Die Diskussion über die Zustände in vielen Krankenhäusern schaffte es wieder einmal für einen kurzen, viel zu vergänglichen Moment an die Oberfläche des Stroms der medialen Aufmerksamkeit - ausgelöst durch das Team Wallraff, die am 11. Januar 2016 bei RTL mit der Reportage Profit statt Gesundheit - wenn Krankenhäuser für Patienten gefährlich werden einen ausschnitthaften Eindruck vermitteln konnten, was da so abgeht. Die Nerven in Deutschlands Krankenhäusern liegen blank, so hatte Alexander Jürgs seine Besprechung der Reportage überschrieben: »Kurz gesagt: Diese Reportage ist ein Schock ... Für die RTL-Reihe "Team Wallraff" hat die Reporterin Pia Osterhaus undercover in drei deutschen Kliniken recherchiert. Als Pflegepraktikantin hat sie dort gearbeitet und den Alltag in den Krankenhäusern mit versteckter Kamera gefilmt. Viele dieser Szenen machen tatsächlich sprachlos.« In der Reportage tauchen auch die Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden auf, konfrontiert mit einer ganzen Reihe an Vorwürfen. Interessant ist dieser Fall auch deshalb, weil sich dieses Krankenhaus in Trägerschaft der Helios Kliniken GmbH befindet. 2014 hat der private Kleinbetreiber Helios 49 Prozent des Krankenhauses übernommen, 300 Stellen sind seitdem dort abgebaut worden. Kurz nach der Wallraff-Reportage wurde dann auch noch bekannt, dass extrem gefährliche MRSA-Keime auf der Neugeborenen-Station gefunden wurden. Dieses Haus ist in mehrfacher Hinsicht relevant für eine kritische Inaugenscheinnahme dessen, was sich derzeit in vielen Krankenhäusern abspielt. Das nicht nur, weil man hier die Folgen dessen studieren kann, was unter dem verharmlosend daherkommenden Begriff der "Ökonomisierung" der Kliniken immer wieder angegriffen wird, sondern auch, weil die gewinnorientierte Helios-Gruppe für den Trend einer um sich greifenden Privatisierung im deutschen Krankenhauswesen steht und immer wieder die Argumentation zu hören war und ist, die privaten, gewinnorientierten Betreiber können es einfach besser, also effizienter und effektiver, als andere.
Informationen, Analysen und Kommentare aus den Tiefen und Untiefen der Sozialpolitik
Sonntag, 31. Januar 2016
Samstag, 30. Januar 2016
Skelettöse Umverteilung: Aus dem Topf der völlig unterfinanzierten Eingliederungsmittel die auch unterfinanzierten Verwaltungskosten der Jobcenter mitfinanzieren
Das sind Artikel, bei denen der eine oder andere aufschreckt, die aber bei genauerer Prüfung nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs anzeigen: Schwere Vorwürfe gegen Arbeitsministerin Nahles, so hat Thomas Öchsner seinen Artikel in der Süddeutschen Zeitung überschrieben. Und weiter erfährt der schnelle Leser: »Die Grünen werfen Arbeitsministerin Nahles (SPD) vor, Mittel zur Förderung von Hartz-IV-Empfängern für die Jobcenter-Verwaltung umgewidmet zu haben. Das Ministerium bestätigt die Vorgänge.« Öchsner bezieht sich auf die grüne Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, die der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorwirft, für die Förderung und Qualifizierung von Hartz-IV-Empfängern und Langzeitarbeitslosen gedachte Fördermittel in Höhe von 330 Millionen Euro nachträglich, also erst nach den Haushaltsberatungen, in den Etat für Verwaltungskosten bei den Jobcentern gesteckt zu haben. Dazu wird Pothmer mit diesen Worten zitiert: "Das ist nicht nur eine De-facto-Kürzung der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Nahles hat mit dieser klammheimlichen Verschiebung auch die Öffentlichkeit getäuscht und die Haushaltshoheit des Parlaments untergraben".
Freitag, 29. Januar 2016
Riester in Rente und endlich eine "faire private Altersvorsorge"? Die "Deutschland-Rente" schafft es immerhin schon in den Bundestag
Es ist sicherlich keine Übertreibung, wenn man feststellt: Die Visionen und Versprechungen, die Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre mit der staatlich geförderten kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge den Menschen in Aussicht gestellt wurden, haben sich für die meisten in Luft aufgelöst. Und zahlreiche Bürger haben schmerzhafte Erfahrungen machen müssen mit ihrem Vertrauensvorschuss, den sie der Riester-Rente gegeben haben, ausgehend von der Annahme, dass das doch eine seriöse Sache sein muss, denn der Staat unterstützt das und pampert einen sogar mit Zuschüssen aus Steuermitteln. Das würde er doch nicht machen, wenn das nicht in Ordnung ist. Weit gefehlt. Maschmeyer & Co. waren (und sind) die Gewinner des Paradigmenwechsels, den man auch so beschreiben kann: »Zu Beginn des Jahrhunderts beschloss die rot-grüne Bundesregierung eine drastische Absenkung des Rentenniveaus. Bis Anfang der 2030er Jahre wird der allgemeine Leistungsstandard der gesetzlichen Rente demnach um rund 20 Prozent sinken. Staatlich geförderte betriebliche Altersversorgung sowie private Altersvorsorge sollen die im Solidarsystem politisch aufgerissene Sicherungslücke schließen.« (Johannes Steffen, Für eine Rente mit Niveau. Zum Diskurs um das Niveau der Renten und das Rentenniveau, Berlin, August 2015).
Mittlerweile sind wir schlauer, dass das bei vielen Betroffenen nicht der Fall sein wird. Nun könnte man auf den durchaus naheliegenden Gedanken kommen, den ganzen Prozess wieder in eine andere (richtige) Richtung zu drehen und die umlagefinanzierte Alterssicherung wieder auszubauen. Gewerkschaften wie die IG Metall oder ver.di planen für dieses Jahr entsprechende Rentenkampagnen, was aber ein eigenes Thema wäre. Oder aber man versucht, auf der Grundlage der mittlerweile vorliegenden zahlreichen Kritikpunkte einen neuen Vorstoß in die Welt der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge - und genau das versucht man unter dem Begriff "Deutschland-Rente" zu leisten.
Mittlerweile sind wir schlauer, dass das bei vielen Betroffenen nicht der Fall sein wird. Nun könnte man auf den durchaus naheliegenden Gedanken kommen, den ganzen Prozess wieder in eine andere (richtige) Richtung zu drehen und die umlagefinanzierte Alterssicherung wieder auszubauen. Gewerkschaften wie die IG Metall oder ver.di planen für dieses Jahr entsprechende Rentenkampagnen, was aber ein eigenes Thema wäre. Oder aber man versucht, auf der Grundlage der mittlerweile vorliegenden zahlreichen Kritikpunkte einen neuen Vorstoß in die Welt der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge - und genau das versucht man unter dem Begriff "Deutschland-Rente" zu leisten.
Mittwoch, 27. Januar 2016
(Auch) Sinnkrisen treiben Pflegekräfte aus ihrem Beruf - und nicht wenige in die Erwerbsminderungsrente
Es ist nicht allein eine als zu gering empfundene Entlohnung, die Pflegekräfte aus dem Beruf treibt. Vielmehr erleben viele Pflegende den Konflikt zwischen ihrem ursprünglichen Berufsideal und dem betrieblichen Alltag als so belastend, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben wollen oder können, so der Artikel Sinnkrisen treiben Pflegekräfte aus dem Beruf, der in der Online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts publiziert wurde. Dabei stützt man sich auf die Studie Erwerbsminderungsrenten in der Krankenpflege. Erklärungsansätze und Handlungsempfehlungen von Laura Schröder, die vom Institut für Arbeit und Technik (IAT) veröffentlicht wurde.
In der Diskussion über das Problem eines frühzeitigen Berufsausstiegs von Pflegekräften wird immer auf die (zu) hohe Arbeitsbelastung hingewiesen, die durch die Ökonomisierungsprozesse in den Krankenhäusern vorangetrieben und verschärft wird. In der Studie wird aber auch der Aspekt des Wandels des pflegerischen Berufsbildes aufgerufen. Die Studie kommt in der Zusammenführung der quantitativen und qualitativen Analyse zu dem Ergebnis, »dass die Beantragung einer EM-Rente als die individualisierte Lösung eines strukturellen Konfliktes gesehen werden (kann). Die Pflegekraft verlässt mit der gesellschaftlich legitimierten Begründung „schwere Krankheit“ das Berufsfeld. Die hohen Erwartungen durch die Berufsausbildung können in der „Fabrik Krankenhaus“ nicht mehr befriedigt werden. Durch die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist ein Wandel des Berufsbildes erkennbar, welcher das berufliche Selbstverständnis der Pflegenden in Frage stellt und dazu führt, dass eigene Ansprüche sogar trotz erhöhtem Engagement nicht mehr befriedigt werden können. Für Pflegekräfte, welche es sich aufgrund partnerschaftlicher Absicherung finanziell leisten können, kann die Beantragung einer EM-Rente eine Möglichkeit des Ausstiegs sein.« (Schröder 2016: 15).
In der Diskussion über das Problem eines frühzeitigen Berufsausstiegs von Pflegekräften wird immer auf die (zu) hohe Arbeitsbelastung hingewiesen, die durch die Ökonomisierungsprozesse in den Krankenhäusern vorangetrieben und verschärft wird. In der Studie wird aber auch der Aspekt des Wandels des pflegerischen Berufsbildes aufgerufen. Die Studie kommt in der Zusammenführung der quantitativen und qualitativen Analyse zu dem Ergebnis, »dass die Beantragung einer EM-Rente als die individualisierte Lösung eines strukturellen Konfliktes gesehen werden (kann). Die Pflegekraft verlässt mit der gesellschaftlich legitimierten Begründung „schwere Krankheit“ das Berufsfeld. Die hohen Erwartungen durch die Berufsausbildung können in der „Fabrik Krankenhaus“ nicht mehr befriedigt werden. Durch die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist ein Wandel des Berufsbildes erkennbar, welcher das berufliche Selbstverständnis der Pflegenden in Frage stellt und dazu führt, dass eigene Ansprüche sogar trotz erhöhtem Engagement nicht mehr befriedigt werden können. Für Pflegekräfte, welche es sich aufgrund partnerschaftlicher Absicherung finanziell leisten können, kann die Beantragung einer EM-Rente eine Möglichkeit des Ausstiegs sein.« (Schröder 2016: 15).
Dienstag, 26. Januar 2016
Krankheit und ihre Kosten. Und wo Gewinner sind, müssen Verlierer sein. Krebspatienten und die PKV als "Lohnnebenkostensenker"
Diagnose: Krebs. Das ist für jeden ein großer Schock. Für die Betroffenen ist es dann wichtig, dass sie sich darauf konzentrieren können, wieder gesund zu werden - wenn sie denn überhaupt eine Chance haben. Die Krankheit hat für viele Patienten aber auch finanziell erhebliche Konsequenzen.
Darüber berichtet dieser Beitrag: Armutsrisiko Krankheit.
Wie schnell man abstürzen kann, vermittelt dieses Beispiel aus dem Beitrag:
»Frühjahr 2015: Ein Mann, Mitte 30, geht nach gesundheitlichen Beschwerden zum Arzt. Er hat drei Kinder und ist zu diesem Zeitpunkt der Hauptverdiener in seiner Familie. Im Monat verdient er etwa 2.600 Euro. Dann erhält er die Diagnose – er hat Krebs. Weil der Vater deshalb länger nicht arbeiten kann, bekommt er zunächst Krankengeld, also etwa zwei Drittel seines Einkommens. Eigentlich kann man dieses Krankengeld bis zu anderthalb Jahre lang bekommen. Aber in der Praxis sieht das anders aus, erklärt der Leiter des Sozialdienstes am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, Jürgen Walther.
"Theoretisch ja, aber faktisch ist das nicht so. Wenn sich vorher bestätigt, dass die Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, dann kann die Krankenkasse dafür sorgen, dass dieser Mensch aus dem Krankengeld in die Erwerbsminderungsrente geht. Und wenn jemand ein normales durchschnittliches Einkommen hatte, dann ist diese Belastung oftmals extrem hoch." Auch bei dem mehrfachen Vater meldet sich die Krankenkasse und stellt fest – er soll in Zukunft Erwerbsminderungsrente erhalten. Das bedeutet für ihn etwas mehr als 1.000 Euro im Monat.«
Das ist leider kein Einzelfall: »Im Jahr 2014 sind rund 20.000 Krebskranke in die Erwerbsminderungsrente gerutscht. Die lag dort durchschnittlich unter der Armutsgrenze, also bei weniger als 980 Euro im Monat.«
Darüber berichtet dieser Beitrag: Armutsrisiko Krankheit.
Wie schnell man abstürzen kann, vermittelt dieses Beispiel aus dem Beitrag:
»Frühjahr 2015: Ein Mann, Mitte 30, geht nach gesundheitlichen Beschwerden zum Arzt. Er hat drei Kinder und ist zu diesem Zeitpunkt der Hauptverdiener in seiner Familie. Im Monat verdient er etwa 2.600 Euro. Dann erhält er die Diagnose – er hat Krebs. Weil der Vater deshalb länger nicht arbeiten kann, bekommt er zunächst Krankengeld, also etwa zwei Drittel seines Einkommens. Eigentlich kann man dieses Krankengeld bis zu anderthalb Jahre lang bekommen. Aber in der Praxis sieht das anders aus, erklärt der Leiter des Sozialdienstes am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, Jürgen Walther.
"Theoretisch ja, aber faktisch ist das nicht so. Wenn sich vorher bestätigt, dass die Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, dann kann die Krankenkasse dafür sorgen, dass dieser Mensch aus dem Krankengeld in die Erwerbsminderungsrente geht. Und wenn jemand ein normales durchschnittliches Einkommen hatte, dann ist diese Belastung oftmals extrem hoch." Auch bei dem mehrfachen Vater meldet sich die Krankenkasse und stellt fest – er soll in Zukunft Erwerbsminderungsrente erhalten. Das bedeutet für ihn etwas mehr als 1.000 Euro im Monat.«
Das ist leider kein Einzelfall: »Im Jahr 2014 sind rund 20.000 Krebskranke in die Erwerbsminderungsrente gerutscht. Die lag dort durchschnittlich unter der Armutsgrenze, also bei weniger als 980 Euro im Monat.«
Montag, 25. Januar 2016
Vermeiden ist gut. Vor allem, wenn es um den Verlust des Arbeitsplatzes geht. Gewerkschaftliche Vorschläge zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)
Die allermeisten Arbeitnehmer sind auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft und die daraus erzielbaren Einnahmen existenziell angewiesen. Um so härter trifft sie dann der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Und bei den personenbedingte Kündigungen geht es am häufigsten um Langzeit-Erkrankungen, die Auslöser für den Jobverlust sind. Insofern ist es mehr als folgerichtig, diese Eskalation wenn es irgendwie geht zu vermeiden. Der Gesetzgeber hat dafür als ein Präventionsinstrument im Jahr 2004 auf Betreiben der Gewerkschaften das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) als § 84 Abs. 2 SGB IX eingeführt. Ein fast schon lehrbuchhaftes Beispiel für einen Regelungsansatz, der wirklich gut gemeint ist, wenn man die existenzielle Bedeutung von Erwerbsarbeit im Hinterkopf hat. Das SGB IX ist das Sozialgesetzbuch, das sich mit der "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" beschäftigt und der § 84 steht unter der allgemein gehaltenen Überschrift "Prävention".
Sonntag, 24. Januar 2016
Vom Wert der Sozialversicherung und einem veritablen Marktversagen der privaten Versicherungswirtschaft: Die Berufsunfähigkeit und ihre (Nicht-)Absicherung
Es war und ist immer noch ein beliebtes Spiel - das Schlechtreden der guten alten Sozialversicherung als ein antiquiertes Instrument, zudem finanziell nicht mehr tragbar und parallel dazu der alternative Verweis auf die "Eigenvorsorge", die wir statt dessen verstärkt betreiben sollen (als wäre es keine Vorsorge, wenn man Beiträge an die Sozialversicherung leistet). Nun haben sich die parallel zu dem Sozialversicherungs-Bashing immer gerne angestimmten Jubelgesänge auf die - angeblich - viel effizientere und mit deutlich höheren Renditen operierende private Versicherungswirtschaft merklich gelegt, nicht nur durch die Entzauberung der Renditeversprechen im Kontext der großen Finanzkrise 2008 ff. und der seitdem gegebenen Niedrigzinswelt, sondern weil viele Bürger mit der Riester-Rente und anderen Vorsorgeformaten auf dem (staatlich über Steuermittel gepamperten) Versicherungsmarkt schmerzhafte Realitätserfahrungen haben machen müssen. Beispielsweise die Lernerfahrung, dass zwischen den "Verwaltungskosten" in den öffentlich vielgescholtenen Sozialversicherungen und dem, was private Versicherungen so einbehalten, enorme Unterschiede liegen. Nicht zugunsten der Versicherten, die sich den privaten Versicherungen verschreiben haben bzw. das tun mussten.
Und die Berufsunfähigkeit ist ein Paradebeispiel für ein Lebensrisiko, das mal sozialversicherungsförmig in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert war und das dann durch eine politische Entscheidung für alle, die ab 1961 geboren wurden, privatisiert worden ist. Es gibt hier also gar keine Alternative mehr zur privaten Versicherungslösung, wenn man dieses Risiko absichern möchte oder meint zu müssen. Und schon sind wir mittendrin in einem Lehrbuchbeispiel für die These, was es bedeutet, wenn man bei zentralen Lebensrisiken mit einem eklatanten Marktversagen konfrontiert wird und warum eine Renaissance sozialversicherungsförmiger Absicherung eine echte Alternative wäre, die man politisch - also wenn man wollte - nutzen könnte.
Und die Berufsunfähigkeit ist ein Paradebeispiel für ein Lebensrisiko, das mal sozialversicherungsförmig in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert war und das dann durch eine politische Entscheidung für alle, die ab 1961 geboren wurden, privatisiert worden ist. Es gibt hier also gar keine Alternative mehr zur privaten Versicherungslösung, wenn man dieses Risiko absichern möchte oder meint zu müssen. Und schon sind wir mittendrin in einem Lehrbuchbeispiel für die These, was es bedeutet, wenn man bei zentralen Lebensrisiken mit einem eklatanten Marktversagen konfrontiert wird und warum eine Renaissance sozialversicherungsförmiger Absicherung eine echte Alternative wäre, die man politisch - also wenn man wollte - nutzen könnte.
Samstag, 23. Januar 2016
Der real existierende Fachkräftemangel lässt sich hier besichtigen: Personalmangel in vielen Kindertageseinrichtungen schon unter den herrschenden Bedingungen
War da nicht mal was vor einiger Zeit? Nein, nicht die Griechenland-Debatte, die war auch mal und ist jetzt irgendwie weg, sondern sozial- und bildungspolitisch hoch relevant für das tägliche Leben der normalen Menschen die Debatte über einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr und der Fachkräftemangel in den Kindertageseinrichtungen. Erst diese Tage wieder gab es mal ein kurzes Aufflackern, als in den Medien berichtet wurde, dass einige Verbände immer noch ein Bundesqualitätsgesetz für den Kita-Bereich fordern und die Studie eines renommierten Verfassungsrechtlers habe ergeben, dass der Bund das auch machen dürfte - wenn er denn wollte.
Aber dieser Bericht aus der Boom-Stadt München verdeutlicht, wo die realen Probleme liegen, gerade in den (groß)städtischen Räumen liegen, in denen der Bedarf an Kindertagesbetreuung besonders groß ist (und zugleich weiter ansteigt): Es fehlt vorne und hinten an Personal - wohlgemerkt zu den heutigen Bedingungen, also zu Personalschlüsseln, die in der Fachdiskussion gerade bei den kleinen Kindern als eindeutig zu schlecht gebrandmarkt werden.
Später offen, früher zu, so hat Melanie Staudinger ihren Artikel in der Süddeutschen Zeitung überschrieben.
Aber dieser Bericht aus der Boom-Stadt München verdeutlicht, wo die realen Probleme liegen, gerade in den (groß)städtischen Räumen liegen, in denen der Bedarf an Kindertagesbetreuung besonders groß ist (und zugleich weiter ansteigt): Es fehlt vorne und hinten an Personal - wohlgemerkt zu den heutigen Bedingungen, also zu Personalschlüsseln, die in der Fachdiskussion gerade bei den kleinen Kindern als eindeutig zu schlecht gebrandmarkt werden.
Später offen, früher zu, so hat Melanie Staudinger ihren Artikel in der Süddeutschen Zeitung überschrieben.
Freitag, 22. Januar 2016
Wenn Pauschalisten plötzlich richtig eingestellt werden: Scheinselbständigkeit im Journalismus und deren Eindämmung. Möglicherweise aufgrund eines Gesetzentwurfs, der noch feststeckt im politischen Betrieb
Es kann durchaus erfreulich sein, hin und wieder nachzuschauen, was denn aus dem geworden ist, worüber berichtet wurde. Konnte das Problem beseitigt bzw. zumindest reduziert werden? Konkret: Es geht um eine gute Nachricht für Journalisten, die den "besonderen" Arbeitsbedingungen in der Medienlandschaft ausgesetzt sind. Von denen viele als prekäre Beschäftigungsformen daherkommen. Die waren Gegenstand des Beitrags Das große Durcheinander auf dem Arbeitsmarkt - und die vielen Baustellen jenseits des Gewohnten. Von Crowdworkern, Pauschalisten, der ominösen Industrie 4.0 und dem Kampf um feste Strukturen in Zeiten zunehmender Verflüssigung von Arbeit vom 16. Juli 2015. Noch konkreter: Es geht hier um die "Pauschalisten" in den Redaktionsstuben vieler Medien.
Zur Erinnerung: Die Leiharbeiter des Journalismus, so haben Anne Fromm, Jürn Kruse und Anja Krüger ihren Artikel über das Problem Scheinselbständigkeit von Journalisten überschrieben. Sie berichten über das System der "Pauschalisten" oder "feste Freie", ohne die kaum etwas bei Tageszeitungen und News-Seiten gehen würde. »Pauschalisten erledigen in vielen Zeitungen die tägliche Arbeit, die notwendig ist, damit ihre Zeitung, ihre Nachrichtenseite Tag für Tag in der gewohnten Qualität erscheint. Sie schreiben und recherchieren, redigieren Texte anderer Autoren, planen und bestücken die Seiten, sind blattmacherisch tätig, bestimmen die Themen, über die berichtet wird und betreuen Praktikanten. Festangestellte Mitarbeiter, für die der Verlag ganz regulär Sozialversicherungsbeiträge abführt, Redakteure genannt, sind sie trotzdem nicht.« Die betriebswirtschaftlichen Vorteile für die Verlage liegen auf der Hand, vor allem aufgrund der dadurch nicht vorhandenen Arbeitgeberpflichten und des Kostenvorteils durch nicht zu zahlende Sozialabgaben.
Zur Erinnerung: Die Leiharbeiter des Journalismus, so haben Anne Fromm, Jürn Kruse und Anja Krüger ihren Artikel über das Problem Scheinselbständigkeit von Journalisten überschrieben. Sie berichten über das System der "Pauschalisten" oder "feste Freie", ohne die kaum etwas bei Tageszeitungen und News-Seiten gehen würde. »Pauschalisten erledigen in vielen Zeitungen die tägliche Arbeit, die notwendig ist, damit ihre Zeitung, ihre Nachrichtenseite Tag für Tag in der gewohnten Qualität erscheint. Sie schreiben und recherchieren, redigieren Texte anderer Autoren, planen und bestücken die Seiten, sind blattmacherisch tätig, bestimmen die Themen, über die berichtet wird und betreuen Praktikanten. Festangestellte Mitarbeiter, für die der Verlag ganz regulär Sozialversicherungsbeiträge abführt, Redakteure genannt, sind sie trotzdem nicht.« Die betriebswirtschaftlichen Vorteile für die Verlage liegen auf der Hand, vor allem aufgrund der dadurch nicht vorhandenen Arbeitgeberpflichten und des Kostenvorteils durch nicht zu zahlende Sozialabgaben.
Betriebsräte und die Mühen der Ebene, die ewige Machtasymmetrie zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern und die handfesten Folgen von (Nicht-)Tarifbindung
Jede zweite Brille in Deutschland ist von Fielmann. Der Konzern produziert nicht im Ausland, sondern im brandenburgischen Rathenow. 3,5 Millionen Brillen allein im letzten Jahr. Innerhalb von zwei Tagen, so das Versprechen an die Kunden, wird die neue Brille geliefert: Modische Modelle für wenig Geld. Andere Brillenhersteller können da kaum mithalten: Fielmann ist der unumstrittene Marktführer und hat nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz, Österreich und Italien Filialen. Nach einem Rekordumsatz in 2014 hat die Aktiengesellschaft mehr als 134 Millionen Euro Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet. Das Unternehmen hat knapp 17.000 Mitarbeiter.
Die produzieren also sogar in Deutschland, dann auch noch in Ostdeutschland, wo solche Arbeitsplätze dringend gebraucht werden. Eine echte Erfolgsgeschichte.
Aber wie so oft eine mit zwei Seiten. Der Beitrag Fielmann: Überstunden und Niedriglöhne von work-watch (www.brennpunkt-betrieb.de) wirft ein wenig Licht auf die so gar nicht glänzende andere Seite der Erfolgsstory.
»Viele der 1000 Beschäftigten des Produktions- und Logistikzentrums der hundertprozentigen Konzerntochter Rathenower Optische Werke, einem Betrieb ohne Tarifbindung, teilen diese Sicht nicht: Sie klagen über befristete Arbeitsverträge, kurzfristig anberaumte Überstunden, schlechte Bezahlung auf Mindestlohnniveau, hohen Arbeitsdruck und eine Betriebsatmosphäre, die von Angst geprägt ist. In der Montage werden zum Beispiel Stückzahllisten und „Bruchlisten“ über defekte Brillen geführt. Sogenannten „Minderleistern“ – also denen, die ihre Vorgaben nicht erfüllen – droht dann ein Gespräch mit dem Vorgesetzten. Vor allem die überbordende Arbeitszeit – manchmal mehr als 50 Stunden in der Woche – führte zur Unzufriedenheit in der Belegschaft.«
Die produzieren also sogar in Deutschland, dann auch noch in Ostdeutschland, wo solche Arbeitsplätze dringend gebraucht werden. Eine echte Erfolgsgeschichte.
Aber wie so oft eine mit zwei Seiten. Der Beitrag Fielmann: Überstunden und Niedriglöhne von work-watch (www.brennpunkt-betrieb.de) wirft ein wenig Licht auf die so gar nicht glänzende andere Seite der Erfolgsstory.
»Viele der 1000 Beschäftigten des Produktions- und Logistikzentrums der hundertprozentigen Konzerntochter Rathenower Optische Werke, einem Betrieb ohne Tarifbindung, teilen diese Sicht nicht: Sie klagen über befristete Arbeitsverträge, kurzfristig anberaumte Überstunden, schlechte Bezahlung auf Mindestlohnniveau, hohen Arbeitsdruck und eine Betriebsatmosphäre, die von Angst geprägt ist. In der Montage werden zum Beispiel Stückzahllisten und „Bruchlisten“ über defekte Brillen geführt. Sogenannten „Minderleistern“ – also denen, die ihre Vorgaben nicht erfüllen – droht dann ein Gespräch mit dem Vorgesetzten. Vor allem die überbordende Arbeitszeit – manchmal mehr als 50 Stunden in der Woche – führte zur Unzufriedenheit in der Belegschaft.«
Donnerstag, 21. Januar 2016
Verloren im Niemandsland zwischen Dauer-Hartz IV-Bezug und einem - oft nur kurzen - Job. Und dann noch Förderprogramme, die nicht wirklich funktionieren können. Aber auch kleine Lichtblicke
Kaum Jobchancen für Langzeitarbeitslose, so hat Stefan Sauer seinen Artikel dazu überschrieben und er bezieht sich auf eine Analyse von Wilhelm Adamy, der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Vgl. dazu den Beitrag "Von der Arbeitsmarktpolitik vernachlässigt: Langzeitarbeitslose – Warum ihre Zahl seit fünf Jahren stagniert", in: Soziale Sicherheit, Heft 12/2015, S. 446 ff.
Die bittere Zusammenfassung: »Nur sehr wenige Langzeitarbeitslose finden dauerhaft eine reguläre Stelle. Wenn sie einen Job erhalten, ist er oft so schlecht bezahlt, dass die Menschen weiterhin auf staatliche Hilfen angewiesen sind.«
Mittwoch, 20. Januar 2016
Die Vermeidung von Ghettoisierung durch Landverschickung? Residenzpflicht, Wohnsitzauflage: Zur Diskussion über eine Einschränkung der Wohnortwahl für Flüchtlinge
„Es ist nicht gut, wenn sich fast alle anerkannten Flüchtlinge und Asylbewerber in wenigen Städten und Ballungsräumen konzentrieren, denn dann wird die Integration dort schwieriger.“ Mit diesen Worten wird die Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen und zugleich Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse (CDU), in dem Artikel Städtetagpräsidentin befürwortet Residenzpflicht zitiert. Und viele werden dieser Aussage auf der allgemein gehaltenen Ebene sicher voll zustimmen können. Man muss sich nur die erheblichen Probleme anschauen, die man in bestimmten Städten in bestimmten Stadtteilen hat. Und wenn nun auch noch die vielen Flüchtlinge in nur wenige meist größere Städte drängen, in denen wir bereits vor ihrer Ankunft massive Probleme beispielsweise im Wohnungsbereich hatten, dann muss man nicht lange überlegen, einer ausgewogeneren Verteilung dem Grunde nach zuzustimmen.
Allerdings liegt der Teufel mal wieder im Detail, denn: Viele Flüchtlinge und Asylbewerber lassen sich in Orten nieder, wo bereits Angehörige und Landsleute leben. Syrer wollen oft nach Berlin, Afghanen nach Hamburg. Wenn man das nicht (mehr) will, dann muss man steuern, lenken und natürlich auch die Frage beantworten (können), was man denn zu tun gedenkt, wenn sich die Menschen, um die es hier geht, nicht daran halten, was man ihnen auferlegt.
Allerdings liegt der Teufel mal wieder im Detail, denn: Viele Flüchtlinge und Asylbewerber lassen sich in Orten nieder, wo bereits Angehörige und Landsleute leben. Syrer wollen oft nach Berlin, Afghanen nach Hamburg. Wenn man das nicht (mehr) will, dann muss man steuern, lenken und natürlich auch die Frage beantworten (können), was man denn zu tun gedenkt, wenn sich die Menschen, um die es hier geht, nicht daran halten, was man ihnen auferlegt.
Dienstag, 19. Januar 2016
Als die Rente dynamisch wurde. Vor 60 Jahren wurde der Grundsatzbeschluss für eine der größten Sozialreformen in der Bundesrepublik Deutschland getroffen
Heute vor 60 Jahren wurde im "Sozialkabinett" des Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) ein weitreichender Grundsatzbeschluss über die Neuordnung des Rentensystems gefasst, der zu einer der größten Sozialreformen der Bundesrepublik Deutschland geführt hat und die den Namen "Reform" im Sinne einer Verbesserung des bestehenden wirklich verdient, anders als so vieles, was heutzutage als Reform verbucht wird und oftmals nur Abbau von bestehenden Leistungen ist.
Montag, 18. Januar 2016
62 = 3,5 Milliarden. Menschen. Die Zunahme der extremen Ungleichheit setzt sich fort. Auch in Deutschland
Was sich kaum einer vorstellen kann: 3,5 Mrd. Menschen. Das ist genau die Hälfte der derzeitigen Weltbevölkerung. Eine unvorstellbar große Zahl. Und alle zusammen haben so viel wie ein Raum voll Menschen, genauer gesagt: 62 überwiegend Männer. Behauptet die Organisation Oxfam in ihrem neuen Report An Economy for the 1%. How privilege and power in the economy drive extreme inequality and how this can be stopped. Die hat öffentlichkeitswirksam kurz vor Beginn des Weltwirtschaftsforums 2016 im schweizerischen Davos die neuen Ungleichheitszahlen veröffentlicht. Nicht nur die plakative Relation von ganz weit oben und dem unteren "Rest" ist interessant, die Organisation legt den Finger auf strukturelle Ursachen und macht zugleich politische Vorschläge, wie man das ändern könnte: »Die Spirale der wachsenden sozialen Ungleichheit dreht sich weiter: Mittlerweile besitzt ein Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen als der Rest der Welt zusammen. Nur 62 Menschen besitzen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Das derzeitige Wirtschaftssystem kommt vor allem den Reichen zugute und vertieft weltweit die Kluft zwischen Arm und Reich. Ein wesentlicher Grund ist eine ungerechte Steuerpolitik. Reiche Einzelpersonen halten in Steueroasen rund 7,6 Billionen US-Dollar versteckt, neun von zehn großen Unternehmen haben mindestens eine Tochterfirma in Steueroasen. Sie entziehen sich damit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Wer soziale Ungleichheit und Armut bekämpfen will, muss Steuergerechtigkeit schaffen und Steueroasen trockenlegen«, so Oxfam in dem Hintergrundpapier Ein Wirtschaftssystem für die Superreichen. Wie ein Unfaires Steuersystem und Steueroasen die soziale Ungleichheit verschärfen.
Sonntag, 17. Januar 2016
Die soziale Spaltung schon ganz am Anfang der Schullaufbahn verschärft sich. Wenn die Grundschule frei gewählt werden kann
Die Debatten über die Schulstrukturen in Deutschland sind wohl nicht mehr zu zählen. Gesamtschule, Gemeinschaftsschule, Werkrealschulen, Stadtteilschule, Realschule plus (oder minus?) - die Liste ließe sich beliebig erweitern und zum Gegenstand eines eigenen Studiengangs machen.
Aber eine Schulform sollte doch immer wieder hervorgehoben werden - gleichsam die einzige "wirkliche" Gemeinschaftsschule, die wir in unserem Land haben (also dem Grunde nach): die Grundschule. Das hängt mal wieder mit einem relativ einfachen Ordnungsprinzip zusammen: Fast überall in Deutschland gilt bei Grundschulen das Sprengelprinzip (auch als "Kurze Beine, kurze Wege" umschrieben). Die Kinder müssen die nächstgelegene Schule besuchen. Egal, ob sie aus "guten" oder "schlechten" Elternhäusern kommen, ob sie der deutschen Sprache mächtig sind oder nicht. Alle kommen sie in die gleiche Schule, die dann im Regelfall der Bundesländer vier Jahre Zeit hat, sie gemeinsam für die weitere Schulkarriere zu prägen. Wobei - das sei den folgenden Ausführungen vorangestellt - genau dieses Sprengelprinzip natürlich den Keim der sozialen Spaltung in sich trägt, wenn man realistischerweise eine weitere Dimension der Einschulung in die (vermeintliche) Gemeinschaftsschule bedenkt: die soziale Segregation in den Städten. Denn die nächstgelegene Grundschule wird eine andere sein hinsichtlich der Zusammensetzung der Schülerschaft, wenn sie sich in einem Viertel befindet, das man als "sozialen Brennpunkt bezeichnen muss, oder aber in einer gut situierten Mittelschichtsgegend angesiedelt ist. Bereits durch die teilweise erhebliche sozialräumliche Segregation haben wir enorme Unterschiede bei der Zusammensetzung der Grundschüler.
Aber eine Schulform sollte doch immer wieder hervorgehoben werden - gleichsam die einzige "wirkliche" Gemeinschaftsschule, die wir in unserem Land haben (also dem Grunde nach): die Grundschule. Das hängt mal wieder mit einem relativ einfachen Ordnungsprinzip zusammen: Fast überall in Deutschland gilt bei Grundschulen das Sprengelprinzip (auch als "Kurze Beine, kurze Wege" umschrieben). Die Kinder müssen die nächstgelegene Schule besuchen. Egal, ob sie aus "guten" oder "schlechten" Elternhäusern kommen, ob sie der deutschen Sprache mächtig sind oder nicht. Alle kommen sie in die gleiche Schule, die dann im Regelfall der Bundesländer vier Jahre Zeit hat, sie gemeinsam für die weitere Schulkarriere zu prägen. Wobei - das sei den folgenden Ausführungen vorangestellt - genau dieses Sprengelprinzip natürlich den Keim der sozialen Spaltung in sich trägt, wenn man realistischerweise eine weitere Dimension der Einschulung in die (vermeintliche) Gemeinschaftsschule bedenkt: die soziale Segregation in den Städten. Denn die nächstgelegene Grundschule wird eine andere sein hinsichtlich der Zusammensetzung der Schülerschaft, wenn sie sich in einem Viertel befindet, das man als "sozialen Brennpunkt bezeichnen muss, oder aber in einer gut situierten Mittelschichtsgegend angesiedelt ist. Bereits durch die teilweise erhebliche sozialräumliche Segregation haben wir enorme Unterschiede bei der Zusammensetzung der Grundschüler.
Freitag, 15. Januar 2016
Die Aufstocker im Hartz IV-System: Milliardenschwere Subventionierung der Niedrigeinkommen und die (Nicht-)Lösung durch den gesetzlichen Mindestlohn
Rund 1,3 Millionen Erwerbstätige in Deutschland stockten 2014 ihr Einkommen mit Hartz-IV-Leistungen auf. Den Staat kostete diese Subventionierung von Niedrigeinkommen insgesamt 10,85 Milliarden Euro – das ist der höchste Wert seit der Wirtschaftskrise. Auch im Vergleich mit 2007 und 2008, den beiden Jahren vor der Wirtschaftskrise, musste der Staat deutlich mehr Geld aufwenden, um die Einkommen von Geringverdienern auf Hartz-IV-Niveau aufzustocken. Das kann man dem Beitrag Aufstocker vor Mindestlohn-Einführung: Staat subventionierte Niedrigeinkommen 2014 mit 10,85 Milliarden Euro entnehmen. Es handelt sich also um die Zahl vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes. Wer waren diese 1,3 Millionen Menschen? Es handelte sich bei 44 Prozent um sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (in Voll- oder Teilzeit), 47 Prozent waren Minijobber und 9 Prozent gehörten zur Gruppe der Selbstständigen. Der durchschnittliche Betrag, den Bedarfsgemeinschaften mit einem oder mehreren Aufstockern monatlich ausbezahlt bekamen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. 2014 waren es 776 Euro. Aber 2015 müsste alles besser geworden sein - oder?
Donnerstag, 14. Januar 2016
Wenn unterschiedlich starke Arme das Gleiche wollen, sich erst in die Haare kriegen und dann doch miteinander kooperieren. Eine Fortsetzungsgeschichte aus der Gewerkschaftswelt
Im Jahr 2014 wurde intensiv über die damals beabsichtigte und zwischenzeitlich auch vollzogene Verabschiedung eines Tarifeinheitsgesetzes heftig gestritten. In einem Beitrag in diesem Blog wurde am 3. September 2014 unter der Überschrift Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: "Tarifeinheit" aus einer anderen Perspektive auf eine mehr als pikante Gemengelage innerhalb der DGB-Gewerkschaften hingewiesen:
Man könnte »den Eindruck bekommen, dass es bei der Frage nach "Tarifeinheit" um die schutzbedürftigen Großgewerkschaften geht, denen rein mitgliederegoistische Spartengewerkschaften gegenüberstehen, die sich aus der Solidarität der Gesamtbelegschaften verabschiedet haben und radikal die Interessen kleiner, aber zumeist mit Flaschenhalscharakter ausgestatteter Berufsgruppen wie Piloten oder Lokführern vertreten. Unabhängig davon, dass die Wirklichkeit wie immer weitaus komplizierter ist, kann man eine der Grundfragen, um die herum die Tarifeinheitsdebatte kreist, auch innerhalb bzw. zwischen den DGB-Gewerkschaften selbst identifizieren: Wessen mehr oder weniger starker Arm soll es denn sein, der die Interessen der Belegschaften vertreten darf, kann oder muss?« Damals ging es konkret um das Logistikunternehmen Stute, eine Tochterfirma des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, das aber ausschließlich für den Flugzeugbauer Airbus arbeitet, was nicht verwundert, handelt es sich doch um die outgesourcte Logistik-Sparte von Airbus. Jahrelang gab es in diesem Unternehmen keinen Betriebsrat und keine Tarifbindung. Formal zuständig nach den Organisationsprinzipien des DGB wäre der Fachbereich Post und Logistik der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Formal ist aber nicht immer auch real, denn eine zweite, konkurrierende Gewerkschaft, die IG Metall, betrat die Bühne - und ihr gelang es, mehr als 60 Prozent der Beschäftigten unter ihrem Dach zu organisieren, was sie formal gemäß der Maxime "Eine Branche - eine Gewerkschaft" eigentlich nicht hätte machen dürfen. Die Beschäftigten des Logistik-Dienstleisters Stute haben sich wie die Arbeitnehmer verhalten, die sich in Spartengewerkschaften organisieren, denn über die IG Metall war mehr zu holen. Die eigentlich zuständige Gewerkschaft Verdi war richtig sauer, auch weil das kein Einzelfall blieb, sondern die IG Metall als strategische Antwort auf die Outsourcing-Welle die gesamte Kontraktlogistik ins tarifpolitische Visier genommen hat. Aus Sicht der Metall-Gewerkschafter ist es sinnvoll, wenn man das vorgelagerte, aber immer stärker in das eigentliche Produktionszentrum vorrückende Geflecht an "Zulieferer" (wieder) unter das (dann allerdings breiter werdende) Dach der IG Metall-Tarifwelt zu holen versucht.
Man könnte »den Eindruck bekommen, dass es bei der Frage nach "Tarifeinheit" um die schutzbedürftigen Großgewerkschaften geht, denen rein mitgliederegoistische Spartengewerkschaften gegenüberstehen, die sich aus der Solidarität der Gesamtbelegschaften verabschiedet haben und radikal die Interessen kleiner, aber zumeist mit Flaschenhalscharakter ausgestatteter Berufsgruppen wie Piloten oder Lokführern vertreten. Unabhängig davon, dass die Wirklichkeit wie immer weitaus komplizierter ist, kann man eine der Grundfragen, um die herum die Tarifeinheitsdebatte kreist, auch innerhalb bzw. zwischen den DGB-Gewerkschaften selbst identifizieren: Wessen mehr oder weniger starker Arm soll es denn sein, der die Interessen der Belegschaften vertreten darf, kann oder muss?« Damals ging es konkret um das Logistikunternehmen Stute, eine Tochterfirma des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, das aber ausschließlich für den Flugzeugbauer Airbus arbeitet, was nicht verwundert, handelt es sich doch um die outgesourcte Logistik-Sparte von Airbus. Jahrelang gab es in diesem Unternehmen keinen Betriebsrat und keine Tarifbindung. Formal zuständig nach den Organisationsprinzipien des DGB wäre der Fachbereich Post und Logistik der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Formal ist aber nicht immer auch real, denn eine zweite, konkurrierende Gewerkschaft, die IG Metall, betrat die Bühne - und ihr gelang es, mehr als 60 Prozent der Beschäftigten unter ihrem Dach zu organisieren, was sie formal gemäß der Maxime "Eine Branche - eine Gewerkschaft" eigentlich nicht hätte machen dürfen. Die Beschäftigten des Logistik-Dienstleisters Stute haben sich wie die Arbeitnehmer verhalten, die sich in Spartengewerkschaften organisieren, denn über die IG Metall war mehr zu holen. Die eigentlich zuständige Gewerkschaft Verdi war richtig sauer, auch weil das kein Einzelfall blieb, sondern die IG Metall als strategische Antwort auf die Outsourcing-Welle die gesamte Kontraktlogistik ins tarifpolitische Visier genommen hat. Aus Sicht der Metall-Gewerkschafter ist es sinnvoll, wenn man das vorgelagerte, aber immer stärker in das eigentliche Produktionszentrum vorrückende Geflecht an "Zulieferer" (wieder) unter das (dann allerdings breiter werdende) Dach der IG Metall-Tarifwelt zu holen versucht.
Dienstag, 12. Januar 2016
Wird jetzt alles gut für die 16.000 Beschäftigten bei Kaiser's Tengelmann? Branchenprimus Edeka kurz vor der Übernahme der 451 Supermärkte. Oder doch nicht?
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat angekündigt, gegen das ausdrückliche Votum sowohl des Bundeskartellamtes (vgl. Untersagungsbescheid vom 31.03.2015) wie auch der Monopolkommission (vgl. das Sondergutachten vom 03.08.2016) über das Instrument einer Ministererlaubnis den Weg für eine Übernahme der 451 Supermärkte von Kaiser's Tengelmann mit 16.000 Beschäftigten durch Edeka frei zu machen. Die ersten Meldungen der Nachrichtenagenturen sind dann in solche Artikel eingeflossen: Gabriel erlaubt Fusion von Edeka und Tengelmann. An das notwendige "überragende Interesse der Allgemeinheit", mit dem eine Ministererlaubnis als Ausnahmeregelung die wettbewerbspolitischen Einwände des Kartellamts gleichsam überstimmen kann (neben "gesamtwirtschaftlichen Vorteilen", die hier aber nicht in Betracht kommen), muss man erst einmal ein großes Fragezeichen machen. Worin soll das bestehen? Anfangs hieß es noch sehr allgemein, der Minister »wolle so den Erhalt von Arbeitsplätzen und Tarifverträgen bei dem Zusammenschluss sichern.«
Montag, 11. Januar 2016
Eine Studie zu einem mittlerweile toten Pferd: das Betreuungsgeld. Es hatte nur einen begrenzten Effekt
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat zusammen mit der Technischen Universität Dortmund die amtlichen Daten zu den Betreuungsgeldbeziehern zusammengestellt und ausgewertet. Wer hat das Geld beantragt und warum? Der Bericht, der vom Familienministerium gefördert wurde, liegt SPIEGEL ONLINE vor und dort wird jetzt von Anna Reimann darüber berichtet: Betreuungsgeld hatte nur begrenzten Effekt.
Man muss also zum jetzigen Zeitpunkt glauben, was dort wiedergegeben wird, für eine wissenschaftliche Prüfung braucht man natürlich das Original der Studie.
Man muss also zum jetzigen Zeitpunkt glauben, was dort wiedergegeben wird, für eine wissenschaftliche Prüfung braucht man natürlich das Original der Studie.
Sonntag, 10. Januar 2016
Immer diese Zuständigkeitsfragen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt Verfassungsbeschwerde gegen Missstände im Pflegesystem ohne weitere Begründung ab
Zuständigkeitsfragen sind in bürokratischen Systemen wichtig und in Deutschland ganz besonders. In der Justiz sind Zuständigkeitsfragen nicht nur relevant für die sachlich richtige Zuordnung von Anliegen an die zuständige Gerichtsbarkeit, sie eröffnen oder verschließen auch den Zugang zu der im Grunde letzten Instanz, dem Bundesverfassungsgericht. Von dem ja schon manche Überraschung verkündet worden ist, wenn es sich denn mit einem bestimmten Thema beschäftigt. Diesen Weg hat auch der engagierte Armin Rieger beschritten, der in Augsburg das Pflegeheim "Haus Marie" leitet. Ihm ging und geht es um eine Beschwerde gegen den Staat wegen Verletzung der Schutzpflicht gegenüber den Pflegebedürftigen.
Er hat Mitte 2014 »einen 21-seitigen Schriftsatz nach Karlsruhe geschickt, der sich wie eine einzige Abrechnung mit dem aktuellen Pflegesystem las. Darin warf er Heimen und Pflegern sogar Urkundenfälschung und Betrug vor: "Jeder weiß, dass täglich Leistungen seitens der Pflegekräfte abgezeichnet oder dokumentiert werden, die nicht geleistet werden können." Die Krankenkassen und Politiker wüssten davon auch, doch es werde "systematisch weggeschaut". Laut Rieger sei unter den aktuellen Rahmenbedingungen eine Berufsausübung "unter ethischen Gesichtspunkten nicht möglich. Der vorgegebene Personalschlüssel und die zustehenden Mittel lassen eine menschenwürdige Pflege nicht zu"«, kann man zur Vorgeschichte in dem Artikel Pflege-Rebell scheitert endgültig lesen, der bereits in der Überschrift auf den Punkt bringt, was aus dem Vorstoß geworden ist. Nichts.
Er hat Mitte 2014 »einen 21-seitigen Schriftsatz nach Karlsruhe geschickt, der sich wie eine einzige Abrechnung mit dem aktuellen Pflegesystem las. Darin warf er Heimen und Pflegern sogar Urkundenfälschung und Betrug vor: "Jeder weiß, dass täglich Leistungen seitens der Pflegekräfte abgezeichnet oder dokumentiert werden, die nicht geleistet werden können." Die Krankenkassen und Politiker wüssten davon auch, doch es werde "systematisch weggeschaut". Laut Rieger sei unter den aktuellen Rahmenbedingungen eine Berufsausübung "unter ethischen Gesichtspunkten nicht möglich. Der vorgegebene Personalschlüssel und die zustehenden Mittel lassen eine menschenwürdige Pflege nicht zu"«, kann man zur Vorgeschichte in dem Artikel Pflege-Rebell scheitert endgültig lesen, der bereits in der Überschrift auf den Punkt bringt, was aus dem Vorstoß geworden ist. Nichts.
Freitag, 8. Januar 2016
Gute Arbeit, schlechte Arbeit und die jungen Beschäftigten dazwischen. Ergebnisse einer DGB-Studie
Man kann es sich einfach machen und argumentieren, irgendeine Erwerbsarbeit ist besser als gar keine. Das ist eine klare Ansage, auch hinsichtlich der damit einhergehenden Akzeptanz schlechter Arbeitsbedingungen und keinesfalls eine Position nur aus dem gesicherten Elfenbeinturm marktradikaler Wissenschaftler, sondern "philosophische" Grundlage beispielsweise der "Agenda 2010" und der handfesten Normierungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung und vor allem der Grundsicherung, man denke hier nur an die Frage der Zumutbarkeit von Arbeit im SGB III und II.
Aber es gibt auch eine andere Seite, die argumentiert, dass es eben nicht egal ist bzw. sein darf, von welcher Qualität die Jobs sind, mit denen die Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt decken müssen. Das hat in Deutschland schon eine längere Tradition, vor allem seit der massiven Zunahme von Niedriglohnbeschäftigung ab Mitte der 1990er Jahre, der "Aufstocker"-Thematik im Grundsicherungssystem bis hin zu der intensiven Debatte über die krankmachenden Bedingungen bestimmter Arbeit bzw. genauer: Arbeitsbedingungen. Man denke hier nur an die vielen Erkenntnisse hinsichtlich der Zunahme der psychischen Erkrankungen und der Diskussion über den Einfluss der Arbeit darauf. Dass die Gewerkschaften hier ein besonders Interesse haben, sich nicht nur mit irgendeiner Arbeit zufrieden zu geben, sondern es ihnen um "gute Arbeit" im gewerkschaftlichen Verständnis geht, liegt nahe. Um die Wahrnehmung der Unterschiede zwischen "guter" und "schlechter" Arbeit zu verstärken, veröffentlichen sie seit 2007 den DGB-Index Gute Arbeit. Seit dem Jahr 2007 werden in einer jährlichen bundesweiten Repräsentativerhebung die abhängig Beschäftigten danach gefragt, wie sie ihre Arbeitsbedingungen bewerten - denn sie sind die Experten für Arbeitsqualität, so die Argumentation der Gewerkschaften.
Aber es gibt auch eine andere Seite, die argumentiert, dass es eben nicht egal ist bzw. sein darf, von welcher Qualität die Jobs sind, mit denen die Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt decken müssen. Das hat in Deutschland schon eine längere Tradition, vor allem seit der massiven Zunahme von Niedriglohnbeschäftigung ab Mitte der 1990er Jahre, der "Aufstocker"-Thematik im Grundsicherungssystem bis hin zu der intensiven Debatte über die krankmachenden Bedingungen bestimmter Arbeit bzw. genauer: Arbeitsbedingungen. Man denke hier nur an die vielen Erkenntnisse hinsichtlich der Zunahme der psychischen Erkrankungen und der Diskussion über den Einfluss der Arbeit darauf. Dass die Gewerkschaften hier ein besonders Interesse haben, sich nicht nur mit irgendeiner Arbeit zufrieden zu geben, sondern es ihnen um "gute Arbeit" im gewerkschaftlichen Verständnis geht, liegt nahe. Um die Wahrnehmung der Unterschiede zwischen "guter" und "schlechter" Arbeit zu verstärken, veröffentlichen sie seit 2007 den DGB-Index Gute Arbeit. Seit dem Jahr 2007 werden in einer jährlichen bundesweiten Repräsentativerhebung die abhängig Beschäftigten danach gefragt, wie sie ihre Arbeitsbedingungen bewerten - denn sie sind die Experten für Arbeitsqualität, so die Argumentation der Gewerkschaften.
Donnerstag, 7. Januar 2016
Hartz IV: Neue Regeln, zusätzliche Bürokratie. Keine Familienmitversicherung mehr für jugendliche Hartz IV-Empfänger. Eine Neuregelung mit Tücken
Seit Jahresbeginn gelten für Hartz-IV-Bezieher neue Regeln, die zusätzliche Bürokratie bedeuten. Konkret geht es um die Familienmitversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Man kann es paragrafenlastig so darstellen: »Aufgrund der am 01.01.2016 in Kraft tretenden Teile des "GKV-Finanzstruktur- und Qualitätsentwicklungsgesetz" endet die bisherige Familienversicherung für ALG II Bezieher zum 31.12.2015. ALG II Bezieher (ab 15 Jahren; § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II), welche bisher aufgrund § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V i.V. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V beitragsfrei in der gesetzlichen Familienversicherung versichert waren (Ehegatte, Lebenspartner, Kinder und Kindeskinder von Mitgliedern), werden ab 01.01.2016 selbst versicherungspflichtig in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.« Susan Bonath hat ihren Artikel dazu so überschrieben: Schluss mit Familienversicherung. Krankenkassen: Neues Sonderrecht für jugendliche Hartz-IV-Bezieher. Experten warnen vor Tücken. Besonders betroffen von der Neuregelung »sind Jugendliche ab dem vollendeten 15. Lebensjahr beziehungsweise ihre Eltern. Egal ob die jungen Leute noch zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen – sie müssen sich von nun an selbst krankenversichern. Denn der Vorrang der Familienversicherung bei den Krankenkassen gilt für Hartz-IV-Bezieher nicht mehr.«
Dienstag, 5. Januar 2016
Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit? Zur Ambivalenz eines Geschäftsmodells für "Bürger in sozialen Schwierigkeiten"
Prognosen haben es oftmals an sich, dass sie nicht eintreten. Oder das tatsächliche Ergebnis weit von dem entfernt ist, was vorausgesagt wurde. Nehmen wir als Beispiel die Obdachlosen- oder Straßenzeitungen. Dieser Ansatz kann durchaus auf eine lange Geschichte zurückblicken. Zur Entwicklung in Deutschland erfahren wir rückblickend: »In den Jahren 1987 und 1988 erschienen die ersten von Hans Klunkelfuß herausgegebenen Berberbriefe, unregelmäßig erscheinend, etwa viermal im Jahr, 8–12 Seiten auf fotokopiertem Papier mit einer Auflage von 100 bis 500 Stück. Klunkelfuß und andere Wohnungslose nutzen den Verkauf der von ihnen selbst hergestellten Zeitung, um damit unabhängig von staatlicher Hilfe ihr Überleben auf der Straße zu sichern. Im Jahr 1992 erschien in Köln mit dem BankExpress, später BankExtra, heute Draussenseiter, die erste deutsche Straßenzeitung; im Oktober 1993 kamen Bürger In Sozialen Schwierigkeiten – BISS in München und 14 Tage später Hinz und Kunzt aus Hamburg dazu. Im Jahr 2006 gab es bereits ca. 30 Straßenzeitungen in Deutschland.« Aber bereits 1999 konnte man im SPIEGEL unter der Überschrift Abgenutzte Idee lesen: »Vor vier Jahren war es eine Sensation: Die Hamburger Obdachlosenzeitung "Hinz & Kunzt" nahm die Auflagenhürde von 100 000 Exemplaren. Nun sind die goldenen Zeiten vorbei, die Straßenblätter stecken in der Krise: Nur noch 75 000 Exemplare "Hinz & Kunzt" werden monatlich verkauft. Die Auflagen der Berliner "Strassenzeitung" und der Düsseldorfer "Fifty fifty" sind von 30 000 auf 25 000 gesunken. "Die Idee hat sich abgenutzt, die Neugier ist vorbei", erklärt Jutta Welle, Macherin der "Strassenzeitung", das Phänomen. Und: "Die Menschen haben wohl selbst genug Ärger und wollen nicht noch über den der Obdachlosen etwas hören."« Ein voreiliger Abgesang auf diesen Ansatz, den man durchaus als ein Modell für Hilfe zur Selbsthilfe bezeichnen kann.
Sonntag, 3. Januar 2016
Sinn-lose Zahlenspielereien über Flüchtlinge mal wieder. Dabei geht es in Wirklichkeit um handfesten Sozialabbau
Das und mehr kann man einem Interview mit ihm entnehmen, das der "Tagesspiegel" veröffentlicht hat: "Die Integration der Flüchtlinge wird teuer", so ist das Gespräch mit Sinn überschrieben worden.
Das hat noch nicht mal was von halbwegs seriös daherkommender Kaffeesatzleserei. Es ist einfach nur zum Dauer-Kopfschütteln, wenn solche Zahlen derzeit in die Welt gesetzt werden.
Aber Hans-Werner Sinn geht es - übrigens wie auch bei seinen hanebüchenen "Prognosen" zum (angeblichen) Jobkiller Mindestlohn, wo er es war, der mit mehr als 900.000 Jobs, die durch den Mindestlohn ganz bestimmt "vernichtet" werden, durch die Lande und vor allem durch viele willige Medien gezogen ist - gar nicht um die konkreten Zahlen, mit denen er erneut um sich wirft, sondern um eine ganz bestimmte politische Botschaft, die er unter das Volk bringen will und dazu braucht man in unserer heutigen Medienwelt offensichtlich irgendwelche Horrorbotschaften, die sich gut "verkaufen" lassen, weil sie beim Leser, Hörer oder Zuschauer Angstschweiß produzieren können.
Samstag, 2. Januar 2016
Das Gefälle der Sozialabgaben in der EU, der Europäische Gerichtshof (EuGH) und ein Kläger, den es gar nicht gibt, in einem Verfahren von grundsätzlicher sozialpolitischer Bedeutung. Mehr als peinlich
Wir sprechen hier nicht über irgendein Feld-, Wald- und Wiesen-Gericht, sondern über den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Sitz in Luxemburg ist das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union (EU). Und die Entscheidungen dieses Gremiums spielen auch in der Sozialpolitik eine immer bedeutsamere Rolle. Man nehme als Beleg für diese Bewertung nur die neueste Entscheidung des EuGH aus dem September 2015 zur Frage nach einem Anspruch auf Sozialleistungen von EU-Bürgern in einem anderen EU-Staat - für Deutschland nicht nur grundsätzlich von Relevanz, sondern in dem angesprochenen Fall hatte das Bundessozialgericht (BSG) selbst den EuGH angerufen mit der Bitte um eine Entscheidung (vgl. dazu ausführlicher Ist das alles kompliziert. Der EuGH über die Zulässigkeit der Nicht-Gewährung von Sozialleistungen für einen Teil der arbeitsuchenden EU-Bürger vom 15.09.2015 sowie zu den sich daran anschließenden Entscheidungen des BSG, die nun bei uns einige Verwirrung ausgelöst haben: Griechisch-rumänisch-schwedische Irritationen des deutschen Sozialsystems. Das Bundessozialgericht, die "Hartz IV"-Frage bei arbeitsuchenden "EU-Ausländern" und eine Sozialhilfe-Antwort vom 03.12.2015). Man mag bereits an diesem Beispiel erkennen, dass wir es mit sozialpolitisch hoch brisanten Fragen zu tun haben, zu denen sich der EuGH nicht nur äußert, sondern zu dem Urteile mit handfesten Folgen gefällt werden. Wenn das so ist, dann muss man sich natürlich darauf verlassen können, dass dieses Gerichtssystem nicht missbraucht werden kann. Allerdings muss man daran einige Zweifel bekommen, wenn man sich mit dem folgenden Sachverhalt beschäftigt:
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