Dienstag, 1. Mai 2018

Der "Tag der Arbeit" 2018 zwischen Ritualen, Sozi-Dämmerung und gewerkschaftlichen Baustellen, aber auch Nebenbaustellen


Offensichtlich kann man sich auch beim 1. Mai, dem Tag der Arbeit, auf nichts mehr verlassen. In der Vergangenheit waren wenigstens die Krawalle in Berlin gleichsam vorprogrammiert, wie ein seit langem überliefertes und "gepflegtes" Ritual des sinnfreien Protests. Und am Abend des diesjährigen 1. Mai wird aus der Hauptstadt berichtet: »Berlin feiert den Tag der Arbeit beim MyFest, beim MaiGörli und rundherum. Die Revolutionäre Demo verläuft ohne größere Zwischenfälle.« Auch andere Berichte heben hervor: »Berlin hat einen weitgehend friedlichen 1. Mai erlebt: Auch die "Revolutionäre 1.-Mai-Demo" quer durch Kreuzberg hat sich gegen 21 Uhr aufgelöst.«

Ansonsten meldet der DGB: »Zum 1. Mai haben sich bundesweit 340.000 Menschen an den knapp 500 Veranstaltungen und Kundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes beteiligt, die in diesem Jahr unter dem Motto "Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit" standen.« Und eine dieser Veranstaltungen fand in Koblenz statt - dort war auch die neue SPD-Bundesvorsitzende und SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Andrea Nahles, zu Gast. Ein Heimspiel, sollte man glauben. Aber es gibt auch kritische Stimmen: »Die SPD-Chefin müht sich vor Gewerkschaftern in Koblenz, ihr Repertoire abzuspielen. Doch der Funke springt nicht mehr über. Zu tief ist der Graben zwischen der Partei und den Menschen an der Basis«, meint Nikolaus Doll beobachtet zu haben und seinen Artikel unter diese Überschrift gestellt: Gegen den Schatten der Agenda 2010 kommt Nahles nicht an. Offensichtlich können sich die Sozialdemokraten nicht mehr der automatischen Sympathie und Nähe der Gewerkschaftler sicher sein. Zugleich offenbart sich hier auch ein erhebliches Problem der Gewerkschaften selbst: »Andrea Nahles macht bei ihrem einzigen öffentlichen Auftritt am 1. Mai und einem der ersten als neue Vorsitzende der SPD nur einen Fehler. Nach ihrem Grußwort auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Koblenz verabschiedet sie sich von den „Genossinnen und Genossen“. Es heißt „Kollegen“, schließlich ist diese Maifeier keine Partei-, sondern eine Gewerkschaftsveranstaltung.«

Nikolaus Doll meint, dass »sich eine kritische Distanz zwischen den Arbeitnehmervertretern und jener Partei gebildet, die sich als politische Vertreterin der Arbeitnehmer definiert. Eine Kluft ist entstanden. Das sieht man in Koblenz, das kann man spüren.«

Das scheint aber offensichtlich in der Führungsriege der Einzelgewerkschaften und des DGB noch nicht wirklich angekommen zu sein - viele Gewerkschafter werden sich an die Erfahrung erinnern, dass nach den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD und einem anfangs durchaus als unsicher einzuschätzenden Mitgliederentscheid in der SPD die Gewerkschaftsführer massiv Stellung bezogen haben, die Parteimitglieder sollen doch der GroKo zustimmen. Es gab nicht wenige Gewerkschafter, die das als ein mehr als übergriffiges Verhalten im Sinne einer parteipolitischen Instrumentalisierung der Funktion als Gewerkschaftsspitze empfunden haben.

Und natürlich hängt die behauptete zunehmende Distanz zur Sozialdemokratie innerhalb der Gewerkschaften zum einen zusammen mit dem "Hartz IV-Trauma" im Gefolge der rot-grünen Agenda 2010, zum anderen aber auch mit den Erfahrungen, die man mit der SPD in den zurückliegenden Großen Koalitionen gemacht hat. Zwar wird immer wieder die Durchsetzung gewerkschaftlicher Positionen durch die SPD in der Regierung beschworen - aber einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt zu haben wird verständlicherweise von so manchem Gewerkschafter nicht dermaßen als Höhepunkt einer arbeitnehmerorientierten Politik gefeiert, wie sich da manche Parteifunktionäre und parteipolitisch gebundene Apparatschiks in den Gewerkschaften wünschen würden. Man muss an dieser Stelle auch zur Kenntnis nehmen, dass die Anhänger und Mitglieder eines konkreten Partei-Produktes der damaligen rot-grünen Agenda-Politik - also der Linken - in den Gewerkschaften und dabei gerade im unteren und mittleren Funktionärsbereich durchaus stark verankert sind und sich natürlich entsprechend abarbeiten an der bisherigen sozialdemokratischen Politik. Und seit einiger Zeit darf eine weitere Entfremdungsdimension bei einer ehrlichen Analyse nicht fehlen: natürlich geht der allgemein zu beobachtende Rechtsruck in unserer Gesellschaft nicht an den Gewerkschaften vorbei, das haben die bereits bei den Wähleranteilen der AfD unter aktiven Gewerkschaften bei den letzten Wahlen, vor allem der Bundestagswahl 2017 lernen müssen. Die Gewerkschaften sind als Mitgliederorganisationen eben auch nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.

Und es ist auch dieses besonders belastende Erbe der Agenda 2010-Aversionen unter vielen Gewerkschaftern, die dazu führen, dass die Gewerkschaften am heutigen Tag der Arbeit auf eine Baustelle, dabei aber wieder einmal auf eine mehr als unübersichtliche Nebenbaustelle geführt werden und sich dort Scharmützel mit Leuten liefern (müssen), denen es um grundsätzliche Alternativen der sozialen Sicherung geht. Gemeint ist die Debatte über eine bedingungsloses Grundeinkommen. Dazu bereits die Ausführungen in dem Beitrag Den Finnen geht beim (angeblichen) "Experiment" zum "bedingungslosen Grundeinkommen" (vorsätzlich) die Puste aus und in Deutschland wird dem ganzen Ansatz ein "Sozialstaat 4.0" entgegengestellt vom 28. April 2018, denen man entnehmen kann, wie sich Gewerkschaften wie die IG Metall und auch gewerkschaftsnahe Wissenschaftler massiv gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen stellen. Das wurde jetzt rund um den Tage der Arbeit weiter konturiert.

Gewerkschaften lehnen bedingungsloses Grundeinkommen ab - so einer der Berichte dazu: »Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist nach Ansicht der Gewerkschaften keine Lösung zur Abfederung der Digitalisierung. DGB-Chef Reiner Hoffmann warnte davor, "Menschen mit einer Stillhalteprämie aufs Abstellgleis zu stellen".« Und für alle ganz deutlich: Der Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen sei "eine absolute Fehlorientierung", so der DGB-Vorsitzende.

»Arbeit sei mehr als Broterwerb, sagte Hoffmann. Sie strukturiere den Alltag, sorge für Teilhabe und sozialen Zusammenhalt. Ob die Digitalisierung traditionelle Jobs vernichte, ohne dass in gleichem Maße andere entstehen würden, sei noch offen, sagte Hoffmann. "Schon in den Siebzigerjahren hieß es, Roboter und technologischer Fortschritt machen arbeitslos." Das sei jedoch kein Automatismus. Es sei zudem unklar, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert werden könnte.«

Man kann sich vorstellen, dass das die Anhänger dieses systemverändernden Ansatzes zu teilweise wütenden Gegenreaktionen veranlasste. Dabei muss man unabhängig von der eigenen Positionierung zur Kenntnis nehmen, dass die Debatte über das Pro und Contra eines bedingungslosen Grundeinkommens wenn überhaupt erst in einem sehr frühen Stadium ist und sich "das" Modell (das in Wirklichkeit aus ganz unterschiedlichen Konzepten besteht, vgl. dazu nur den synoptischen Versuch von Ronald Blaschke: Grundeinkommen und Grundsicherungen – Modelle und Ansätze in Deutschland. Eine Auswahl, Oktober 2017) keineswegs, selbst wenn man dem Modell folgen möchte, zur baldigen Umsetzung eignet. Immerhin wäre das ein Umbau des bestehenden Sozialsystems, der weitaus gravierender wäre als die Hartz-Gesetze oder die große Rentenreform am Ende der 1950er Jahre. Und unabhängig von grundsätzlichen Finanzierungsfragen oder Aspekten der praktischen Durchführung (Dynamisierung der Leistungen, Sonderbedarfe, Umgang mit den gegebenen Sozialversicherungssystemen usw.) würde eine Umsetzung derzeit, ob einem das gefällt oder nicht, schon an der Frage, wer denn alles Anspruch hätte auf diese Leistung, an der Mehrheit in der Bevölkerung scheitern, wenn es beispielsweise um die Forderung nach einer universalen Grundeinkommensleistung für alle, die bei uns leben, geht. Also nicht nur auch geflüchtete Menschen, sondern Zuwanderer aus anderen, ärmeren EU-Staaten. Über all diese Fragen müsste erst einmal offen diskutiert und gestritten werden.

Eine lesenswerte und umfangreiche Analyse einiger wichtiger Teilabschnitte dieser großen gesellschaftspolitischen Baustelle hat Florian Diekmann mit seinem Artikel Was ein bedingungsloses Grundeinkommen bringt vorgelegt: »Jobverluste durch Digitalisierung, ungerechtes Hartz IV: Viele bezweifeln, dass der Sozialstaat die großen Probleme noch lösen kann - und fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen. Kann es diesem Anspruch gerecht werden?« Seine Darstellung verdeutlicht die unglaubliche Breite des Spektrums und der Positionen und damit eben das Anfangsstadium einer notwendigen, aber längst noch nicht umsetzungsreifen Idee. Insofern wäre es nicht nur aus taktischen Gründen sicher besser gewesen, die offiziellen Gewerkschaftsvertreter und ihre Zuarbeiter hätten auf ein Gesprächsangebot an die gesetzt, die sich von einem bedingungslosen Grundeinkommen setzen und viele Hoffnungen damit verbinden. Die nun klar gewordene eindeutige Positionierung erweckt den Eindruck, man habe gegen ein konkretes, umsetzungsreifes Alternativangebot Stellung bezogen, was dann natürlich von der anderen Seite sofort instrumentalisiert wird in dem Sinne, dass die Gewerkschaften wieder einmal nur ihren an die klassische Erwerbsarbeit gebundenen Selbsterhaltungsinteressen frönen.

Dabei sind die für die Gewerkschaften naheliegenden und mit Blick auf den vielerorts zu beobachtenden Stillstand dringlich zu bearbeitenden Baustellen natürlich nicht außerhalb der Sphäre der gegebenen Erwerbsarbeitswelt, sondern mittendrin.


Die Abbildung verdeutlicht ausgehend von der Kernkompetenz der Gewerkschaften, also der Organisation der Belegschaften und deren Schutz über tarifvertragliche Strukturen sowie die Beteiligung an der innerbetrieblichen Mitbestimmung über gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte, welchem Zerfallsprozess diese Funktionalität in den zurückliegenden Jahren in der betrieblichen Realität ausgesetzt war. Tarifflucht und Abnahme der betrieblichen Mitbestimmung über Betriebsräte - so kann man den Blick zurück zusammenfassen. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Zur Entwicklung der Tarifbindung und der betrieblichen Mitbestimmung. Die Kernzone mit Flächentarifverträgen und Betriebsräten ist weiter unter Druck vom 5. Juni 2017.

Und in dem Beitrag Tarifbindung mit Schwindsucht und die Allgemeinverbindlichkeit als möglicher Rettungsanker, der aber in der Luft hängt vom 9. Mai 2017 wurde ausgeführt, dass gerade in den Branchen, wo wir einerseits Beschäftigungswachstum haben, andererseits mit einem teilweise einfach nur als grottenschlecht zu bezeichnenden gewerkschaftlichen Organisationsgrad konfrontiert sind, also in vielen Dienstleistungsbranchen, die offensichtliche Notwendigkeit bestehet, die Tarifbindung (wieder oder oft erstmals) herzustellen. Das passiert teilweise erfolgreich unter äußerst mühsamen "Häuserkämpfen" in einzelnen Unternehmen über die Gründung und Stabilisierung von Betriebsräten und die Herbeiführung einer Anerkennung der Tarifverträge durch Verhandlungen und auch Arbeitgskampfaktivitäten. Gerade die IG Metall hat diesen Weg seit einigen Jahren beschritten und kann durchaus Erfolge ausweisen.

Aber in vielen und vom Beschäftigungsvolumen so wichtigen Dienstleistungsbereichen tut sich vor allem die Dienstleistungsgwerkschaft ver.di besonders schwer, ausreichend Fuß zu fassen in den Belegschaften, man denke hier nur beispielsweise an die so wichtige und enorm unter Druck stehende Pflege. Der mangelhafte Organisationsgrad der Beschäftigten und das Fehlen flächendeckender Tarifstrukturen in solchen Branchen erschwert dann auch die grundsätzlich mögliche Hilfestellung des Staates, über das Instrumentarium der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (wieder) Ordnung zu schaffen. Das "wieder" bezieht sich dann auf Branchen, in denen es mal eine ausdifferenzierte Tarifbindung der meisten Unternehmen gab oder gar eine Allgemeinverbindlichkeit gegeben war. Das prominenteste Beispiel und auch in diesem Blog immer wieder thematisierte Beispiel ist der Einzelhandel, in denen die Allgemeinverbindlichkeit im Jahr 2000 abgeschafft wurde und die sich seitdem auf der Rutschbahn nach unten befindet hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Die Mehrheit der Unternehmen und der dort arbeitenden Beschäftigten sind schon gar nicht mehr tarifgebunden.

Aber selbst wenn sie wollte, könnte die Politik den Gewerkschaften an dieser Stelle gar nicht zur Hilfe kommen, denn aufgrund der Mechanik einer Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen haben die Arbeitgeber über den Tarifausschuss ein faktisches Vetorecht und sie können darüber eine stärkere Nutzung dieses Instruments blockieren. Was sie auch getan haben, so dass wir eine Abnahme der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge zur Kenntnis nehmen müssen. Und das wird sich absehbar auch nicht ändern, denn im neuen Koalitionsvertrag findet sich zu diesem Punkt nichts. Kein Wort. Nicht mal ein Prüfauftrag, mit dem man ansonsten strittige Themen doch noch am Leben halten will. Auf Hilfe an dieser Stelle werden die Gewerkschaften von dieser GroKo nicht hoffen dürfen.

Insofern werden sich die Gewerkschaften weiter abstrampeln müssen, um bei den Beschäftigten zu landen und diese zu überzeugen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Man muss an dieser Stelle, anmerken, dass es immer einfach ist, den Gewerkschaften angebliche Erfolglosigkeit vorzuwerfen und in den Raum zu werfen, sie seien irgendwie schuld an der Malaise. Natürlich sind es auch gewerkschaftliche Gründe, die zu niedrigen Organisationsquoten führen, das kann man beispielsweise derzeit an der Pflege und den Problemen von, aber eben auch vieler Pflegekräfte mit ver.di studieren. Mangelnde Identifikation vieler Dienstleistungsberufe mit dem riesigen Gemischtwarenladen ver.di, wo eine große Zahl an sehr heterogenen Berufsbildern abgedeckt werden müssen, ist ein nicht zu unterschätzendes Problem für die Bereitschaft, sich dieser Gewerkschaft anzuschließen.

Aber es gibt immer eine zweite Seite der Medaille und die bestehet eben darin, dass es auch einen grundsätzlichen Resonanzboden bei den Beschäftigten geben muss, sich kollektiv unter dem Dach einer Gewerkschaft für die Arbeitsbedingungen einzusetzen und sich zu engagieren. Es gibt mithin nicht nur eine Hol-, sondern gewissermaßen auch eine Bringschuld der betroffenen Arbeitnehmer.

Über diese Dimension, die zudem noch erschwert wird durch die Entstehung neuer Beschäftigungsformen und die dann in Unternehmen, in denen es überhaupt (noch) keine Bezüge zu Mitbestimmung über Betriebsräte oder gar Verhandlungen mit Gewerkschaften gibt, wird durchaus nachgedacht und diskutiert in den gewerkschaftlichen Kreisen. Dazu als ein Beispiel das Interview Arbeitnehmerrechte in der Digitalwirtschaft: "Wir sind in einer Umbruchphase" mit Anke Hassel, der Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung-Stiftung.

»Wir erleben jetzt insgesamt, dass durch die Digitalisierung neue Beschäftigungsformen entstehen. Und die Plattformökonomie und Plattformtätigkeiten sind eine Form davon. Das sind genau diese Essensbestelldienste, die über eine Plattform vermittelt werden. Und dort gibt es ganz wenige Regeln. Es gibt in manchen Bereichen von neuer Digitalisierung wenige Regeln, wie man die Arbeitsbedingungen überhaupt aushandeln und gestalten kann. Und hier versuchen natürlich Unternehmen, ihre eigene Marktmacht erst mal durchzusetzen.
Aber man sieht auch ..., dass die Beschäftigten und diejenigen, die in diesen Bereichen arbeiten, sich durchaus auch dagegen wehren und auch zu eigenen Formen der Solidarisierung greifen und auch sich durchaus organisieren.«

Das ist eine der ganz großen und handfesten Baustellen, mit denen sich die Gewerkschaften beschäftigen müssen. Schon grundsätzlich ist es schwierig, im Abwehrkampf gegen Tarifflucht und Ausdünnung betrieblicher Mitbestimmung die Arbeitnehmer in den "klassischen" Betrieben und Branchen zu organisieren und mit ihnen Gegenwehr zu leisten. Noch weitaus schwieriger ist es für die Gewerkschaften, in den neuen Unternehmen, Branchen und angesichts der (noch?) "abweichenden", oftmals prekären Beschäftigungsformen ihre Kernaufgaben erfüllen zu können. Da haben sich viele Aktivitäten und Bemühungen in den vergangenen Jahren entfaltet, aber es bleibt noch ein großes, in vielen Teilen unbestelltes Feld.

Das allein wäre schon der Aufgabe genug - und zugleich, darauf kann hier nur hingewiesen werden, müssen die Gewerkschaft immer auch kritisch über den Grad ihrer Vereinnahmung bzw. Instrumentalisierung im bestehenden System reflektieren und offen diskutieren. Ob das in Gestalt "tarifdispositiver Regelungen" daherkommt, wo anders als normalerweise von den Menschen erwartet schlechtere Arbeitsbedingungen über tarifvertragliche Regelungen ermöglicht werden (vgl. hierzu den Beitrag Mit Tarifverträgen fahren Arbeitnehmer besser. Das stimmt (nicht immer). Über "tarifdispositive Regelungen" und ihre Ambivalenz mit erheblicher Schlagseite vom 2. September 2017), in Form der Ermöglichung einer Abweichung vom "equal pay"-Grundsatz in der Leiharbeit durch eigene Tarifverträge mit den Entleihunternehmen und damit einer strukturellen Abkoppelung der Leiharbeiter (vgl. dazu Wenn die Leiharbeiter in der Leiharbeit per Tarifvertrag eingemauert werden und ein schlechtes Gesetz mit gewerkschaftlicher Hilfe noch schlechter wird vom 19. April 2017), als Indienstnahme der Tarifverträge und damit der Gewerkschaften für "Experimente" bei der Arbeitszeitgesetzbung oder aber als Einbindung der Gewerkschaften in die Welt der Betriebsrenten über gemeinsam mit den Arbeitgebern betriebene Einrichtungen wie der "Metallrente" und damit verbunden die notwendige Akzeptanz der Spielregeln auf dem kapitalgedeckten Altersvorsorgemarkt, auch wenn es sich aufgrund der wachsenden Inanspruchnahme der Entgeltumwandlung bei immer mehr "Betriebsrenten" um solche handelt, die überwiegend bis ausschließlich von den Arbeitnehmern selbst finanziert werden (müssen), daherkommt (vgl. dazu Die halbierte Betriebsrentenreform, eine "kommunikative Herausforderung" gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt vom 3. Juni 2017) - immer geht es um das Problem, dass die Grenze zwischen (noch) Opfer der herrschenden Verhältnisse sein oder (schon) Täter im Sinne einer Stabilisierung werden in der wirklichen Wirklichkeit eben nicht eindeutig ist, sondern einen fließenden Übergang darstellt.