In den vergangenen Wochen wurde wieder einmal etwas intensiver über das Thema "Pflege" gesprochen und zugleich wird immer offensichtlicher, dass der Druck im Kessel steigt, was man nicht nur, aber auch diskutiert entlang der Arbeitskämpfe von Pflegekräften, die sich bislang fokussieren auf die Krankenhauspflege und bei denen es - zum Erstaunen vieler außenstehnder Beobachter - vor allem um mehr Personal statt wie sonst üblich um mehr Geld geht (vgl. dazu den Beitrag Druck im Kessel. Die Pflegekräfte und das Herantasten an den großen Pflegestreik. Oder doch nur ein Sturm im Wasserglas? vom10. Oktober 2017). Ein anderer wichtiger Bereich der Pflege, die Altenpflege, wird zwar auch immer wieder angesprochen (zuweilen wird das munter durcheinandergewürfelt), aber obgleich unter den schlechten Bedingungen dort die schlechtesten zu finden sind, beschränkt sich die mediale Berichterstattung primär auf eine wiederkehrende Skandalisierung der Zustände in vielen Pflegeheimen, hin und wieder angereichert um die Forderung, für die Pflegekräfte in der Altenpflege müsse nun wirklich was bei der Vergütung gemacht werden (vgl. dazu ausführlicher Jenseits der Schaumschlägereien: Die Entlohnung in "der" Pflege. Die ist gerade nicht ein Thema für die letzten Wahlkampfmeter vom 20. September 2017). Nur sehr selten wird der große und wichtige Bereich der ambulanten Pflegedienste angesprochen, obgleich hier ebenfalls enorme Probleme registriert werden, vor allem im Sinne eines immer öfter zu beobachtenden Auseinanderlaufens von Angebot und Nachfrage nach ambulanten Diensten (vgl. dazu als ein Beispiel das Interview mit dem Geschäftsführer der AWO Pflegegesellschaft Berlin: „Die Anfragen nach ambulanter Hilfe nehmen drastisch zu“). Und ganz am Ende der Berichterstattungshierarchie steht die "black box" der häuslichen Pflege und Betreuung ausschließlich oder überwiegend durch pflegende Angehörige.
Das steht in einem absoluten Spannungsfeld zu der realen Ausformung des Pflegesystems in Deutschland. Die Abbildung am Anfang des Beitrags verdeutlich das anhand der Zahlen der Pflegestatistik 2015: Von den Ende 2015 insgesamt 2,9 Mio. Pflegebedürftigen (nach den Kriterien des SGB XI) wurden mehr als zwei Millionen Menschen zu Hause gepflegt - das waren 73 Prozent aller Pflegebedürftigen. "Nur" 783.000 Pflegebedürftige wurden vollstationär in Pflegeheimen versorgt.
Und 1,38 Mio. Pflegebedürftige wurden ausschließlich von Angehörigen, weitere 692.000 durch Angehörige mit zweitweiser Unterstützung durch ambulante Pflegedienste versorgt. Dafür standen 13.300 ambulante Pflegedienste mit mehr als 365.000 Beschäftigten zur Verfügung.
Man muss sich die fundamentale Bedeutung dieser Zahlen bewusst machen: Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt und versorgt, zuweilen mit punktueller Unterstützung durch professionelle Pflegedienste, aber die Hauptlast liegt auf den pflegenden Angehörigen. Über zwei Millionen Betroffene.
Bereits ein simples Gedankenexperiment macht deutlich, was passieren würde, wenn nur ein Teil dieser Pflegehelden des Alltags kapitulieren und die Versorgung in den stationären Bereich abgeben würde - das Pflegesystem in Deutschland würde innerhalb von wenigen Stunden kollabieren, allein schon aufgrund der Tatsache, dass es gar nicht so viele Pflegeheimplätze, geschweige denn das Personal gibt und man das auch nicht in kurzer Zeit aus dem Boden stampfen könnte.
Und man kennt das aus vielen anderen Bereichen - das Problem des Lebens von der Substanz, dass man also vorhandene Ressourcen vernutzt, ohne diese zu erhalten bzw. ausreichend zu ersetzen. Das kann man bei Beton (z.B. Straßen und Gebäude) genau so beobachten wie bei Menschen. Und im Bereich der Pflege ist das Ungleichgewicht manifest - "das System" setzt auf die pflegenden Angehörigen, die dann auch noch auf der Leistungsseite mit geringeren Beträgen "abgespeist" werden, so dass sie natürlich "günstiger" sind für das Leistungssystem. Der Unterschied zwischen dem Pflegegeld und den Pflegesachleistungen in den einzelnen Pflegegraden sei hier als Beispiel genannt.
Nun werden wir an dieser Stelle mit einem Mega-Dilemma konfrontiert, denn hinter den mehr als zwei Millionen Pflegebedürftigen, die "zu Hause" versorgt werden, stehen zwei Millionen Einzelfälle und in jedem Fall ist die spezifische Konfiguration auch für die pflegenden Angehörigen eine andere bzw. eben eine ganz eigene. Bereits die Planung und Steuerung der professionellen Dienste und Einrichtungen ist eine höchst komplexe und offensichtlich auch unvollkommene Angelegenheit. Das ist schon mathematisch gesehen bei Millionen Einzelfällen eine unauflösbare Aufgabe - und dennoch muss man zumindest einen - dann auch noch möglichst flexiblen - Rahmen gestalten, in dem diese wichtige individuelle und zugleich gesellschaftliche Aufgabe besorgt werden kann. Selbst wenn man die politische Entscheidung trifft, sich dieser Aufgabe möglichst weit ausgreifend zu stellen (was bereits an sich nicht selbstverständlich ist, denn aus der inneren Logik heraus tendiert das "System" gleichsam automatisch zu einer "selbstverständlichen" Inanspruchnahme der Ressource pflegende Angehörige, deren Existenz und vor allem Fortdauer vorausgesetzt und genutzt wird), würde sich einem solchen gestaltenden pflegepolitischen Ansatz mehrere Folgeprobleme stellen.
Da gibt es zum einen die Kompetenz- und Realisierungsfrage auf den Ebenen der Planung, Steuerung und auch Gewährleistung. Es ist offensichtlich, dass das auf der kommunalen Ebene geleistet werden muss, angesichts der unterschiedlichen Bedarfe wie auch Ausprägungen vor Ort. Dazu braucht man nicht nur Personal, sondern auch fachlich geeignetes Personal. In dieser Gemengelage spielen natürlich auch Zuständigkeitsfragen eine gewichtige Rolle, also was kann man vor Ort beeinflussen, was aber ist mit solchen institutionellen Tankern wie der Pflegeversicherung? Wer hat Zugriff auf was und wie viel?
Und ein ganz widerspenstiger Faktor ist natürlich wieder einmal das Geld. Es wurde bereits angesprochen, dass ja ein zentraler Vorteil für das System darin besteht, dass pflegende Angehörige "billiger" sind, als wenn man das abdecken müsste über professionelle Dienste und Einrichtungen. Aber selbst wenn man die direkte Vergütung der Leistung der pflegenden Angehörigen auch in Zukunft unter dem Niveau das Pflegesachleistungen belässt - die zentrale Aufgabe der Zukunft wird darin bestehen (müssen), um eine Stabilisierung der kostbaren Ressource pflegende Angehörige zu erreichen, eine diese unterstützende Infrastruktur auf- und auszubauen. Die Grundbausteine für das, was hier gemeint ist, kann man bereits in der Tabelle mit den Leistungen der Pflegeversicherungen, die ja immer nur anteilige Leistungen sind aufgrund der Tatsache, dass die Pflege- eine Teilkaskoversicherung darstellt, entnehmen. Da gibt es Leistungen für die Verhinderungspflege, für die Kurzzeitpflege, für die teilstationäre Tages- und Nachtpflege und einen Entlastungsbetrag bei ambulanter Pflege.
Das sind alles Leistungen in der Zwischenwelt zwischen rein häuslicher Pflege und institutioneller, vor allem vollstationärer Pflege. Und die sind nicht vom Himmel gefallen, sondern erste Ergebnisse eines mühsamen und schmerzhaften Bewusstwerdungsprozesses, dass die pflegenden Angehörigen eben nicht ohne Unterstützung auf Dauer ausgelutscht werden können, sondern dass die eine begleitende und oftmals punktuelle bzw. temporäre Entlastung benötigen, weil sie ansonsten ausfallen werden. Oder aber schweren eigenen Schaden nehmen durch die Vernutzung im Prozess der Pflege und Betreuung.
Und allen Beteiligten, die etwas genauer hinschauen, ist klar, dass diese "Zwischenwelt-Infrastruktur" ausgebaut werden muss, zugleich muss sie flexible und zeitnah auf Besonderheiten bei den pflegenden Angehörigen reagieren können. Man denke hier an die Bedarfe für eine zeitweilige Entlastungspflege, für eine zeitweilige stationäre Unterbringung oder für den Auf- und Ausbau von Tagesbetreuungsangeboten zur Entlastung der pflegenden Angehörigen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen und deshalb eben nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen können oder das auch nicht wollen.
Nur muss man das offen ansprechen: Betriebswirtschaftlich gesehen ist diese so wichtige "Zwischenwelt-Infrastruktur" eine Katastrophe, denn natürlich zeichnet sie sich aus durch Aspekte, die eine "effiziente" Ausgestaltung der Strukturen und damit einen kostenseitig überschaubaren Betrieb erschweren bis verunmöglichen. So kann man aufgrund der Anforderungsprofile eben keine "Plätze" oder Pflegekräfte voll auslasten, sondern man muss ja schnell und individuell reagieren können, was Schleichweg Überkapazitäten bedeutet und damit immer auch deutlich höhere Stückkosten. Das ist sicher einer der wichtigsten "inneren Hemmfaktoren", warum man sich scheut, diese Systeme so wie eigentlich erforderlich auszubauen und auch zu unterhalten.
Aber das ändert nichts daran, dass das bisherige Auffangbecken der pflegenden Angehörigen erkennbar immer stärker unter Druck gerät. Das wird auch von Medien aufgegriffen, beispielsweise in diesem Artikel von Anika Zidar: Schlittert die Pflege in die Katastrophe? »Diejenigen, die zu Hause ihre Angehörigen pflegen, werden in Zukunft weniger werden. Dabei sind sie das Rückgrat des Systems. Die Pflege steht vor einer Wende.«
Und auch sie legt den Finger auf die in diesem Beitrag bereits vorbereiteten Wunden: »Angebote wie die Kurzzeitpflege, die im Gesetz für Pflegebedürftige vorgesehen sind, können sie nicht in Anspruch nehmen, weil diese sehr knapp und oft ausgebucht sind. Der freie Markt, auf dem die Pflegeanbieter agieren, gibt nicht immer das her, was gebraucht wird.«
Sie zitiert den Pflegereport 2015 der Krankenkasse DAK, der einen vertiefenden Blick geworfen hat auf die pflegenden Angehörigen und auf der Basis einer Auswertung von Versichertendaten zu dem Ergebnis gekommen ist, »dass 20 Prozent aller pflegenden Angehörigen schon unter Depressionen gelitten haben. Auch Angst- oder Schlafstörungen kamen gehäuft vor.« Vgl. dazu und weiteren Befunden den Beitrag Aus den Tiefen und Untiefen des größten Pflegedienstes in Deutschland: Pflegende Angehörige. Und das, was die tun, kann krank und arm machen vom 27. September 2015.
Und das ganze System steht vor einer fundamentalen Verschiebung bzw. Erschütterung - nicht nur durch den demografischen Wandel, sondern hier besonders relevant durch die massiven Veränderungen, die sich in den Erwerbsbiografien erkennen lassen. In dem Artikel von Anika Zidar wird Brigitte Bührlen zitiert. Über 20 Jahre hinweg hat die heute 67-Jährige ihre Mutter im Alter begleitet, sie sieben Jahre lang zu Hause gepflegt - und sie ist Gründerin der Initiative Wir! Stiftung pflegender Angehöriger mit Sitz in München. "Die Zeit der stillen Helden geht zu Ende." Mit dem Pflegesystem konnte es ihrer Meinung nach nur so lange gut gehen, weil bis jetzt vor allem die Kriegsgeneration gepflegt habe, die traditionsbewusster gewesen sei. Nun aber sei die Nachkriegsgeneration an der Reihe.« Und das wird vieles ändern bei der Ressource pflegende Angehörige. "Mittlerweile arbeiten in den meisten Familien beide Partner. Sie werden weniger Zeit für Pflege aufwenden, weil sie sie schlicht nicht mehr haben."
Ganz offensichtlich müssen wir bei dieser Frage einen besonderen Blick werfen auf die Veränderungen, die sich bei den Frauen beobachten lassen - vor dem Hintergrund der erheblichen Geschlechterunterschiede in der Angehörigen-Pflege. Der Pflegereport 2015 der DAK gibt uns hierfür wichtige Hinweise: »Aus dem Report geht hervor, dass mit rund 90 Prozent meist Frauen die Pflege übernehmen. Ein Drittel ist berufstätig, davon lediglich ein Fünftel in Vollzeit. Gepflegt werden überwiegend Menschen mit Pflegestufe Eins (knapp 50 Prozent). Doch auch die Stufen Zwei (30 Prozent) und Drei (zehn Prozent) sind mit ihrem intensiven Betreuungsbedarf in der häuslichen Pflege vertreten.« Und der ebenfalls 2015 erschienen Veröffentlichung Pflegende Angehörige – Deutschlands größter Pflegedienst des Robert-Koch-Instituts (RKI) kann man entnehmen: Das Durchschnittsalter der pflegenden Frauen mit hohem Betreuungsumfang liegt bei 53,4 Jahren. Signifikante Unterschiede zeigen sich hinsichtlich des Bildungsstatus: Pflegende mit hohem Betreuungsumfang gehören häufiger niedrigen und seltener höheren Bildungsgruppen an als nicht-pflegende Personen. Pflegende mit hohem Betreuungsumfang müssen signifikant häufiger als Nicht-Pflegende mit nur geringer sozialer Unterstützung zurechtkommen. Mit Blick auf die soziale Lage der pflegenden Angehörigen von besonderer Bedeutung sind diese Befunde:
»In diesem Zusammenhang sind Befunde zum Zusammenhang von Pflege und sozialen Milieus aufschlussreich (...): Danach zeigt sich die geringste Bereitschaft zum Pflegen bei Personen mit hohem Sozialstatus. Die größte Bereitschaft besteht dagegen bei Personen, die sozial schlechter gestellt sind. Als Gründe werden vor allem »Opportunitätskosten« angeführt ..., die entstehen, wenn durch Übernahme von Pflegeverpflichtungen auf berufliche und soziale Handlungsoptionen verzichtet werden muss. Angehörigenpflege wird also in hohem Maß von älteren, niedrig gebildeten und sozial schlechter gestellten Frauen geleistet. Die soziale Situation dieser Personengruppe muss daher in der Unterstützung und Gesundheitsförderung pflegender Angehöriger besondere Beachtung finden.« (RKI 2015: 8).
Zu diesem Themenfeld liegt eine neue Studie vor, mit einigen interessanten Ergebnissen, die zugleich die bestehenden wie auch die zu erwartenden Herausforderungen erkennen lassen:
Volker Hielscher, Sabine Kirchen-Peters und Lukas Nock (2017): Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geben Auskunft. Study Bd. 363, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2017
Volker Hielscher, Sabine Kirchen-Peters und Lukas Nock (2017): Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geben Auskunft. Study Bd. 363, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2017
In der Zusammenfassung heben die Verfasser folgende Punkte hervor (vgl. Hielscher/Kirchen-Peters/Nock 2017: 10 f.):
- Die häusliche Pflege in Deutschland stützt sich wesentlich auf eine Hauptpflegeperson ab, die das Pflegearrangement organisiert und maßgebliche Teile der Versorgung leistet.
- Jede fünfte Hauptpflegeperson leistet die Pflege ganz allein, ohne informelle oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
- Die Generation der jüngeren Hauptflegepersonen (Kinder und Schwiegerkinder der Pflegebedürftigen) nimmt in stärkerem Maße informelle Unterstützung und professionelle Dienstleistungen in Anspruch als die Generation der pflegenden Ehepartnerinnen und -partner.
- Von den formellen Unterstützungsangeboten werden vor allem solche genutzt, die ihre Leistungen innerhalb der Häuslichkeit von Pflegebedürftigen erbringen: ambulante Pflegedienste und Verhinderungspflege.
- Der durchschnittliche tägliche Zeitaufwand der Hauptpflegeperson für die Bewältigung der Pflegebedürftigkeit entspricht einem Vollzeit-Arbeitstag.
- Hochgerechnet auf alle Pflegehaushalte in Deutschland werden rund 90% des Zeitaufwands für die Versorgung von der Hauptpflegeperson und weiteren informellen Helfern und nur rund 10% von professionellen Diensten abgedeckt.
- Jeder zwölfte Pflegehaushalt in Deutschland beschäftigt eine mit im Hause lebende, meist aus Osteuropa stammende Hilfskraft. Diese Versorgungsform nutzen vor allem Haushalte mit höherem Einkommen und mit Pflegebedürftigen, für die ein sehr hoher Betreuungs- und Pflegeaufwand besteht.
- Die Daten zu den zeitlichen Beanspruchungen der im Haushalt lebenden Hilfskräfte und zu den Kosten für diese Versorgungsform weisen auf erhebliche arbeitsrechtliche Probleme hin, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und auf die Bestimmungen zum gesetzlichen Mindestlohn.
- Kosten entstehen den Pflegehaushalten nicht nur für die Inanspruchnahme professioneller Unterstützungsleistungen oder für Pflegehilfsmittel, Therapien, Medikamente und Umbaumaßnahmen. Ebenso werden für den Einsatz informeller Helfer und für Aufwendungen der Hauptpflegepersonen finanzielle Mittel eingesetzt.
- Die zeitliche und finanzielle Belastung steigt mit zunehmender Pflegebedürftigkeit. In einer gewichteten Gesamtbetrachtung waren in einem durchschnittlichen Pflegehaushalt in Deutschland 63 Stunden pro Woche und rund 360 Euro monatlich für die Bewältigung der Pflegebedürftigkeit aufzubringen.
- Einkommensstarken Haushalten gelingt es in stärkerem Maße, auch bei schwerer und schwerster Pflegebedürftigkeit ein häusliches Pflegearrangement aufrecht zu erhalten.
- Zwei Fünftel der Haushalte nehmen keine Pflegeberatung in Anspruch. Dies betrifft überproportional bildungsferne Schichten. Durch den Verzicht auf Pflegeberatung sinken die Chancen, das Leistungsangebot der Pflegeversicherung in vollem Maße ausschöpfen zu können.
- Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter nehmen nur in reduziertem Umfang an Erwerbsarbeit teil. Rund ein Drittel hat die Berufstätigkeit aufgrund der Pflegeverpflichtungen einschränken müssen und lediglich ein Viertel ist in Vollzeit erwerbstätig. Die Angebote des Pflegezeitgesetzes werden bisher kaum in Anspruch genommen.
Will man also nicht das System vor die Wand fahren - und auf der Fahrspur sind wir -, dann muss unbedingt ein möglichst kohärenter Ansatz zur Neugestaltung der Pflegepolitik auf die Agenda. Und das bedeutet mit Blick auf die irgendwann einmal sich konstituierende neue Bundesregierung, dass es eben nicht darum gehen kann und darf, erneut an der einen oder anderen Stelle im hyperkomplexen Pflegesystem partiell und das dann auch noch nach sehr langen Verhandlungs-, geschweige denn Umsetzungszeiten herumzufummeln und zu glauben, mit etwas mehr Geld für die Pflegekräfte oder ein paar weichgespülten Personalmindeststandards zur Vermeidung von Menschengefährdung könne man etwas bewirken.
Gerade der Blick auf die das Gesamtsystem tragenden pflegenden Angehörigen zeigt einmal mehr, dass wir einen großen und weit ausgreifenden Wurf in der Pflegepolitik brauchen, der dann auch noch eingebettet werden muss in die anderen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die um uns herum ablaufen. Sollte das erneut verweigert oder nicht geleistet werden können, dann sollten sich vor allem die Baby-Boomer der 1950er/1960er Jahre darauf einstellen, dass die einen, die es sich leisten können, in abgeschottete Premium- und Luxusversorgungsreservate flüchten, für die große Masse aber ein Albtraum Realität werden wird.