»Demnach waren 2012 in Deutschland rechnerisch 19 Pflegekräfte (Vollzeitstellen) je 1.000 Fälle angestellt. Im Schnitt der OECD-Länder waren es fast 32. In Japan sind es sogar 53 Vollzeitpflegekräfte je 1.000 Fälle gewesen ... Das gelte auch, wenn man die Zahl der Pflegekräfte auf die Belegungstage betrachte. Dann lande Deutschland sogar auf dem letzten Platz. Trotzdem hätten die Kliniken weiter Pflegepersonal abgebaut, erläutert die Untersuchung. Demnach habe es 2015 rund 3,4 Prozent weniger Pflegepersonal gegeben als im Jahr 2000«, kann man dem Artikel Pflegepersonal: Deutschland auf den hinteren Plätzen entnehmen, in dem einige Befunde der Studie dargestellt werden. Das muss im Kontext der Tatsache gesehen werden, dass mit den verkürzten Liegezeiten der Patienten die Belastung der Pflegekräfte angestiegen ist. Während eine Pflegevollkraft in einem allgemeinen Krankenhaus 2003 statistisch 57,3 Behandlungsfälle zu betreuen hatte, seien es 2015 schon 64 gewesen. Man könnte das Dilemma der deutschen Pflege auch mit diesem Zahlenvergleich illustrieren: 19 Pflegekräfte versorgen in Deutschland 1.000 Krankenhauspatienten, in Norwegen sind es 40.
In den allgemeinen Krankenhäusern in Deutschland gab es 2015 knapp 291.000 Vollzeitstellen
für Pflegekräfte, dazu knapp 30.000 in Spezialkliniken für psychiatrische, psychotherapeutische, neurologische oder geriatrische Patienten. Das Pflegepersonal war mit 36,1 Prozent in den allgemeinen Krankenhäusern (49,2% in den Spezialkliniken) die mit Abstand größte Beschäftigtengruppe.
Die Zahlen zur Belastung der Pflegekräfte stammen aus einer Studie, die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde:
IGES Institut (2017): Faktencheck Pflegepersonal im Krankenhaus Internationale Empirie und Status quo in Deutschland, Gütersloh, Mai 2017
Die Bertelsmann-Stiftung berichtet dazu unter der Überschrift Zu wenige Pflegekräfte gefährden Versorgungsqualität: »Deutsche Krankenhäuser beschäftigen vergleichsweise wenige Pflegekräfte und deren Belastung nimmt beständig zu ... Um Abhilfe zu schaffen, reicht die geplante Aufstockung des Pflegepersonals nicht aus. Auch Mindestpersonalvorgaben sollten zu den Maßnahmen zählen.«
Jan Böcken und Thomas Kostera haben die wichtigsten Aspekte in dieser Publikation zusammengefasst: Pflegepersonal im Krankenhaus. Mehr Pflegepersonal erhöht die Versorgungsqualität – Konkrete Vorgaben zum Stellenplan sind erforderlich. Daraus einige Punkte:
Die internationale wissenschaftliche Literatur belegt, dass der Einsatz von mehr Pflegepersonal die Behandlungsergebnisse im Krankenhaus verbessert. Weniger Todesfälle und Komplikationen nach Operationen können den Studien zufolge direkt mit einer verbesserten Pflegepersonalausstattung in Verbindung gebracht werden.
Im Vergleich zum Ausland ist die Pflegepersonalausstattung in deutschen Krankenhäusern deutlich unterdurchschnittlich.
Wie der Vergleich mit dem Ausland außerdem zeigt, könnte das Aufgabenspektrum deutscher Pflegekräfte einen größeren Anteil höher qualifizierter Tätigkeiten umfassen. Tatsächlich übernehmen Pflegekräfte im Ausland häufig auch Aufgaben, die in Deutschland dem ärztlichen Personal vorbehalten sind. Das gilt zum Beispiel für Schweden und Finnland, wo Pflegekräfte weitreichendere Kompetenzen als in Deutschland haben. Aber das gehört auch zur Wahrheit: Im Ausland ist auch eine Umschichtung von Pflegeaufgaben von vollqualifizierten Pflegekräften auf weniger gut ausgebildete Pflegehelfer oder Pflegeassistenten zu beobachten.
Bis zum Jahr 2007 haben die deutschen Krankenhäuser ihr Pflegepersonal kontinuierlich abge- baut. Seit 2008 hat sich der Trend umgekehrt. 2015 gab es allerdings immer noch 3,4 Prozent weniger Pflegepersonal als im Jahr 2000. Die Zahl der Ärzte ist dagegen in den 15 Jahren mit plus
42 Prozent deutlich gestiegen.
Die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte nimmt zu, wenn Patienten schneller entlassen werden. Denn kürzere Verweildauern bedeuten mehr Pflegestunden pro Patiententag. Ein weiterer Indikator für die steigende Belastung in der Pflege ist der Case-Mix- Index, also der Aufwand, der durchschnittlich für einen Patienten betrieben werden muss. Dieser Aufwand hat sich von 2010 bis 2014 um jährlich 0,7 Prozent erhöht, wobei die in diesem Zeitraum gestiegene Zahl des Pflegepersonals bereits berücksichtigt ist.
Aber hat die Politik nicht längst reagiert auf diese Problematik? Hat sie. Das laufende Pflegestellen-Förderprogramm für die Jahre 2016 bis 2018 könnte unter Berücksichtigung der Eigenbeteiligung der Krankenhäuser rechnerisch insgesamt rund 6.800 neue Vollzeitstellen schaffen. Das sind knapp 3,5 Stellen pro Krankenhaus – diese werden aber nicht gezielt an pflegesensitive Bereiche gekoppelt. Bei dem Pflegestellen-Förderprogramm und dem Pflegezuschlag nach dem KHSG handelt es sich allerdings um Maßnahmen, die nicht zum outputorientierten Vergütungssystem für Krankenhäuser passen. Außerdem besteht für die zusätzlichen Mittel aus dem Pflegezuschlag keine Zweckbindung. Um die Nachhaltigkeit des Pflegezuschlags zu sichern, müssten die Krankenhäuser belegen, dass das Geld auch wirklich für die „Pflege am Bett“ verwendet wird, so Böcken und Kostera,
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat am 1.10.2015 in Berlin die Expertenkommission "Pflegepersonal im Krankenhaus" einberufen. Die Experten aus den Koalitionsfraktionen und den Bundesländern sollten sich mit der Frage einer sachgerechten Berücksichtigung des Pflegebedarfs im Vergütungssystem der Krankenhäuser befassen, so die Ankündigung des Ministeriums im Jahr 2015.
Die Kommission sollte »prüfen, ob im DRG-System oder über ausdifferenzierte Zusatzentgelte ein erhöhter Pflegebedarf von demenzerkrankten, pflegebedürftigen oder behinderten Patientinnen und Patienten und der allgemeine Pflegebedarf in Krankenhäusern sachgerecht abgebildet werden. Abhängig vom Prüfergebnis sollen Vorschläge unterbreitet werden, wie die sachgerechte Abbildung von Pflegebedarf im DRG-System oder über ausdifferenzierte Zusatzentgelte erfolgen kann. Zudem wird sich die Kommission der Frage widmen, auf welche Weise die tatsächliche Verwendung der nach Ablauf des Pflegestellen-Förderprogramms zur Verfügung gestellten Finanzmittel für die Finanzierung von Pflegepersonal sichergestellt werden kann.«
Und am 7. März 2017 wurde dann seitens des Ministeriums darüber informiert: Stärkung der Pflege im Krankenhaus. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, Koalitionsfraktionen und Länder verständigen sich auf die Einführung von Personaluntergrenzen: »In Krankenhausbereichen, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist, sollen künftig Pflegepersonaluntergrenzen festgelegt werden, die nicht unterschritten werden dürfen« - wie beispielsweise auf Intensivstationen oder im Nachtdienst.
Diese Vorschläge wurden im April von der Bundesregierung ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Die Details sollen von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem GKV-Spitzenverband und dem PKV-Verband ausgehandelt werden. Es bleibt abzuwarten, ob diese Verhandlungslösung zu einer tragfähigen Vereinbarung führt.
Um bei allen Argumenten für Personaluntergrenzen gleich Wasser in den Wein zu gießen: Es besteht die Gefahr, dass viele Krankenhäuser die Kennzahlen nicht als Unter-, sondern als Obergrenze verstehen.
Auf der anderen Seite:
»Dass Mindestpersonalvorgaben für bestimmte Fachabteilungen sinnvoll sein können, hat nicht zuletzt der internationale Vergleich gezeigt. Kalifornien und der australische Bundesstaat Victoria haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht. So hat Kalifornien die niedrigste Anzahl von Patienten pro Pflegekraft aller US-Bundesstaaten und zugleich die wenigsten vermeidbaren Behandlungsfehler.« (Böcken/Kostera 2017: 7).
Auch im Bundestag ist das Thema bereits aufgeschlagen. Experten für mehr Pflegepersonal, so ist eine Meldung des Parlaments über eine Anhörung im Gesundheitsausschuss am 17.05.2017 überschrieben. Und die Ausführungen sind höchst interessant:
»Die geplante Einführung von Personaluntergrenzen in der Krankenhauspflege wird von Gesundheitsexperten grundsätzlich unterstützt, stößt bei den Krankenhäusern selbst aber auch auf Vorbehalte.« Hintergrund sind die bereits erwähnten Konsequenzen aus der Arbeit der Expertenkommission "Pflegepersonal im Krankenhaus".
Die Krankenhauspflege soll in sensiblen Bereichen mit Personaluntergrenzen gezielt gestärkt werden. So werden die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) unter Beteiligung der Privaten Krankenversicherung (PKV) damit beauftragt, Personaluntergrenzen in sogenannten pflegesensitiven Bereichen verbindlich festzulegen. Hierbei werden Intensivstationen sowie die Besetzung des Nachtdienstes mit einbezogen. Die konkreten Regelungen, die auf Empfehlungen einer Expertenkommission zurückgehen, sollen bis zum 30. Juni 2018 vereinbart und zum 1. Januar 2019 umgesetzt werden. Um die Pflege nicht in anderen Bereichen zu schwächen, sollen sogenannte Substitutionseffekte vermieden werden. Geplant sind auch Sanktionen für den Fall, dass ein Krankenhaus die Personaluntergrenzen nicht einhält. Wie sich die Personaluntergrenzen in der Pflege auswirken, soll bis Ende des Jahres 2022 wissenschaftlich überprüft werden.
Und offensichtlich wird doch einiges bewegt:
Um die Reform finanziell abzusichern, sollen zum 1. Januar 2019 die Mittel aus dem Pflegestellenförderprogramm in den Pflegezuschlag einbezogen werden. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz (18/6586) war ein Förderprogramm für Pflegestellen im Volumen von bis zu 660 Millionen Euro in den Jahren 2016 bis 2018 aufgelegt worden. Ab 2019 sollen dauerhaft 330 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen, um Jobs zu schaffen für die ,,Pflege am Bett". Zugleich wurde als Ersatz für den wegfallenden Versorgungszuschlag ein Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr beschlossen, der dazu dienen sollte, mehr Personal einzustellen. Nun sollen die Krankenhäuser künftig mit 830 Millionen Euro pro Jahr dabei unterstützt werden, dauerhaft mehr Pflegepersonal zu beschäftigen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft lehnt allgemeine Personaluntergrenzen kategorisch ab. Die seien nur in nachweislich besonders pflegesensitiven Bereichen zu rechtfertigen. Außerdem - kein unwichtiger Aspekt - wird auf die angespannte Personalsituation hingewiesen: So könnten derzeit bis zu 10.000 Pflegestellen nicht besetzt werden.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di weist darauf hin, dass in den Kliniken bereits heute 162.000 Beschäftigte, allein rund 70.000 in der Pflege, fehlten. Besonders kritisch sei die Pflege nachts.
»Der Einzelsachverständige Michael Simon von der Hochschule in Hannover monierte in seiner schriftlichen Stellungnahme, einige Vorschriften seien ungenau formuliert, was zu Fehlsteuerungen führen könnte. So müsse der Begriff Pflegepersonaluntergrenzen eindeutiger definiert werden. Es sei zudem wichtig, die Personalvorgaben pro Schicht zu benennen. Ferner müsse verhindert werden, dass in hohem Maß oder sogar überwiegend Pflegehilfskräfte herangezogen werden, also solche mit niedrigerer Qualifikation.«
Offensichtlich ist das keine einfache Aufgabe. Aber sie wird immer dringlicher.