»Briefkastenfirmen sind im Grundsatz bloße Hüllen mit einem offiziellen Eintragungsdatum und Firmennamen, hinter denen keine oder nur eingeschränkte wirtschaftliche Aktivität steckt. Letztlich haben sie nur die Aufgabe, ein Vermögen zu verwalten. Sehr häufig sind sie in fernen Regionen in sogenannten Steueroasen wie auf den Bahamas oder den British Virgin Islands beheimatet, deswegen werden sie auch "Offshore-Firmen" genannt. Dort sind nur sehr wenige Steuern fällig, Geschäfte können dort diskret und relativ unbeobachtet abgewickelt werden.«Aber was bitte hat das mit sozialpolitischen Themen zu tun?
Briefkastenfirmen werden oft zur Steuervermeidung genutzt. Doch immer häufiger werden sie auch eingesetzt, um entsandte Beschäftigte auszubeuten und zu schlechteren Arbeits- und Einkommensbedingungen einzusetzen.
Das zumindest behauptet ein Bericht des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC):
Katrin McGauran: The impact of letterbox-type practices on labour rights and public revenue. Four case studies on the use of letterbox companies and conduit entities to avoid labour laws, social premiums and corporate taxes, Brussels: European Trade Union Confederation (ETUC), 2016
Und der Bericht legt dabei den Finger auf eine ganz besondere deutsche Wunde - die Zustände in vielen Schlachthöfen des Landes. Die waren auch hier immer wieder und vor allem im Zusammenhang mit den Instrument der Werkverträge ein Thema (vgl. beispielsweise den Beitrag Arbeitswelten: In der Fleischindustrie ist alles besser geworden! Wirklich? vom 25. Juli 2015 oder Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist vom 15. November 2014).
Der DGB berichtet in dem Artikel Briefkasten-Firmen: Beschäftigte in der Fleischindustrie ausgebeutet. Netzwerke von Subunternehmern unter anderem bei Danish Crown:
Seit Jahren, so der EGB-Report, lasse sich der Trend beobachten, dass europäische Fleischunternehmen große Teile ihres Geschäfts nach Deutschland verlagerten – weil sich dort die Lohnkosten für osteuropäische Arbeitnehmer besonders gering halten ließen. Innerhalb von zehn Jahren sei Deutschland so vom Netto-Importeur von Fleisch zum Netto-Exporteur von Fleisch geworden.
Aber gibt es nicht den Mindestlohn und an einigen Stellen auch tarifvertragliche Regelungen? Wie kann es da noch Ausbeutung vor allem osteuropäischer Arbeitnehmer geben?
Ein zentrales Instrument sind dabei Briefkastenfirmen. Im ETUC-Report ist die Rede von "kriminellen Netzwerken, die nicht nur gegen Sozialstandards verstoßen, sondern auch Steuerbetrug und Arbeitsrechtsverletzungen begehen".
Und dabei spielen wieder einmal die Werkverträge eine üble Rolle.
»In der Fleischindustrie ... vergeben deutsche Unternehmen (Werk-)Verträge regelmäßig an Subunternehmer – nicht selten an reine Briefkastenfirmen, die entweder im (ost-)europäischen Ausland registriert oder deutsche Tochtergesellschaften ausländischer Firmen sind. Die Vorteile, die das für die beteiligten Unternehmen hat, sind zugleich klare Nachteile für die entsandten Beschäftigten und die Allgemeinheit:
- Sozialleistungen werden oft nach den Standards des offiziell "entsendenden" Landes gezahlt und liegen damit oft unter den deutschen Standards.
- Steuern werden oft im "entsendenden" Land abgeführt. Weil die grenzüberschreitende Information und Zusammenarbeit der Steuerbehörden nicht immer funktioniert, ist das laut EGB-Report regelmäßig ein Einfallstor für Steuerbetrug.
- Mindestlöhne werden zwar auf dem Papier gezahlt. Aufgrund fehlender Kontrollen kommt es aber regelmäßig zu unbezahlten Überstunden und illegalen Abstrichen bei den Netto-Löhnen der entsandten Arbeitnehmer – unterm Strich liegt die Bezahlung so oft unter dem Mindestlohn-Niveau.«
Ein ganz handfester "Vorteil" der Nutzung von Briefkastenfirmen: Eigentlich dürfen Arbeitnehmer höchstens zwei Jahre am Stück "entsendet" werden. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) berichtet aber davon, dass entsandte Arbeitnehmer nicht selten alle sechs Monate als Angestellte von Briefkastenfirma zu Briefkastenfirma weitergereicht werden und so die Zwei-Jahres-Regel umgangen wird.
Diese Unternehmenshüllen haben zudem den weiteren "Vorteil", dass sie sich ganz schnell in die Insolvenz verabschieden können, wenn sie in den Fokus von Behörden geraten. hre Geschäfte treiben sie dann unter anderem Namen einfach weiter.
Alles nur Theorie? Der Report nennt Beispiele.
»Der Fleischhersteller Danish Crown nutze an seinen Standorten Essen und Oldenburg etwa Subunternehmer, die "auf die Rekrutierung und Bereitstellung von Arbeitnehmern für die Schlachtung, das Zerlegen von Schweinen und weitere Fleischverarbeitungsprozesse spezialisiert sind". Einer dieser Subunternehmer ist laut NGG die "Casus GmbH" (ehemals MARBAR) mit Sitz in Bremen beziehungsweise ihr Eigentümer Oleg Surgutskij.«
Die "Casus GmbH" wiederum ist eingebunden in ein Firmengeflecht aus Subsubunternehmen, Briefkasten- und Beratungsfirmen. Aus diesem undurchsichtigen Firmennetzwerk werden nach Angaben der Gewerkschaft NGG rund 300 entsandte Beschäftigte in der deutschen Fleischindustrie, darunter rund 100 allein für Danish Crown, gestellt.
Und der DGB ergänzt: In anderen Branchen wie zum Besipiel Bau, Transport und Logistik, Gebäudereinigung, Pflege oder bei Werften sähe es nicht viel besser aus.
Werfen wir also noch einen Blick in eine andere Branche: dem Güterverkehr auf der Straße. Ganze Fuhrparks "umgeflaggt": Sozialdumping im Güterverkehr, so ist das Interview mit dem Transport- und Logistik-Experten Karlheinz Schmidt überschrieben:
»Durch die Erweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 ergibt sich bis heute ein hohes Lohn- und Sozialkostengefälle. Dies wirkt im besonderen Maße auf den Verkehrsbereich, der mit „mobilen Produktionsstätten“ (Lastkraftwagen) in den Transportmärkten groteske Blüten treibt und zum Verdrängungswettbewerb über Sozialdumping führt.
Zu diesem Zweck wird durch kapitalstarke Anbieter die im Vertrag garantierte Dienstleistungsfreiheit ihres eigentlichen Sinns und Zwecks beraubt. Ganze Fuhrparks mit mehreren hunderten und oftmals auch tausenden Fahrzeugen wurden formell auf EU-Beitrittsländer „umgeflaggt“.«