Das Statistische Bundesamt hat neue Daten zur Größenordnung der "Armutsgefährdung" in Deutschland veröffentlicht: "Armutsgefährdung in Ostdeutschland nach wie vor höher", so ist die Pressemitteilung des Statistiker überschrieben und adressiert damit sicher ein seit langem bekanntes Phänomen, aber weitaus interessanter sind andere Erkenntnisse, die man auch aus den Daten ziehen kann.
Die Abbildung der Entwicklung der Armutsgefährdungsquote von 2005 bis 2012 verdeutlicht auf der einen Seite die weiterhin bestehende große Differenz zwischen West- und Ostdeutschland ( so lag die Armutsgefährdungsquote in Deutschland im vergangenen Jahr bei 15,2%), in Westdeutschland hingegen bei 14,0% und in Ostdeutschland bei 19,7%).
Man kann aber auch erkennen, dass es insgesamt gesehen keinen Rückgang der Quote in den letzten Jahren gegeben hat, ganz im Gegenteil steigt die Quote, vor allem in Ostdeutschland.
Nun gibt es an dieser Stelle immer wieder den Einwand, dass diese "Armutsgefährdungsquote" kein Wert darstellen würde, mit dem man "Armut" abbilden könne, sondern dass es sich wenn überhaupt um ein Maß des Einkommensungleichheit handeln würde. Schauen wir uns deshalb diesen Indikator etwas genauer an.
An erster Stelle muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich hier um die hochgerechneten Ergebnisse aus einer Stichprobe handelt - dem so genannten "Mikrozensus". Der Mikrozensus ist die größte jährliche Haushaltsbefragung in Europa; er bietet aufgrund seiner Stichprobengröße die Möglichkeit, für alle Bundesländer verlässliche Indikatoren zu ermitteln und zu vergleichen, so das Statistische Bundesamt. Aus dieser Stichprobe - die auch Einkommensdaten liefert - werden dann die Armutsgefährdungsquoten berechnet. Aber was ist das genau? Auch hierzu gibt es eine ordentliche Definition:
»Gemäß der Definition der Europäischen Union gelten Menschen als armutsgefährdet, die mit weniger als 60 % des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung in Privathaushalten auskommen müssen.«
Wichtig an dieser Stelle: Der Median, nicht das arithmetische Mittel, wird hier zugrunde gelegt, denn der Median (also die eine Hälfte der Werte befindet sch unter und die andere über diesem Wert) ist wesentlich unempfindlicher gegen einzelne Ausreißer-Werte als der "normale" Durchschnittswert.
Was nun ist das "Äquivalenzeinkommen"?
Die Statistiker geben auf ihrer Website zur Amtlichen Sozialberichterstattung eine Definition von "Äquivalenzeinkommen": »Das Äquivalenzeinkommen ist ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied, das ermittelt wird, indem das Haushaltsnettoeinkommen durch die Summe der Bedarfsgewichte der im Haushalt lebenden Personen geteilt wird. Nach EU-Standard wird zur Bedarfsgewichtung die neue OECD-Skala verwendet. Danach wird der ersten erwachsenen Person im Haushalt das Bedarfsgewicht 1 zugeordnet, für die weiteren Haushaltsmitglieder werden Gewichte von < 1 eingesetzt (0,5 für weitere Personen im Alter von 14 und mehr Jahren und 0,3 für jedes Kind im Alter von unter 14 Jahren), weil angenommen wird, dass sich durch gemeinsames Wirtschaften Einsparungen erreichen lassen.«
Die Abbildung verdeutlicht am Beispiel der Armutsgefährdungsschwellen für zwei Haushaltstypen - zum einen der Einpersonenhaushalt eines Erwachsenen, zum anderen eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahre -, welche konkrete Einkommenshöhen erreicht werden müssen, damit man nicht als von Einkommensarmut betroffen angesehen wird (Quelle: Daten aus der Amtlichen Sozialberichterstattung).
2012 lagen diese Beträge bei einem Einpersonenhaushalt im Westen bei 899 Euro und im Osten bei 768 Euro im Monat, während sich diese Beträge bei der vierköpfige Familie größenbedingt erhöhen auf 1.888 Euro bzw. 1.612 Euro.
Die neuen Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen bekannte Phänomene - dazu gehört nicht nur die fortbestehende Differenz der Armutsgefährdungsquoten zwischen Ost und West, sondern auch die in den Tabellen dargestellten erheblichen Unterschiede zwischen Bundesländern, auch zwischen westdeutschen Bundesländern: »Am geringsten ist die Armutsgefährdung seit 2005 durchgängig in Baden-Württemberg und Bayern, am höchsten seit 2010 in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. 2012 lag das Armutsrisiko in Baden-Württemberg bei 11,1 % und in Bayern bei 11,2 %. In Bremen und in Mecklenburg-Vorpommern war es rund doppelt so hoch (Bremen 23,1 %; Mecklenburg-Vorpommern 22,9 %).« Das sind schon erhebliche Streuweiten.
Noch interessanter ist aber die erkennbare Dynamik zwischen den Bundesländern und dann auch mit Blick auf die 15 bevölkerungsreichsten Großstädte in Deutschland. Hierzu nur zwei Auffälligkeiten:
- Im Vergleich der Jahre 2012 und 2005 ist das Armutsrisiko am stärksten in Thüringen und Sachsen-Anhalt gesunken. Am stärksten gestiegen ist es in Nordrhein-Westfalen und Berlin.
- Von den 15 bevölkerungsreichsten Großstädten der Bundesrepublik Deutschland war das Armutsrisiko im Jahr 2012 in München (11,4 %) und Stuttgart (13,4 %) am geringsten. Am höchsten war die Armutsgefährdung in Dortmund (26,4 %), Leipzig (25,9 %) und Duisburg (25,1 %).
Was man auf der Ebene der Bundesländer sehen kann - eine weitere Polarisierung im Sinne einer Auseinanderentwicklung zwischen den eher prosperierenden und den zurückfallenden Regionen - spielt sich auf der Ebene der Großstädte genau so ab. Grundsätzlich gibt es viele Antreiber für eine solche auseinanderfallende Entwicklung, die sich oft nur mit erheblichen Mittelverteilungskorrekturen, zuweilen aber selbst damit nicht aufhalten oder gar korrigieren lassen. Zugleich aber sind die Regionen und Großstädte, die sich verschlechtert haben, besonders von Arbeitslosigkeit betroffen - ja, die gibt es immer noch in Deutschland, auch wenn man zuweilen den Eindruck vermittelt bekommt, wir haben Vollbeschäftigung - und insbesondere von der Problematik einer sich weiter verhärtenden Langzeitarbeitslosigkeit mit hunderttausenden Hartz IV-Empfänger, die bereits seit Jahren abgetrennt sind vom Arbeitsmarkt und bei denen man seit 2010 auch noch mehrere Milliarden an Eingliederungsmitteln gekürzt hat. Kein Wunder, dass die eh schon im unteren Bereich angesiedelten Großstädte, in denen überdurchschnittlich viele dieser Menschen leben, dann noch weiter zurückfallen müssen, während die prosperierenden Städte dann eher die zusätzlichen Beschäftigungsverhältnisse und damit auch die gut qualifizierten Zuwanderer anziehen können.
Sowohl mit dem Problem der sich weiter erheblich verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit wie auch mit den Folgeproblemen der Armutszuwanderung sowie der steigenden Asylbewerberzahlen werden die Städte weitgehend alleine gelassen.