Mittwoch, 12. April 2017

"Es werden oft Gespenster an die Wand gemalt". Die Digitalisierung, die Roboter und die (angeblichen) Jobverluste

Wer hat nicht mittlerweile irgendwo schon mal davon gelesen oder gehört: Seit der Studie von Frey und Osborne aus dem Jahr 2013 geistert immer wieder die Zahl von der Hälfte der heutigen Jobs, die in den kommenden Jahren verloren gehen sollen aufgrund der Digitalisierung der Arbeitswelt, durch die mediale Landschaft. Das wird schon seit längerem kritisch begleitet (vgl. beispielsweise Max Rauner: Die Pi-mal-Daumen-Studie: »Eine düstere Warnung hat sich verselbstständigt: Angeblich ist jeder zweite Arbeitsplatz durch die Digitalisierung bedroht. Wer bietet mehr?«). Nun erreicht uns aus Österreich diese Botschaft: Studie: Viel weniger Jobs durch Roboter gefährdet als gedacht. Neun Prozent der Menschen in Österreich sind in Bereichen tätig, die potenziell durch neue Technologien ersetzt werden könnten. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS), die im Auftrag des Sozialministeriums erstellt wurde (vgl. IHS 2017: Digitalisierung der Arbeit: Substituierbarkeit von Berufen im Zuge der Automatisierung durch Industrie 4.0). Zwar werde sich in der Arbeitswelt einiges ändern, die Realität sei aber deutlich weniger dramatisch, als das oft dargestellt werde. "Es werden oft Gespenster an die Wand gemalt", so Martin Kocher vom IHS.

Das Institut hat die in der Frey/Osborne-Studie verwendete Methodik auf Österreich übertragen - allerdings mit einer nicht unwichtigen Abweichung: »Die Forscher haben mithilfe von Robotikexperten Berufe danach durchforstet, wie einfach sie durch einen Algorithmus zu ersetzen sind. War die Wahrscheinlichkeit höher als 70 Prozent, gingen sie davon aus, dass alle Jobs in dieser Berufsgruppe wegfallen. Das IHS hat die Berufe nun in deutlich mehr einzelne Tätigkeiten aufgegliedert und für diese Wahrscheinlichkeiten berechnet.« Die Begründung dafür: "Es fallen ja nicht alle Jobs innerhalb einer Berufsgruppe weg".

Und die Ergebnisse der Studie aus Österreich?

»Das Institut hat berechnet, dass etwa 360.000 Arbeitsplätze mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisiert werden könnten. Betroffen sind vor allem Hilfsarbeiter, Handwerker und Menschen in Dienstleistungsberufen. Zwei Drittel der Betroffenen haben maximal einen Pflichtschulabschluss.«
Es wird darauf hingewiesen, dass das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mit der gleichen Methode zu ähnlichen Schlüssen für Deutschland gekommen ist in einer 2015 veröffentlichten Expertise (vgl. dazu ZEW 2015: Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland). Das ZEW hatte berechnet, dass mittelfristig zwölf Prozent der Jobs in Deutschland automatisiert werden könnten.

Dann kommt aber ein Passus, den man auch schon bislang in der kritischen Rezeption der eher dramatisierenden Verbreitung der angeblichen Jobverluste immer wieder angemahnt hat (vgl. dazu beispielsweise meinen Beitrag Wenn sich eine Pi-mal-Daumen-Studie verselbständigt und bei sozialpolitischen Grundsatzthemen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen als Referenz dient vom 30.03.2017):

Die Studie hat sich nur damit beschäftigt, welche Jobs wegfallen könnten, sagte IHS-Chef Kocher. Wie viele neue Arbeitsplätze entstehen, sei nicht Thema. Am Ende des Tages könne es aber sein, dass es durch die Digitalisierung unter dem Strich mehr Jobs gebe. "Auch durch den Computer sind per saldo Jobs dazugekommen."

Anders formuliert: Die Frey/Osborne-Studie und die Apologeten ihrer Befunde hantieren mit (Ansicht schon höchst umstrittenen) Brutto-, nicht aber mit Nettowerten, die sich aus einer Bilanzierung (möglicherweise) wegfallender und (eventuell) neu entstehender Jobs ergeben würden.

Solche Befunde - die übrigens auch in Deutschland seitens des IAB zu Tage gefördert wurden, beispielsweise von Katharina Dengler und Britta Matthes (2015): Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt: In kaum einem Beruf ist der Mensch vollständig ersetzbar. Auch hier schon wurde man mit einem Anteilswert konfrontiert, der den Befunden des ZEW und nun des IHS entsprechen: »Etwa 15 Prozent der sozialversi­ cherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland haben 2013 in einem Beruf gearbeitet, in dem mehr als 70 Prozent der Tätigkeiten bereits heute potenziell von Computern er­ ledigt werden könnten.«

Und in Wolter et al. (2016), Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie, findet man diesen Passus: »In der digitalisierten Welt wird es im Jahr 2025 einerseits 1,5 Mio. Arbeitsplätze, die nach der Basisprojektion noch vorhanden sein werden, nicht mehr geben. Andererseits werden im Wirtschaft 4.0-Szenario ebenfalls 1,5 Mio. Arbeitsplätze entstanden sein, die in der Basisprojektion nicht existieren werden.« (Wolter et al. 2016: 62).

Das verweist auf das eigentliche Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen - der (erneute) gewaltige Strukturwandel auf den Arbeitsmärkten hinsichtlich der Branchenverteilung und der Qualifikationsprofile schreit förmlich nach einer mittel- und langfristig angelegten Strategie, wie es gelingen kann, die Menschen, deren bisherigen Jobprofile Auslaufmodelle werden, in die neue Welt mitzunehmen. Oder Antworten zu suchen, was mit ihnen passieren soll, wenn sie aus welchen Gründen auch immer auf der Strecke bleiben sollten.