Donnerstag, 26. Mai 2016

Die Mühen der Ebene. Integration in einem Paragrafenwerk und in den Niederungen der Sprach- und Integrationskurse. Für die soll sich was verbessern, aber nicht alle werden sie bekommen können

Jetzt geht es aus dem Notmodus der Krisenbewältigung in die Mühen der Integrationsebene. Und da braucht es ein Gesetz in unserem Land, das die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Am 25. Mai 2016 wurde der Gesetzentwurf eines Integrationsgesetzes von der Bundesregierung - von den beiden Ministern für Inneres und für Arbeit/Soziales gemeinsam - der Öffentlichkeit vorgestellt. Parallel wurde die Meseberger Erklärung zur Integration veröffentlicht im Anschluss an das Familientreffen der Großen Koalition auf Schloss Meseberg. Die Meseberger Erklärung umreißt die Grundlinien der Integrationspolitik der Bundesregierung und das Integrationsgesetz wird diese konkretisieren und in ein Regelwerk gießen.

Und man muss nun kein wie auch immer ausgewiesener Experte sein, um der These zu folgen, dass die Sprache eine Schlüsselrolle für eine gelingende Integration spielt. Dazu kann man der Meseberger Erklärung den folgenden Passus entnehmen:

»Sprach- und Wertevermittlung sind zentrales Fundament für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft sowie in Bildung, Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt. Daher werden wir die Zugangsmöglichkeiten für die Teilnahme an Integrationskursen verbessern. Die Möglichkeit, Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte zur Teilnahme am Integrationskurs zu verpflichten, wird erweitert beziehungsweise für Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive neu geschaffen. Der Spracherwerb soll so früh wie möglich erfolgen. Das Integrationsgesetz setzt hierfür Anreize, indem der Teilnahmeanspruch an einem Integrationskurs künftig nach einem statt nach bisher zwei Jahren erlischt. Zusätzlich werden in der Integrationskursverordnung die Voraussetzungen für höhere Kurskapazitäten, mehr Transparenz und eine effizientere Steuerung des Integrationskurssystems geschaffen. Beispielsweise werden Integrationskurse künftig schneller zustande kommen – statt bisher nach drei Monaten künftig spätestens nach sechs Wochen. Der Orientierungskurs wird von bisher 60 auf 100 Unterrichtseinheiten aufgestockt und inhaltlich stärker auf die Wertevermittlung ausgerichtet.«

Bereits im Vorfeld wurde seitens des Bundesinnenministeriums gestreut, dass sich endlich was an der allseits und völlig zu Recht als desaströs niedrig beklagten Vergütung der Lehrkräfte in den Sprach- und Integrationskursen ändern soll im Sinne einer Anhebung der Stundensätze für die meist als Selbständige agierenden Lehrkräfte. Dazu bereits der Blog-Beitrag Der Integrations-Flaschenhals Sprachkurse, die Lehrkräfte und deren schlechte Vergütung. Doch jetzt soll alles besser werden vom 16. Mai 2016.

Konkret: Die meisten Sprachlehrer müssen auf selbständiger Basis arbeiten und tragen die gesamte soziale Absicherung entsprechend auf ihren eigenen Schultern. Im vergangenen Jahr betrug ihr durchschnittliches Mindesthonorar gerade mal 20,35 Euro pro Unterricht. In der Zwischenzeit ist diese Vergütungsuntergrenze zwar auf 23 Euro angehoben worden. Damit kommt ein Sprachlehrer mit 30 Unterrichtseinheiten auf einen Verdienst von 2.800 Euro brutto im Monat.«
Wohlgemerkt - 2.800 Euro brutto für einen auf sich selbst gestellten Selbständigen, nicht für einen fest angestellten Arbeitnehmer. Das Bundesinnenministerium plädiert den Berichten zufolge für eine nennenswerte Anhebung der Vergütungsuntergrenze für Honorarlehrkräfte auf 35 Euro. Das wäre eine Anhebung um 52 Prozent.

Natürlich wird so ein Vorstoß zugunsten der Lehrkräfte nicht deshalb gemacht, weil im Bundesinnenministerium emphatische Beamte sitzen, die endlich mal was Gutes tun wollen für die Lehrkräften, sondern wie so oft im Leben ist das eine schnöde Angebots-Nachfrage-Problematik dergestalt, dass vorne und hinten die Lehrkräfte fehlen oder auf der Flucht sind in andere Arbeitsfelder angesichts der Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten sollen. Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sich um akademisch qualifizierte Lehrkräfte handelt.
Bislang verblieben nur 10 Prozent der Lehrkräfte, die zusätzlich zu ihrem Hochschulstudium die Zusatzqualifikation Deutsch als Fremd- /Zweitsprache erworben haben, in diesem Beruf. Die anderen 90 Prozent suchten schnell das Weite von diesem Berufsfeld mit absolut prekären Arbeitsbedingungen.

Nun sollte man meinen, das wäre doch im wahrsten Sinne des Wortes ein ordentlicher Schluck aus der Pulle und die Betroffenen können sich glücklich schätzen - wohlgemerkt, wenn die bislang nur als Vorschlag zirkulierende Anhebung Realität werden würde.

Dann sollte man einen Blick werfen auf diesen Kommentar: 35 Euro Honorar für Lehrkräfte in Integrationskurse, genug? - Weit gefehlt! Er wurde verfasst von Monika Strauß-Rolle vom Bonner Offener Kreis (BOK), einem Zusammenschluss von von DaF/DaZ-Lehrkräften in Bonn. Und es lohnt sich, einen Blick zu werfen in die Kommentierung:
Für viele überraschend ist dann sicher so ein Satz: »Für viele der Lehrkräfte in Integrationskursen stellt dies zudem absurderweise eine Verschlechterung dar.«

Hallo? Mehr als 50 Prozent im Vergleich zu dem, was jetzt ist. Und dann so eine Aussage? Lesen wir also weiter, wie diese kritische Stellungnahme begründet wird:

Die Verfasserin weist darauf hin, dass das grundlegende Problem der Nicht-Beteiligung der Auftraggeber (oftmals öffentliche Arbeitgeber) an den Sozialversicherung nicht gelöst wird, mit der Folge:

»So müssen wir Lehrkräfte auch weiterhin sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberanteile an diesen Sozialversicherungen zu 100 Prozent selbst tragen.« Fast die Hälfte des Einkommens geht dann schon mal dafür weg.

Aber dennoch, so wird der eine oder andere einwenden, bekommen die doch mehr als vorher und das ist dann doch eine Verbesserung. Oder?

»Kein Wunder also, dass bei solcherart hohen Abzügen viele der Lehrkräfte, vornehmlich Frauen, bislang vermieden haben, so viel zu verdienen, dass ihr Einkommen über der Bemessungsgrenze der Familienversicherung oder der verpflichtenden Rentenversicherung liegt. So werden diese Lehrkräfte in Zukunft einfach weniger Stunden arbeiten, um auch weiterhin nicht die hohen Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen, denn sonst lohnt sich diese Tätigkeit in keinster Weise. Dies wird zur Folge haben, dass auch zukünftig nicht genügend Lehrkräfte für die benötigte Zahl an Deutschkursen zur Verfügung stehen werden.«

Das ist ein Problem. Und es geht weiter: Selbst »mit einem Honorar von 35 Euro pro Unterrichtseinheit bleibt dieser Beruf in Bezug auf die Arbeitsbedingungen völlig unattraktiv, da das Einkommen trotz Hochschulstudium etwa ein Drittel oder die Hälfte des Einkommens einer fest angestellten Lehrkraft oder sogar einer verbeamteten Lehrkraft, an einer staatlichen Schule beträgt.«
Und apropos soziale Absicherung: »Weiterhin sind die Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache auch nach jahre- und jahrzehntelanger Beschäftigung nicht arbeitslosenversichert, sondern müssen direkt Hartz IV beantragen, sobald sie keinen Kurs von ihrem Sprachkursträger zugewiesen bekommen.«

Was wird gefordert, um diese Situation aufzulösen? Dazu aus der Kommentierung von Monika Strauß-Rolle:

1.) »Festanstellung mit tariflich gebundener Eingruppierung und Arbeitsstrukturen, die denen von angestellten Lehrkräften an Schulen mit einem Stundenkontingent von 26 Wochenstunden und den an der Schule üblichen Ferienregelungen entsprechen.«
oder
2.) »Bei Freiberuflichkeit ein Honorar, das das Arbeitgeberbrutto der festangestellten Lehrkräfte um 25% übersteigt (Risikozuschlag), denn das Honorar muss das Urlaubsentgelt, eine Absicherung im Krankheitsfall, im Mutterschutz und bei Auftragsausfall enthalten.«

Auf alle Fälle und wenn es auch unendlich mühsam ist angesichts des isolierten selbständigen Status vieler Lehrkräfte in diesem Feld, beginnen die sich zu organisieren. So wurde das Bündnis DaF/DaZ-Lehrkräfte gegründet, das deren Anliegen weiter vorantreiben will.

Während da also noch einiges offen und es mit Blick auf die erforderlichen Fachkräfte keineswegs gesichert ist, dass die Angebote in dem notwendigen Umfang ausgedehnt werden können, zeigt sich an einem anderen Beispiel, zu welchen fragwürdigen und diskussionsbedürftigen Ergebnissen formale Selektionsstrategien führen können. Bundesregierung bricht Integrationsversprechen, so haben Florian Diekmann und Anna Reimann ihren Artikel dazu überschrieben.

Ein Kernelement des neuen Integrationsgesetzes lautet: Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive - konkret jene aus Syrien, dem Irak, Iran und Eritrea - sollen besser gefördert werden, um in Arbeit und Ausbildung zu kommen.

Doch auch Flüchtlinge mit schlechterer Bleibeperspektive müssten bereits während ihres Asylverfahrens Orientierungskurse erhalten, wird die Bundeskanzlerin Angela Merkel in dem Artikel zitiert. In ihnen werden außer der deutschen Sprache auch grundlegende Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft und ihre Werte vermittelt. Zwar sei einkalkuliert, dass ein Teil dieser Menschen Deutschland wieder verlassen werde, so die Kanzlerin. Aber die Bundesregierung wisse, "wenn wir Menschen erst einmal eineinhalb Jahre nichts anbieten, dass dann Schäden eintreten, die nie wieder gutzumachen sind".

Wohlfeil gesprochen. Und die Realität?

Die "Orientierungskurse" sollen in der zweiten Jahreshälfte 2016 erst einmal in einem Pilotprojekt erprobt werden. »Betrachtet man die Ausschreibung zu diesem Pilotprojekt, könnten bei voller Auslastung der Kurse in diesem Jahr maximal 2.400 Menschen an einem solchen Orientierungskurs teilnehmen, hat die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Brigitte Pothmer, berechnet.«

Und dann lernen wir was über die Ambivalenz scheinbar klarere Regelungen, beispielsweise der "guten Bleibeperspektive", die den den Zugang zu den Sprach- und Integrationskursen ermöglichen soll.

»Besonders betroffen davon sind Flüchtlinge aus Afghanistan. Sie gehören nicht zu den Asylbewerbern mit "guter Bleibeperspektive". Ob jemand diesen Status erhält, wird durch die sogenannte Gesamtschutzquote bestimmt. Diese gibt an, wie hoch der Anteil von Bewerbern aus einem Land ist, deren Anträge entweder anerkannt werden oder die bleiben dürfen, weil sie subsidiären Schutz erhalten oder die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, weil die Verhältnisse dort es nicht zulassen. Liegt diese Gesamtschutzquote bei 50 Prozent oder mehr, haben Menschen aus diesem Land eine "gute Bleibeperspektive". Für Menschen aus Afghanistan liegt sie knapp darunter, bei 47,6 Prozent.«

Und auch wieder eigentlich nicht, wenn man genauer hinschaut.

Denn »in die Gesamtschutzquote fließen auch zahlreiche Fälle ein, die sich vor einer Entscheidung des Bamf erledigt haben - etwa weil bereits in einem anderen EU-Land ein Asylantrag gestellt wurde und nach dem Dublin-Abkommen dieses dafür zuständig ist.«
Und dann der entscheidende Satz:

»Berücksichtigt man nur die Verfahren, in denen tatsächlich auch entschieden wird, erhalten 73,9 Prozent der Afghanen Schutz in Deutschland.«

Also eigentlich müssten die dürfen können. Aber man schaue nur auf den Anteilwert der "unbereinigten" Gesamyschutzquote, selbst die liegt nahe an den erforderlichen 50 Prozent, aber eben immer noch knapp darunter, so dass es keinen schnellen Zugang zu den  Kursen geben wird.
Menschen aus Afghanistan warten im Schnitt 15 Monate auf eine Entscheidung des BAMF. In dieser Zeit bekommen sie auch keinen Zugang zu den offiziell angebotenen Kursen. Das kann und wird sich später nochmal richtig heftig auswirken.