Die reinen Zahlen verweisen auf eine beeindruckende ökonomische "Erfolgsgeschichte" der deutschen Fleischwirtschaft: Allein »die Einfuhr von Lebendgeflügel in den vergangenen 20 Jahren um fast 260 Prozent angestiegen ist. Wurden 1996 noch 11 Millionen Hühner, Enten oder Gänse importiert, waren es im vergangenen Jahr 39,5 Millionen Stück Federvieh. Fast jedes zweite Tier kam dabei aus Dänemark. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der eingeführten Schlachtschweine laut Bundesagrarministerium um 61 Prozent von 2,7 auf zuletzt 4,4 Millionen Tiere. Hauptherkunftsland mit fast vier Millionen Schweinen waren 2016 die Niederlande.«
Aber das hat alles seinen Preis, den andere zahlen müssen. Das immer mehr Tiere aus dem Ausland hierzulande geschlachtet werden, "geht nur mit Fremdpersonal und mit einem harten Wettbewerb um die billigsten Löhne", so wird die grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke in dem Artikel von Fisser zitiert.
Aber ist man da nicht bereits bzw. endlich tätig geworden? Vor kurzem hat doch der Bundestag ein „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“ verabschiedet, um endlich durch die Einführung einer Generalunternehmerhaftung in der Fleischwirtschaft dem viel und seit langem beklagten Lohn- und Sozialdumping einen Riegel vorzuschieben? Dazu ausführlich der Beitrag Der Fleischindustrie in einer parlamentarischen Nacht-und-Nebel-Aktion ans Leder gehen: Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkverträgen in den deutschen Billig-Schlachthöfen vom 2. Juni 2017. Darin sind wirklich gute und wichtige Ansätze enthalten, um die auftraggebenden Unternehmen, die ja auch den Großteil der Profite abgreifen, unter Druck setzen zu können. Wobei "können" hier doppelt unterstrichen werden muss.
Denn das hat die Anfrage der Grünen auch zu Tage gefördert: »Die Bundesregierung räumte auf Anfrage der Grünen ein, dass sie nicht wisse, wie viele Schlachter oder Zerleger von Subunternehmern in deutsche Schlachthöfe entsandt werden«, berichtet Fisser. Das ist natürlich schon problematisch genug - wenn man nicht einmal weiß, wie viele entsandte Arbeitnehmer auf den Schlachthöfen herumlaufen. Aber es kommt noch schlimmer:
»Aus der Antwort des Bundesagrarministeriums geht weiter hervor, dass die Überprüfungen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit deutlich zurückgegangen sind: Nach 445 Arbeitgeberüberprüfungen im Jahr 2015 sank die Zahl auf 278 im vergangenen Jahr.«
Angesichts der seit langem vorgetragenen massiven Kritik an den Arbeitsbedingungen der Billiglöhner in der Fleischwirtschaft sind diese Zahlen gelinde gesagt ein Armustzeugnis besonderer Art. Denn gerade angesichts der sehr großen Unternehmen, die wir in der Fleischwirtschaft vorfinden können, kann sich der Staat noch nicht einmal darauf zurückziehen, dass sich viele kleine Betriebe nur schwer kontrollieren lassen, der Einwand zählt hier nicht. Offensichtlich sind wir mit einem massiven Kontrollversagen des Staates konfrontiert.
Und diese Zahlen sollte man auch bei der Einordnung des neuen „Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“ aufrufen - wenn man darüber wirklich eine spürbare Wirkung in der Branche erzielen will, dann muss das auch kontrolliert werden und gerade am Anfang, wenn das Gesetz demnächst vom Bundesrat bestätigt werden und in Kraft treten wird, muss man einen entsprechenden Kontrolldruck für die Unternehmen aufbauen. Ansonsten droht die Gefahr, dass das Schutzgesetz als typisches Placebo-Gesetz landen wird.