Nein, hier soll jetzt nicht das Fass mit möglichen Neiddebatten über die (angeblich bzw. tatsächlich) gute Versorgung der im Ruhestand befindlichen Staatsdiener aufgemacht werden, nicht einmal die offensichtlichen Ungleichbehandlungen und daraus resultierende Gerechtigkeitsfragen stehen hier im Mittelpunkt. Dazu könnte man viel sagen und das wird auch hin und wieder an die Oberfläche der öffentlichen Diskussion gespült. »Alle reden über Rentenreformen – aber warum packt keiner die Pensionen der Beamten an? Deren Altersbezüge sind hoch. Nur sie selber streiten das gern ab«, so beginnt beispielsweise ein Artikel von Nadine Oberhuber aus dem Juni 2016 über Beamtenpensionen.
Und es soll hier auch gar nicht um den Tatbestand gehen, dass man statt Neid und "Hängt sie"-Reflexen durchaus den Standpunkt einnehmen könnte, dass man ja von wichtigen Komponenten der Beamtenversorgung im Alter vielleicht mal lernen und diese kopieren könnte, so beispielsweise mit Blick auf die Tatsache, dass es bei der Alterssicherung der Staatsdiener ein Pendant zu einer (für die "normalen Rentner" nicht vorhandenen) armutsfesten Mindestrente gibt (die dann auch noch deutlich über dem Betrag liegt, den man nach einem sehr langen Erwerbsarbeitsleben (wir sprechen hier von 45 Beitragsjahren und immer durchschnittlichen Verdienst) erreichen kann: Beamte haben schon nach fünf Dienstjahren Anspruch auf eine Mindestpension, die 2017 bei 1.660 Euro monatlich liegt.
Man könnte auch darauf hinweisen, dass sich das derzeit so kontrovers diskutierte (weiter absinkende) Rentenniveau (vgl. dazu auch genauer den Beitrag Das große Durcheinander um Rentenniveau, Niveau der Renten, Rente als Wahlkampfthema. Und eine rechnerische Gewissheit mit fatalen Folgen vom 8. Oktober 2016) nicht auf das letzte Einkommen vor dem Ruhestand bezieht, sondern auf das, was sie im Laufe ihres Arbeitslebens an Entgeltpunkten zusammengesammelt haben, also einen Teil ihres Lebensdurchschnittsverdienstes darstellt, während bei den Pensionen der Beamten das letzte Gehalt (und davon gut 71 Prozent) ausschlaggebend ist (was auch erklärt, dass der Aufstieg in die höchstmöglich erreichbare Besoldungsgruppe ungeahnte Energien freisetzt).
Hier soll so eine Meldung genauer unter die Lupe genommen werden: Hamburg fehlen Hunderte Millionen für Pensionszahlungen: »Bereits 2016 fehlten für Pensionszahlungen mehrere Hundert Millionen Euro im Haushalt der Stadt. Grund ist, dass Hamburgs Beamte älter werden als angenommen. Ein neues Prognosemodell soll nun schnell her«, kann man dem Artikel entnehmen.
Der Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, Peter Tschentscher (SPD), konnte eine eigentlich frohe Botschaft verkünden: Die zusätzlich zu erwartenden Steuereinnahmen belaufen sich in diesem Jahr auf immerhin 769 Millionen Euro. Aber: Bisher ungeahnt höhere Pensionslasten kommen auf die Stadt zu. »Schon für das Jahr 2016 fehlten 340 Millionen Euro, die nun so schnell wie möglich nachbewilligt werden müssen. Wie viel Geld im aktuellen Doppelhaushalt und für die kommenden Jahre zusätzlich zurückgelegt werden muss, wird ein neues Gutachten zeigen.«
Wie kann das sein? Die Auflösung dieser handfesten Zahlenlücke in Euro: Der Grund für die Mehrkosten sind Hamburgs Beamte, die älter als durchschnittliche Deutsche werden und damit länger Pensionen beziehen als angenommen.
»Mangels besserer Erkenntnisse, so schreibt es der Senat in seiner Drucksache, habe man sich bisher an den Heubeck-Sterbetafeln 2005 G orientiert, einer in der Tat anerkannten Rechengrundlage, um zum Beispiel die betriebliche Altersvorsorge zu bestimmen.« Doch die unterschätzen das tatsächlich erreichte Lebensalter und die damit verbundenen Pensionsverpflichtungen: »Ausschlaggebend für die Abweichungen vom Bundesdurchschnitt sind offenbar vor allem Hamburgs Lehrer und Hochschulprofessoren. Sie machen einen deutlich höheren Anteil an den Beschäftigten im öffentlichen Dienst aus als das in Städten der Fall ist, die nicht gleichzeitig Bundesland sind. Und da allgemein das Lebensalter mit dem Bildungsniveau und dem Einkommen steigt, sorgt diese hohe Zahl an Akademikern für den statistischen Ausreißer.«
Erst jetzt soll ein neuer Gutachter ein neues Prognosemodell entwickeln, in das nicht nur hypothetische Annahmen zur Sterblichkeit von Arbeitnehmern einfließen, sondern auch die tatsächlichen Daten zu Hamburgs Beamten aus den Jahren 2013 und 2014. Schon jetzt rechnet der Senat mit erheblichen Mehrkosten.
Zur Frage der Lebenserwartung "normaler" Sterblicher und der Beamten hat sich vor kurzem auch das Statistische Bundesamt mit einem Fachbeitrag zu Wort gemeldet: Lebenserwartung von Beamtinnen und Beamten. Befunde und Auswirkungen auf künftige Versorgungsausgaben, so ist der Aufsatz von Felix zur Nieden und Alexandros Altis überschrieben, der in der Fachzeitschrift "Wirtschaft und Statistik" publiziert wurde. »Es zeigt sich, dass Beamtinnen und Beamte eine höhere Lebenserwartung haben als Frauen und Männer der Gesamtbevölkerung. Berücksichtigt man diesen Vorteil, ergeben sich hierdurch bis zu 11% höhere Versorgungsausgaben auf Bundesebene«, so die beiden Statistiker zu einem der zentralen Ergebnisse ihrer Berechnungen.
»Die Sterbewahrscheinlichkeiten von Beamtinnen und Beamten liegen in den nachweisbaren Altersjahren deutlich unter denen der Gesamtbevölkerung. Im Alter 70 sind sie bei Beamtinnen um 31% und bei Beamten um 36% niedriger. Mit steigendem Alter nehmen die relativen Unterschiede dann ab – im Alter von 80 Jahren sind die Sterbewahrscheinlichkeiten von Beamtinnen (um 23 %) und Beamten (um 22 %) noch geringer als die der Gesamtbevölkerung. In den hohen 90er Altersjahren sind die Differenzen dann praktisch nicht mehr vorhanden.« Hinzu kommt eine deutliche Zunahme der Lebenserwartung: Für »Beamtinnen im Jahr 2060 (ergibt sich) eine fernere Lebenserwartung im Alter 60 von 30,6 Jahren, für Beamte von 27,5 Jahren. Das entspricht einem Zuwachs von 3,7 beziehungsweise 3,8 Jahren im Vergleich zu den für den Zeitraum 2010/2012 ermittelten Werten.«
Abschließend wieder zurück auf die Systemebene. Im Vergleich zu den 250 Milliarden Euro, die jährlich von der gesetzlichen Rentenkasse an die Rentner gezahlt werden, scheinen die 38,5 Milliarden Euro für Beamtenpensionen auf den ersten Blick überschaubar, so Nadine Oberhuber in ihrem Artikel aus dem vergangenen Jahr. Allerdings stehen den 20,5 Millionen Rentnern nur 1,1 Millionen pensionierte Beamte gegenüber. »Rechnet man also einmal simpel pro Kopf um, was demnach jeder Beamte bekommt, sind es 2.356 Euro im Monat, während jeder Rentner 857 Euro kriegt.« Nun schreibt Oberhuber selbst, dass man so einfach nicht rechnen kann. Aber dennoch - auch bei einer Betrachtung der Gesamteinkommenslage schneiden Pensionärshaushalte deutlich besser ab als die Rentnerhaushalte und Unterschiede bleiben selbst dann bestehen, wenn man berücksichtigt, dass es unterschiedliche Qualifikationsniveaus zwischen Pensionären und der großen Gruppe der Rentner gibt.
Aber mit Blick auf die Zukunft sollte man zwei Aspekte nicht aus den Augen verlieren: Zum einen müssen die Pensionen im Wesentlichen aus dem laufenden Steueraufkommen des Dienstherrn finanziert werden und die Beamten sind vor allem ein "Problem" für die Bundesländer, denn dort gibt es die meisten von ihnen - Polizeibeamte, Lehrer, Professoren, Richter, Finanzbeamte. Und dort gibt es auch viele Beamte, die in den höheren Besoldungsgruppen sind mit entsprechend hohen Pensionsverpflichtungen. Und da muss man zumindest für die vor uns liegenden zwanzig Jahre zur Kenntnis nehmen, dass die große Pensionierungswelle gerade beginnt, da in dieser Zeit die vielen gerade in den 1970er und 1980er Jahren zusätzlich eingestellten Beamten aus den geburtenstarken Jahrgängen in den Ruhestand gehen werden, mit entsprechend ihren letzten Besoldungsgruppen hohen Pensionsansprüchen. Das wird für die Haushalte der Bundesländer ceteris paribus ein mehr als großes Problem werden.
Nun gibt es ja auch in der aktuellen rentenpolitischen Debatte immer wieder den Vorschlag, die Beitragszahlergemeinschaft zu erweitern. Beispielsweise durch die Einbeziehung der Selbständigen. So findet man im Rentenkonzept der SPD diesen Hinweis: »Zukünftig werden Selbstständige, die nicht in einem Versorgungswerk abgesichert sind, in die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen ... Die Einbeziehung der bisher nicht versicherten Selbstständigen ist der erste Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel, die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung auszubauen.« (S. 4). Aber man wird nur wenige Stimmen hören, die auch eine Einbeziehung der Beamten fordern. Da dominiert eine resignative Grundhaltung nach dem Muster, den Krieg habe man schon verloren, bevor man ihn überhaupt anfängt.
Auch Oberhuber stützt diese Haltung mit diesem Hinweis: »Das Problem bei einer großen Reform des Pensionssystems für Beamte dürfte sein: Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages nötig. Die stärkste Fraktion aber, die dort vertreten ist, ist eben diejenige der Beamten. Gleich dahinter folgen die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und der politischen Parteien. Beide Berufsgruppen stellen rund 40 Prozent des Bundestages. Unwahrscheinlich, dass da eine Diskussion über Pensionen entbrennt. Oder gar Taten folgen.«
Das ist ein wichtiger Aspekt, muss und sollte einen allerdings nicht davon abhalten, grundsätzlich nachzudenken und immer wieder die Systemfrage zu stellen.