Endlich mal nicht einer dieser kleinteiligen Vorstöße in der Debatte über die Frage, wie man die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge hinbekommen kann - und dann auch noch ohne Ausblenden der anderen, die schon hier sind und ebenfalls erhebliche Probleme haben, (wieder) auf dem Arbeitsmarkt landen zu können, also den Langzeitarbeitslosen. Und gleichsam als Sahnehäubchen oben drauf auch noch die Perspektive, dass der Ansatz - kommt er doch von einer Gewerkschaft - selbstverständlich nicht die eigenen Tarife unterlaufen soll.
Darum geht es: »Die IG Metall schlägt ein betriebliches Integrationsjahr für anerkannte Flüchtlinge und für Langzeitarbeitslose vor, um durch Arbeit ein selbständiges Leben zu ermöglichen.« so die Ankündigung in einer Pressemitteilung, die überschrieben ist mit IG Metall fordert betriebliches Integrationsjahr für Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose. Und weiter erfahren wir: »Das von der IG Metall geforderte Integrationsjahr soll neben einem Arbeitsplatz auch Integrations- und Sprachkurse für die Flüchtlinge umfassen. Qualifizierung und Arbeit sollen betriebsnah kombiniert werden. Finanziell gefördert würde das Integrationsjahr von der Bundesagentur für Arbeit. Dafür sollen bereits vorhandene Programme genutzt werden.«
Auf den ersten Blick kommt der Ansatz wie die lange gesuchte eierlegende Wollmilchsau daher, denn hier werden bekannte, für eine gelingende Arbeitsmarktintegration erfolgsträchtige Elemente vereint: Eine Förderung für die Arbeitgeber im Sinne einer Lohnkostenbezuschussung, um bestimmte Defizite des zu integrierenden Arbeitnehmers auszugleichen, eine Platzierung in der realen betrieblichen Welt über ein echtes Arbeitsverhältnis, die Verbindung von echter Arbeit und Qualifizierung, bei den Flüchtlingen besonders relevant die Sprachförderung und das alles unter dem konzeptionellen Dach des Gedankens, dass wenn die Betroffenen erst einmal schon den einen Fuß in der betrieblichen Tür haben, einige von ihnen auch den zweiten reinbekommen, wenn man mit ihnen positive Erfahrungen gesammelt und die positiven Potenziale zur Kenntnis genommen hat.
Und besonders wichtig vor dem Hintergrund der aktuell ich immer stärker Konfrontation aufladenden Debatte über eine angebliche Bevorzugung der Flüchtlinge der eben nicht nur lapidare Hinweis der Gewerkschaft: »Die von der IG Metall vorgeschlagenen Maßnahmen sollen nicht nur Flüchtlingen, sondern auch allen anderen am Arbeitsmarkt Benachteiligten offen stehen.«
Wie kann man sich das genauer vorstellen? Die Umsetzung solle auf Basis der tariflichen Entgelte erfolgen und der Arbeitgeber wird durch das heute schon vorhandene Instrument des Eingliederungszuschusses für seine Integrationsleistung entlastet, so die IG Metall. Es wären auch Teilzeitmodelle denkbar, die zusätzliche sprachliche Qualifikationen für Flüchtlinge, durchaus teilweise außerhalb der Arbeitszeit, ermöglichen. Denkbar sei eine Vier-Tage-Woche mit reduziertem Entgeltanspruch: vier Tage bezahlte Arbeit und ein Tag Sprachkurs. Und wenn das Integrationsjahr die Tür für eine Anschlussbeschäftigung eröffnet, dann könne die berufliche Qualifizierung beispielsweise durch den in der Metall- und Elektroindustrie bestehenden Tarifvertrag Bildungsteilzeit oder das Wegebauprogramm der BA fortgesetzt werden.
Aber die großen Zahlen, werden die einen oder anderen Kritiker einwerfen. Das mag vielleicht für einige wenige klappen - aber für so viele, die gekommen sind? Zusätzlich zu den vielen Langzeitarbeitslosen, die bekanntlich schon seit langem da sind und die ja auch profitieren sollen von dem neuen Ansatz.
Die IG Metall negiert die großen Zahlen keineswegs, sondern greift diese auf (allerdings in der Pressemitteilung leider dann doch wieder "nur" reduziert auf die Flüchtlinge, die es in den Arbeitsmarkt zu integrieren gilt: »Nach aktueller Auskunft der Bundesagentur für Arbeit werden dem Arbeitsmarkt durch die Geflüchteten rund 380.000 Menschen zusätzlich zur Verfügung stehen können. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden rund 700.000 neue, zusätzliche sozialversicherungspflichtige Stellen in Deutschland aufgebaut und 2,1 Millionen offene Stellen bei der Arbeitsagentur gemeldet.«
Also eigentlich kein Problem?
Über die allgemein gehaltenen Informationen aus der zitierten Pressemitteilung hinaus hat es weitere konkretisierende Informationen gegeben, die man der Presseberichterstattung entnehmen kann, beispielsweise IG Metall will Flüchtlinge mit kräftigen Lohnzuschüssen integrieren oder der von Stefan von Borstel unter diese Überschrift gesetzte Artikel: IG Metall fordert Integrationsjahr für Flüchtlinge.
Auch hier wieder erst einmal die großen Zahlen mit der relativierenden Botschaft dessen, was da auf uns zukommt, wenn man es aus der Vogelperspektive betrachtet. Borstel zitiert dazu Jörg Hofmann, den Vorsitzenden der IG Metall:
»Deutschland habe 420.000 Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten, rechnete Hofmann vor. Wenn jeder dieser Betriebe nur einen zusätzlichen Integrationsplatz zur Verfügung stellen würde, wäre die Arbeitsmarktintegration der Hartz-IV-Bezieher keine Frage fehlender Arbeitsplätze. Das größte Potenzial gebe es im deutschen Handwerk mit seinen 584.000 Betrieben.«
Bleibt die Frage nach dem Instrumentarium für die Förderung, da wurde seitens der IG Metall darauf hingewiesen, dass man kein neues Programm schaffen wolle, sondern ein vorhandenes Instrument nutzen möchte, das es schon seit langem gibt - den Lohnkostenzuschuss. Der Arbeitsplatz soll mit einem Einstellungszuschuss von bis zu 50 Prozent gefördert werden. Diese Zuschüsse gibt es heute schon.
Ganz offensichtlich ist der "Eingliederungszuschuss" nach § 88 SGB III gemeint: »Arbeitgeber können zur Eingliederung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Vermittlung wegen in ihrer Person liegender Gründe erschwert ist, einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt zum Ausgleich einer Minderleistung erhalten (Eingliederungszuschuss).« Im § 89 SGB III finden wir Hinweise auf die mögliche Höhe und Dauer dieser Förderung: »Der Eingliederungszuschuss kann bis zu 50 Prozent des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts und die Förderdauer bis zu zwölf Monate betragen. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, kann die Förderdauer bis zu 36 Monate betragen.« Nur der Vollständigkeit halber: Im § 90 SGB III ist als Sonderform noch der "Eingliederungszuschuss für behinderte und schwerbehinderte Menschen" geregelt, bis zu 70% Lohnkostenzuschuss für 24 Monate, wobei die Laufzeit in besonders schweren Fällen und bei einem Alter ab 55 auf bis zu 96 Monate ausgedehnt werden kann.
Wie sieht die bisherige Nutzung dieses Instruments aus? Wenn man einen Blick in die Eingliederungsbilanzen der BA wirft, dann erfährt man beispielsweise für das Jahr 2014, dass es 77.032 Zugänge in eine Förderung über den Eingliederungszuschuss gegeben hat, davon 48.783 bei den besonders förderungsbedürftigen Personengruppen. Hinsichtlich der finanziellen Dimension: 2014 wurden insgesamt 5,56 Mrd. Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben (davon 2,7 Mrd. Euro im SGB III und 2,86 Mrd. Euro im SGB II). Auf den Eingliederungszuschuss entfielen davon 433 Mio. Euro, also (nur) fast 8%. Eine Vorstellung von den der Förderung zugrundeliegenden berücksichtigungsfähigen Löhnen vermittelt die durchschnittlichen Förderaufwendungen für dieses Instrument in Höhe von 666 Euro pro Monat.
Auf der einen Seite eine Bestätigung des grundsätzlichen Ansatzpunktes des IG Metall-Vorschlags wie aber auch zugleich Anlass für ein großes Fragezeichen kann man den Daten zum Erfolg des Instruments entnehmen. Beim Eingliederungszuschuss für die besondere Gruppe der Langzeitarbeitslosen wird eine Eingliederungsquote von 72,8% ausgewiesen (76,3% für alle Geförderten) - ein sehr hoher Wert. Der wiederum angesichts der Besonderheiten auch nicht überrascht, denn die Förderung gibt es nur, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht (und wir wissen schon seit langem - auch nicht wirklich überraschend: Je betriebsnäher die Förderung, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Geförderten "hängen bleiben" im Unternehmen, vor allem wenn man in Rechnung stellt, dass wir es in der Praxis mit einer "positiven Selektion" dergestalt zu tun haben, dass man nicht gerade die Arbeitslosen, die mit mehreren Vermittlungshemmnissen belastet sind, sondern eher die "guten Risiken" mit dieser Förderung versorgt).
Mit Blick auf das, was es bisher in diesem Bereich gibt, müssen wir also zum einen festhalten, dass es rein quantitativ gesehen um ein sehr überschaubares Fördervolumen geht - wir also mithin über eine gewaltige Aufstockung der Förderung sprechen, wenn der Vorschlag der IG Metall Wirklichkeit werden soll. Denn dann geht es nicht mehr wie 2014 um 77.000 Förderfälle mit dem Eingliederungszuschuss, sondern um mehrere Hunderttausend, vor allem, wenn nicht nur die Flüchtlinge, sondern grundsätzlich völlig richtig, auch die Langzeitarbeitslosen berücksichtigt werden sollen. Da beißt die Maus keinen Faden ab - wenn man diesen Weg gehen möchte, dann müssen wir die Mittel dafür erheblich aufstocken. Zur Finanzierung findet man in den vorliegenden Berichten keine wirklich verwertbaren Hinweise, außer Allgemeinplätze. So in dem Artikel von Borstel: »Zu den Kosten des Modells machte der IG-Metall-Chef keine Angaben. Es sei aber günstiger, als den Betroffenen Hartz-IV zu zahlen.«
Jeder wünscht sich endlich einen großen Wurf, aber angesichts der bisherigen Erfahrungen wie auch der Besonderheiten "des" Arbeitsmarktes (den es als solchen gar nicht gibt), bleibt eine gehörige Portion Skepsis. Dies kann man auch an einem parallel vorgelegten konkreten Programm verdeutlichen: Aus Flüchtlingen werden Auszubildende, vermeldet das Bundesbildungsministerium.
»Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) haben dazu eine gemeinsame Qualifizierungsinitiative für junge Flüchtlinge gestartet. Ihr Ziel: Durch ein umfassendes Qualifizierungs- und Betreuungssystem sowie eine intensive fachliche Berufsorientierung und Berufsvorbereitung sollen Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sowie Asylbewerber oder Geduldete mit Arbeitsmarktzugang an eine Ausbildung im Handwerk herangeführt werden.«
Angesichts der Tatsache, dass etwa die Hälfte der Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten zu uns gekommen sind, unter 25 Jahre alt sind, überzeugt dieser Ansatzpunkt erst einmal. Es geht also auch hier um eine Personengruppe im Umfang von mehreren hunderttausend Personen. Vor diesem Hintergrund werfen wir dann aber mal ein Blick auf die angestrebten (das heißt bekanntlich noch lange nicht: realisierten) Zahlen, die man mit dem neuen Programm erreichen will:
»Das Programm wendet sich an Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sowie an Asylbewerber oder Geduldete mit Arbeitsmarktzugang. Voraussetzung für die Teilnahme an dem Programm ist, dass die jungen Flüchtlinge nicht mehr schulpflichtig und unter 25 Jahre sind, über gute Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und sich im deutschen Ausbildungs- und Beschäftigungsmarkt orientieren können. Sie sollten deshalb einen Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie das Programm "Perspektiven für junge Flüchtlinge" der Bundesagentur für Arbeit durchlaufen haben, das auf eine Feststellung ihrer Kompetenzen und eine allgemeine Berufsorientierung ausgerichtet ist.
In der anschließenden "Berufsorientierung für Flüchtlinge" bereitet das BMBF die jungen Flüchtlinge auf eine Ausbildung im Handwerk vor und setzt dabei auf eine vertiefte fachliche und praktische Berufsorientierung in den Bildungszentren des Handwerks ... Das Handwerk unterstützt den Praxisbezug durch betriebliche Praktika für die Teilnehmer der speziellen Berufsorientierung und stellt die Infrastruktur der Bildungsstätten zur Verfügung.«
Soweit die Beschreibung des geplanten Programms. Und wie viele sollen daran partizipieren?
»Das Programm ist zunächst auf 24 Monate angelegt. Ziel ist die Integration von bis zu 10.000 Flüchtlingen in eine Handwerks-Ausbildung.«
"Bis zu 10.000"? Das haut einen jetzt nicht wirklich vom Hocker. Vielleicht kommt diese Bescheidenheit daher, dass wir es mit einer dieser klassischen "Litfaßsäulen"-Modellprogramme zu tun haben (mit denen wir gerade in der Arbeitsmarktpolitik immer wieder konfrontiert und vertröstet werden), nach dem Motto: Wir tun doch was. Oder aber dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Arbeitsmarkt- und Ausbildungsintegration eine überaus sperrige Angelegenheit darstellt, die es aufgrund der ihr innewohnenden Komplexität und zugleich Individualität des konkreten Handelns aufgrund des damit verbundenen Aufwands unmöglich macht, das Rad an der ganz großen Zahl zu drehen.