Freitag, 13. Mai 2016

Ein „historischer Schritt“ oder doch eher nur Reformsimulationsergebnisse? Auf alle Fälle hat die Bundesregierung das ungeliebte Thema Leiharbeit und Werkverträge (vorerst) vom Tisch. Und Arbeitgeber und Gewerkschaften geben sich gemeinsam erleichtert

Starke Worte auf allen Kanälen: »Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles zeigte sich als gute Verkäuferin. Die Einigung zur Regulierung der Arbeitsverhältnisse von mehr als 900.000 Zeitarbeitern am Dienstagabend sei ein historischer Schritt, sagte die Sozialdemokratin: „Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt eine gesetzliche Regelung, die ganz eindeutig die Rechte der Leiharbeitnehmer stärkt“,« berichtet Sven Astheimer in seinem Artikel Nahles hat die Zeitarbeit vom Tisch, wobei die Überschrift eher darauf hindeutet, dass man hier irgendwas endlich abgearbeitet hat, weniger nach einem historischen Ereignis. Die sich hier abzeichnende Ambivalenz wird auch in diesem Beitrag von Max Haerder erkennbar: »Andrea Nahles (SPD) spazierte am Dienstagabend sichtlich gelöst aus dem Kanzleramt und vor die TV-Kameras. Sie wollte offenkundig die erste Botschaft senden und den von ihr gewünschten Ton vorgeben: Sie, die Arbeitsministerin, habe sich durchgesetzt. Das lange von der CSU erbittert blockierte Gesetz zu Zeitarbeit und Werkverträgen werde nun endlich auf den Weg gebracht, der Knoten sei geplatzt. Nahles schaute in die milde Dämmerung und freute sich.« So beginnt ein Artikel, dessen Überschrift allerdings nicht so ganz passen will zu der frohen Botschaft: AndreaNahles dreht bei. Auf der einen Seite der Medaille »kann Nahles alle SPD-Versprechen des Koalitionsvertrages – Beschränkung der Zeitarbeit auf 18 Monate, gleicher Lohn für Zeitarbeiter nach 9 Monaten, bessere Definition gegen den Missbrauch von Werkverträgen – halten.« Der Eindruck, alles wurde erfolgreich abgearbeitet, wurde bereits in dem Blog-Beitrag Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hält Wort beim Thema Leiharbeit undWerkverträge vom 16. November 2015 in die Überschrift gepackt. Und damals ging es um den ersten Referentenentwurf, der zwischenzeitlich noch verändert worden ist. Also doch alles gut?

Beschränken wir uns mal auf das Thema Leiharbeit, denn daran kann man aufzeigen, was die - auslegungsfähige - Formulierung, sie habe Wort gehalten, meint: Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD findet man unter der Überschrift „Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln“ die folgende Vereinbarung:

»Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Lösungen vereinbart werden.
Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und novelliert:
Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden.
Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher.
Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.«

Und was ist rausgekommen? Dazu aus dem Übersichtsbeitrag Koalitionseinigung zur Leiharbeit – Die Eckpunkte von Philip Wiesenecker:

»Die Überlassungshöchstdauer wird auf 18 Monate begrenzt, und kann in Einzelfällen auf bis zu 24 Monate ausgeweitet werden; dabei wird auch klargestellt, dass die Überlassungsgrenze pro Arbeitnehmer, nicht pro Arbeitsplatz zählt, und dass Unterbrechungen von weniger als sechs Monaten nicht zählen (§ 1 Abs. 1b AÜG). Neu seit gestern: Auch im nicht tarifgebundenen Unternehmen soll von einer festen Obergrenze abgewichen werden können, also ein Einsatz auch länger als 24 Monate möglich bleiben – wenn im Tarifvertrag eine abweichende Obergrenze durch Betriebsvereinbarung vorgesehen ist.

Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf Equal Pay nach 9, im Ausnahmefall spätestens nach 15 Monaten wird gesetzlich kodifiziert. Neu: Zuvor waren maximal 12 Monate Ausdehnung möglich. Letzte Klarstellung gestern: Es zählen erst Überlassungszeiten seit Inkrafttreten des Gesetztes.

Eine rechtlich schwierige und von Anfang an kritisierte Regelung behält der Entwurf bei, und verbietet den Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher. Letzte Änderung gestern: Es wird klargestellt, dass eine Beschäftigung im Streik nicht generell untersagt ist, sondern Leiharbeitnehmer weiter eingesetzt werden können, wenn sie keine Aufgaben Streikender erledigen.«

Wie bereits erwähnt, begrüßen sowohl die Arbeitgeber wie auch die Gewerkschaften die nun gefundene Einigung. So erfährtman beispielsweise von der IG Metall:
Der DGB und die IG Metall bewerten den Gesetzentwurf insgesamt positiv - und als längst überfällig .Bei der Leiharbeit sieht der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, die Tarifvertragsparteien gestärkt. "Die bisher erreichten tariflichen Regelungen können weitergeführt und auf Grundlage des Gesetzes noch verbessert werden."

Aber es gibt auch kritische Stimmen. Als ein Beispiel dafür sei hier der Kommentar Völlig wirkungslos von Pascal Beucker zitiert: »Der Entwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles ist ein halbgarer Kompromiss. Die meisten Leiharbeiter haben von den Regelungen überhaupt nichts,« so seine zentrale These. Er argumentiert, »nicht nur die jeweils möglichen tarifvertraglichen Ausnahmen sind problematisch. Der noch größere Haken: Die meisten Leiharbeiter haben von beiden Regelungen überhaupt nichts. Denn mehr als die Hälfte ihrer Beschäftigungsverhältnisse endet bereits nach drei Monaten. Eigentlich war die Leiharbeit dazu gedacht, kurzfristige Arbeitsspitzen möglichst einfach auffangen zu können. Tatsächlich wurde sie jedoch in großem Umfang zum Lohndumping missbraucht.«

Zu dem Aspekt der für viele Leiharbeiter sehr kurzen Beschäftigungsdauern schreibt die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Bericht "Der Arbeitsmarkt in Deutschland -  Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen" aus dem Jahr 2015:

»Von den 605.000 im zweiten Halbjahr 2014 beendeten Arbeitsverhältnissen in der Zeitarbeit dauerte knapp die Hälfte (46 Prozent) drei Monate oder länger. Im Vorjahreszeitraum lag dieser Anteil bei 44 Prozent, vor zehn Jahren bei 39 Prozent ... Nach wie vor scheinen Verleiher ihren Personalbestand somit möglichst elastisch ihrer Auftragslage anzupassen.« (S. 17)

Aber selbst für die länger beschäftigten Leiharbeiter wird sich kaum etwas verändern, worauf auch Sven Astheimer hingewiesen hat:

»Ein Kernbestandteil ist die gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Stammmitarbeitern des Einsatzunternehmens bei annähernd gleicher Tätigkeit, auch „equal pay“ genannt. Das ist jedoch bisher schon im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgeschrieben, sofern  nicht ein Tarifvertrag andere Regelungen festlegt. Künftig muss die Gleichbezahlung nach neun Monaten erfolgen, allerdings sind die bestehenden Tarifverträge über stufenweise Branchenzuschläge weiterhin gültig. Da diese für nahezu alle relevanten Branchen mit größeren Lohnlücken bestehen, dürfte sich in der Praxis wenig ändern.«

Die Einschätzung von Markus Krüsemann aus dem Februar 2016 zu dem damals vom BAMS veröffentlichten Referentenentwurf, der jetzt noch in einigen Punkten weiter abgeschwächt werden wird nach der Einigung im Koalitionsausschuss, in seinem Beitrag Der Versuch, Leiharbeit zu begrenzen und Werkvertragsarbeit einzuhegen, ist gescheitert kann vor diesem Hintergrund mit einiger Berechtigung heute wieder aufgerufen werden:

»Die Wirtschafts- und Unternehmensverbände können sich jetzt schon zufrieden zurücklehnen. Es bleibt mehr oder weniger alles beim Alten. In den Betrieben wird es weiterhin ein Drei-Klassen-System geben von relativ gut gesicherten Stammbelegschaften, schlechter entlohnten und prekär beschäftigten Leiharbeitern und noch schlechter entlohntem Fremdpersonal auf Werkvertragsbasis. Schlechte Arbeit, Missbrauch und Lohndumping bleiben auf absehbare Zeit also an der Tagesordnung.«

Und auf die Tagesordnung gesetzt werden dann weitere Fragen, die sich aus dem Umsetzung der gesetzlichen Formulierungen ergeben werden. Beispielsweise die eben nur scheinbar eindeutige Forderung, nach einer bestimmten Frist "equal pay" zu gewährleisten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - das ist nicht nur eine alte gewerkschaftliche Forderung, sondern auch die Bundesregierung behauptet, dass das mit der Neuregelung erreicht werden kann (wie wir gesehen haben, wird sich das aber in vielen Fällen als Illusion herausstellen). Aber selbst wenn - was ist denn "equal pay" nun genau? Das muss operationalisiert werden, und hier stellen sich sofort Konkretisierungsfragen, die sicher alle vor Gericht aufschlagen werden, worauf auch hier hingewiesen wird: »... unter vielen Arbeitsrechtlern stößt der unbestimmte Begriff auf Kritik. Es sei unklar, ob darunter nur das Grundgehalt, oder auch die Zuschläge oder sogar Zuschüsse für die Stammmitarbeiter etwa zur Kantine oder zur Betriebskita zu verstehen sind. Dies alles für einen kurzen Einsatz eines Zeitarbeiters abzubilden, könnte enormen bürokratischen Aufwand verursachen.«