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Freitag, 18. Dezember 2015
Tarifbindung erreicht - Tarifbindung verloren. Das tarifpolitische Hin und Her im Einzelhandel am Beispiel von Primark und Real
Es gibt sie auch, die guten Nachrichten: Wichtiges Signal für die Beschäftigten im Handel – Tarifbindung für Modekette Primark vereinbart, so ist eine Pressemitteilung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di überschrieben. Primark - da war doch was, wird der eine oder andere an dieser Stelle einwerfen. Genau. Noch im Februar dieses Jahres konnte man in dem Blog-Beitrag Billiger, noch billiger. Wo soll man anfangen? Karstadt, Deutsche Post DHL, Commerzbank ... und Primark treibt es besonders konsequent zu diesem Unternehmen lesen, dass man dort mit einem besonders "konsequenten" Beispiel für Lohndrückerei konfrontiert werde: »... besonders konsequent deshalb, weil dieses Unternehmen offensichtlich - folgt man der aktuellen Berichterstattung - nicht nur generell niedrige Löhne zahlt, sondern die kostensenkenden Effekte potenziert durch eine "eigenartige" Arbeitszeitgestaltung und - um den ganzen die Krone aufzusetzen - mit tatkräftiger Unterstützung der örtlichen Arbeitsagenturen und Jobcenter einen Teil der anfallenden betrieblichen Kosten auch noch sozialisiert zu Lasten des Steuerzahlers.« Die Vorwürfe damals: Viele Mitarbeiter müssen auf der Basis befristeter Teilzeitverträge arbeiten, was dem Unternehmen Primark maximale Flexibilität bietet. Und der Staat greift Primark kräftig unter die Arme: bei der Personalrekrutierung. Wenn sich der Textilkonzern in einer neuen Stadt ansiedelt, arbeitet er oft mit den Jobcentern und den Arbeitsagenturen zusammen und nutzt nicht nur die kostenlose Personalvermittlung, sondern zusätzlich häufig Eingliederungszuschüsse für die Anstellung von Langzeitarbeitslosen. Und am Beispiel Köln wurde aufgezeigt, dass von den 360 vermittelten Arbeitskräften 116 so wenig verdienen, dass sie zusätzlich aufstockende Leistungen vom Jobcenter erhalten. Und die haben das offensichtlich systematisch "professionalisiert". Über das Beispiel Hannover berichtet der Artikel Primark entlässt 132 Mitarbeiter: »Die Modekette Primark soll 132 der gut 500 Beschäftigten ihrer Filiale in Hannover entlassen haben ... Auffällig sei, dass genau die Verträge von denjenigen Mitarbeitern nicht verlängert worden seien, die nach einem Jahr Beschäftigung Anspruch auf eine unbefristete Stelle gehabt hätten, heißt es aus Mitarbeiterkreisen. Dagegen sollen die Verträge von den Mitarbeitern, die erst vier Monate für die Modekette gejobbt hätten, noch einmal um einige Monate verlängert worden seien.«
Und jetzt diese frohe Kunde - vor allem für die Beschäftigten der mittlerweile 19 Filialen des Unternehmens: Für die rund 7.000 Beschäftigten von Primark gelten künftig die regionalen Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels. Seit Juli 2015 hat die Gewerkschaft ver.di verhandelt und war nun erfolgreich, wenn auch mit einer Einschränkung: Die Anerkennung der regionalen Tarifverträge wird dabei in Stufen umgesetzt.
Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger wird mit diesen Worten zitiert: "Die Beschäftigten profitieren künftig von deutlichen Entgeltsteigerungen, besseren Zuschlags- und Sonderzahlungsregelungen sowie der Anerkennung ihrer Berufsjahre bei Primark, die für viele Beschäftigte zusätzlich zu spürbar mehr Entgelt führt. Bei Primark gelten in Zukunft bessere und verbindlich geregelte Arbeitsbedingungen."
Und das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen:
»Die Einigung sieht vor, dass die Beschäftigten ab Mai 2016 in eine neue, verbesserte Entgelttabelle überführt werden. Nach einer erneuten, zwei-prozentigen Tariferhöhung zum 1. Oktober 2016 erfolgt dann die volle Anerkennung der regionalen Lohn- und Gehaltstarifverträge zum 1. Mai 2017. Allein die Anerkennung der bei Primark geleisteten Berufsjahre bedeutet für die Beschäftigten dabei Entgeltsteigerungen von zum Teil drei Euro oder mehr in der Stunde. Die volle Anerkennung der manteltariflichen Regelungen erfolgt zum 1. Mai 2018. Bis dahin werden auch hier stufenweise Angleichungen vorgenommen. So werden etwa ab Mai 2016 die Mehrarbeitszuschläge erhöht und ab Oktober 2016 Spätzuschläge eingeführt. Auch die Nacht- und Sonntagszuschläge sowie die Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) werden angeglichen und damit erhöht.«
Und ver.di trifft schon einen wichtigen Punkt, wenn die Gewerkschaft hervorhebt: Es ist ein »enorm wichtiges Signal für die gesamte Branche, dass Primark die Tarifbindung eingeht.«
Denn die andere, hässliche Seite der Medaille lautet: Tarifflucht der Arbeitgeber. Seit dem Jahr 2000, als die Allgemeinverbindlichkeit tarifvertraglicher Regelungen im Einzelhandel von der damaligen rot-grünen Bundesregierung auf Druck der Arbeitgeber aufgehoben wurde, hat die Zahl der tarifflüchtigen Unternehmen zugenommen - und die immer umfangreicheren Berichte über realisiertes oder versuchtes Lohndumping, denn jetzt konnte man sich gegenüber den Konkurrenten auf dem extrem umkämpften Markt Kostenvorteile verschaffen, wenn man die eigenen Personalkosten reduzieren kann.
Ein aktuelles Beispiel für diese andere Seite der tarifpolitischen Medaille ist mit dem Warenhauskonzern Real verbunden. Mitarbeiter von Real wehren sich gegen Kürzungen, so hat Stefan Sauer seinen Artikel dazu überschrieben: »Geringere Entgelte, längere Arbeit, weniger Urlaub: Nach dem Ausstieg der Warenhauskette Real aus der Tarifbindung macht die Metro-Tochter Ernst. Die Mitarbeiter wollen sich das nicht gefallen lassen. Sie streiken.«
Über dieses Unternehmen wurde in diesem Blog bereits am 1. Oktober 2015 berichtet: Tarifflucht des Arbeitgebers und Zwangsteilzeit für die Beschäftigten. Das ist Real. Wieder einmal über eine Branche auf der Rutschbahn nach unten.
Auslöser der Auseinandersetzungen ist der Ausstieg der Metro-Tochter Real aus der Tarifbindung im vergangenen Juni. Mit gravierenden Konsequenzen für die Beschäftigten, wie Stefan Sauer schreibt:
»In der Folge setzte das Unternehmen mit bundesweit 38.000 Beschäftigen die im Sommer mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi tarifvertraglich vereinbarten Lohnerhöhungen im Einzelhandel von 2,5 Prozent nicht um. Auch für die ab Mai 2016 vorgesehene zweite Erhöhung von 2,0 Prozent will das Unternehmen nicht auszahlen. Das eigentlich Ziel der Arbeitgeberseite geht aber darüber hinaus: Die Warenhauskette möchte einen Haustarifvertrag mit Verdi abschließen, der unter anderem das Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Abendzuschläge, Arbeitszeiten und die Tarifstruktur neu regeln soll.«
Wohin die Reise gehen soll, liegt auf der Hand: »Geringere Entgelte, längere Arbeit, weniger Urlaub, kurz: sinkende Personalausgaben. Das Unternehmen bestreitet das auch gar nicht. Die Personalkosten bei Real lägen um bis zu 30 Prozent höher als in konkurrierenden Warenhäusern, was langfristig nicht tragbar sei, begründete Real-Chef Didier Fleury bereits im September den Wunsch nach einem Haustarifvertrag.« Und die Beschäftigten haben eine Menge zu verlieren: »Nach dem Manteltarifvertrag, der bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung weiterhin gilt, werden für Arbeitszeiten zwischen 18.30 und 20 Uhr Spätöffnungszuschläge von 20 Prozent, nach 20 Uhr von 55 Prozent gezahlt. Als Weihnachtsgeld zahlt Real laut Verdi 62,5 Prozent eines Monatslohns, das Urlaubsgeld liegt abhängig vom Arbeitsvertrag um die 1200 Euro, bei einem Urlaubsanspruch von sechs Wochen pro Jahr.«
Das alles will der Arbeitgeber zur Disposition stellen und man wird abwarten müssen, ob es der Gewerkschaft gelingen wird, diesen massiven Angriff - für den die Tarifflucht die Voraussetzungen geschaffen hat - abzuwehren.
Foto: © Stefan Sell