Wenn über Lage und Zukunft der Altersvorsorge diskutiert wird, dann geht es meistens um die gesetzliche Rentenversicherung. Das ist auch verständlich, denn natürlich bildet die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die meisten Menschen in diesem Land die dominierende Hauptsäule der Alterssicherung. Aber das System der Alterssicherung in Deutschland ist weitaus komplexer und heterogener aufgestellt. Neben der auch in Zukunft entscheidenden ersten Säule, also der Rente aus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung, gibt es zwei weitere Säulen der Alterssicherung. Die private Altersvorsorge, mittlerweile mit Milliardenbeträgen aus Steuermitteln gefördert, wird unter dem Stichwort „Riester-Rente“ in der Öffentlichkeit immer wieder und zunehmend kritisch diskutiert. Aber neben der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente sowie der (staatlich geförderten) privaten Altersvorsorge gibt es mit der betrieblichen Altersvorsorge eine eigene Alterssicherungssäule, die man zum einen hinsichtlich ihrer Bedeutung für eine ergänzende Einkommensfunktionalität nicht unterschätzen sollte, die zum anderen aber auch – man denke hier beispielsweise an das Wahlprogramm der SPD – immer wieder im Mittelpunkt von Vorschlägen für eine Weiterentwicklung des Alterssicherungssystems steht. Der Grundgedanke ist ja nicht verkehrt: Die Alterssicherung der Menschen sollte im Idealfall nicht nur auf einer einzigen Säule stehen, sondern durch den Zufluss aus mehreren Quellen kann man die Alterssicherung für die Betroffenen auf ein breiteres Fundament stellen. Wie bei der Ausgestaltung eines allgemeinen Vermögensportfolios auch geht es hier also um die Realisierung von positiven Effekte einer Risikodiversifikation.
Doch die betriebliche Altersvorsorge wird auch zunehmend kritischer gesehen und ihre Stabilität und vor allem ihr möglicher Beitrag für eine sichere Altersvorsorge werden hinterfragt. So schreibt Thomas Öchsner in seinem Beitrag „Der große Graben“ in der Print-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 26.09.2013 (nicht online verfügbar): »Die Unternehmen legen immer weniger Kapital für Betriebsrenten zurück. In der Belegschaft gibt es eine Kluft zwischen Alt und Jung: Je länger ein Mitarbeiter schon dabei ist, desto besser ist seine Altersvorsorge.«
Die von Öchsner in seinem Artikel zitierten Daten geben zur Beunruhigung Anlass:
»2002 finanzierten die Arbeitgeber noch mehr als jede zweite Betriebsrente vollständig aus eigenen Mitteln. Zehn Jahre später traf dies nur noch auf 27 Prozent dieser Versorgungsleistungen zu.«
Anfang September meldete der SPIEGEL „Lufthansa will an Betriebsrenten ran“:
»Die Lufthansa steuert auf einen neuen Konflikt mit ihren Beschäftigten zu. Diesmal geht es um die Altersversorgung von mehr als 60.000 Mitarbeitern im Fluggeschäft des Konzerns, aber auch bei Ablegern wie der Catering- oder der Techniksparte. Langjährige Flugbegleiter konnten bisher mit rund 1000 Euro Zusatzrente pro Monat rechnen, Kapitäne sogar mit bis zu 4000 Euro. Die Details sind in einem eigenen Tarifvertrag geregelt. Den will die Geschäftsführung zum 31. Dezember kündigen, um Kosten zu sparen. Stattdessen soll ein neues, abgespecktes Betriebsrenten-Modell erarbeitet werden. Neue Vorschriften zur Rechnungslegung und die anhaltende Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank hatten dazu geführt, dass die Lufthansa ihre Pensionsrückstellungen in der Bilanz kräftig aufstocken musste. Den Angestellten drohen durch den Plan herbe Einschnitte.«
Öchsner fasst diese – eben nicht nur auf die Lufthansa begrenzte - Entwicklung so zusammen: » Die Neigung der Unternehmen, aus der Firmenkasse Geld für Betriebsrenten zurückzulegen, schwindet nicht nur bei der Lufthansa. Auch in anderen Konzernen heißt bei diesen sogenannten Direktzusagen die Devise: sparen, kürzen oder ganz abschaffen.«
Hier manifestiert sich ein grundsätzliches Problem, das von Lutz Reiche unter der Überschrift „Die 156-Milliarden-Euro-Lücke“ im Februar dieses Jahres in der Online-Ausgabe des „manager magazin“ thematisiert worden ist:
»Das Zinstief schlägt voll auf die Bilanzen der Dax-Konzerne durch. Zwischen ihren Pensionszusagen und dafür reserviertem Vermögen klafft eine Lücke von 156 Milliarden Euro ... Die Deckungslücken in den Pensionsplänen von Dax- und MDax-Konzernen haben sich zum Ende 2012 drastisch vergrößert. Der Grund: Der historisch niedrige Rechnungszins ließ den Wert laufender und künftiger Betriebsrenten deutlich anschwellen.« Trotzdem solle man sich – so die Berufsoptimisten bzw. die am weiteren Absatz interessierten Akteure – keine Sorgen um die betriebliche Altersvorsorge machen, denn so Reiche in seinem Artikel: »... große Unternehmen (gehen) zusehends dazu über, ihre Pensionszusagen stärker an die Entwicklung der Kapitalmarktzinsen zu koppeln. Das heißt, der Beschäftigte und künftige Betriebsrentner trägt das Anlagerisiko stärker mit. Towers-Watson-Experte Jasper spricht in diesem Kontext von "modernen Pensionszusagen", deren Deckungsgrad auch bei nervösen Kapitalmärkten eher stabil bleibe.«
Öchsner zitiert in seinem Artikel Ulrich Birk, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bamberg, der mit Blick auf die Unternehmen, die überhaupt eine betriebliche Altersvorsorge anbieten, von einer „Drei-Klassen-Gesellschaft“:
»Unten befinden sich die neu hinzugekommenen, meist jüngeren Beschäftigten, die in den letzten Jahren ins Unternehmen eingetreten sind. Sie gehen oft ganz leer aus, müssen selbst in eine Pensionskasse, Pensionsfonds, Direktversicherung oder einen Riester-Vertrag einzahlen, um sich für den Ruhestand ein zusätzliches finanzielles Polster aufzubauen. In der Mitte sind diejenigen, die schon vorher dabei waren. Sie haben noch Anspruch auf eine Betriebsrente, können aber womöglich keine weiteren oder nur noch geringere Ansprüche sammeln als die zuvor ins Unternehmen gekommenen Kollegen. Ihre Betriebsrente wird nicht mehr so großzügig ausfallen wie bei den Älteren und den Betriebspensionären. Diese stehen ganz oben, ihnen geht es tendenziell noch am besten.«
Auch die Zahlen liefern Hinweise für eine skeptische Einschätzung: Die Anzahl der sogenannten Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung (BAV) ist von 14,6 Millionen im Jahr 2001 auf 19,6 Millionen 2011 gestiegen. Hört sich erst einmal gut an. Deshalb sogleich das „aber“: In ihrem „Alterssicherungsbericht 2012“ lässt die Bundesregierung selbst schreiben: Der Zuwachs an Anwartschaften wurde vor allem in den Jahren von 2001 bis 2005 registriert - »... und hat in den letzten Jahren deutlich an Dynamik verloren. Der prozentuale Anteil der Beschäftigten mit BAV-Anwartschaften dürfte sich seit Mitte des letzten Jahrzehnts kaum mehr erhöht haben« (Alterssicherungsbericht 2012, S. 84)
In einem ergänzenden Beitrag unter der Überschrift „Regierung soll nachhelfen“ zitiert Öchsner auch Forderungen seitens der Wirtschaft zur Weiterentwicklung der BAV. So wird Alexander Erdland, Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), zitiert mit der Forderung, die zukünftige Bundesregierung solle der betrieblichen Altersversorgung neue Impulse geben, vor allem bei der so genannten Entgeltumwandlung. Danach dürfen zum Beispiel Arbeitnehmer in Westdeutschland bis zu 2.784 Euro jährlich steuer- und sozialversicherungsfrei von ihrem Bruttogehalt in eine betriebliche Altersvorsorge investieren. Allerdings ist gerade die Entgeltumwandlung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven durchaus in der Kritik (vgl. beispielsweise neben vielen anderen den Beitrag „Betriebsrenten: Wankt auch diese Säule der Altersvorsorge?“ im Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ 24.10.2012 oder den Beitrag „Betriebsrente: Faule Versprechungen für Arbeitnehmer“ im Politikmagazin Monitor am 13.12.2012). Zum einen ist eine Entgeltumwandlung nach Auffassung der Kritiker gerade nicht ein so eindeutig positives Geschäft für den Arbeitnehmer, zum anderen werden den Sozialversicherungen je nach Inanspruchnahme erhebliche Finanzmittel entzogen. Dass sich die BAV für die Arbeitnehmer rechnet, wird beispielsweise von Ulrich Birk ganz anders gesehen:
»Vergleichsberechnungen zeigen jedoch, dass dies für Durchschnittsarbeitnehmer mit einem Bruttomonatseinkommen von 3.000 – 4.000 € in der Regel nicht mehr stimmt. Der Arbeitnehmer fährt bei Entgeltumwandlung in der Regel nicht mehr besser als bei einer privaten Altersvorsorge zB über ein Festgeldsparen bei einer Bank oder bei Abschluss einer privaten Rentenversicherung. Der Grund liegt darin, dass die Förderquote von rund 50 % in der Ansparphase durch Abzüge von über 50 % in der Auszahlungsphase ab 2040 (100%ige nachgelagerte Versteuerung der Betriebsrenten, Zahlung des vollen Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeitrages, Einrechnung der Minderung der Rente aus der GRV) wieder zunichte gemacht wird«, so Ulrich Birk« in „Studie zur Entgeltumwandlung. Eingehen auf die Kritik der Versicherungswirtschaft“.
Man kann es drehen und wenden wie man will, aber auch die betriebliche Altersvorsorge sollte realistisch eingeschätzt werden – sie wird eine ergänzende Bedeutung haben gerade in den mittleren und oberen Einkommensgruppen. Aber die extrem unterdurchschnittliche Beteiligungsraten der unteren und der Niedrigst-Einkommen - also gerade der Personen, für die eigentlich die ergänzende Funktion einer Betriebsrente am wichtigsten wäre - verdeutlichen die sozialpolitische Nicht-Funktionalität dieser Säule des Alterssicherungssystems.