Informationen, Analysen und Kommentare aus den Tiefen und Untiefen der Sozialpolitik
Sonntag, 29. April 2018
3,7 Millionen - wohlgemerkt - sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte verdienen weniger als 2.000 Euro brutto pro Monat. Das hat Folgen, nicht nur heute schon
In den vergangenen Wochen wurde mal wieder intensiv über Hartz IV und dabei auch über die Höhe der Regelleistungen in der Grundsicherung diskutiert und gestritten. Und immer wieder wurde dabei auch darauf hingewiesen, dass es viele Menschen gibt, die arbeiten gehen und knapp oberhalb der Bedarfsgrenzen des Hartz IV-Systems liegen. Und um die sich kaum einer kümmern würde, die aber mit dem kargen Entgelt für ihre Arbeit alleine über die Runden kommen müssen. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Zahlen, so nüchtern sie daherkommen, eine notwendige Offenbarung, dass wir hier nicht über eine kleine Minderheit sprechen, die mit niedrigen Löhnen abgespeist wird. Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sabine Zimmermann, hat sich in der Fragestunde des Bundestags danach erkundigt, wie viele Menschen denn weniger als 2.000 Euro brutto pro Monat bekommen für ihre Arbeit - und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat geantwortet. Die Daten aus dieser Antwort sind in der Abbildung visualisiert.
»Nach den jüngsten Zahlen von Ende 2016, neuere Daten liegen nicht vor, waren dies 17,7 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten in Deutschland. Im Westen betrug der Anteil 14,7 Prozent, im Osten sogar 31,2 Prozent«, kann man diesem Artikel entnehmen. Das hat natürlich zahlreiche Folgen, die nicht nur heute ihre Wirkung entfalten, sondern die viele in der Zukunft bitter zu spüren bekommen werden.
Zum einen haben wir natürlich für die unmittelbar davon Betroffenen das Problem, dass solche Monatsentgelte keine großen Sprünge erlauben. Denn für die Kaufkraft der Löhne ist ja nicht das Brutto relevant, sondern der Nettobetrag, der auf dem Konto des Arbeitnehmers landet. Und der wird von den Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen formatiert, die in Abzug gebracht werden.
An dieser Stelle passt dann sicher der Hinweis auf diese Meldungen, die in den vergangenen Tagen (mal wieder, weil ein strukturelles Problem spiegelnd) durch die Medien gereicht wurden: Deutschland belastet Arbeitseinkommen besonders stark: »In Deutschland liegt die steuerliche Belastung des Arbeitseinkommens so hoch wie in kaum einem anderen Industrieland. Laut einer Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gilt das vor allem für kinderlose Alleinstehende. Im vergangenen Jahr führten diese durchschnittlich 49,7 Prozent ihres Einkommens als Steuern und Sozialabgaben an den Staat ab. Der Arbeitgeberanteil an den Sozialabgaben ist dabei mit eingerechnet ... Unter den 35 bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vertretenen Industrieländern liegt damit nur noch Belgien mit 53,7 Prozent vor Deutschland. Der OECD-Schnitt liegt bei 35,9 Prozent. In der Schweiz zahlen kinderlose Alleinstehende nur 21,8 Prozent an Einkommenssteuer und Sozialabgaben.«
Man sollte dabei auch diese Diagnose zur Kenntnis nehmen - vor allem, wenn seitens interessierter Kreise immer über "die" hohe Abgabenbelastung geklagt wird: »Gleichzeitig müssen sich die Arbeitgeber in Deutschland nur mit vergleichsweise geringen Beträgen an den Sozialabgaben beteiligen«, so dieser Artikel: Deutsche Arbeitnehmer zahlen besonders hohe Steuern und Abgaben.
Und die an sich schon niedrige Löhne für eine Vollzeitarbeit treffen überdurchschnittlich auf Haushalte, die dann besonders betroffen sind von den überdurchschnittlichen Preissteigerungen, die wir trotz einer eben im Durchschnitt niedrigen Inflationsrate insgesamt in bestimmten, für diese Haushalte besonders relevanten Bereiche zur Kenntnis nehmen müssen - man denke hier nur an die Mieten, die Strom- und Energiepreise oder Lebensmittel. Und dann sind das oft Haushalte, die aufgrund des Überschreitens von Schwellenwerten keine Zuschüsse oder Gebührenerleichterungen bekommen (können).
Und eine weitere Rechnung wird den Betroffenen dann später im Alter bei Fortexistenz des bestehenden Rentensystems serviert werden - sie werden nur sehr niedrige Rentenansprüche erwirtschaften können, denn die Systematik der Entgeltpunkte basiert auf der Voraussetzung einer möglichst langen beitragspflichtigen Erwerbsarbeit in Vollzeit, mit der wenigstens das einem Entgeltpunkt zugrundeliegende Durchschnittsentgelt erzielt wird. Davon aber können Menschen, die 2.000 Euro oder weniger brutto nach Hause bringen, nur träumen. Denn das vorläufige Durchschnittsentgelt der Gesetzlichen Rentenversicherung wird für das laufende Jahr 2018 mit 37.873 Euro pro Jahr ausgewiesen. Das wäre eine Bruttomonatsentgelt von 3.156 Euro. Verdient jemand nun 2.000 Euro pro Monat, dann bekommt er oder sie nicht einen Entgeltpunkt, sondern lediglich 0,634 Entgeltpunkte für ein Jahr gutgeschrieben.