Machen wir das an einem Beispiel konkret: »Die Zustände in Schlachthöfen und anderen Betrieben der deutschen Fleischindustrie sind stark in Verruf geraten - seit Monaten häufen sich die kritische Berichte in den Medien über unerträgliche Arbeitsbedingungen in dieser Branche. Nicht umsonst hat es Deutschland geschafft, zum "Billigschlachthaus" Europas zu werden. Einen wesentlichen Beitrag zur "Effizienz" der deutschen Schlachthöfe leistet der Einsatz billigste Arbeitnehmer aus den Ostgebieten der EU, die im Regelfall auf Basis von Werkverträgen tätig werden. Zu Löhnen, die man wirklich nur noch als eine riesengroße Schweinerei bezeichnen muss und oft untergebracht in völlig überlegtem Wohnraum, für den sie dann auch noch teilweise Wucher-Mieten zahlen müssen.« Das wurde am 21. Oktober 2013 geschrieben, in dem Blog-Beitrag Der Mindestlohn als große Schweinerei. Nein, nicht so, wie jetzt manche reflexhaft denken. Sondern die Fleischindustrie will mit einem solchen sauberer werden.
Und am 11. Januar 2014 konnte über eine wichtige Etappe auf dem Weg zu besseren Arbeitsbedingungen berichtet werden: Überraschend unblutige Einigung auf einen Mindestlohn von 8,75 Euro in der Fleischindustrie. Aber nicht sofort, sondern ab 2017. Aber schon am 15. November 2014 wurde dann in dem Beitrag Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist davon berichtet, dass das mit den erhofften Fortschritten so eine Sache ist.
Die Fleischindustrie hatte unter dem Druck der sehr kritischen öffentlichen Berichterstattung einen Verhaltenskodex für den Umgang mit ihren Beschäftigten verabschiedet. Darin finden sich vor allem Selbstverständlichkeiten: Die Löhne dürfen nicht mehr in bar ausgezahlt werden, Arbeitswerkzeuge - wie Messer - müssen zur Verfügung gestellt werden, die Kosten für Miete und Transport zum Arbeitsplatz sollen "angemessen" sein. Unternehmen, die den Kodex unterschreiben, verpflichten sich, nur noch Subunternehmer zu beauftragen, die den Kodex einhalten.
In der freiwilligen Selbstverpflichtung hatten sich 18 Unternehmen, darunter die sechs größten Konzerne Heidemark, Danish Crown, Lohmann & Co, Tönnies, Vion und Westfleisch verpflichtet, den Anteil der Stammbelegschaft zu erhöhen - also weniger Leiharbeiter zu beschäftigen und sich an den Mindestlohntarifvertrag der Branche zu halten. Die Konzerne kündigten damals an, die Einhaltung auch bei "ihren Werkvertragspartnern" sicherzustellen.
Nun ist das mit diesen Selbstverpflichtungen (potenzieller oder tatsächlicher) Täter immer so eine Sache. Am 25. November 2015 wurde in dem Beitrag Arbeitswelten: In der Fleischindustrie ist alles besser geworden! Wirklich? von erheblichen Zweifeln an der Einhaltung der im Verhaltenskodex versprochenen Standards seitens der Unternehmen berichtet. Viel heiße Luft, so der damalige Befund.
Und wir haben es bei der Fleischindustrie offensichtlich mit einem Intensivtäter zu tun. Am 5. Juli 2016 wurde hier ein Beitrag veröffentlicht unter der Überschrift Briefkastenfirmen nicht nur in Panama, sondern auch auf deutschen Schlachthöfen. Trotz Mindestlohn und Selbstverpflichtung weiterhin Ausbeutung in der Fleischindustrie - wie kann das funktionieren? Ein zentrales Instrument sind dabei Briefkastenfirmen. In einem ETUC-Report ist die Rede von "kriminellen Netzwerken, die nicht nur gegen Sozialstandards verstoßen, sondern auch Steuerbetrug und Arbeitsrechtsverletzungen begehen".
Und nun, Anfang 2017, werden wir mit diesen - im Kontext der langen Vorrede sicher nicht mehr wirklich überraschenden - Schlagzeilen konfrontiert: Zoff im Billig-Schlachtland. Auch hier wird am Anfang die Selbstverpflichtung der Fleischindustrie angesichts der Kritik an den unerträglich schlechten Arbeitsbedingungen der vor allem osteuropäischen Arbeiter hervorgehoben: »Von Herbst 2016 an sollte damit eigentlich Schluss sein. Denn die Fleischindustrie hatte in einer freiwilligen Selbstverpflichtung angekündigt, Sozialdumping - etwa die Praxis, osteuropäische Arbeiter nach deren Heimatrecht und mit dortigen Sozialabgaben zu beschäftigen - bis dahin auszumerzen.«
Und jetzt das: "Die Selbstverpflichtung ist gescheitert", wird Matthias Brümmer, Geschäftsführerer der Gewerkschaft Nahrung Genuss, Gaststätten in der Region Oldenburg/Ostfriesland, in dem Artikel von Markus Balser zitiert.
Das Ziel, Leiharbeit zu reduzieren und die Stammbelegschaft auszubauen, sei in den meisten Fällen gescheitert. "Viele Unternehmen haben noch immer einen Anteil von 50 Prozent Leiharbeitern oder mehr", so der Gewerkschaftsfunktionär. Und das ist nicht alles: Subunternehmer der Fleischindustrie würden systematisch den Mindestlohn unterlaufen.
Der Mindestlohn würde oft nur auf dem Papier stehen: »So würden Überstunden teilweise nicht berücksichtigt. Vom Lohn von 8,75 pro Stunde für die nach wie vor überwiegend osteuropäischen Mitarbeiter würden teilweise unerklärliche Posten für Werkzeuge, überteuerte Übernachtungen oder Strafzahlungen für angebliche Vergehen am Arbeitsplatz abgezogen.«
Und wie ist das mit dem Wiederaufbau von Stammbelegschaften, auch Bestandteil der Selbstverpflichtung? »Die Branche gibt in einem Bericht zu, dass der Anteil der Stammbelegschaft nur von 44,8 auf 46 Prozent gestiegen ist.« Das nun ist wirklich keine Erfolgsmeldung.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums gab es im vergangenen Jahr 250 Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung, Verstößen gegen Mindestlohnvorschriften und des Vorhaltens von Sozialversicherungsbeiträgen in der Fleischindustrie.
Und schauen wir auf einen anderen Randbereich des Arbeitsmarktes, aus dem ebenfalls seit langem immer wieder Berichte über miserable Arbeitsbedingungen hier und da mal an die Öffentlichkeit dringen - den Reinigungskräften aus der Putzwirtschaft. In dieser Branche arbeiten viele Menschen, die auf jeden Cent angewiesen sind und die oftmals kein oder nur wenig Deutsch sprechen. Ideale Voraussetzungen für Ausbeutungsstrukturen. Und mit den Flüchtlingen ist weiterer "Nachschub" für die schwarzen Schafe des Gewerbes zu uns gekommen. Weit weg von daheim und vom Mindestlohn, so hat Jochen Remmert seinen lesenswerten Artikel zu diesem Themenfeld überschrieben: »Als Putzkräfte in Hotels im Rhein-Main-Gebiet eingesetzte Flüchtlinge berichten von Entgeltbetrug und anderen Rechtsverstößen.«
»Acht Stunden und mehr am Tag habe er in Hotels geschrubbt und gewischt, aber nur für fünf Stunden sei er bezahlt worden, sagt Sami E. Zwei Landsleute aus Afghanistan, die beim selben Unternehmen tätig sind oder waren, bestätigen diese Praxis. In der Hochsaison seien sie sogar an sieben Tagen in der Woche eingesetzt worden - ohne Ausgleich. Geputzt haben sie nach eigenen Angaben auch in Inter-City-Hotels in Frankfurt und Mainz sowie im Hilton am Frankfurter Flughafen ... Über Landsleute sind die Neuankömmlinge zu der Reinigungsfirma gekommen, kurz nachdem sie vor etwa zwei Jahren aus Afghanistan geflohen waren ... Das Unternehmen, ein in der Hotellerie durchaus etablierter Dienstleister mit Sitz in Frankfurt, rekrutiert seit Jahren gerade unter afghanischen Flüchtlingen Mitarbeiter.«
Auch die Großen der Hotelbranche gehören zu den Kunden der Frankfurter Putzfirma, darunter neben der Hilton-Kette die Deutsche Hospitality, die früher Steigenberger Hotel Group hieß und unter anderen die Inter-City-Hotels betreibt.
Für Zimmermädchen und Roomboys ist es nach wie vor keine Ausnahme, um Lohn geprellt zu werden und länger als gesetzlich erlaubt arbeiten zu müssen. Wie das abläuft?
»Was auch immer der allgemeingültige Branchentarifvertrag an Arbeitslohn und Arbeitszeit nennt, tatsächlich werden die Frauen und Männer von vielen Reinigungsfirmen nach der Zahl der Zimmer entlohnt, die sie in der Arbeitszeit schaffen. Und das auch nur dann, wenn ihr Gruppenleiter das will. Ist er nicht zufrieden, gilt das Zimmer als nicht geputzt. Die aufgewandte Arbeitszeit gilt als nicht geleistet ... In der Praxis sieht das dann etwa so aus: Ein Roomboy oder Zimmermädchen hat im Schnitt 3,5 oder gar 4,5 Zimmer je Stunde zu putzen. Dazu gehört in der Regel nicht nur, die Bettwäsche zu wechseln, das Bad zu reinigen und das Zimmer zu saugen. Innerhalb der Zeitvorgaben müssen die Putzkräfte oft auch die Frischwäsche aus den Wäschekammern holen, die naturgemäß nicht in der Nähe der Zimmer liegen. Schaffen sie die Vorgaben nicht, gibt es Abzüge.«
Dieser FAZ-Artikel hat eine Menge Staub aufgewirbelt. Interessant in diesem Zusammenhang auch die Rezeption in der "Allgemeine Hotel- und Gastronomiezeitung" unter der Überschrift Wer mit Dienstleistern zusammenarbeitet, muss höllisch aufpassen: In diesem Beitrag wird auch der Name des Reinigungsunternehmens genannt, über den Jochen Remmert in dem FAZ-Artikel berichtet hat: »Hierbei handelt es sich mutmaßlich um Mitarbeiter des Reinigungsdienstleisters Clean Hotelservice, an den das Housekeeping outgesourct wurde.«
Der Geschäftsführer von Clean Hotelservice mit Niederlassungen in Frankfurt und Berlin, Nesar Schirindel, wird mit diesen Worten zitiert: "Ja, ich habe einen Vertrag mit diesen Hotels. Aber ich bestehe immer auf zumutbare Bedingungen und auf Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben." Seine 1.800 Mitarbeiter reinigten in 2016 insgesamt 3,2 Mio. Hotelzimmer deutschlandweit. Auf seiner Kundenliste stehen auch andere Unternehmen der Hotelbranche wie Dorint oder NH.
Die DEHOGA als Verband der auftraggebenden, weil outsourcenden Unternehmen, weist darauf hin: Rechtlich sei zwar die Reinigungsfirma der Arbeitgeber, aber der Auftraggeber - sprich der Hotelier - habe eine Mitwirkungspflicht. Aber man macht sich Sorgen um das Image: »Auch wenn die Hotelbetriebe keinen Rechtsbruch begangen haben sollten, die Botschaft von Ausbeutung im Gastgewerbe ist einmal mehr in der Welt.« Man solle bitte genauer hinschauen.
Man kann an dieser Stelle erkennen, dass eine problematisierende bis skandalisierende Berichterstattung in den Medien durchaus Effekte auf die Auftraggeberseite hat und den Druck auf die schwarzen Schafe erhöhen kann.
Man kann an dieser Stelle erkennen, dass eine problematisierende bis skandalisierende Berichterstattung in den Medien durchaus Effekte auf die Auftraggeberseite hat und den Druck auf die schwarzen Schafe erhöhen kann.
Auf der Facebook-Seite der "Allgemeine Hotel- und Gastronomiezeitung" »hat die Berichterstattung eine rege und zum Teil zynische Debatte ausgelöst. Der Tenor von Mitarbeitern: Alles längst bekannt, zu oft wird von Kollegen weggesehen oder aber von Unternehmensseite solch eine Behandlung in Kauf genommen, um Kosten zu sparen.«