»Um den Bedarf zu decken, müssten bis 2020 jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen geschaffen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Prognose des auf Stadtentwicklung spezialisierten Pestel Instituts. Von diesen neu zu bauenden Wohneinheiten müssten 80.000 preisgebundene Sozialwohnungen sein, heißt es in der Studie.«
Im laufenden Jahr werden bundesweit voraussichtlich 270.000 Wohnungen fertiggestellt, davon 120.000 Mietwohnungen, mithin also viel zu wenige. Das ist das erste quantitative Problem. Ein zweites Problem resultiert aus der Tatsache, dass derzeit wenn, dann oftmals im höherpreisigen Segment gebaut wird - angesichts der dort realisierbaren Renditen ist das auch aus der Marktlogik nachvollziehbar, weil aus der individuellen Sicht eines jeden Investors rational. Das kann (und wird) sich aber früher oder später als "Überangebotsfalle" im Premium- und Luxussegment erweisen. Aber hier interessieren vor allem die Auswirkungen der manifesten "Unterangebotsfalle" bei den günstigen, preiswerten Mietwohnungen.
Die Studie „Sozialer Wohnungsbau“ wurde in Auftrag gegeben vom Verbändebündnis Sozialer Wohnungsbau, einem Bündnis von elf Organisationen und Verbänden der deutschen Bau- und Immobilienbranche sowie aus den Bereichen Planung und Architektur. Auch der Deutsche Mieterbund und die IG BAU sind hier vertreten. Über die Aktivitäten diese Verbändebündnisses und daran anschließend über Grundsatzfragen der Wohnungspolitik wurde bereits am 10. September 2014 in dem Blog-Beitrag Wohnst Du schon oder suchst Du noch? Die Wohnungsfrage als neue alte soziale und "Markt"-Frage, zunehmend auch für die "Mitte" berichtet.
Das Verbändebündnis »schlägt vor, den Wohnungsbau durch einen Verzicht auf die Grunderwerbsteuer und die befristete Aussetzung der Grundsteuer für geförderte Wohnungen anzukurbeln. Zudem seien attraktive steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten nötig. Das Bündnis, dem Verbände der Bau- und Immobilienbranche und der Deutsche Mieterbund angehören, sprach sich auch für ein befristetes Aussetzen erhöhter Energieeffizienzauflagen aus, um Investoren zu entlasten.«
Mehr als offensichtlich und seit langem überfällig und durch die aktuellen Zuwanderungszahlen - die in keinen bisherigen Vorausberechnungen der Bedarfe enthalten waren - befeuert, ist eine umfassende Renaissance des Sozialen Wohnungsbaus, der in der Vergangenheit weitgehend abgewickelt worden ist. Zugleich muss ein grundsätzliches Dilemma gesehen werden: Auch wenn man genügend Mittel bereitstellen und bestimmte Regulierungen zugunsten einer kostengünstigeren Realisierung der Bauvorhaben absenken würde - die Nachfrage nach erschwinglichen Wohnraum ist nicht gleichverteilt über die Republik, sondern der Bedarf konzentriert sich auf die Städte und vor allem auf die großstädtischen Räume. Da ist man aber eben oftmals mit zahlreichen Blockaden angesichts des Mangels an bebaubaren Grundstücken konfrontiert, die quer zu den in diese Räume zuwandernden Menschen liegen. Umso wichtiger wäre es gewesen und bleibt es weiterhin, eine möglichst umfassende und abgestimmte Planung einzuleiten.
In der Print-Ausgabe der FAZ vom 11.09.2015 setzt sich Michael Psotta unter der Überschrift "Die Grenzen des sozialen Wohnungsbaus" mit der hier geforderten Renaissance des Sozialen Wohnungsbaus auseinander: "Auf den ersten Blick" klingt das vernünftig angesichts des offensichtlichen Bedarfs und der zur seiner Deckung viel zu niedrigen Bautätigkeiten. Und er verweist mit einem Blick zurück auf einen wichtigen Aspekt - nämlich der fortschreitende Rückgang des vorhandenen Angebots an Sozialwohnungen. Zugleich bekommen wir hier ein weiteres Lehrstück für die Effekte des real existierenden Föderalismus:
»Tatsächlich geht der Bestand der geförderten Wohnungen mit nach oben begrenzten Mieten aber seit Jahren zurück. Mitte der neunziger Jahre betrug ihre Zahl noch rund 3 Millionen, derzeit sind es nur noch 1,5 Millionen. Das liegt daran, dass die Sozialbindung meist auf 15 bis 20 Jahre begrenzt ist. Anschließend steigen die Mieten vor allem in den Ballungsräumen schnell auf das örtliche Vergleichsniveau. Da kaum neue Sozialwohnungen gebaut werden, sinkt ihr Bestand jährlich um rund 100 000. Diese Entwicklung hängt damit zusammen, dass seit 2007 die Länder für die Wohnraumförderung zuständig sind. Dafür erhalten sie eine Ausgleichszahlung von gut 500 Millionen Euro im Jahr, die viele Bundesländer aber nicht in die Wohnraumförderung steckten, sondern zum Stopfen von Haushaltslücken verwendet haben. Zudem haben viele Kommunen ihre Wohnungsbestände an private Investoren verkauft, um ihre Schulden zu drücken. Daraus sind teils große Wohnungsgesellschaften entstanden, die eher nach wirtschaftlichen als nach sozialen Regeln vermieten.«
Für eine Übersicht zur Wohnungspolitik seit 1945 vgl. auch den Beitrag von Björn Egner im Heft 20-21/2014 der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" mit dem Schwerpunktthema Wohnen.
Und auch Psotta zitiert das Postel-Institut hinsichtlich des enormen Bedarfs, der sich mittlerweile angestaut hat: Das Institut »schätzte vor einiger Zeit den Bedarf an neuen Sozialwohnungen auf 4 Millionen, wenn man alleinerziehende Haushalte mit einem Einkommen von weniger als 900 Euro und Paarhaushalte mit 1500 Euro zum Maßstab nimmt.« Soweit ist das also alles passungsfähig zur bisherigen Argumentation.
Allerdings will sich Psotta der Forderung nach einer massiven Ausweitung des Sozialen Wohnungsbaus nichts anschließen und verweist in seiner Argumentation auf die beiden grundsätzlichen Förderschneisen, die wir in der Wohnungspolitik kennen:
»Die Frage nach dem besten Weg der Hilfe bleibt aber. Generell lassen sich die Hilfsmaßnahmen in Subjekt- und Objektförderung unterscheiden, also in die Subvention von Menschen oder von Steinen. Die Wohnungsförderung war in der Nachkriegszeit Standard mit dem Vorteil, dass der Wiederaufbau schnell und gezielt gestaltet werden konnte. Inzwischen ist sich die Fachwelt weitgehend einig, dass dies heute der falsche Weg wäre. Zum einen lässt sich Fehlbelegung kaum vermeiden – wer über die Einkommensgrenzen steigt, wird freiwillig nicht ausziehen. Zum anderen wären derart gewaltige Mittel notwendig, um allen Bedürftigen zu einer Wohnung zu verhelfen, dass realistisch nur ein kleiner Teil von ihnen unterstützt werden könnte – einem Lotteriespiel gleich.«
Also dann Subjektförderung? Auch hier gießt er Wasser in den Wein: Das Wohngeld beispielsweise bietet sich an, denn wer Einkommensgrenzen überschreitet, fällt aus der Förderung. »Der große Nachteil liegt hier darin, dass das Wohngeld nur denjenigen nutzt, die schon Mieter sind. Randgruppen wie Alleinerziehenden, Kinderreichen, Arbeitslosen oder auch Flüchtlingen bringt es dagegen wenig, wenn Vermieter sie nicht in ihren Wohnungen haben wollen.«
Hinzu kommt, was er nicht erwähnt: Wenn der Staat mit direkten Mietzuschüssen die Menschen mit niedrigen Einkommen subventioniert auf dem Markt für Mietwohnungen, dann haben die Vermieter natürlich einen betriebswirtschaftlich verständlichen Anreiz, vor allem an der Preis-, sprich Mietschraube nach oben zu drehen, denn wenn das Wohngeld entsprechend dynamisiert ist, dann kann man das machen, weil ein Teil oder der gesamte Anstieg der Mieten anteilig mitfinanziert wird über die Geldleistung. Ist das Wohngeld aber hingegen nicht dynamisiert, dann laufen die Betroffenen ebenfalls in eine (andere) Falle, wenn die Vermieter aufgrund der Marktverhältnisse, also Angebot < Nachfrage, die Mieten nach oben treiben können: Sie müssen einen immer größer werdenden Anteil ihres Einkommens für die Miete und die (übrigens ebenfalls deutlich steigenden) "Nebenkosten" (Stichwort "2. Miete") aufbringen. Wo man diese Problematik schon eindringlich studieren kann ist der Grundsicherungsbereich, denn hier sind viele Hartz IV-Empfänger mit unrealistisch niedrig gedeckelten Wohnkosten konfrontiert, die noch von den Jobcentern übernommen werden (vgl. dazu beispielsweise den Artikel Wohnkosten sind das größte Problem der Berliner Arbeitslosen).
Zurück zum Artikel von Michael Psotta: Gibt es denn gar keine Hoffnung? Partiell schon, so sein Beispiel:
»Eine relativ neue Form der Förderung gibt es beispielsweise in Frankfurt und München: Neubauten größerer Wohngebäude werden unter der Auflage genehmigt, dass ein Anteil von beispielsweise 30 Prozent der Wohnungen später verbilligt vermietet werden. Die Kommunen legen dann fest, wer in die neuen Sozialwohnungen einziehen darf. Damit kann verhindert werden, dass in begehrten Vierteln nur noch begüterte Schichten einziehen – die sogenannte Gentrifizierung. Allerdings wird auch auf diese Art nur einem kleinen Teil der Bedürftigen geholfen, und für private Bauherren lohnt sich das Modell meist nur, wenn die freien Wohnungen besonders teuer sind. Damit entstehen also neue Ungleichgewichte.«
Und er entlässt uns mit den Worten: »Helfen dürfte am ehesten der Ausweis zahlreicher neuer Bauflächen – und eine Menge Geduld statt Aktionismus.« Na ja, beruhigend angesichts der realen Bedarfe klingt das nicht. Aber grundsätzlich - wie meine eigenen Hinweise versucht haben aufzuzeigen - sind die Einwände ja nicht unplausibel.
Aber wenn man nun da steht, wo wir mittlerweile angekommen sind und konfrontiert sind mit massiven Bestandsproblemen (also ein kontinuierlicher Rückgang der Sozialwohnungen) in Verbindung mit einem bereits bestehenden Nachfrageüberschuss vor allem in den städtischen Räumen für Menschen mit geringen Einkommen, der nun noch erheblich ausgeweitet wird durch die Zuwanderung, dann kann man es sich nicht mehr so einfach machen und argumentieren, dass sich die Fachwelt weitgehend einig sei, dass die Wohnungsförderung heute der falsche Weg wäre. Denn man kann die Leiche drehen und wenden wie man will - wir haben eine manifestes und stark zunehmendes Angebotsproblem bei den erschwinglichen Wohnungen und es ist nicht zu erkennen, wie man das durch eine Nicht-Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus - sicher mit anderen Konzepten und Instrumenten ausgestattet als in den 1950er und 1960er Jahren - dieses Angebotsproblem in den Griff bekommen kann.