Mit einer ironischen Zielsetzung könne man die Meldung, dass Bundesgesundheitsminister Bahr (FDP) gegen eine Infragestellung der Privaten Krankenversicherung (PKV) sei, als Überraschung kommentieren. Nein, natürlich ist er schon rein parteibedingt für die Aufrechterhaltung des Zwei-Kassen-Systems in Deutschland, geht es hier doch um einen Bereich, der die Kernklientel der FDP betrifft.
Trotzdem lohnt ein Blick auf die PKV. Genau das versuchen Cordula Eubel und Rainer Woratschka mit ihrem Artikel "Wie krank ist unser Gesundheitssystem?": »Die privaten Versicherer sind unter Druck geraten: Sie haben Kosten unterschätzt und erhöhen ständig die Beiträge. Die Opposition würde sie am liebsten abschaffen. Doch auch dabei lauern Risiken.«
Während gut 89 Prozent der Bürger gesetzlich versichert sind, haben die übrigen elf Prozent – vor allem Beamte, Selbstständige und besser verdienende Arbeitnehmer – eine private Krankenversicherung. Hinzu kommt das Schattenreich der privaten Zusatzversicherungen für die gesetzlich Versicherten. Ein zentrales Problem für die privat Versicherten sind die Prämiensteigerungen: »Nach Angaben der staatlichen Finanzaufsicht Bafin schwankten die jährlichen Erhöhungen in den Jahren 2000 bis 2010 über alle Unternehmen zwischen 3,4 und 7,6 Prozent ... Für viele Privatversicherte sind die ständigen Preiserhöhungen schwer zu schultern, da es sich bei ihnen keineswegs, wie vielfach unterstellt, nur um finanziell Bessergestellte handelt. Im Jahr 2008 kam dort nur jeder Fünfte auf ein Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze (damals 4012,50 Euro im Monat).«
Bei der Diskussion der Ursachen für die permanenten und bei nicht wenigen privaten Versicherungen auch sehr hohen Prämiensteigerungen wird immer »auf die Kostensteigerungen durch Demografie und medizinischen Fortschritt, mit denen die Privaten trotz ihrer Rücklagen schlechter zurecht kommen als die gesetzlichen Kassen. Das liegt vor allem daran, dass sie anders als die Konkurrenz über kein Instrumentarium verfügen, um auf Preise, Behandlungsmengen und Qualität Einfluss zu nehmen.« Das ist das zentrale Problem der PKV (neben der Frage der Kalkulation der Prämien): Ihr fehlt schlichtweg das Steuerungsinstrumentarium auf der Kostenseite und gleichzeitig wird die PKV von Leistungserbringern als "Steinbruch" zur Einkommensmaximierung verwendet. Die Position der PKV ist derart schwach, dass sie auf die Hilfe von außen angewiesen ist und ihre angebliche Eigenständigkeit nur eine auf dem Papier ist:
»So mussten sie nach dem Gesetzgeber rufen, um den Provisionswettlauf für ihre Versicherungsvertreter zu stoppen. Um ihre Arzneipreise senken zu können, machten sie sich außerdem von den Rabattverhandlern der gesetzlichen Kassen abhängig.«
Aus Sicht der Versicherten ist eines der Hauptprobleme darin zu sehen, dass sie auf Gedeih und Verderb ihrem privaten Krankenversicherungsunternehmen ausgeliefert sind und sich diese auf den Wettbewerb um Neukunden fokussieren: »Um seine Beiträge im Alter bezahlbar zu halten, muss er seinen Schutz immer weiter abspecken. Schließlich kann er im Alter weder zurück zu einer gesetzlichen Kasse noch zu einem anderen Anbieter, weil er dann seine Rückstellungen verlöre und noch mehr zahlen müsste.« Immer wieder wird in der öffentlichen Debatte die "bessere" Versorgung der privat Versicherten herausgestellt - was aber keineswegs durchgängig der Fall ist: Bei vielen Tarifen gibt es »... „massive Leistungsausschlüsse“: bei der Reha nach Operationen etwa, bei Heilmitteln, bei künstlicher Ernährung oder der Übernahme von Psychotherapie-Kosten.«
Die Frage, für wen es sich heute noch lohnt, sich privat zu versichern, gibt der Verbraucherschützer Lars Gatschke eine klare Antwort: "Jung, ledig, gesund" - und möglichst verbeamtet.
Das kirchliche Sonderarbeitsrecht, darunter das Streikverbot der als "Dienstnehmer" titulierten Arbeitnehmer in den konfessionell gebundenen Einrichtungen war ja in den vergangenen Monaten immer wieder Thema kontroverser Debatten - und Gegenstand eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts, dass - vorsichtig formuliert - nicht wirklich zu einer klaren Lösung beigetragen hat. Ob man die von ganz oben erwarten kann? Wir werden es erfahren, denn: "Verfassungsrichter
prüfen Streikrecht in Kirchen". Die Gewerkschaft Verdi hat Verfassungsbeschwerde gegen Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts eingelegt. Die Gewerkschaft stört sich an dem BAG-Urteil, »das die bisherige Sonderrolle der Kirchen im Streikrecht bestätigt hat. Darin legten die Bundesrichter fest, dass die Kirchen Gewerkschaften wie Verdi den Arbeitskampf verbieten dürfen, solange sie die Arbeitnehmerorganisationen in die Verhandlungen um verbindliche Arbeitsbedingungen ausreichend einbinden.« Aus Sicht der Gewerkschaft hat das Bundesarbeitsgericht das kirchliche Selbstordnungsrecht über das Grundrecht auf Streik nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gestellt. Aber so einfach wird es mit der Verfassungsbeschwerde nicht werden, denn:
»Juristisch steckt die Gewerkschaft allerdings in einem Dilemma, denn formal hatte sie den Rechtsstreit vor dem Bundesarbeitsgericht gewonnen. Aktuell sind die drei vom Bundesarbeitsgericht genannten Bedingungen nirgendwo erfüllt, so dass Verdi uneingeschränkt streiken darf. Mit diesem Argument könnten auch die Verfassungsrichter eine intensive Prüfung der Beschwerde ablehnen. Die Gewerkschaft rechnet jedoch damit, dass sich die Kirchen bald so umorganisieren werden, dass sie sie Bedingungen erfüllen und Streiks verbieten dürfen.«
Auch so ein Dauerthema in den Medien: die Warnungen vor einem drohenden Pflegekollaps. Nun hat die Linksfraktion in Sachsen eine Studie veröffentlicht, die vor einem solchen in dem ostdeutschen Bundesland warnt: "Drohender Pflegekollaps", unter dieser Überschrift berichtet Markus Bernhardt über den drohenden Pflegenotstand. Die Studie ist auch deshalb interessant, weil hier erkennbar wird, dass es besondere und problemverschärfende Faktoren gibt aufgrund der besonderen Entwicklungen, denen die "neuen" Bundesländer ausgesetzt waren und sind. Seit »1990 ist die sächsische Bevölkerung um ... 13,4 Prozent zurückgegangen. Der Anteil der Pflegebedürftigen an den Einwohnern sei entsprechend um 20 Prozent angestiegen«. Der Anstieg der offiziell pflegebedürftigen Menschen in Sachsen lag deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
»Die massive Abwanderung maßgeblich jüngerer Menschen hat jedoch nicht nur einen Anstieg der Pflegebedürftigen zur Folge. Migration und das Auseinanderbrechen von Familienstrukturen habe dazu geführt, daß im Freistaat immer weniger Menschen ausschließlich durch ihre Angehörigen gepflegt würden. So sei der Anteil der zu Hause Gepflegten von 72 Prozent im Jahr 2001 auf 65 Prozent 2011 zurückgegangen. 35 Prozent der sächsischen Pflegebedürftigen sind in Heimen untergebracht, während es bundesweit nur 31,5 Prozent waren. Während bundesweit noch 46 Prozent der Pflegebedürftigen von Angehörigen gepflegt würden, seien es in Sachsen nur noch lediglich 39 Prozent.«
Auch die Situation der Pflegekräfte wird problematisiert, beispielsweise hinsichtlich des Mindestlohns in der Branche: »Aktuell liegt der gesetzliche Mindestlohn der Branche im Osten bei 7,50 Euro. Im Westen werden 8,50 Euro Stundenlohn gezahlt. Damit werde die Abwanderung junger Pflegefachkräfte befördert, was in der wiederum eine Überalterung des Personals in den neuen Bundesländern zur Folge hat.« Bis 2030 würden allein für Sachsen zusätzlich etwa 30.000 Pflegekräfte gebraucht.
Bleiben wir bei den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft - zu denen neben den Pflegebedürftigen auch die schwer behinderten Menschen zu zählen sind. Hier tobt zumindest auf der Ebene der Fachtagungen und politischen Verlautbarungen der Kampf um Inklusion, wobei dieser derzeit sehr stark verengt wird auf den Schulbereich. Irritierendes berichtet Kristiana Ludwig unter der Überschrift "In der Isolations-WG" aus Hamburg: »Die Evangelische Stiftung Alsterdorf hat lange Menschen mit Behinderungen in Wohngruppen betreut. Jetzt sollen sie in eigenen Appartements leben. Doch mit schwersten Behinderungen vereinsamen sie dort«. Was passiert hier? Es geht um den "Prozess der Regionalisierung und Dezentralisierung" der Stiftung Alsterdorf: Seit zehn Jahren schließt die Stiftung ehemalige Anstalten für Menschen mit Behinderungen und verteilt sie auf Appartements in der ganzen Stadt. Auf vielen Kongressen und Fachtagungen wird man große Zustimmung bekommen, wenn man unter dem Banner der Inklusion die Zerschlagung der stationären Einrichtungen fordert. Dem skeptisch eingestellten Sozialpolitiker war schon immer klar, dass es auf den Einzelfall ankommt und das es auch Menschen gibt, die nicht von der "Ambulantisierung" profitieren, ganz im Gegenteil:
"Die Stiftung Alsterdorf hat wahllos ambulantisiert", sagt ein Mitarbeiter, dessen Name nicht in der Zeitung stehen soll. Er betreue etwa Menschen ambulant, die blind sind und gehbehindert - und trotzdem in Appartements wohnen. "Vorher haben sie noch ein bisschen am sozialen Leben teilgenommen, sind zum Frühstück und zum Mittagessen gefahren worden", sagt er: "Jetzt isst jeder in seinem Appartement ... Es wurde sehr viel Personal abgebaut. Das hat zu einer enormen Arbeitsverdichtung geführt", sagt er."
Wir sprechen hier über einen gewaltigen Veränderungsprozess: »Ende der Achtzigerjahre lebten noch 800 Menschen in den Alsterdorfer Anstalten im gleichnamigen Stadtteil. Heute sind es noch 31, die in einem übrig gebliebenen Gebäude wohnen. Die restlichen Anstaltshäuser hat die Stiftung abgerissen, 650 Menschen sind fortgezogen.«
Auch die Sozialverwaltung äußert sich entsprechend der herrschenden Ideologie:
"Vor dem Hintergrund der inklusiven Ausrichtung", sagt Olaf Dittmann, Sprecher der Sozialbehörde (BASFI), sei "die ambulante Betreuung von Menschen mit sehr schweren Behinderungen im Sinne der BASFI".
Es ist nie gut, wenn etwas ideologisch angegangen wird. Und hier vor allem nicht.