen Berichterstattung auch aus anderen, "normalen" Unternehmen kennen. Befristungen, Leiharbeit, gar "prekäre Beschäftigung" - in der europäischen Trutzburg der Geldpolitik? Wo man sich gerade erst mit dem neuen EZB-Gebäude ein nicht nur architektonisches Denkmal gesetzt hat, das zugleich natürlich immer auch eine Philosophie zu transportieren versucht?

Dienstag, 17. März 2015

Untiefen (nicht nur) der Statistik: Wie Arbeit gesucht wird und der schnelle Blick auf Millionen gedopter Arbeitnehmer. Aber was ist eigentlich Arbeit?


Das Internet in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Diese - zugegeben etwas modernisierte - Variante aus der Zitatesammlung deutscher Klassiker könnte einem in den Sinn kommen, wenn man die Berichte zur Kenntnis nimmt über die Ergebnisse einer neuen Studie, die sich mit der Frage beschäftigt hat, wie heute nach Arbeit gesucht wird. Die Abbildung von Statista veranschaulicht die Erkenntnisse, die man herausgefunden zu haben scheint: »Das Internet ist mittlerweile für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz unverzichtbar geworden. Das zumindest legt die von Monster veröffentlichte Studie "Bewerbungspraxis 2015" nahe. Demnach sind Internet-Stellenbörsen der mit Abstand populärste Informationskanal bei der Jobsuche. 66,4 Prozent der Befragten gaben an, sie für die Arbeitsplatz-Recherche genutzt zu haben. Auf Platz zwei folgen Unternehmens-Webseiten mit 37,9 Prozent vor Karrierenetzwerken (z.B. XING, LinkedIn) mit 36,5 Prozent. Die Arbeitsagentur oder Zeitschriften und Zeitungen spielen dagegen nur eine nachgeordnete Rolle bei der Stellensuche. Für die Studie wurden rund 7.000 Stellensuchende und Karriereinteressierten im Internet von Mai bis Juli 2014 befragt.« Zwei Drittel aller Stellensuchenden nutzen also Internet-Stellenbörsen - hingegen machen nur 24,% Prozent von der Bundesagentur für Arbeit Gebrauch, dem angeblich modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt. Jetzt kann man einen Strich ziehen und sagen: Wenn Arbeitgeber potenzielle neue Arbeitnehmer finden wollen, dass sollten sie die Internet-Stellenbörsen nutzen. Ein wirklich schönes Ergebnis für den Auftraggeber der Studie - bei dem es sich um die Stellenbörse Monster handelt.

Sonntag, 15. März 2015

"Die Antwort ist simpel: Ungleichheit bringt uns um". Und warum Gewerkschaften und ein ausgebauter Sozialstaat von der anderen Seite gelobt werden

Wir kennen sie alle, diese großen Debatten über die Zunahme der Ungleichheit in den "modernen" Gesellschaften. Nicht ohne Grund ist das im wahrsten Sinne des Wortes furztrockene Werk "Das Kapital im 21. Jahrhundert" des französischen Ökonomen Thomas Pikten in den vergangenen Monaten landauf landab diskutiert, man muss sogar sagen: gehypt worden. Und immer wieder wurde und wird von Sozial- und anderen Wissenschaftlern darauf hingewiesen, dass die Zunahme der Ungleichheit, die damit einhergehenden gesellschaftlichen Polarisierungsprozesse in einen kritischen Bereich eingetreten sind. Und dann wird man in einer der reichsten und in vielen Bereichen immer noch erstaunlich gut funktionierenden Volkswirtschaft der Welt, also in Deutschland, mit Debatten konfrontiert, ob der Untergang des arbeitsmarktlichen Abendlandes bevorsteht, weil man zu Beginn dieses Jahres eine gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro - nun ja - für fast alle eingeführt hat. Und wenn denn bei uns noch über Gerechtigkeit diskutiert wird, dann versucht der Mainstream darauf hinzuweisen, dass wir längst die "unfruchtbare" Fokussierung auf Verteilungsgerechtigkeit, die immer auch und unvermeidbar verbunden ist mit einer Debatte über Umverteilung, dadurch zu entsorgen, dass wir mittlerweile doch schon längst auf einer anderen Ebene angekommen sind, auf der es um die Chancengerechtigkeit geht. Oder gehen sollte, wenn es sie denn geben würde. Daran kann man gut begründet zweifeln (vgl. als aktuelles Beispiel dazu die Befunde und die Diskussion einer neuen Studie zum Thema Kinderarmut, die von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegt worden ist: Kinderarmut. Leider nichts Neues. Ein weiteres Update zu den auseinanderlaufenden Lebenslinien der Kinder. Und zugleich eine ernüchternde Relation: 2 zu 1).
Vor diesem Hintergrund wird man gleichsam vor den Kopf gestoßen, wenn man als Vorbemerkung zu einem Interview mit einem international ausgewiesenen Epidemiologen zu lesen bekommt: »Zu den größten Einflussfaktoren für unsere Gesundheit zählt Verteilungsgerechtigkeit«, so der Epidemiologe Richard Wilkinson in dem Artikel "Die Antwort ist simpel: Ungleichheit bringt uns um". Und er steigt gleich richtig ein in die notwendige Debatte über die desaströsen, eben zerstörerischen Auswirkungen von zu großer sozialer Ungleichheit.

Samstag, 14. März 2015

Kinderarmut. Leider nichts Neues. Ein weiteres Update zu den auseinanderlaufenden Lebenslinien der Kinder. Und zugleich eine ernüchternde Relation: 2 zu 1


Schon seit langem wird "Kinderarmut" in unserem Land beklagt. In vielen sozialwissenschaftlichen Studien wird immer wieder von einer "Infantilisierung" der Armut gesprochen. In den 1990er Jahren prägte Richard Hauser aufgrund eines deutlichen Anstiegs der Armutsbetroffenheit von Kindern den Begriff der „Infantilisierung der Armut“, so in einem Beitrag in dem von ihm und Irene Becker 1997 herausgegebenen Sammelband "Einkommensverteilung und Armut. Deutschland auf dem Weg zur Vierfünftel-Gesellschaft?". Mittlerweile gehört das aufgrund der Verfestigung der überdurchschnittlichen Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen von dem, was unter dem Terminus "Armut" diskutiert wird, zum Standardrepertoire der Armutsbeobachter wie auch der sozialpolitischen Debatten, was man dagegen tun kann.

Aber es bleibt weiterhin das anzumerken, was in einem früheren Blog-Beitrag so formuliert wurde: »Es ist keine Begriffsakrobatik, wenn man darauf insistiert, dass es "Kinderarmut" eigentlich nicht gibt, sondern die Einkommensarmut, denen die Kinder ausgesetzt sind, ist eine "abgeleitete" Armut der Eltern. Die Kinder sind - im positiven wie im negativen Sinne - immer eingebettet in den familialen Kontext und insofern ist es richtig und notwendig, wenn man über die gleichsam "vorgelagerte" Einkommensarmut der Eltern spricht, wenn es um die Kinder gehen soll« (vgl. dazu Die Kinder und die Armut ihrer Eltern. Natürlich auch Hartz IV, aber nicht nur. Sowie die Frage: Was tun und bei wem? vom 11.10.2014). Aber bevor der eine oder die andere an dieser Stelle sofort der Versuchung erliegt, abzutauchen in den Streit über den "Armutsbegriff" - unstrittig ist in der Armutsforschung, dass frühes Erleben von Armutslagen einen prägenden, nicht überraschend einen oftmals negativ prägenden Einfluss auf die Entwicklung der Kinder hat. Bis hin zu zerstörerischen Auswirkungen, die sich ein Leben lang bemerkbar machen.

Freitag, 13. März 2015

Pflegende Angehörige ... und Hartz IV

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die Pflege wird immer wieder die bedeutsame Rolle der pflegenden Angehörigen hervorgehoben - denn mehr als 70% der pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause versorgt, viele von ihnen ausschließlich durch pflegende Angehörige. Es sind ganz unterschiedliche Menschen, die diese oftmals schwierige und kräftezehrende Arbeit übernommen haben. Letztendlich sind sowohl die Pflegebedürftigen wie auch die sie pflegenden Menschen Unikate. Einzigartig eben. Aber natürlich gibt es auffällige Strukturmuster, die man erkennen kann und muss. Nicht überraschend ist die Tatsache, dass es oftmals Frauen sind, die pflegen. Nach wie vor stellen Frauen in Deutschland - Ehefrauen, Töchter, Schwieger- oder Enkeltöchter - 70 Prozent der Hauptpflegepersonen. Man kann es aber auch so sagen: Immerhin (schon) 30 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Männer, die meistens ihre Partnerinnen versorgen (vgl. dazu beispielsweise die Porträtierungen in BMFSF: Auf fremden Terrain – Wenn Männer pflegen, Berlin 2012). Angesichts der Veröffentlichung der neuen Pflegestatistik 2013 durch das Statistische Bundesamt wurde erneut auf den Stellenwert der Pflege durch Angehörige hingewiesen (dazu auch der Blog-Beitrag Der Dauerlauf im Hamsterrad des Unzulänglichen und Ungeklärten: Pflege und Pflegekräfte in Bewegung. Nicht zu vergessen die pflegenden Angehörigen und wieder werden politische Forderungen hinsichtlich dieser Gruppe vorgetragen, dazu beispielsweise Mehr Hilfe für pflegende Angehörige gefordert). Ergänzend dazu hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine neue Studie veröffentlicht, in der es um pflegende Hartz IV-Empfänger geht.

Donnerstag, 12. März 2015

Der Dauerlauf im Hamsterrad des Unzulänglichen und Ungeklärten: Pflege und Pflegekräfte in Bewegung. Nicht zu vergessen die pflegenden Angehörigen

Über 3.000 Menschen besuchen derzeit den Deutschen Pflegetag 2015 in Berlin. Solche Kongresse sind neben vielen fachlichen Impulsen und Diskussionen natürlich immer auch ein Schaulaufen der pflegepolitisch wichtigen Größen sowie der proklamatorischen Selbstvergewisserungen einer Profession. So kann es nicht überraschen, dass den Pflegekräften im Plenum viel Lob und Anerkennung dessen, was sie tagtäglich tun, mit auf den Weg gegeben wird. Aber auch die vielen warmen Worte können - wenn man sich ehrlich macht - nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pflege als Berufs- und Tätigkeitsfeld insgesamt in einer - zuweilen irritierend daherkommenden - nebulösen Sowohl-als-auch-Debatte festzuhängen scheint.

Auf der einen Seite gibt es durchaus einige und darunter sehr gewichtige pflegepolitische Entwicklungen, die ein hohes Aktivitätsniveau anzeigen. Das Bundesgesundheitsministerium beschreibt das so: »Durch zwei Pflegestärkungsgesetze will das Bundesgesundheitsministerium in dieser Wahlperiode deutliche Verbesserungen in der pflegerischen Versorgung umsetzen.« Mit dem ersten der beiden Gesetze wurden zum 1. Januar 2015 Leistungen erhöht, mehr Betreuungskräfte für stationäre Einrichtungen ermöglicht und ein - zu Recht sehr umstrittener - "Pflegevorsorgefonds" installiert. Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz soll am Ende dieser Wahlperiode ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren eingeführt werden. Damit nicht genug: Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), hat auf dem Pflegetag angekündigt, im Sommer einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert werden soll. Auf der anderen Seite leiden alle Bereiche der Pflege unter einer sich seit langem kontinuierlich zuspitzenden Personalmangelsituation, die zu enormen Frustrationen unter den Fachkräften und im Pflegealltag zu teilweise desaströsen Gefährdungssituationen führt (vgl. dazu nur am Beispiel der Nachtdienste in Krankenhäusern den Blog-Beitrag Man kann sich auch zu Tode sparen. Die alles überlagernde Kostensenkungslogik trifft in der Pflege beide Seiten der Medaille hart, die Patienten und die Pflegekräfte vom 07.03.2015). Aber damit nicht genug: Auch hinsichtlich der Frage einer stärkeren institutionellen Verselbständigung der Pflege gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Pflege sowie auseinanderlaufende Entwicklungen zwischen den Bundesländern.

Mittwoch, 11. März 2015

Das reale Leben und das Lehrbuch: Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Was mexikanische Saisonarbeiter mit deutschen Fernbusfahrern (nicht) gemeinsam haben

Im Lehrbuch ist es wenigstens noch übersichtlich: Auch auf dem Arbeitsmarkt geht es um Angebot und Nachfrage. Wobei auf diesem besonderen Markt wir, also die Individuen, die Anbieter sind und die Unternehmen sind die Nachfrager, was auf den anderen Märkten genau anders herum ist, denn da fragen wir Güter und Dienstleistungen nach (oder würden das vielleicht gerne tun) und die Unternehmen sind die Anbieter. Und die Ökonomen beschreiben dann in ihrer vereinfachenden Modellwelt ein Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, das einem simplen Muster folgen soll: Betrachtet man einen Markt in einem zweidimensionalen Gebilde von Menge und Preis, dann gilt in der Regel die Formel: Je höher der Preis von etwas, desto geringer ist die Nachfrage und desto höher ist das Angebot. Das gilt sicher auf vielen "normalen" Märkten, aber nicht auf allen, man denke beispielsweise an Apple-Produkte, wo es eher in Richtung Luxusgüter geht, also je höher der Preis, desto größer die Nachfrage. Aber Abweichungen vom Standardmodell gibt es immer und es soll hier auch gar nicht die Verwegenheit einer Übertragung dieses einfachen Angebots-Nachfrage-Modells auf die vielen Arbeitsmärkten diskutiert werden, das haben Keynesianer, Post-Keynesianser und auch dem normalen Verstand folgende Ökonomen hinlänglich getan. Es geht um etwas anderes.

Montag, 9. März 2015

Sozialstaat von unten: Was hat das Jobcenter mit einem U-Boot im Kalten Krieg gemeinsam? Das "Vier-Augen-Prinzip". Und wie Krankenkassen vor Gericht gezwungen werden müssen, auch für Obdachlose zu zahlen

»Sowohl in der Sowjetunion als auch in den USA galt im Kalten Krieg das Zwei-Mann-Prinzip für den Einsatz von Atomwaffen auf U-Booten. In den USA mussten sowohl der Commanding Officer als auch der Executive Officer den Befehl zum Einsatz von Atomwaffen authentifizieren, auf sowjetischen U-Booten übernahmen diese Aufgabe der Kommandant und der Politoffizier.« So kann man es zumindestens einem Artikel über das Vier-Augen-Prinzip entnehmen. Dabei geht es hier im ersten Teil um Jobcenter. Was haben die denn mit dem Kalten Krieg zu tun? Eben, das Vier-Augen-Prinzip. Bereits Anfang Februar dieses Jahres berichtete die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift Vier Augen sehen mehr als zwei: Seit Jahresbeginn gilt bei den Jobcentern der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen ein neues Vier-Augen-Prinzip: Wird zum Beispiel Geld an einen Hartz-IV-Empfänger überwiesen, muss dies ein zweiter Mitarbeiter überprüfen. 2014 zahlte die Bundesagentur für Arbeit für die mehr als 300 Jobcenter, die sie gemeinsam mit den Kommunen führt, knapp 15 Milliarden Euro an Hartz-IV-Empfänger aus. Gut 20 Millionen Hartz-IV-Bescheide verschickt die Behörde im Jahr. Das ist eine Menge Steuergeld und da kann man erwarten, dass es Missbrauchsversuche hinter dem Schalter geben wird, denen man mit Kontrolle versuchen kann und sollte, zu begegnen. Und vier Augen sehen tendenziell besser als nur zwei. Und es ist nicht überraschend, dass das auch bisher schon zur Anwendung kam, dieses Prinzip. »Bei bestimmten Auszahlungen, zum Beispiel bei einer Überweisung von einmalig mehr als 2500 Euro, soll stets ein Mitarbeiter prüfen, ob der Kollege die Leistung zuvor richtig berechnet hat, bevor das Geld transferiert wird«, so Thomas Öchsner in seinem Artikel. Und was ist jetzt neu? Seit dem 1. Januar muss in jedem Fall - und sei er noch so geringfügig - ein Zweiter über die Arbeit seines Kollegen schauen. Bei allen zahlungsrelevanten Fällen. Schon damals hatten die Personalräte davor gewarnt, dass das zu erheblichen Problemen führen wird, was jetzt offensichtlich der Fall ist.

Sonntag, 8. März 2015

Ist der Internationale Frauentag zum Valentinstag degeneriert? Auf alle Fälle: Jenseits der wenigen Aufsichtsräte spielt sich das wahre Leben ab. Und da geht es oft um über die Runden kommen


Heute ist der Internationale Frauentag - viele salbungsvolle Worte sind gesprochen worden. Und die Verabschiedung der Frauenquote im Bundestag am Freitag (Fußnote: Einer Quote für die Besetzung von Aufsichtsräten in gut 100 großen, börsennotierten Konzernen;vgl. dazu bereits kritisch Erde an Raumschiff Berlin: Die Geschlechterfrage ist weitaus komplexer als man zu glauben meint zu müssen. Vor allem für die vielen unterhalb der Aufsichtsräte sehr großer Unternehmen) wurde dann als passender Beweis des Fortschritts in der "Frauenfrage" herausgestellt. Auf Twitter gab es dazu von Frank Lübberding einen durchaus nachdenklich stimmenden Tweet.  Der Frauentag auf dem Niveau vom Valentinstag? Eine solche Be- und Abwertung muss man nicht teilen, sehr wohl sollte aber die Perspektive auf die vielen Frauen, die niemals in die Nähe von Aufsichtsratspöstchen kommen werden, sondern deren Hauptbeschäftigung darin besteht, irgendwie über die Runden zu kommen, in den Mittelpunkt gestellt werden. Und gerade für die unter den geschätzt 99,9% der Frauen könnte man viele Beispiele finden.

Samstag, 7. März 2015

Man kann sich auch zu Tode sparen. Die alles überlagernde Kostensenkungslogik trifft in der Pflege beide Seiten der Medaille hart, die Patienten und die Pflegekräfte

Es geht - wieder einmal - um die Folgen des ungebrochenen Kostensenkungswahnsinns in der Pflege. Um es gleich voranzustellen: Nichts ist einzuwenden, wenn man Abläufe und Strukturen so organisiert, dass sie effizienter werden, wie das immer heißt. Allerdings gibt es - darüber sollte man sich bewusst sein - ein letztendlich unauflösbares Dilemma zwischen Effizienz und Effektivität, also die Wirksamkeit des Handelns wird ab einem bestimmten Punkt von Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit negativ tangiert. Das ist schon in der auf Optimalabläufe ausgerichteten Industrie so und das gilt erst recht für personenbezogene  Dienstleistungen, zu denen die Pflege gehört. Und gerade die Pflege zeichnet sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus durch "unangenehme" Strukturmerkmale dieses Handlungsfeldes, aus strukturellen Gründen unabweisbar muss es hier grundsätzlich nicht-optimierbare Leerkosten geben, denn ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim sind keine durchrationalisierbaren Produktionsstätten. Und sie sollten es auch nicht sein. Sie werden aber immer öfter als solche in einen Krieg getrieben, den die dort arbeitenden Menschen wie auch die den dortigen Verhältnissen ausgelieferten Patienten nur verlieren können. Und das hat viel zu tun mit dem aus der alles überlagernden Kostenssenkungslogik resultierenden Rationalisierungsdruck beim Personal.

Erde an Raumschiff Berlin: Die Geschlechterfrage ist weitaus komplexer als man zu glauben meint zu müssen. Vor allem für die vielen unterhalb der Aufsichtsräte sehr großer Unternehmen

Der 6. März 2015 ist ein "historischer" Tag. Das behauptet immerhin der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der sich in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zu diesem Satz hat hinreißen lassen: „Die Frauenquote für Führungskräfte ist der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit Einführung des Frauenwahlrechts.“ Und an einem "historischen" Tag verabschiedet man nicht weniger als ein "historisches" Gesetz. Was ist hier passiert? Schauen wir uns die darüber aufklärende Mitteilung des Deutschen Bundestages an - und auch wenn das trocken daherkommt und ohne irgendeinen historischen Kolorit kann man eine Menge herauslesen: »Frauenquote für Führungspositionen beschlossen: Bei Enthaltung der Opposition hat der Bundestag am 6. März den Gesetzentwurf der Bundesregierung für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (18/3784, 18/4053) in der vom Familienausschuss geänderten Fassung (18/4227) angenommen.

Damit wird eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr 2016 neu besetzt werden, eingeführt. Ab 2018 soll der Frauenanteil auf 50 Prozent erhöht werden. Börsennotierte sowie mitbestimmungspflichtige Unternehmen werden verpflichtet, ab 30. September 2015 verbindliche Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteils im Aufsichtsrat, im Vorstand und in den obersten Management-Ebenen festzulegen. Die gesetzlichen Regelungen für den öffentlichen Dienst des Bundes (Bundesgremienbesetzungsgesetz und Bundesgleichstellungsgesetz) werden novelliert, wobei im Wesentlichen die Vorgaben zur Geschlechterquote und zur Festlegung von Zielgrößen in der Privatwirtschaft widergespiegelt werden. Der Familienausschuss hatte den Regierungsentwurf so verändert, dass die Unternehmen nicht wie geplant jährlich, sondern erst nach Ablauf der Frist über die Einhaltung der selbst festgelegten Zielgrößen berichten müssen. Dies soll den Bürokratieaufwand senken. Zudem soll die Geschlechterparität nicht für alle Ebenen der Bundesverwaltung gelten. Eingegriffen werden soll nur, wenn eine strukturelle Benachteiligung von Frauen vorliegt.«

Donnerstag, 5. März 2015

Schwer umsetzbar, verfassungsrechtlich heikel, politisch umstritten – das ist noch nett formuliert. Das Gesetz zur Tarifeinheit und ein historisches Versagen durch „Vielleicht gut gemeint, aber das Gegenteil bekommen“

Eine notwendige Vorbemerkung getreu dem Motto: Manchmal hilft der Blick ins Gesetz, in diesem Fall sogar in die Verfassung:

»Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden« (Artikel 9 Abs. 3 GG).

Die Rückversicherung auf das, was im Grundgesetz im Artikel 9 Absatz 3 normiert ist, macht Sinn vor dem Hintergrund, dass am heutigen 5. März 2015 im Deutschen Bundestag die erste Lesung des Gesetzes zur Tarifeinheit stattfinden wird. Der Bundestag selbst teilt uns dazu in seiner Vorschau auf die Plenarwoche mit: »Das Ziel, Tarifkonflikte mehrerer Gewerkschaften in einem Betrieb zu verhindern, verfolgt die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf (18/4062), der ab 12.30 Uhr auf der Tagesordnung steht. Es gehe darum, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, schreibt die Bundesregierung. Diese wird aus ihrer Sicht gefährdet, wenn in einem Unternehmen mehrere Gewerkschaften für eine Berufsgruppe Tarifabschlüsse durchsetzen wollen und es dabei zu „Kollisionen“ kommt, die der Aufgabe der Ordnung des Arbeitslebens nicht mehr gerecht werden können, begründet die Regierung ihren Vorstoß. Das Gesetz sieht nun vor, die Tarifeinheit in einem Betrieb im Falle von Konflikten nach dem Mehrheitsprinzip zu ordnen. Können sich Gewerkschaften mit sich überschneidenden Tarifverträgen nicht einigen, soll künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat.«

Mittwoch, 4. März 2015

Die Republik stand still im vergangenen Jahr. Wegen kleinen, aber kampfstarken Gewerkschaften und vieler Streiks. Wirklich?


Für das gerade abgelaufenen Jahr 2014 müsste ein unbefangener, von außen kommender Betrachter unseres Landes, der sich vor allem aus den Medien informiert, eindeutig zu dem Befund kommen, dass Deutschland von gewaltigen Streikwellen durchzogen wurde. Gleichsam eine blockierte Republik, in der sich streikende Lokführer und Piloten die Türklinke in die Hand gegeben haben, teilweise haben sie sogar gleichzeitig gestreikt. Und war da nicht auch was bei Amazon gewesen? Und Warnstreikwellen im öffentlichen Dienst? Nicht nur, aber auch vor dem Hintergrund der Arbeitskampfaktionen der Lok- und Flugzeugführer wird nun im Deutschen Bundestag debattiert werden über ein Gesetzentwurf zur "Tarifeinheit", mit der man explizit die kleinen aufsässigen Spartengewerkschaften zur Räson bringen will.

Aber stimmt diese Impression eigentlich? Schauen wir auf die Daten, die vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) als "WSI-Arbeitskampfbilanz 2014" der Öffentlichkeit präsentiert wurden: Deutlich geringeres Streikvolumen, anhaltend viele Konflikte - so ist die Veröffentlichung des WSI dazu überschrieben worden. Allein schon dieser Titel irritiert. Deutlich geringeres Streikvolumen? Der erste, wichtige Befund aus der neuen Streikbilanz: Während sich die Gesamtzahl der Konflikte kaum veränderte, gingen das Streikvolumen und die Zahl der an Streiks Beteiligten im Vergleich zu 2013 deutlich zurück, so das WSI. Wie kann das zustande kommen?

Dienstag, 3. März 2015

Wie die Dinge zusammenhängen: Wenn Polen in Finnland ein Kraftwerk bauen, im Frankfurter Flughafen die Putzkräfte streiken, Leiharbeitern in der Pflege ein Tausender im Monat verloren geht und S-Bahnhöfe von Arbeitskräften befreit werden

Beginnen wir mit der Rechtssache C-396/13. Das ist ein Aktenzeichen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und der spricht sich gegen Lohndumping bei entsandten Beschäftigten aus. Das Gericht ist mit Urteil vom 15.02.2015 zu dem Ergebnis gekommen, dass Arbeitnehmern entsprechend der geltenden Kollektivverträge bezahlt werden müssen, unabhängig davon in welchem EU-Mitgliedsstaat der Arbeitgeber seinen Sitz hat.  In dem vom EuGH zu beurteilenden Fall hatte ein polnisches Unternehmen seinen polnischen Arbeitnehmern, die in Finnland ein Kraftwerk errichteten, den örtlichen kollektivvertraglichen Mindestlohn, Urlaubszuschüsse und Zusatzleistungen vorenthalten. Das fand das EuGH nun gar nicht korrekt, denn es vertritt die Auffassung, dass sich Fragen, die den Mindestlohnsatz betreffen, nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaates, hier also Finnland, bestimmen. Die Pressemitteilung des EuGH ist folglich überschrieben mit Der Gerichtshof klärt den Begriff „Mindestlohnsatz“ entsandter Arbeitnehmer. Kurz zum Sachverhalt: ESA, ein polnisches Unternehmen, schloss in Polen nach polnischem Recht Arbeitsverträge mit 186 Arbeitnehmern und entsandte diese dann an ihre finnische Zweigniederlassung zur Ausführung von Elektroarbeiten auf der Baustelle des Kernkraftwerks Olkiluoto in Eurajoki, Finnland. Den Arbeitnehmern wurde der finnische Mindestlohn, der dort in allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen geregelt ist, vorenthalten. Dem hat der EuGH nun einen Riegel vorgeschoben. Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, dann hätten wir angesichts des enormen Wohlstands- und damit zusammenhängend auch Lohngefälles innerhalb der EU ein echtes Lohndumpingproblem durch die Inanspruchnahme deutlich billigerer Arbeitskräfte, die aus anderen EU-Ländern entsandt werden. So weit die gute Nachricht.

Montag, 2. März 2015

Der deutsche gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro ist nur Mittelmaß. Ist er das?


Das passt in die aktuelle Mindestlohn-Debatte: »Deutsche Unternehmer schimpfen auf den gesetzlichen Mindestlohn. Doch eine Studie zeigt: Mit 8,50 Euro liegt die Bundesrepublik international nur im Mittelfeld«, kann man dem Artikel Deutscher Mindestlohn ist nur Mittelmaß entnehmen. Als Nachzügler - in 22 der 28 EU-Staaten gilt nun ein gesetzlicher Mindestlohn - hat Deutschland seit Januar 2015 eine solche allgemeine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro eingeführt, die für fast alle gilt und der erstmals wieder zum Januar 2017, also in gut zwei Jahren, angepasst werden kann, nachlaufend zur Tariflohnentwicklung der Vergangenheit. In 16 Staaten sei die gesetzliche Lohnuntergrenze zum 1. Januar gestiegen, berichtet der neue Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), auf den sich der Artikel bezieht: »Der höchste Mindestlohn wird demnach in Luxemburg bezahlt, wo er zu Jahresbeginn ... auf 11,12 Euro kletterte. Den zweithöchsten Mindestlohn gibt es mit 9,61 Euro in Frankreich ... Auch andere deutsche Nachbarn hoben ihre Lohnuntergrenze an, darunter die Niederlande auf 9,21 Euro und Belgien auf 9,10 Euro.« Und da streiten wir uns über 8,50 Euro in der stärksten Volkswirtschaft der EU? Schauen wir etwas genauer hin.

Sonntag, 1. März 2015

Tiefen und Untiefen des Mindestlohns. Komplizierte Fragen, wenig Zeit und deshalb der Verweis auf das, was schon geschrieben wurde


Natürlich ist es immer schwierig, in einer Talksendung komplizierte Sachverhalte ausreichend genau darzustellen oder gar erschöpfend zu behandeln - und auch wenn man das eine oder andere sagen kann, bleiben angesichts der (partei)politischen Aufladung des Themas Mindestlohn zahlreiche offene Fragen. Da ich heute zu Gast bin in der Talksendung von Günther Jauch (ARD, 21:45 Uhr) und mir sicher bin, dass die Zeit nicht ansatzweise ausreichen wird, um wichtige Punkte anzusprechen, habe ich nur die aktuellsten Beiträge zum Thema Mindestlohn, die ich hier in meinem Blog "Aktuelle Sozialpolitik" veröffentlicht habe, chronologisch sortiert und verlinkt, so dass jeder ein Blick werfen kann auf die ganz unterschiedlichen Aspekte und auch auf meine Einschätzungen und Bewertungen zu diesem mehr als kontroversen Thema. Und angesichts der aktuellen Debatte werden hier weitere Beiträge sicher kommen (müssen). Man greife aus den aktuellen Berichten nur einige wenige heraus: Mindestlohn sorgt bei der Klinikgesellschaft in Heiligenstadt für Ärger - es geht um die Sonn- und Feiertagszuschläge, die nicht auf den Mindestlohn im Hotelbereich angerechnet werden darf. »Daraus folgt bei der Klinikgesellschaft ... die Streichung der Sonn- und Feiertagszuschläge - ergo: Um Mindestlohn zahlen zu können, wird auf der anderen Seite gestrichen.« Die DGB-Hotline zum Mindestlohn hat eine Menge zu tun mit vielen Anrufern, die von zahlreichen Umgehungsversuchen berichten. Und selbst das angeblich zum deutschen Kulturgut zählende Oktoberfest in München wird - ebenfalls angeblich - vom Mindestlohngesetz bedroht: Mindestlohn: Schießen die Wiesn-Preise in die Höhe?, so muss man lesen, wobei der eine oder andere sich dunkel erinnern wird, dass der Bierpreis bislang immer verlässlich gestiegen ist, auch in den Prä-Mindestlohngesetz-Zeiten.