Mittwoch, 14. Oktober 2015

Die Tafeln und die Flüchtlinge. Zwischen "erzieherischer Nicht-Hilfe" im bayerischen Dachau und der anderen Welt der Tafel-Bewegung


Derzeit gibt es mehr als 900 Tafeln in Deutschland. Alle sind gemeinnützige Organisationen. Bundesweit unterstützen sie regelmäßig über 1,5 Millionen bedürftige Personen mit Lebensmitteln – knapp ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. Rund 60.000 Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich und spenden ihre Freizeit und ihr Know-how: als Helfer vor Ort, Fahrer, Berater oder Dienstleister. Ein paar Stunden am Tag, in der Woche oder im Monat, so wie es die persönlichen Möglichkeiten zulassen. Soweit die Selbstdarstellung der Tafeln. Es geht hier nicht um die immer wieder geführte Debatte um das Für und Wider dieser Hilfe (vgl. dazu nur beispielsweise die Blog-Beiträge Wird die "Vertafelung" unserer Gesellschaft durch eine unaufhaltsame Effizienzsteigerung auf Seiten der Lieferanten erledigt? vom 19. April 2015 sowie Von der fortschreitenden "Vertafelung" der unteren Etagen unserer Gesellschaft und warum die Zahl derjenigen, die nicht in Urlaub fahren können, kein geeigneter Maßstab ist vom 29. Mai 2014). Sondern es geht um einen aktuellen Konflikt, der sich an dem (Nicht-)Umgang mit den Flüchtlingen entzündet hat. Das ging los mit so einer Meldung, die aus Dachau kommt: Kein Zutritt für Asylbewerber. Anna-Sophia Lang berichtete in ihrem Artikel: »Die Tafel gibt keine Lebensmittel an Flüchtlinge aus. Diese sollten lernen, mit ihrem Geld umzugehen, sagt Vorsitzender Bernhard Seidenath.« Der Mann ist einer dieser Mehrfachfunktionäre: Er ist als Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes für die Tafel in Dachau zuständig und sitzt zugleich als Abgeordneter für die CSU im bayerischen Landtag. Der Mann hat so seine eigene Sicht auf die Dinge. Er wird beispielsweise mit diesen Worten zitiert: "Wer hier in Deutschland aufgewachsen ist, weiß, wie er sich sein Geld einteilen muss. Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen und sich in unserem Land nicht auskennen, wissen das nicht." Und die Leiterin der Dachauer Tafel, Edda Drittenpreis, sekundiert dem forschen Rot-Kreuzler: "Das, was wir haben, essen die Asylbewerber ja alles nicht, die wollen Couscous und Kichererbsen." Offensichtlich wird es unappetitlich in dieser Geschichte.

»Außerdem habe sie bei der Tafel schlechte Erfahrungen mit "Migranten und Moslems" gemacht. Diese würden kaum Lebensmittel akzeptieren, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Es sei schon häufiger vorgekommen, dass sie Lebensmittel nach der Ausgabe in den Müll oder auf die Straße geworfen hätten. Selbst beobachtet hat Drittenpreis das allerdings nicht, ihr wurde davon berichtet, wie sie sagt.«

Die Entscheidung, Asylbewerbern den Zugang zu den Hilfeleistungen der Tafel zu verwehren, wurde übrigens bereits 2013 getroffen und nun angesichts der vielen Flüchtlinge "aktualisiert".

Bevor jetzt aber ein falscher Eindruck entsteht: Offensichtlich handelt es sich auch in Raum München bei der Tafel Dachau um einen Sonderfall: Die anderen öffnen ihre Türen auch für Asylbewerber. Und das, obwohl sich die Zahl der Berechtigten teils verdoppelt hat.

Mittlerweile ist man auch deutlicher geworden in der Sprechweise, nachdem sich das Vorgehen der Dachauer Tafel über die Medienberichterstattung verbreitet hat: An anderen Standorten der Tafel hält man die Sätze der Dachauer Kollegen für "Quatsch" und einen "Skandal", kann man diesem Artikel entnehmen: Wie die Tafeln mit Flüchtlingen umgehen.

»Bei Bayerns Tafeln kommt die BRK-Linie gar nicht gut an. "Ein Skandal", sagt etwa Reinhard Spitaler, der Vorstand der Tafel in Regensburg. Jeden Tag, so sagt Spitaler, kämen etwa 200 Menschen zu ihm, ein Drittel davon Asylbewerber. Alexander Wagner aus dem oberfränkischen Arzberg sagte mit Blick auf die Dachauer Kollegen nur: "So ein Quatsch!" Auch bei ihm sind die Hälfte der 120 Tafel-Kunden inzwischen Flüchtlinge. Manchmal würden Lebensmittel knapp. "Dann bekommen halt alle etwas weniger", sagt Wagner.«

Und auch der Bundesverband Deutsche Tafel hat sich zu Wort gemeldet: »Die Reaktion ist eindeutig: So geht es nicht. Der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. hat die Entscheidung der Dachauer Tafel, Asylbewerbern keinen Zugang zur Lebensmittelausgabe zu gewähren, scharf kritisiert ... "Die Ausgrenzung bestimmter Gruppen ist mit der Tafel-Idee schlichtweg nicht vereinbar und ein Verstoß gegen die Grundsätze des Bundesverbands", sagt dessen Vorsitzender Jochen Brühl«, kann man dem Artikel Dachauer Tafel will Flüchtlingen kein Essen geben entnehmen.

Besonders aufschlussreich bzw. skurril wird es aber, wenn man sich die Argumente der Unterstützer der Dachauer Ausschließeritis anschaut. Das hat schon was. Beispielsweise der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, Leonhard Stärk. So spricht er von einem  Stimmungswandel in der Bevölkerung angesichts der nach Deutschland kommenden Asylbewerber, mit dem das Rote Kreuz umgehen muss. "Wir bekommen massive Probleme, weil die Einheimischen sich benachteiligt fühlen", sagt er im Hinblick auf die steigenden Zahlen von Asylbewerbern, die zu den Tafeln gehen. Das Rote Kreuz sei schließlich auch für die Bevölkerung zuständig, die "schon vorher da war".

Dann aber schlägt er eine echte argumentative Kapriole:

»Die Entscheidung der Dachauer Tafel, keine Lebensmittel an Asylbewerber abzugeben, stellt seiner Ansicht nach sicher, dass unter den Bedürftigen Gleichbehandlung herrscht. Stärk ordnet Asylbewerber zwar als bedürftig ein. Während die Asylverfahren liefen, sei ihrer Bedürftigkeit aber anderweitig abgeholfen. Nämlich durch das Asylbewerberleistungsgesetz, das in Stärks Augen eine ausreichende Versorgung sicherstellt."«

Not habe da niemand, so der Funktionär des roten Kreuzes. Und er legt einen Scheit nach: »Würden sie zusätzlich noch Berechtigungsscheine bekommen, mit denen sie Lebensmittel von der Tafel beziehen können, würden sie bevorzugt. Für den BRK-Landesgeschäftsführer wäre die Ausgabe an Asylbewerber deshalb "eine Fehlverwendung" von Ressourcen.«

An dieser Stelle wird jetzt der eine oder andere aufhorchen und irritiert den Kopf schütteln. Wenn die angebliche Versorgung durch das Asylbewerberleistungsgesetz der Grund sein soll, warum man diese Personen ausschließt, warum gilt das dann nicht für "normale" Hartz IV-Empfänger oder Rentner/innen im Grundsicherungsbezug? Denn die haben selbstverständlich Zugang zur Tafel. Und Asylbewerber in dezentralen Unterkünften erhalten weniger Geld als "normale" Hartz IV-Empfänger.

Aber der Landesgeschäftsführer des BRK bekommt hier Schützenhilfe von der Leiterin der Dachauer Tafel, Edda Drittenpreis: »Asylbewerber hätten nicht jahrelang in Deutschland gearbeitet und Beiträge gezahlt, deshalb müssten sie auch nicht genauso unterstützt werden«, berichtet Anna-Sophia Lang in ihrem Artikel. Das nun wieder zeigt erneut, dass man hier krampfhaft nach einem scheinbaren Argument sucht, denn auch unter den Hilfebedürftigen "Inländern" gibt es einige, die niemals jahrelang gearbeitet, geschweige denn Beiträge gezahlt haben. Da geht offensichtlich eine Menge durcheinander.

Vielleicht sollte man es einfach mit dem Leiter der Tafel in Bad Tölz, Wolfgang Emmerich, halten, der von Anna-Sophia Lang so zitiert wird: "Wir kennen nur Bedürftige. Was sie sind und woher sie sind, ist nebensächlich."

Foto: © Dagmar Schwelle / Bundesverband Deutsche Tafel e.V.