"Man muss kein Prophet sein um vorhersagen zu können, dass die tatsächlichen Auswirkungen in der betrieblichen Praxis mehr als überschaubar bleiben werden."
So meine Schlussfolgerung in einem Beitrag vom 11. Januar 2017 über das damals auf den Weg gebrachte Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG), der bezeichnenderweise so überschrieben war: Gerechtigkeit beim Lohn per Gesetz? Das "Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen" zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Dort findet man auch diese Bewertung: »Insofern ordnet sich das "Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTranspG)" ein in die primär als symbolische Politik zu verstehenden Aktivitäten, die wir in diesem Bereich auch an anderen gesetzgeberischen Beispielen haben erfahren müssen.«
Und man muss diese frustriert daherkommenden Bewertungen einordnen vor einem an sich lobenswerten, zumindest nachvollziehbaren Anliegen am Ausgangspunkt dessen, was zu diesem Gesetz geführt hat: es geht hierbei um nichts geringeres als um die Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Und die wird immer wieder und auch begründet in Frage gestellt. Dies allerdings vor dem Hintergrund höchst komplizierter und vor allem struktureller Einflussfaktoren und eben nicht aufgrund der immer wieder gerne und plakativ in den öffentlichen Raum gestellten Behauptung, dass Frauen 20 Prozent weniger bekommen als Männer (vgl. dazu genauer meine kritische Auseinandersetzung in diesem Beitrag vom 18. März 2017: Wenn aus nicht falschen Zahlen falsche Ableitungen gemacht werden und die strukturellen Probleme unter die Räder der Lagerbildung kommen. Anmerkungen zum "Equal Pay Day").
Aber die Vorstellung, dass Frauen für die gleiche Arbeit wie Männer deutlich weniger Gehalt bekommen, hat die Gesetzgebungsmaschinerie, die dann zum EntgTranspG geführt hat, in Gang gesetzt. Und der Anspruch derjenigen, die das vorangetrieben haben, ist mehr als ambitioniert: »Das Gesetz will den seit über 50 Jahren geltenden Anspruch von Frauen auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchsetzen. Es schafft neue Instrumente, um die Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben auch beim Lohn voranzutreiben.« So eine Stellungnahme aus dem Bundesfamilienministerium bei der Verabschiedung des Gesetzes.
Und die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) wurde mit diesen Worten von ihrem Haus zitiert: »Nun ist der Weg frei für ein Gesetz, das ein wichtiges Tabu brechen wird: nämlich, über sein Gehalt zu sprechen. Der Gesetzesentwurf schafft mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern - und zwar über Transparenz von Gehalts- und Entgeltsystemen. Mit dem individuellen Auskunftsanspruch, der Berichtspflicht und den Prüfverfahren wird die Unternehmenskultur verändert.«
Das sind schon hohe Ansprüche - an denen man sich natürlich auch messen lassen muss. Das gilt selbstverständlich ebenfalls für die Kritiker dieses Produktes aus der ganz eigenen Welt der symbolischen Politik (die aber durchaus neben geringen bis gar keinen Nutzen eine Menge Aufwand verursachen kann, der von den Betroffenen dann ausgebadet werden muss). Und ich hatte in meinem Beitrag im Januar 2017 mit Blick auf die zentralen Bausteine des EntgTranspG (dazu auch die Abbildung am Anfang dieses Beitrags) ausgeführt, »dass auch mit diesem Gesetz die postulierte Lohnungerechtigkeit nicht für alle, sondern nur für bestimmte Arbeitnehmer/innen (möglicherweise) verbessert oder gar hergestellt werden kann: Das Gesetz gilt nur für die Beschäftigten, die in Unternehmen mit mehr als 200 Arbeitnehmern tätig sind. Alle anderen - und das ist die Mehrheit der Beschäftigten - haben von den Regelungen nichts. Ganz am Anfang des Prozesses, der zu dem nunmehr verabschiedeten Gesetzentwurf geführt hat, war mal beabsichtigt gewesen, dass die Regelungen für Betriebe mit sechs und mehr Beschäftigten gelten sollte. Mit der Begrenzung auf die großen Unternehmen hat man dem Ansatz einen großen Zahn einschließlich Wurzel gezogen.«
Um es auf den Punkt zu bringen: Man hat einen individuellen Auskunftsanspruch eingeführt, aber nur für Beschäftigte in großen Unternehmen, also ab 200 Arbeitnehmern. Und dann, wenn man feststellt, dass man ungerecht vergütet wird? Und der eigene Arbeitgeber das nicht ändern will? Die betroffene Arbeitnehmerin müsste ihren Arbeitgeber individuell verklagen. So auch die Ministerin Schwesig damals: Das neue Gesetz »werde Frauen helfen, ihre Ansprüche durchzusetzen. Das reiche bis hin zur Klage vor Gericht«. Jetzt muss man nur noch eins und eins zusammenzählen.
Dann verwundert es eben nicht, wenn man nun mit solchen Nachrichten konfrontiert wird:
Wer verdient was?, so ist ein Artikel von Alexander Hagelücken und Thomas Öchsner in der Print-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 26. Mai 2018 überschrieben: »Frauen fühlen sich verglichen mit ihren männlichen Kollegen oft unterbezahlt. Zu Recht? Seit Anfang des Jahres können Beschäftigte bei ihrem Arbeitgeber nachbohren. Doch das tun nur wenige – wohl auch, weil sie Nachteile befürchten.«
Daraus nur einige, erwartbare Befunde: Das neue Entgelttransparenzgesetz wird von Arbeitnehmern kaum genutzt. Das zeigt eine Umfrage unter großen deutschen Unternehmen. Selbst Konzerne mit mehr als 100.000 Mitarbeitern erhielten bislang weniger als 20 Anfragen.
»Die Deutsche Post, Henkel, Bosch, Audi, Continental und die Deutsche Bahn zählen zum Beispiel weniger als 20 Anfragen. Bei Siemens waren es unter 100. Bei RWE gab es genau eine Anfrage einer Frau - und bei Aldi Süd nicht eine einzige. Etwas größer war das Interesse, das meist von Frauen kommt, nur bei der Allianz (293 Anfragen), der Deutschen Telekom (120) und bei der Deutschen Bank mit 164 im ersten Quartal. Gemessen an der Anzahl der Mitarbeiter in Deutschland passiert also wenig.«
Und bei den von der Süddeutschen Zeitung befragten 20 Unternehmen gab es bisher nach eigenen Angaben genau null Klagen.
Das alles wurde erwartet und das wird sich auch nicht wirklich ändern. Und dieses Gesetz hätte man sich sparen können, dafür gab es aber auch schon vorher ausreichend Hinweise. Aber man darf wetten, dass es bleiben wird, allein schon wegen des beeindruckenden Titels: Entgelttransparenzgesetz. Das symbolisiert symbolische Politik in einem Wort.