Mittwoch, 11. Oktober 2017

Ein Streik unter dem Kreuz? Die einen sagen, das geht gar nicht, die anderen probieren es und viele reiben sich verwundert die Augen


Es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz, wenn der Arbeitgeber das als Etikett auf ein Unternehmen klebt, das ansonsten weitgehend so vor sich hinwerkelt wie ein anderes, das aber als "kommunal" oder "privat" geführt wird. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Kirchen oder Klöster, in denen die Brüder und Schwestern der jeweiligen Kirche ihr ganz eigenes Leben gestalten und das auch geschützt vor dem Staat machen sollen, sondern es geht um Wirtschafts- und Versorgungsunternehmen, die ausschließlich von Dritten finanziert werden, beispielsweise Krankenhäuser, die ihr Geld vom Beitrags- und Steuerzahler und von den Patienten bekommen und denen der normale Mensch - seien wir doch ehrlich - nicht ansieht, in welcher Trägerschaft sich denn nun die Klinik genau befindet. Er wird die Eingangshallen einer "katholischen" Klinik ohne weiteres mit der einer in kommunaler Trägerschaft verwechseln können. Nicht einmal eine ordentliche Dosis Weihrauch macht hier den Unterschied, weil es die nicht gibt.

Aber für die Beschäftigten sieht das ganz anders aus. Ob sie die Klinik als Mitarbeiter irgendeines "normalen" Unternehmens betreten - oder ob ihr Arbeitgeber ein "kirchlich gebundener" Träger ist, das hat erhebliche Auswirkungen. Der "normale" Arbeitnehmer hat einen Arbeitsvertrag mit der Kommune, dem Universitätsklinikum oder einem der privaten Träger von Krankenhäusern und alle damit verbundenen Pflichten, wie auch Rechte. Natürlich muss er den Weisungen seines Arbeitgebers Folge leisten, soweit sich die im rechtlich zulässigen Rahmen bewegen. Aber jeder Arbeitnehmer wird sicher kopfschüttelnd bis empört eine Vorgabe seines Arbeitgebers, von einer Scheidung der eigenen Ehe abzusehen oder den Tatbestand der Homosexualität bitte nicht öffentlich zu bekennen und auszuleben, so behandeln, was es ist - ein völlig übergriffiges Verhalten des Arbeitgebers gegenüber seinem Beschäftigten, denn das geht ihn schlichtweg nichts an, was man in seiner Freizeit und dem Privatleben so treibt.

Da wird der eine oder andere, wahrscheinliche aber viele Zeitgenossen irritiert sein ob dieser Sonderwelt, die sich hier auftut, denn eigentlich muss es doch so gehen: Man könnte es in vielerlei Hinsicht so einfach haben, wenn man rigoros den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat befolgen würde. Denn Religion und die möglicherweise, weil nicht zwangsläufig mit der Religionsausübung verbundene Mitgliedschaft in einer Kirche ist (eigentlich) ganz offensichtlich eine höchst private Angelegenheit. Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden, wenn er oder sie das eine, also seine religiöse Aktivität unterscheiden kann von dem, was des Staates ist. Und wenn der Staat als eine seiner Kernaufgaben Regeln des Zusammenlebens erlässt, die beispielsweise die Rechte (und Pflichten) von Arbeitnehmern in der Arbeitswelt normieren, sollte man meinen, dass das dann auch für alle Staatsbürger vollumfänglich zu gelten hat und es nicht normale und Staatsbürger light geben darf, wobei die Light-Variante an den Kirchen-Status gebunden ist. Vor allem nicht, wenn es sogar um Grundrechte geht.

Das ist aber nicht so, wie wir in diesen Tagen erneut erfahren müssen, ausgelöst von dem ersten geplanten Streik in einem "katholischen" Krankenhaus - was in den Medien auf großes Interesse gestoßen ist, vgl. beispielsweise Erstmals Streik an einem katholischen Krankenhaus. Die geplante Warnstreikaktion ist nicht völlig isoliert, sondern eingebettet in bundesweite Streikaktivitäten der Pflegekräfte (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Druck im Kessel. Die Pflegekräfte und das Herantasten an den großen Pflegestreik. Oder doch nur ein Sturm im Wasserglas? vom 10.10.2017). »Der Streik von Beschäftigten der Marienhausklinik Ottweiler am Mittwoch wird bundesweit beobachtet – von Gewerkschaftern, Politikern und nicht zuletzt von Arbeitsrechtlern«, konnte man einen Tag vorher diesem Artikel mit einer bezeichnenden Überschrift entnehmen: Aufregung vor der großen Premiere: Dass an einer katholischen Einrichtung gestreikt werden soll, ist eine bundesweite Premiere. Gut möglich, dass dies zukünftig Stoff für rechtswissenschaftliche Uni-Seminare und Klausuren sein wird. Der Leiter der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht an der Tübinger Eberhard-Karls-Universität, Professor Hermann Reichold, wird von der Saarbrücker Zeitung mit diesen Worten zitiert: „Es ist sehr interessant, wie die Sache ausgehen wird.“

Um den Sachverhalt richtig einordnen zu können, muss man wissen, wer genau der Träger des Krankenhauses im saarländischen Ottweiler ist. Es handelt sich um die Marienhaus Unternehmensgruppe. Der Selbstdarstellung dieses großen Gesundheits- und Sozialkonzerns kann man folgende Hinweise zur Entstehungsgeschichte entnehmen: »Ende 2011 haben die Waldbreitbacher Franziskanerinnen ihre Einrichtungen in die Marienhaus Stiftung überführt. Diese Stiftung, die ihren Sitz in Neuwied hat, hat die Ordensgemeinschaft im Herbst 2011 gegründet. Mit diesem Schritt hat die Gemeinschaft die Weichen für die Zukunft der bisher ordenseigenen Marienhaus GmbH gestellt. - Auch wenn die Waldbreitbacher Franziskanerinnen jetzt die Letztverantwortung für ihre Werke abgeben, so sollen die Einrichtungen der Marienhaus Unternehmensgruppe auch in Zukunft im Sinne des Ordens und seiner Gründerin, der seligen Mutter Rosa Flesch, weiter gestaltet und entwickelt werden. Auch die Franziskanerinnen von der Hl. Familie Mayen e.V. haben ihre Einrichtungen, die in der Franziskus Hospital und Pflegezentren gGmbH und deren Tochter- und Beteiligungsgesellschaften organisiert waren, in die Marienhaus Stiftung überführt. Für diese hatte die Marienhaus GmbH seit 2009 bereits die Geschäftsbesorgung wahrgenommen.«

Man muss sich in trockenen Zahlen verdeutlichen, was gemeint ist, wenn davon gesprochen wird, dass wir es hier mit einem "der größten christlichen Träger von sozialen Einrichtungen in Deutschland" zu tun haben: Zum Unternehmen zählen 19 Krankenhäuser (an 31 Standorten), 29 Alten- und Pflegeheime, 5 Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, 9 Hospize, 9 weitere Einrichtungen und 10 Bildungseinrichtungen. Der Konzern beschäftigt etwa 13.800 Arbeitnehmer bzw. Dienstnehmer, wie das im Kirchen-Deutsch heißt. Schon vor einigen Jahren, konkret 2010, wurde ein Umsatzvolumen von 620 Mio. Euro erwähnt (vgl. dazu Das Gespräch mit Schwester Edith-Maria Magar, Aufsichtsratsvorsitzende der Marienhaus GmbH, und Christa Garvert, Sprecherin der Geschäftsführung der Marienhaus GmbH: „Wir leisten uns auch humane Rendite“ im Deutschen Ärzteblatt). Und 2016 wird das hier berichtet: »Nach der Eingliederung der Cusanus Trägergesellschaft Trier wird die Marienhaus Stiftung an der Grenze zur Umsatzmilliarde kratzen. Dadurch wird sie zum größten Träger der Caritas aufsteigen.«

Wir reden hier über ein im "klassischen" Sinne sehr erfolgreiches Unternehmen, was man beispielsweise auch diesem bereits 2007 veröffentlichten Artikel entnehmen kann: Wenn die Kirche der Boss ist. Da wird der damalige Marienhaus-Konzern auch schon prominent zitiert, ebenfalls in Person der Christa Garvert: »Über Renditen möchte sie nicht reden. „Aber wir wollen in der Gewinnzone wirtschaften“, sagt sie bescheiden.« Der geneigte Leser erfährt dann aber trotz aller vornehm daherkommenden Zurückhaltung, dass man 2006 schon »unterm Strich 10,3 Millionen Euro Gewinn« eingefahren habe. Wohlgemerkt, das war 2006.

Vor diesem Hintergrund wieder zurück in die saarländischen Niederungen und an die neue Streikfront, die sich hier - möglicherweise - zu konstituieren beginnt. Die Pflegekräfte wollen also in einem "katholischen Haus" streiken. Das ruft den Träger auf den Plan dem Artikel Aufregung vor der großen Premiere können wir dazu entnehmen:

Die Marienhaus Unternehmensgruppe hält den Warnstreik für unzulässig – wegen des „Dritten Weges“, der in kirchlichen Einrichtungen gilt. Das bedeutet, dass die Arbeitsbedingungen nicht zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber ausgehandelt und in einem Tarifvertrag festgelegt werden, sondern dass dies Aufgabe einer paritätisch besetzten Kommission ist. In der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ steht dazu: „Wegen der Einheit des kirchlichen Dienstes und der Dienstgemeinschaft als Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts schließen kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften ab. Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus.“ Der Träger des Hauses droht Teilnehmern des Streiks mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

Und auch die Gegenseite sieht offensichtlich, dass hier ein ganz neuer Weg beschritten wird: »Um dagegenzuhalten, bietet die Gewerkschaft Verdi ihren gesamten juristischen Sachverstand auf, bis hin zum obersten Justiziar, dem Arbeitsrechtsprofessor Jens Schubert. Am Mittwoch reist außerdem aus Bremen der Fachanwalt Bernhard Baumann-Czichon nach Ottweiler, ein Experte für kirchliches Arbeitsrecht und Chefredakteur der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht und Kirche“.«

Auf beiden Seiten ist eine gewisse Anspannung zu spüren, beide haben ihre Anwälte in Stellung gebracht. Es wäre nicht verwunderlich, wenn dieser Konflikt vor einem Arbeitsgericht endet.

Als Warnstreik zur falschen Zeit am falschen Ort hat die Dienstgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas - so nennen sich die Arbeitgeber - die Arbeitsniederlegung in einem katholischen Krankenhaus im saarländischen Ottweiler bezeichnet. Die Drohung kommt dann so rüber:

»Verdi weiß um die rechtlichen Grundlagen. Es ist daher verantwortungslos, wenn die Gewerkschaft Beschäftigte dazu aufruft, sich an einem Streik zu beteiligen und ihnen damit arbeitsrechtliche Risiken beschert ... Den Dienstgebern vor Ort bleibt daher nichts anderes übrig, als ihre Mitarbeiter auf etwaige arbeitsrechtliche Konsequenzen hinzuweisen.«

Man könnte an dieser Stelle natürlich süffisant darauf hinweisen, dass der katholische Arbeitgeber angesichts der mittlerweile völlig veränderten Angebots-Nachfrage-Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt für Pflegekräfte sehr genau nachdenken sollte, wie man mit seinem "unbotmäßigen" Personal umzugehen gedenkt - aber das ändert ja nichts an der grundsätzlichen Frage nach den arbeitsrechtlichen Pflichten und Rechten der Beschäftigten. Und da kann nur auf dem ersten Blick eine eindeutige Antwort geben nach dem Muster: In kirchlich gebundenen Einrichtungen gibt es kein Streikrecht.

Eine Position kann man beispielsweise dem Interview mit Gregor Thüsing vom Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn entnehmen, der das kirchliche Sonderrecht unterstützt: »Grundsätzlich gilt, dass in kirchlichen Einrichtungen der Streik ausgeschlossen ist.« Man beachte, dass auch Thüsing von "grundsätzlich" spricht. Auf die Frage, warum das kirchliche Arbeitsrecht bei der Streikfrage über dem „normalen“ Arbeitsrecht steht, antwortet er:

»... genauso wie für die Beamten verfassungsrechtliche Besonderheiten gelten, gelten sie auch für die Kirchen. Bei Beamten fußt der Ausschluss der Streikberechtigung daraus, dass für sie nach dem Grundgesetz die Grundsetze des Berufsbeamtentums verfassungsrechtlich festgeschrieben sind. Dazu gehört eben auch der Verzicht auf Streik. Bei den Kirchen ist es die aus dem Selbstbestimmungsrecht resultierende Möglichkeit ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen. Zu diesen Angelegenheiten gehört auch, wie die Verfassung sagt, der Dienst auf Grund von Arbeitsverträgen. Die Kirchen haben sich für ein Modell entschieden, dass auf Streik und Aussperrung verzichten kann, weil man miteinander verhandelt in paritätisch besetzten Kommissionen.«

Zu den Folgen sagt er: »Wenn es tatsächlich zum Streik kommt, dann wäre das eine Dienstpflichtverletzung, eine Arbeitsvertragsverletzung der kirchlichen Arbeitnehmer. Die Gewerkschaft könnte sich Schadensersatzforderungen ausgesetzt sehen, indem sie in einer kirchlichen Einrichtung rechtswidrig zum Streik aufruft.« Nicht ohne unter dem Druck der Nachfragen dann doch wieder zu versuchen, den Ball flach zu halten - »niemand ist in einer solchen Situation gut beraten allzu laut die Muskeln spielen zu lassen.«

Es ist in Wirklichkeit für jeden unterhalb der Promotionsschwelle in Kirchen- und Arbeitsrecht mehr als schwierig bis unmöglich, genau zu verstehen, ob das Streikverbot immer gilt oder ob es nicht doch Möglichkeiten für einen Arbeitskampf gibt.

Bereits am 24. April 2013 wurde in einem Beitrag in diesem Blog ausgeführt: Das kirchliche Sonderarbeitsrecht, darunter das Streikverbot der als "Dienstnehmer" titulierten Arbeitnehmer in den konfessionell gebundenen Einrichtungen war ja in den vergangenen Monaten immer wieder Thema kontroverser Debatten - und Gegenstand eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts, dass - vorsichtig formuliert - nicht wirklich zu einer klaren Lösung beigetragen hat. Ob man die von ganz oben erwarten kann? Wir werden es erfahren, denn: Verfassungsrichter prüfen Streikrecht in Kirchen. Die Gewerkschaft Verdi hat Verfassungsbeschwerde gegen Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts eingelegt. Die Gewerkschaft stört sich an dem BAG-Urteil, »das die bisherige Sonderrolle der Kirchen im Streikrecht bestätigt hat. Darin legten die Bundesrichter fest, dass die Kirchen Gewerkschaften wie Verdi den Arbeitskampf verbieten dürfen, solange sie die Arbeitnehmerorganisationen in die Verhandlungen um verbindliche Arbeitsbedingungen ausreichend einbinden.« Aus Sicht der Gewerkschaft hat das Bundesarbeitsgericht das kirchliche Selbstordnungsrecht über das Grundrecht auf Streik nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gestellt. Aber so einfach wird es mit der Verfassungsbeschwerde nicht werden, denn:

»Juristisch steckt die Gewerkschaft allerdings in einem Dilemma, denn formal hatte sie den Rechtsstreit vor dem Bundesarbeitsgericht gewonnen. Aktuell sind die drei vom Bundesarbeitsgericht genannten Bedingungen nirgendwo erfüllt, so dass Verdi uneingeschränkt streiken darf. Mit diesem Argument könnten auch die Verfassungsrichter eine intensive Prüfung der Beschwerde ablehnen. Die Gewerkschaft rechnet jedoch damit, dass sich die Kirchen bald so umorganisieren werden, dass sie sie Bedingungen erfüllen und Streiks verbieten dürfen.«

Was ist daraus geworden? Am 2. September 2015 berichtete Tanja Podolski in ihrem Artikel Son­derweg für Kir­chen bleibt: »Unzulässig - daran scheiterte die Verfassungsbeschwerde von Verdi zum Streikrecht bei kirchlichen Trägern. Es fehle an einer unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit, entschied Karlsruhe.« (Beschluss  v. 15.07.2015, Az. 2 BvR 2292/13). Also eigentlich eine Nicht-Entscheidung aus formalen Gründen.
Es bleibt also derzeit bei dem, was das Bundesarbeitsgericht ausgeführt hat und das kann man so zusammenfassen:

»Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat vier Kriterien vorgegeben, um die Forderungen des Art. 9 Abs. 3 GG im Dritten Weg ausreichend zu berücksichtigt zu wissen (Urt. v. 20.11.2012, Az: 1 AZR 179/11): paritätisch besetzte Kommissionen, obligatorische Schlichtung, verbindliche Geltung der gefundenen Arbeitsbedingungen und organisatorische Einbindung der Gewerkschaften in den Dritten Weg. Die Kirchen haben ihre gesetzlichen Regelungen hernach vor allem um ein Entsenderecht der Gewerkschaften ergänzt und so die genannten Voraussetzungen erfüllt.«

Auf der anderen Seite gab es nach dem BAG-Urteil aus dem Jahr 2012 auch solche Botschaften: Generelles Streikverbot bei Kirchen gekippt: »Grundsätzlich dürfen Mitarbeiter der evangelischen und katholischen Kirchen künftig streiken. Voraussetzung sei, dass der kirchliche Sonderweg mit dem Ziel eines einvernehmlichen Interessenausgleichs nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt habe, urteilte das Gericht.«

Das hört sich nicht nur alles kompliziert an, das ist es auch. Man könnte sich an dieser Stelle zurücklehnen und den Worten eines Kritikers des "Dritten Weges" lauschen. Der Bonner Sozialethiker Hartmut Kreß hat seinen Contra-Standpunkt so begründet:

»Formal stützen sich die Kirchen auf ein extensiv ausgelegtes Selbstverwaltungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV sowie auf die in Art. 4 GG genannte Religionsfreiheit. Nur: Art. 4 GG schützt die Gewissens- und Glaubensfreiheit der einzelnen Menschen. Zwar lässt sich hieraus indirekt, sekundär auch die korporative Selbstbestimmung von Kirchen ableiten. Jedoch ist die normative Logik der Grundrechte zu beachten. Ihr Sinn ist es, persönliche Abwehr- und Freiheitsrechte für die einzelnen Menschen zu garantieren. Dieses Anliegen wird unterlaufen, wenn die korporative Religionsfreiheit der Kirchen quasi zum Obergrundrecht erklärt wird, so dass die persönlichen Grundrechte von Arbeitnehmern von ihm überlagert werden. Die kirchlich Beschäftigten – von Ärzten bis zu Erzieherinnen – werden hierdurch zu Staatsbürgern mit reduzierten Grundrechten. Dies ist auch deshalb zu kritisieren, weil die Kirchen besonders große Arbeitgeber sind. Außerdem werden ihre Einrichtungen weitestgehend öffentlich refinanziert.«

So kann man das sehen und so wird das hier auch abschließend aufgegriffen: Die einfachste Lösung wäre, endlich das weit ausgreifende Sonderrecht der Kirchen die bei ihr bzw. den "kirchlich gebundenen Unternehmen" beschäftigten Arbeitnehmer betreffend, die nichts mit dem Innenleben von Kirchen und Klöstern oder dem "Verkündigungsbereich" zu tun haben, abzuschaffen. Grundrechte wie das Streikrecht gehören allen Arbeitnehmern zugestanden. Dass das den Arbeitgebern, in diesem Fall den Kirchen, nicht passt ist verständlich, aber egal.

In dem differenzierten Beitrag Streik in der Kirche!? von Felix Neumann, der sich mit der Perspektive der katholischen Soziallehre auf das Streikrecht und seine Nicht-Zulässigkeit im kirchlichen Bereich beschäftigt, findet man diesen Hinweis auf das amtskirchliche Selbstverständnis: »Für die deutschen Bischöfe, die die Grundordnung für den kirchlichen Dienst erlassen, ist der Ausschluss von Streik wesentlich für den Sendungsauftrag der Kirche: "Für die Einrichtungen der Glaubensverkündigung und die Werke der Nächstenliebe gäbe daher die Kirche ihren Sendungsauftrag preis, wenn sie ihren Dienst den Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems" – zu denen Streik und Aussperrung gehören – "unterordnen würde", schreiben die Bischöfe in einer 2015 veröffentlichten Erklärung. An die Stelle von Arbeitskampf soll die gemeinsame Suche von Dienstnehmern und Dienstgebern nach Konsens stehen.«

Aber Neumann zitiert auch eine gewichtige Gegenstimme - und die soll hier den Abschluss bilden: Der »Jesuit und Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning hat die Idee einer Dienstgemeinschaft und das darin eingeschlossene Streikverbot immer wieder scharf kritisiert. Er sah darin einen Versuch, Interessensgegensätze theologisch zu übertünchen und so mit religiösem Vorwand Arbeitnehmer zu übervorteilen.« Lassen wir Oswald von Nell-Breuning selbst sprechen:

Keine noch so idealen Vorstellungen von Dienstgemeinschaft vermögen es zu rechtfertigen, Menschen, die nichts weiter wollen als rechtschaffenen Broterwerb und gutes Fortkommen im Leben, ein religiös bestimmtes Dienstverhältnis aufzunötigen, das mehr Opfer und Verzichte abverlangt und weniger Freiheit und rechtliche Absicherung gewährt als ein Arbeitsverhältnis beim Staat oder in der Wirtschaft. (Oswald von Nell-Breuning, 1977)

Foto: © Stefan Sell