Um nur drei Beispiele aus den beiden ganz unterschiedlichen Welten an dieser Stelle aufzurufen:
Seit Sommer 2014 sammelt Michael Bohmeyer, der Gründer des Vereins Mein Grundeinkommen, per Crowdfunding Geld für bedingungslose Grundeinkommen. Sobald 12.000 Euro zusammen gekommen sind, verlost der Verein ein Jahresgrundeinkommen für eine Person. Bisher haben 124 Menschen durch den Verein ein jährliches Grundeinkommen erhalten. Was lernen wir aus ihren Erfahrungen? Diese Frage beleuchtet Michael Bohmeyer in dem Artikel Grundeinkommen: Mit 1.000 Euro kann man zu allem Nein sagen. Nicht wirklich überraschend sieht er in diesem Ansatz den Schlüssel zu einer ganz neuen Entwicklungsstufe der gesellschaftlichen Entwicklung:
»Ein Grundeinkommen hingegen gibt mir Sicherheit – und damit die Freiheit, zu allem "Nein" sagen zu können: zum Job, zur Ehe mit dem Alleinverdiener, zum Notendruck in der Schule. Wenn ich aber "Nein" sagen kann, dann bekommt das "Ja" eine ganz neue Qualität. So berichten viele Gewinner unseres Projekts, dass sie ihren Job durch das Grundeinkommen neu lieben gelernt haben, produktiver geworden sind und dabei weniger Stress hatten. Wenn ich nicht mehr muss, dann kann sich die intrinsische Motivation plötzlich entfalten ... Das Grundeinkommen setzt ... den Hebel zur Weltveränderung an einer neuen Stelle an: im Innern, beim Gefühl jedes Einzelnen. Es entfesselt damit unsere Kräfte und Fähigkeiten, die wir brauchen, um mit der neuen Welt umzugehen. Arbeit, Bildung, Konsum, Gesundheit, Familie, Staat, Liebe, Erziehung – eigentlich alles wird sich mit einem Grundeinkommen automatisch verändern.«
Für die andere Seite sind das nur naive, letztendlich gefährliche Tagträumereien. Im Dezember 2017 hat der Bundesvorstand der Gewerkschaft ver.di unter der Überschrift Bedingungsloses
Grundeinkommen. Risiken und Nebenwirkungen einer wohlklingenden Idee Stellung bezogen. Nach einer Analyse der unterschiedlichen Konzepte eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) kommen die Autoren zu diesem Ergebnis:
»Viele Anhängerinnen und Anhänger eines BGE verbinden mit dieser Forderung geradezu Heilserwartungen. Eine Vielzahl von Problemen soll damit auf einen Streich gelöst werden ... Dabei erweisen sich die Konzepte eines sozial ausgerichteten BGE als illusionäre Resultate einer reinen „Wünsch dir was“-Logik. Je höher das BGE, desto höher wären auch die notwendigen Abgabenbelastungen und die ökonomischen und politischen Probleme und Widersprüche ... Die Konzepte eines BGE passen sehr gut in eine immer mehr neoliberal desorganisierte Gesellschaft. Die Einzelnen werden darauf orientiert, individuell auf dem Markt und gegenüber „Arbeitgebern“ aufzutreten und ihre Ziele zu verfolgen, vermeintlich abgesichert durch das BGE ... Die Bedingungen für gewerkschaftliche Organisierung und kollektive Interessendurchsetzung würden erschwert, die Verhandlungsposition der Lohnabhängigen geschwächt ... Die Bewegung für ein BGE könnte sich so - und sei es auch wider Willen - als eine Art trojanisches Pferd für die Durchsetzung einer radikalisierten Variante des Neoliberalismus erweisen.«
Und immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens auch auf die Unterstützung von bedeutsamen Konzernlenkern zählen können. Vgl. dazu bereits die Hinweise in dem Beitrag Mit dem Herz dafür, aber mit dem Kopf dagegen? Oder mit dem Verstand dafür, aber ohne Herz? Das "bedingungslose Grundeinkommen" ist (nicht) krachend gescheitert vom 7. Juni 2016. Dazu ein aktuelles und bemerkenswertes plakatives Beispiel aus der Schweiz: Anlage-Chef der Credit Suisse fordert bedingungsloses Grundeinkommen: "Sonst kommt eine Rebellion!": »Roboter und Automatisierung könnten zu Millionen von Arbeitslosen führen. Sollte dann das bedingungslose Grundeinkommen nicht eingeführt werden, befürchtet Michael Strobaek, Investment-Chef bei der Credit Suisse, eine Rebellion.«
»Durch die zunehmende Automatisierung und immer mehr Roboter würden in Zukunft, "Millionen von Leuten arbeitslos werden", sagt Strobaek. Und denen müsse man den Lebensunterhalt sichern.
Auf die Frage, ob man dies durch eine Art bedingungsloses Grundeinkommen tun müsse, antwortet der Top-Banker: "Genau, sonst werden die Leute rebellieren wie während der Französischen Revolution, als sie den Adel zur Guillotine auf die Place de la Concorde geschleift haben."«
Man kann an diesen wenigen Beispielen erkennen, mit was für einer Sache wir es hier zu tun haben.
Und immer wieder wird in diesem Umfeld auf ein seit einiger Zeit in Finnland laufendes Experiment verwiesen. 2.000 zufällig ausgewählte Arbeitslose bekommen seit Januar 2017 bedingungslos 560 Euro im Monat - anstelle von Arbeitslosengeld. Die 2.000 Teilnehmer wurden unter allen Personen zwischen 25 und 58 Jahren, die im November 2016 Arbeitslosengeld oder -unterstützung bekommen haben, ausgelost. Der Test ist auf zwei Jahre befristet. Das Grundeinkommen wird nicht reduziert, wenn eine Arbeit aufgenommen wird.
Nun wurde in dem Beitrag Experimente an Lebenden mit kleiner Dosis. In Finnland und den Niederlanden geht es um ein bedingungsloses Grundeinkommen light und Sozialhilfe-Laborversuche vom 9. Oktober 2016 bereits darauf hingewiesen, dass es sich nicht wirklich um ein Experiment das bedingungslose Grundeinkommen betreffend handelt, denn das würden ja alle und eben nicht nur die Arbeitslosen bekommen (müssen) und dann auch nicht auf (nur) zwei Jahre befristet.
Man muss sich in Erinnerung rufen, dass es der finnischen Regierung um ganz andere Fragen ging und geht, als man sie auf der emanzipatorischen Seite der Grundeinkommensbefürworter finden wird: Im Mittelpunkt des Interesses steht die große und immer wieder in diesem Kontext aufgerufene Frage nach den Auswirkungen eines wie auch immer ausgestalteten bedingungslosen Grundeinkommens auf die Arbeitsanreize bei den Betroffenen, denn die These, dass das dazu führen wird, dass die Leute sich in der Hängematte der staatlichen Grundeinkommensleistung ausruhen werden, ist eines der populärsten Gegenargumente. Die rechtsliberale Regierung in Finnland will mit dem Versuch zwei Ziele erreichen: »Erstens soll der Anreiz steigen, gerade schlecht bezahlte Jobs anzunehmen - der Niedriglohnsektor soll so ausgebaut werden. Zweitens soll die staatliche Sozialverwaltung verschlankt werden.«
Allerdings sollte man sich aufgrund der konkreten Versuchsanordnung in Finnland nicht zu viel versprechen, darauf hatte auch Stefan Bielmeier in seinem Artikel Grundeinkommen: Der Nutzen des Geld-Experiments in Finnland ist fraglich bereits hingewiesen:
»Was die Arbeitsanreize betrifft, sind nur begrenzt Erkenntnisgewinne durch das Experiment zu erwarten. So ist der Druck auf Arbeitslose sehr hoch, sich bei lediglich 560 Euro Grundeinkommen etwas dazuzuverdienen. Weil das Experiment auf Arbeitslose beschränkt ist, bleibt aber vor allem die viel wichtigere Frage unbeantwortet, ob Erwerbstätige die zusätzlichen Einkünfte zum Anlass nehmen würden, weniger oder gar nicht mehr zu arbeiten.«
Und man könnte jetzt noch mehr ins Detail gehen und darauf hinweisen, dass ein richtiges Experiment anders aufgebaut sein müsste, also neben einer Versuchs- auch eine ordentliche Kontrollgruppe enthalten müsste und das man dann nicht während der Laufzeit des Experiments gewichtige Rahmenbedingungen für eine der beiden Gruppen verändern darf.
Genau das aber passiert offensichtlich gerade. Finnlands Arbeitslosengeldreformen: Die Kehrseite des Grundeinkommens, so hat Reinhard Wolff seinen Artikel überschrieben, dem wir entnehmen können:
»Seit Januar 2017 erhalten in Finnland in einem Modellprojekt 2.000 Arbeitslose anstelle des Arbeitslosengelds ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ in Höhe von 560 Euro. Bei den restlichen 190.000 Arbeitslosen, die von diesem Versuch nicht erfasst werden, sind dagegen von Beginn dieses Jahres an die Bedingungen für den Leistungsbezug deutlich verschärft worden.
Die neue Regelung verlangt von allen Arbeitslosen, dass sie binnen einer Dreimonatsperiode jeweils eine Beschäftigungszeit von mindestens 18 Stunden, ein Einkommen aus selbständiger Arbeit von wenigstens 241 Euro oder die Teilnahme an einem einwöchigen Weiterbildungsprogramm nachweisen müssen. Falls sie das nicht können, werden ihnen die Leistungen für das folgende Vierteljahr um jeweils 4,65 Prozent gekürzt.«
Und offensichtlich wird die Verschärfung der Bezugsbedingungen für die Arbeitslosenunterstützung auch noch mit expliziter Bezugnahme auf das seit einem Jahr laufende Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen light begründet: »Nun soll die Auswirkung auf die Beschäftigung durch das Grundeinkommen-Experiment mit den Resultaten des „Aktivierungsmodells“ verglichen werden«, so Reinhard Wolff in seinem Artikel.
Das alles wird die Aussagefähigkeit des - vorher bereits aus den angesprochenen methodischen Gründen mehr als fragwürdigen - "Experiments" in Finnland erheblich beschädigen.