In diesem Zusammenhang überaus aufschlussreich hinsichtlich der grundsätzlichen Mechanismen, die hier wirken, ist der Artikel Smart, aber hart von Ewald Hetrodt. Er berichtete vom Neujahrsempfang des Helios-Konzerns in Wiesbaden, der zu einem ungünstigen Zeitpunkt kam, denn der Minderheitsgesellschafter der Horst-Schmidt-Kliniken (HSK) hatte gerade erst nach der Reportage des Fernsehsenders RTL eine signifikante Personalnot, gravierende hygienische Missstände und Fehler im Management zugeben müssen. Zu allem Überfluss kamen noch multiresistente Erreger auf der Station für Frühgeborene hinzu.
Vor diesem Hintergrund irgendwie passend das Thema, zu dem Francesco De Meo, der Vorstandschef der Helios-Gruppe, referieren wollte: "Darf exzellente Medizin wirtschaftlich sein?“ Kurz vor der Eröffnung des Buffets ging der Konzernchef zum Angriff über. Man habe sich entschuldigt, hielt er fest. „Was wir allerdings nicht akzeptieren können, das ist eine pauschalierende Hetze oder auch ein inszeniertes Anprangern aus sachfremden Motiven.“ Es sei nun einmal angenehmer, das Feindbild des privaten Gesundheitskonzerns zu pflegen, „als sich über eigene mögliche Versäumnisse in der Vergangenheit Gedanken zu machen“, hieß es darin zum Beispiel.
Hetrodt nimmt das zum Anlass, einmal genauer zurückzuschauen.
Schon »im Jahr 2012 hat die Rhön-Klinikum AG 49 Prozent der Anteile und die Verantwortung für das operative Geschäft der Horst-Schmidt-Kliniken übernommen. Die von dem Konzern entsandten Geschäftsführer benahmen sich allerdings so offensichtlich daneben, dass ihr Arbeitgeber sie wieder abzog. Vorher hatten sie jedoch einen regelrechten Exodus renommierter Chefärzte ausgelöst und den guten Ruf des Hauses ruiniert. Schon im Herbst 2013 zeichnete sich ab, dass Rhön die HSK an Helios verkaufen würde. Bis es im Sommer 2014 so weit war, dümpelte das Haus ohne jeden in die Zukunft gerichteten Impuls vor sich hin.«
Und über die Stadt Wiesbaden kann sich der Klinikkonzern nicht wirklich beschweren, wie Hetrodt herausstellt, denn »die Stadt als Mehrheitsgesellschafterin und die große Koalition in Wiesbaden fassen Helios mit Samthandschuhen an.«
Dann bekommen wir eine Art Lehrbuchbeispiel aus dem "modernen" Krankenhausmanagement, wie man es nicht machen sollte - und zwar von einem Management privater, gewinnorientierter Krankenhauskonzerne:
»Der Abbau von Stellen sei „kopflos und handwerklich schlecht gemacht“, heißt es im Haus. Um die Streichung von 390 der 2800 Arbeitsplätze möglichst rasch über die Bühne zu bringen, lockte der Konzern mit einer „Sprinterprämie“ in Höhe von 10 000 Euro, die zusätzlich zu einer Abfindung gezahlt wurde. „Unsere besten Leute haben das Geld genommen und waren ein paar Wochen später in der Mainzer Uniklinik“, lautet eine Klage in der HSK. So verlor die Klinik beispielsweise 51 Pfleger. Als die Geschäftsführung gemeinsam mit dem Betriebsrat gegensteuerte und nicht mehr jeden guten Mitarbeiter ziehen ließ, reagierten diese konsequent. Einer gemeinsamen Zukunft mit mittelmäßigen, zum Teil schlecht motivieren Kollegen zogen sie es vor, selbst zu kündigen, ohne Abfindung und Prämie. Heute sind 40 Stellen für Pfleger vakant. „Wir haben mehr Mitarbeiter verloren, als wir gehen lassen wollten“, gibt HSK-Geschäftsführer Kristian Gäbler zu.«
Und dann stoßen wir vor in das Zentrum des systematischen Problems, das hier besonders interessiert und das zu einer der großen Systemfragen überleiten könnte, wenn man denn wollte:
Das überhaupt mit so starken Anreizen gearbeitet wurde, Personal abzubauen, hängt mit den von De Meo vorgegebenen Renditezielen zusammen. Und das folgende Zitat muss man sich in aller Ruhe zu Gemüte führen:
»Jede Helios-Klinik soll binnen sechs Jahren eine Rendite von 12 bis 15 Prozent erwirtschaften. Und weil mehr als 70 Prozent der Kosten in einem Krankenhaus für das Personal aufgewandt werden, fällt den Managern als Erstes der Abbau von Stellen ein.«
Man muss sich die Durchschlagskraft solcher Renditeziele im System der deutschen Krankenhauslandschaft deutlich machen. Nicht (nur) vor dem Hintergrund, dass es viele gewinnorientierte Wirtschaftsbereiche wie den Lebensmitteleinzelhandel gibt, bei dem Renditen von drei oder vier Prozent als Premiumklasse verbucht werden, sondern angesichts der spezifischen Konfiguration der (dualen) Krankenhausfinanzierung, also neben den viel zu gering dimensionierten Mitteln der Bundesländer für die sächliche Seite vor allem die Finanzierung der Betriebskosten über Fallpauschalen auf DRG-Basis.
Hierzu nur eine Illustration aus dem neuen Krankenhaus Rating Report 2015:
Die Insolvenzwahrscheinlichkeit deutscher Krankenhäuser hat sich im Jahr 2013 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht. 16% befanden sich im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr. Gleichzeitig besserte sich aber ihre Ertragslage: die durchschnittliche Umsatzrendite stieg von 0,7 auf 1,4%. Auf Konzernebene schrieben 30% der Krankenhäuser einen Jahresverlust.
Nach wie vor ist die Kapitalausstattung der Krankenhäuser jedoch unzureichend. Ihr jährlicher Investitionsbedarf (ohne Universitätskliniken) beträgt rund 5,3 Milliarden Euro. Die Länder steuern derzeit nur die Hälfte davon bei. Der kumulierte Investitionsstau beträgt mindestens 12 Milliarden Euro. Bei Fortschreibung des Status quo würde der Anteil der Krankenhäuser mit erhöhter Insolvenzgefahr bis 2020 weiter auf 27% steigen.
Im Kontext des Fallpauschalensystems auf DRG-Basis, das wurde bereits angesprochen, kann es nur signifikante Einsparungen geben, wenn man an die größte Personalgruppe, also die Pflegekräfte, geht und zugleich andere Berufsgruppen, soweit irgendwie möglich, mit dem modernen Waffenarsenal der BWL aus dem Unternehmen rausdrängt. Auch dazu ein Beispiel aus dem Artikel:
Nach der Auslagerung des Reinigungsdienstes wird immer wieder über das Problem der mangelnden Sauberkeit berichtet. Das Personal der externen Dienstleister besteht nach den Angaben der HSK zum Teil aus ungelernten Kräften, die wiederum zum Teil Sprachdefizite hätten. Man erkläre allen das Reinigungssystem und schule sie in der Anwendung, sagt die Sprecherin der HSK. „Das ist ein Prozess, der noch nicht komplett abgeschlossen ist.“ Eine nette Umschreibung eines selbst gemachten Problems.
Was wären jetzt die Systemfragen, die man an dieser Stelle ableiten kann, wenn man denn will?
- Zum einen neben der ganz fundamentalen Frage nach der Sinnhaftigkeit einer gewinnorientierten Ausgestaltung der Krankenversorgung die Diskussion der im Lichte der mehrjährigen Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse über die teilweise hoch problematischen Auswirkungen des bestehenden Krankenhausfinanzierungssystems. Für eine fundamentale Kritik am DRG-System vgl. beispielsweise den Beitrag von Michael Simon: Das deutsche DRG-System: Grundsätzliche Konstruktionsfehler, in: Deutsches Ärzteblatt, H. 39/2013, A 1782 ff. Simon kommt zu der Schlussfolgerung: »Knapp zehn Jahre nach Einführung des DRG-Systems in Deutschland wird deutlich: Die Entwicklung des Versorgungsangebots im stationären Sektor darf nicht allein den unkalkulierbaren Wirkungen eines reinen Preissystems überlassen werden.«
- Auch wenn man eine Kursänderung beim Finanzierungssystem der Krankenhäuser für unrealistisch oder gar für unnötig hält, kommt man der zweiten Systemfrage nicht vorbei: Wie kann es gelingen, gerade im Pflegebereich für genügend Personal zu sorgen? Angesichts der Personalnot in den Kliniken (die eben auch durch die Anreize aus dem Vergütungssystem ausgelöst wird) muss das Plädoyer in Richtung auf eine gesetzliche Personalbemessung hinauslaufen. Diese könne am ehesten mit Hilfe von Systemen entwickelt werden, die den tatsächlichen Pflegeaufwand erfassen. Das ist kein grundlegend neuer Ansatz. Erfahrungen mit der PPR zeigten, dass solche Instrumente ohne weiteres ins DRG-System einzufügen sind. Die Pflege-Personalregelung (PPR) wurde 1993 eingeführt, um die Leistungen der Pflege transparenter zu machen und eine Berechnungsgrundlage für den Personalbedarf zu haben. Experten gingen damals davon aus, dass sich durch konsequente Anwendung der PPR bundesweit ein Personalmehrbedarf im fünfstelligen Bereich ergeben würde. Als sich abzeichnete, dass die daraus resultierenden Mehrkosten nicht zu tragen sind, wurde die Pflege-Personalregelung schnell wieder ausgesetzt. Das ist aber eine politische Entscheidung, keine methodische Blockade der Möglichkeit, das erforderliche Pflegepersonal in Form harter, also gesetzlicher Vorgaben zu bestimmen. Vgl. dazu immer noch meinen Beitrag Pflegenotstand - und nun? Notwendigkeit und Möglichkeit von Mindeststandards für die Ausstattung der Krankenhäuser mit Pflegepersonal vom 08.09.2014.
Natürlich sind sich die Anbieter der politischen Einbettung ihrer Erlösquellen durch das staatlich determinierte Finanzierungssystem bewusst. Und insofern ist es nicht überraschend, dass man versucht ist, auf die Entscheidungsträger unmittelbar und mittelbar Einfluss zu nehmen. So auch der Helios-Konzern. Bereits am 26.11.2015 wurde auf der Website abgeordnetenwatch.de folgende Nachricht gemeldet: FDP erhält innerhalb weniger Tage 450.000 Euro an Großspenden:
»Innerhalb weniger Tage hat die FDP Großspenden in Höhe von insgesamt 450.000 Euro erhalten - so viel wie keine andere Partei im gesamten Jahr. Anfang November hatte bereits eine weitgehend unbekannte Beteiligungsfirma 250.000 Euro überwiesen, am Dienstag gingen auf dem Parteikonto weitere 200.000 Euro von einem Unternehmer ein. In beiden Fällen gibt es Verbindungen zu einem der größten privaten Klinkbetreiber Deutschlands. Der November 2015 dürfte für die FDP einer der einträglichsten Monate seit langem sein. Am Dienstag ging auf dem Parteikonto eine 200.000 Euro-Spende des Unternehmers Lutz Helmig ein. 14 Tage zuvor war die FDP bereits von der Firma R & W Industriebeteiligungen GmbH mit einer Zuwendung in Höhe von 250.000 Euro bedacht worden. In beiden Fällen gibt es Verbindungen zu der Helios-Gruppe, einem der größten privaten Klinkbetreiber Deutschlands. Der Unternehmer Lutz Helmig, von dem die FDP 2001 schon einmal 44.200 DM erhalten hatte, ist Gründer und langjähriger Geschäftsführer der Helios-Gruppe. Inzwischen gehört ihm die Beteiligungsgesellschaft Aton GmbH, die u.a. in Unternehmen aus der Medizintechnikbranche investiert. Hinter der R&W Industriebeteiligungen GmbH steckt der Unternehmer Walter Wübben. Wübben war Hauptaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der Unternehmensgruppe Damp, die zu den zehn größten Krankenhausbetreibern in Deutschland gehörte und vor allem im Norden stark vertreten war. 2012 verkaufte Wübben seine Damp-Anteile an die Helios-Gruppe.«