Samstag, 24. August 2013

Auf klassischen Pfaden in die Zukunft? Die Perpetuierung der Rollenverteilung im beruflichen Ausbildungssystem

In der Berufsbildung unterscheidet man drei Teil­bereiche: Der bedeutendste und größte Teilbereich ist die duale Ausbildung, in der theoretische und praktische Ausbildung in Berufschule und Betrieb miteinander kombiniert werden. In der vollzeitschulischen Ausbildung werden Schülerinnen und Schüler ausschließlich in Berufsschulen für das Berufsleben ausgebildet. Und dann gibt es da noch das so genannten "Übergangssystem", in dem junge Menschen landen, die keinen direkten Zugang zu einer Ausbildung gefunden haben und dessen Heterogenität von berufsvorbereitenden Maßnahmen bis hin zum Erwerb eines (höheren) Schulabschlusses reicht (vgl. für eine Übersicht die Publikation Statistisches Bundesamt: Berufsbildung auf einen Blick, Wiesbaden 2013). Ein erstes Gefühl für die quantitative Bedeutung der drei Säulen der Berufsausbildung vermitteln die folgenden Zugangszahlen: »Im Jahr 2011 begannen 21% der Jugendlichen, die sich für eine Ausbildung entschieden, eine vollzeitschulische Ausbildung. 28% begannen mit Maßnahmen des Übergangssystems und 51% eine duale Ausbildung«, so das Statistische Bundesamt. Das Übergangssystem hat erkennbar an Bedeutung verloren, da sich die Lage am Ausbildungsmarkt entspannt und immer weniger Jugendliche um die knappen Ausbildungsplätze konkurrieren. 2006 landeten noch 36% der Jugendlichen im "Übergangssystem", 2011 waren es "nur" noch 28%. Auch wenn das hier nicht vertieft werden soll: Es sind immer noch mehr als 270.000 junge Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht in das "normale" Ausbildungssystem einsteigen.

Nun ist das Berufsausbildungssystem aus mehreren Gründen unter einem erheblichen Druck. Zum einen macht sich nun auch in Westdeutschland die demografische Entwicklung bemerkbar in Form rückläufiger Zahlen an jungen Menschen, so dass also die Grundgesamtheit potenzieller Auszubildender sinkt. Dazu kommt eine gewaltige Verschiebung in Richtung immer (formal) höhere Schulabschlüsse. Hierzu schreibt das Statistische Bundesamt mit Blick auf das Jahr 2011: »Die Verteilung der erreichten allgemeinbildenden Schulabschlüsse änderte sich im Vergleich zu 2001 zugunsten der allgemeinen Hochschul- bzw. Fachhochschulreife. Dieser Anteil hat sich in den letzten zehn Jahren von 30 % auf 43 % erhöht. Der Anteil der Abgänge ohne Hauptschulabschluss hat sich hingegen von 8 % auf 4 % bzw. mit Hauptschulabschluss von 24 % auf 17 % verringert. Der Anteil der Realschulabschlüsse veränderte sich nur gering (von 38% zu 36%).«

Und immer mehr der jungen Menschen, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben, nehmen dann auch ein Studium auf, fehlen damit aber für die Berufsausbildung, ob dual oder fachschulisch. Und auch wenn der Übergangsbereich rückläufig ist - man kann nicht davon ausgehen, dass sich das jetzt gleichsam "biologisch" löst, also auch die Jugendlichen, die früher oder heute noch rausgefallen sind, in Zukunft alle vom Ausbildungssystem aufgenommen werden, denn in den zurückliegenden Jahren gab es natürlich auch in den meisten Berufen einen Trend zu höheren Anforderungen (das klassische Beispiel ist an dieser Stelle immer der Formenwandel vom Kfz-Mechaniker früherer Tage  zum heutigen Kfz-Mechatroniker), was aber dazu führt, dass ein Teil der jungen Menschen schlichtweg an den kognitiven Anforderungen der Berufsausbildung heute auflaufen (vgl. insgesamt zu diesen Themen die kompakten Beiträge in der neuen Publikation von Christine Henry-Huthmacher und Elisabeth Hoffmann (Hrsg.): Duale Ausbildung 2020. 14 Fragen & 14 Antworten, St. Augustin, 2013.

Im Jahr 2012 haben insgesamt 549.003 Jugendliche einen neuen Ausbildungsvertrag abgeschlossen. Dies waren 3,0 % weniger als im Vorjahr. Und die konnten im Prinzip aus einem wirklich breit gefächerten Strauß an Angeboten auswählen, denn das deutsche Berufsausbildungssystem konnte 2012 immerhin 345 Ausbildungsberufe auf die Waagschale werfen, im laufenden Jahr wurde diese Zahl auf 331 Berufe reduziert - obgleich immer auch neue Berufsbilder hinzukommen - vor allem durch Zusammenlegung mehrerer bisher selbstständiger Berufsbilder (als aktuelles Beispiel sei hier die "Fachkraft für Metalltechnik" genannt, in die insgesamt 11 "Altberufe" wie der "Revolverdreher", der "Drahtzieher" oder der "Schleifer" aufgegangen sind; für das kommende Jahr ist die Zusammenlegung der drei Berufe "Bürokaufleute", "Kaufleute für Bürokommunikation" und "Fachangestellte für Bürokommunikation" zum neuen Berufsbild "Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement" vorgesehen).

Obgleich es also eine wirklich stattliche Anzahl an Berufsbildern gibt, konzentriert sich das tatsächliche Ausbildungsverhalten in einem doppelten Sinne:
  • Zum einen haben wir eine erhebliche Konzentration der Berufsausbildung auf einige wenige Berufe - nimmt man die 10 am stärksten besetzten Ausbildungsberufe, dann tummeln sich dort 52,6% der weiblichen und 32,4% der männlichen Auszubildenden. 
  • Zum anderen sehen wir wie in der Vergangenheit eine geschlechtsspezifische Ungleichverteilung  zwischen den Berufen im Sinne einer Perpetuierung von "Männer"- und "Frauenberufen" und das dann auch noch hoch konzentriert.

In der Abbildung sind die Top 20-Berufe, differenziert nach Männern und Frauen, dargestellt. Klar erkennbar, wenn man sich einmal auf die 10 am stärksten Berufe fokussiert: bei den männlichen Auszubildenden stehen mit Ausnahme des Kaufmanns im Einzelhandel und des Kaufmanns im Groß- und Außenhandel ausschließlich technisch-handwerkliche Berufe im Zentrum, während bei den weiblichen Auszubildenden nicht nur die Konzentration auf nur einige wenige Berufe noch stärker ausgeprägt ist als bei den männlichen Pendants, sondern die Berufe sind alle im Dienstleistungsbereich angesiedelt. Nun könnte man ja an dieser Stelle argumentieren: So what, sind wir nicht auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft? Dann ist das doch eine rationale Berufswahl. Schaut man sich allerdings die Berufe genauer an, die von den weiblichen Auszubildenden gewählt worden sind, dann muss aus arbeitsmarktlicher Sicht ein großes Fragezeichen gesetzt werden: Denn die Konzentration auf Berufe wie Medizinische Fachangestellte (früher Arzthelferin), Verkäuferin und Friseurin führt dazu, dass viele der Absolventinnen solcher Ausbildungen in Berufsfeldern landen, in denen sie sehr wenig verdienen werden, teilweise so wenig, dass der Weg in eine Partnerschaft zur ökonomischen Absicherung der eigenen Existenz vorgezeichnet ist und die eigene Berufstätigkeit wenn, dann nur als "Zuverdienstmodell" realisierbar ist. Zugleich sind die Beschäftigungsrisiken in diesen Arbeitsmarktsegmenten sehr hoch.

Die Konzentration der jungen Frauen auf einige wenige, von außen betrachtet oftmals hoch problematische Berufsbilder ist mit Blick auf die Entwicklung in den zurückliegenden Jahren konstant und ungebrochen - überspitzt könnte man formulieren, hier scheint fast schon eine anthropologische Grundkonstante zum Ausdruck zu kommen. Wie dem auch sei, aus arbeitsmarktlicher Sicht - und hier im Sinne einer Gleichzeitigkeit kollektiven wie auch individuellen Nutzens - wäre ein Aufbrechen der auskristallisierten klassischen Rollenverteilung bei der Berufswahl dringend angezeigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingt, mag gering sein, versuchen sollte man es trotzdem.