Freitag, 22. Januar 2016

Wenn Pauschalisten plötzlich richtig eingestellt werden: Scheinselbständigkeit im Journalismus und deren Eindämmung. Möglicherweise aufgrund eines Gesetzentwurfs, der noch feststeckt im politischen Betrieb

Es kann durchaus erfreulich sein, hin und wieder nachzuschauen, was denn aus dem geworden ist, worüber berichtet wurde. Konnte das Problem beseitigt bzw. zumindest reduziert werden? Konkret: Es geht um eine gute Nachricht für Journalisten, die den "besonderen" Arbeitsbedingungen in der Medienlandschaft ausgesetzt sind. Von denen viele als prekäre Beschäftigungsformen daherkommen. Die waren Gegenstand des Beitrags Das große Durcheinander auf dem Arbeitsmarkt - und die vielen Baustellen jenseits des Gewohnten. Von Crowdworkern, Pauschalisten, der ominösen Industrie 4.0 und dem Kampf um feste Strukturen in Zeiten zunehmender Verflüssigung von Arbeit vom 16. Juli 2015. Noch konkreter: Es geht hier um die "Pauschalisten" in den Redaktionsstuben vieler Medien.

Zur Erinnerung:  Die Leiharbeiter des Journalismus, so haben Anne Fromm, Jürn Kruse und Anja Krüger ihren Artikel über das Problem Scheinselbständigkeit von Journalisten überschrieben. Sie berichten über das System der "Pauschalisten" oder "feste Freie", ohne die kaum etwas bei Tageszeitungen und News-Seiten gehen würde. »Pauschalisten erledigen in vielen Zeitungen die tägliche Arbeit, die notwendig ist, damit ihre Zeitung, ihre Nachrichtenseite Tag für Tag in der gewohnten Qualität erscheint. Sie schreiben und recherchieren, redigieren Texte anderer Autoren, planen und bestücken die Seiten, sind blattmacherisch tätig, bestimmen die Themen, über die berichtet wird und betreuen Praktikanten. Festangestellte Mitarbeiter, für die der Verlag ganz regulär Sozialversicherungsbeiträge abführt, Redakteure genannt, sind sie trotzdem nicht.« Die betriebswirtschaftlichen Vorteile für die Verlage liegen auf der Hand, vor allem aufgrund der dadurch nicht vorhandenen Arbeitgeberpflichten und des Kostenvorteils durch nicht zu zahlende Sozialabgaben.

Mitte des vergangenen Jahres gab es dann allerdings eine Menge Unruhe bei den verantwortlichen Verlagsmanagern. Der Grund: „Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen“ durch den Zoll. Aufgrund der damals anlaufenden Ermittlungen und Verfahren wegen möglicher Scheinselbständigkeit mit erheblichen Rechtsfolgen für die Unternehmen reagierten einige Verlage damit, dass sie sich von den "festen Freien" zu trennen begannen, die schon geraume Zeit bei ihnen tätig waren. Aber es gab auch damals schon erkennbare Gegenbewegungen: »Dass das Problem auch zugunsten statt zulasten der freien Mitarbeiter gelöst werden kann, zeigen Tagesspiegel und Zeit Online. Als beim Tagesspiegel im vergangenen Winter eine Buchprüfung anstand, wurden viele Pauschalisten als feste Redakteure angestellt. Auch Zeit Online wandelt derzeit Pauschalisten-Stellen in feste Beschäftigungsverhältnisse um«, schrieben Fromm, Kruse und Krüger in ihrem Artikel.

Nun gibt es weitere und gute Neuigkeiten von dieser Baustelle zu vermelden. Plötzlich angestellt, so hat Anne Fromm ihren neuen Beitrag dazu überschrieben: »Die „Süddeutsche Zeitung“ und deren Onlineredaktion stellen ihre Pauschalisten jetzt fest an. Andere Verlagshäuser dürften nachziehen.«  Sie zitiert aus einer Mail des Betriebsrats der Süddeutschen Zeitung (SZ): „Liebe Kollegen und Kolleginnen, Chefredaktion und Ressortleiter haben Sie darüber informiert, dass es zu Einstellungen von freien Mitarbeitern/Pauschalisten kommen wird.“

Das ist ein echter Paukenschlag, denn seit Jahren beschäftigt das Medienhaus freie Mitarbeiter als sogenannte Pauschalisten - allein 50 Prozent der Onlineredakteure sind angeblich so beschäftigt. »Das Problem: Viele arbeiten wie Festangestellte, stehen in Dienstplänen, haben einen eigenen Arbeitsplatz und keine weiteren Auftraggeber außer der SZ.« Die SZ ist nun die Erste, die dabei ist, ihre Pauschalisten großzügig anzustellen.

"Wenn es plötzlich so einfach und fair geht, wieso ging es all die Jahre davor nicht?“ Diese  Frage stellt sich ein Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung. Eine gute Frage. Vielleicht liegt in der Art und Weise der Umsetzung der Anstellungswelle bei der SZ ein Teil der Antwort verborgen:

»Dafür wurde ein Ampelsystem ausgearbeitet, dass die Mitarbeiter je nach Dringlichkeit der Einstellung klassifiziert: Rot sind alle, die vier oder fünf Tage pro Woche in der Redaktion sind, die so schnell wie möglich angestellt werden sollen. Das betrifft vor allem Mitarbeiter der Onlineausgabe. Dort sollen alle, die bisher in Schichten gearbeitet haben, als Redakteure angestellt werden.
Andere, die künftig mehr schreiben sollen, erhalten Autorenverträge, die der ursprünglichen Idee von Pauschalen am nächsten kommen. Autoren sollen gegen eine Pauschale eine bestimmte Zahl an Texten schreiben. Langfristig soll für sie der Bürozwang aufgehoben werden.«

Ganz offensichtlich ist bei diesem Ansatz, dass diejenigen, die am stärksten in die normalen Abläufe des Unternehmens eingegliedert sind und faktisch so arbeiten wie ganz normal angestellte Beschäftigte, als erste eingestellt werden, während man die Textlieferanten sowohl durch die Art und Weise der zukünftigen (also wirklich pauschalen) Vergütung wie auch durch die Herauslösung aus den Arbeitsplatzstrukturen des faktischen Arbeitgebers (ein weiteres Merkmal scheinselbständiger Tätigkeit) in die "echte" Selbständigkeit zu überführen versucht.
Möglicherweise hat das was zu tun mit der beabsichtigten Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, die als Gesetzentwurf aus dem Haus der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles derzeit das politische Berlin bewegt, denn die eigentlich schon längst geplante Befassung des Kabinetts mit dem Entwurf hat noch nicht stattgefunden, weil es erhebliche Widerstände gegen die geplanten gesetzlichen Neuregelungen gibt. Anne Fromm spekuliert an dieser Stelle nicht unplausibel:

»Auffällig ist ..., dass zurzeit mehrere Verlagshäuser, darunter auch Gruner + Jahr und die Funke-Gruppe, daran arbeiten, ihre Pauschalisten fest anzustellen. Hintergrund könnte ein Referentenentwurf für ein neues Gesetz gegen den Missbrauch von Werkverträgen sein, den SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles im vergangenen November vorgelegt hat. Der Entwurf definiert enge Kriterien, ab wann jemand scheinselbstständig ist. Bisher war diese Definition wesentlich schwammiger.«

Das hätte doch was: Zahlreiche faktisch scheinselbständige Journalisten bekommen ein Festeinstellung aufgrund einer geplanten gesetzlichen Neuregelung, die derzeit unter heftiges Feuer genommen wird seitens der Wirtschaftsverbände und von Teilen des Koalitionspartners CDU/CSU. Und diese Attacken werden möglicherweise dazu führen, dass im Ergebnis dann der Gesetzentwurf weiter verwässert und abgeschwächt wird.

Den betroffenen Journalisten kann das egal sein. Sie wären begünstigt durch einen "Prä-Nahles-Effekt", auch wenn die "Post-Nahles-Welt" anders aussehen könnte.