Mittwoch, 11. Januar 2017

Gerechtigkeit beim Lohn per Gesetz? Das "Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen" zwischen Hoffnung und Enttäuschung

Das mit der Gerechtigkeit ist eine wirklich große Sache. Was das ist, wann wir die haben und wie man da hinkommt, das bewegt die Menschen seit Anbeginn an. Und viele können sich - oft völlig zu Recht - aufregen über offensichtliche, zuweilen aber auch nur scheinbare Verletzungen der Gerechtigkeit oder der Vorstellung davon. Eine in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchende Frage ist die nach der Lohngerechtigkeit. Die - nicht nur, aber auch - deshalb so schwer zu beantworten ist, weil es immer mehrere Dimensionen gibt, die zu berücksichtigen wären bei der Frage nach der Lohngerechtigkeit. Und auch scheinbar einfache, für jeden nachvollziehbare Antworten wie "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" zeichnen sich dadurch aus, dass es kompliziert wird, wenn man genauer hinschaut. Das beginnt schon bei der Frage, wann haben wir es denn mit "gleicher" Arbeit zu tun?

Ein Beispiel, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist die Leiharbeit, deren gesetzliche Ausgestaltung erst vor kurzem wieder mal Thema war angesichts der Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Auch hier gibt es gute Gründe für eine Umsetzung der Zielbestimmung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit", was bedeuten würde, dass die Leiharbeiter vom ersten Tag ihrer Tätigkeit an den gleichen Lohn bekommen würden wie die Stammbeschäftigten. Das ist bekanntlich heute und auf absehbare Zeit nicht der Fall, sie bekommen teilweise deutlich weniger. Aber selbst wenn man den "equal pay"-Ansatz ab dem ersten Tag durchsetzen würde, wäre man die mehrdimensionale Gerechtigkeitsfrage nicht los. So könnten die Stammbeschäftigten aus ihrer Sicht die Frage aufwerfen, warum denn jemand, der für eine begrenzte Zeit in den Betrieb kommt und gar nicht über die Kenntnisse derjenigen, die dort schon seit langem tätig sind, verfügen kann, den gleichen Lohn bekommen soll, ist er oder sie doch erwartbar weniger produktiv und außerdem bald wieder weg. Aus der Perspektive der Leiharbeiter könnte man hingegen durchaus und gerechtigkeitstheoretisch gut begründet für eine höhere Bezahlung als die Stammbeschäftigten plädieren, beispielsweise in Form eines "Flexibilitätszuschlags", denn die Leiharbeiter müssen sich schnell in die Anforderungen der entleihenden Betriebe einpassen und funktionieren und sie wechseln diese häufig, müssen also permanent flexibel sein und haben dann auch noch erhebliche Beschäftigungsrisiken zu tragen. Alles zusammen würde ein "mehr Lohn für gleiche Arbeit" rechtfertigen können. Man sieht an diesem Beispiel: Die Frage nach der Gerechtigkeit ist nicht nur für Theologen eine harte Nuss.

Vor diesem offensichtlich komplexen Hintergrund wird man voller Ehrfurcht die Überschrift einer Pressemitteilung aus dem Bundesfamilienministerium zur Kenntnis nehmen, die da lautet: Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit beschlossen. Offensichtlich wissen die da, wie man mehr Lohngerechtigkeit herstellt. Das klingt sehr selbstbewusst, was da aus dem Ministerium den Menschen mitgeteilt wird: »Das Gesetz will den seit über 50 Jahren geltenden Anspruch von Frauen auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchsetzen. Es schafft neue Instrumente, um die Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben auch beim Lohn voranzutreiben.«

Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) wird mit diesen Worten von ihrem Haus zitiert: »Nun ist der Weg frei für ein Gesetz, das ein wichtiges Tabu brechen wird: nämlich, über sein Gehalt zu sprechen. Der Gesetzesentwurf schafft mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern - und zwar über Transparenz von Gehalts- und Entgeltsystemen. Mit dem individuellen Auskunftsanspruch, der Berichtspflicht und den Prüfverfahren wird die Unternehmenskultur verändert.«

Aber wie immer im Leben scheint das dann in der gesetzgeberischen Praxis gar nicht so einfach zu sein, wenn es um die Umsetzung geht. Der Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen, der nun das Bundeskabinett passiert hat, benötigt immerhin fast einhundert Seiten, um die vorgesehenen Regelungen zu normieren und zu erläutern. Und was bekommen wir dafür? Es sind diese vier Bausteine:
  1. Einführung eines individuellen Auskunftsanspruches: Arbeitgeber mit mehr als 200 Beschäftigten müssen diesen zukünftig auf Anfrage erläutern, nach welchen Kriterien sie wie bezahlt werden.
  2. Betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit: Private Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten werden aufgefordert, regelmäßig ihre Entgeltstrukturen auf die Einhaltung der Entgeltgleichheit zu überprüfen.
  3. Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit: Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten, die lageberichtspflichtig sind, müssen zudem künftig regelmäßig über Stand der Gleichstellung und der Entgeltgleichheit berichten. Diese Berichte sind für alle einsehbar.
  4. Schaffung einer klaren Rechtsgrundlage für das Entgeltgleichheitsgebot und Definition wesentlicher Begriffe.
Wir merken bereits an dieser Stelle, dass auch mit diesem Gesetz die postulierte Lohnungerechtigkeit nicht für alle, sondern nur für bestimmte Arbeitnehmer/innen (möglicherweise) verbessert oder gar hergestellt werden kann: Das Gesetz gilt nur für die Beschäftigten, die in Unternehmen mit mehr als 200 Arbeitnehmern tätig sind. Alle anderen - und das ist die Mehrheit der Beschäftigten - haben von den Regelungen nichts. Ganz am Anfang des Prozesses, der zu dem nunmehr verabschiedeten Gesetzentwurf geführt hat, war mal beabsichtigt gewesen, dass die Regelungen für Betriebe mit sechs und mehr Beschäftigten gelten sollte. Mit der Begrenzung auf die großen Unternehmen hat man dem Ansatz einen großen Zahn einschließlich Wurzel gezogen.

Diese Bewertung muss man vor dem folgenden Hintergrund sehen: Gerade in den großen Unternehmen haben wir oft eine ausgebaute betriebliche Mitbestimmung und oftmals auch eine Tarifbindung. Hier wird der Anteil der tatsächlich nach Geschlechtern diskriminierenden Vergütungswelten relativ gering bis gar nicht vorhanden sein. Wenn, dann finden wir die lohndiskriminierenden Realitäten eher in den kleinbetrieblichen Strukturen. Durch deren Herausnehme aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes neutralisiert man weitgehend die erhoffte Wirkung.


Und was bringt das neue Gesetz denen, die davon erfasst werden? Im Kern - so ja auch der Titel des Gesetzes - geht es um die Herstellung von Transparenz über die Vergütung vergleichbarer Kollegen in einem Unternehmen. Das aber hört sich einfacher an als es umgesetzt wird (und werden kann). Die nebenstehende Abbildung aus dem Ministerium versucht am Beispiel einer Gruppenleiterin zu illustrieren, wie der im Gesetz normierte individuelle Auskunftsanspruch realisiert werden könnte. In diesem Beispiel bekommt die Gruppenleiterin als Ergebnis ihres Antrags auf Auskunftserteilung (die nicht automatisch erfolgt, sondern nach § 10 EntgTranspG immer von der Beschäftigten an den Arbeitgeber zu richten sind und außerdem steht dort auch, dass die Beschäftigten in zumutbarer Weise eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit zu benennen haben) mitgeteilt, wie das Medianeinkommen der sieben männlichen Gruppenleiter in ihrem Unternehmen aussieht, nicht aber, was die sieben Kollegen jeder für sich verdienen.

Wenn sie nun auf dieser Basis feststellt, dass sie weniger bekommt als ihre männlichen Kollegen, was ist die Konsequenz? Schauen wir auf die Abbildung des Ministeriums: »Sie wendet sich mit dem Ergebnis an den Arbeitgeber und bittet um eine benachteiligungsfreie Bezahlung.« Ah ja. Und dann? Wenn der Arbeitgeber sich weigert? Dann müsste die Prozesskette weitergehen, die betroffene Arbeitnehmerin müsste ihren Arbeitgeber verklagen. So auch die Ministerin Schwesig: Das neue Gesetz »Es werde Frauen helfen, ihre Ansprüche durchzusetzen. Das reiche bis hin zur Klage vor Gericht«, so wird sie in dem Artikel Kabinett einigt sich auf Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zitiert.

Man muss kein Prophet sein um vorhersagen zu können, dass die tatsächlichen Auswirkungen in der betrieblichen Praxis mehr als überschaubar bleiben werden. Gerade wenn man einen kritischen Blick hat auf die immer noch bestehenden Lohnungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern. Diese sind - wenn auch nicht in der Größenordnung der immer wieder überaus verkürzend dargestellten 21 Prozent (vgl. dazu genauer bereits den Beitrag Die Geschlechter und ihre Löhne: Einige Gedanken und kritische Anmerkungen zum „Equal Pay Day“ im April 2015 vom 22. März 2015) - vor allem bedingt durch eine vorhandene Geschlechterdiskriminierung unterschiedlicher Tätigkeiten (vor allem durch eine strukturell niedrigere Vergütung in frauentypischen Berufsfeldern, man denke hier an die Gesundheitsberufe im Vergleich zu anderen, eher männertypischen Berufen) sowie - und das ist von entscheidender Bedeutung - durch den dann oftmals lebenslangen Einbruch, den Frauen erfahren müssen, wenn sie ein Kind in die Welt setzen und dafür längere Zeit aus der Erwerbsarbeit ausscheiden. Das sind die strukturellen Knackpunkte, an denen man ansetzen muss, wenn es einem wirklich um die Verringerung und letztendlich Beseitigung der Lohnungleichheit gehen würde. Dafür wird das vorliegende Gesetz keinen wirklich substanziellen Beitrag leisten können, alle Hoffnungsbeteuerungen zum Trotz. 

Insofern ordnet sich das "Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTranspG)" ein in die primär als symbolische Politik zu verstehenden Aktivitäten, die wir in diesem Bereich auch an anderen gesetzgeberischen Beispielen haben erfahren müssen. Man denke hier an die Einführung einer Frauenquote in den Aufsichtsräten einiger, sehr großer Unternehmen durch das Gesetz der Bundesregierung für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (vgl. dazu die kritische Auseinandersetzung in dem Beitrag Erde an Raumschiff Berlin: Die Geschlechterfrage ist weitaus komplexer als man zu glauben meint zu müssen. Vor allem für die vielen unterhalb der Aufsichtsräte sehr großer Unternehmen vom 7. März 2015) sowie höchst aktuell der von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) auf den Weg gebrachte Vorstoß, einen Rechtsanspruch auf Rückkehr von einer (befristeten) Teilzeit in Vollzeit gesetzgeberisch zu normieren (vgl. dazu den Beitrag Arbeitszeit: Recht auf Teilzeit zwischen Wunsch und Notwendigkeit, von einer Teilzeitfalle und dem Recht, da wieder rauszukommen vom 4. Januar 2017).