Donnerstag, 5. April 2018

"Nicht-arbeitslose" Arbeitslose. Ein gar nicht so kleines Beispiel aus den Eingeweiden der Arbeitsmarktstatistik


Man kennt das - jeden Monat werden in Nürnberg die Arbeitslosenzahlen verkündet. Und in den vergangenen Jahren gingen die nach unten. Schauen wir auf die aktuellen Werte: Für den März 2018 berichtet die Bundesagentur für Arbeit von knapp 2,46 Millionen Arbeitslosen. Das gesamte Ausmaß der Menschen ohne Arbeit bildet die offizielle Zahl jedoch nicht ab. Denn knapp 960.000 "De-facto-Arbeitslose" sind nicht in der Arbeitslosen-, sondern in der separaten Unterbeschäftigungsstatistik enthalten, bei der es sich ebenfalls um eine ganz offizielle Statistik handelt, die von der BA veröffentlicht wird. Statt 2,46 Mio. müsste also die Untergrenze für von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen bei 3,42 Mio. liegen. Und es wäre schön, wenn die Medien endlich diese "ehrlichere" Zahl verwenden würden, was die meisten aber nicht machen. Wer ist denn faktisch arbeitslos, taucht aber in der kleingerechneten Zahl an "offiziellen Arbeitslosen" nicht auf? Da waren im März 2018 beispielsweise 713.000 Menschen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnahmen oder 81.000, die gerade am Tag der Zählung krank geschrieben waren. Und in der Liste der semantisch verkleisternd als "Unterbeschäftigte" titulierten Arbeitslosen, die aber rausgerechnet werden, taucht auch diese, viele sicher erst einmal irritierende Zahl auf: 165.000 über 58-Jährige, die innerhalb der letzten 12 Monate kein Jobangebot erhielten.

Was soll das denn, wird der eine oder andere fragen. Arbeitslose zählen nicht als Arbeitslose, weil sie kein Jobangebot bekommen haben? Die sind doch trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) weiter arbeitslos?

So ist das natürlich auch. Also eigentlich, aber eben nicht statistisch. An der Abbildung am Anfang dieses Beitrags sieht man, dass es sich hier nicht um eine kleine, zu vernachlässigende Größe geht. Dahinter verbergen sich mehr als 160.000 Einzelschicksale von Menschen, die älter als 58 Jahre sind und denen das Jobcenter - aus welchen Gründen auch immer - in den zurückliegenden zwölf Monaten kein Stellenangebot unterbreitet hat.

Rechtsgrundlage ist der § 53a Absatz 2 SGB II: »Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres mindestens für die Dauer von zwölf Monaten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen haben, ohne dass ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten worden ist, gelten nach Ablauf dieses Zeitraums für die Dauer des jeweiligen Leistungsbezugs nicht als arbeitslos.«

Es ist hier mehr als offensichtlich, dass es darum geht, die offizielle Zahl der Arbeitslosen nach unten anzupassen. Das wurde und wird seit langem immer wieder kritisiert - und auch von Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Darüber berichtet Henrike Rossbach in ihrem Artikel "Paragraf gehört abgeschafft". Dieses als Forderung daherkommende Zitat stammt nicht von ihr, sondern von der Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag ist:

"Mit dieser Regelung wird nur die Statistik geschönt", kritisiert Müller-Gemmeke. "Das geht in einer älter werdenden Gesellschaft gar nicht. Dieser Paragraf muss schleunigst abgeschafft werden." ...  "So werden arbeitslose Menschen schon mit 58 Jahren auf das Abstellgleis geschoben, und andere sollen bis 67 Jahre arbeiten", kritisiert Müller-Gemmeke. Das passe nicht zusammen. Zudem müssten Jobangebote für ältere Menschen eine Selbstverständlichkeit sein.

Das ist alles richtig - und die Forderung, die § 53a Absatz 2 SGB II-Regelung abzuschaffen kann und darf nur ein Baustein sein für eine halbwegs korrekte Quantifizierung der Arbeitslosen in unserem Land. Die von der BA selbst ausgewiesene Zahl an "Unterbeschäftigten" wäre eine solche Mindestgrenze, die man verwenden sollte.