Wobei die richtige Formulierung so lauten muss: Sie hält sich genau an die Worte, die in der Bibel der Großen Koalition niedergeschrieben worden sind, also dem Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013. Es bleibt ihr angesichts ihres nicht mehr vorhandenen Spielraums innerhalb der Großen Koalition hinsichtlich jedweder Regulierungsvorhaben auf dem Arbeitsmarkt - losgelöst von ihrer Sinnhaftigkeit - auch gar nichts anderes übrig, denn die Unionsfraktion würde weitergehende Maßnahmen schon aus Prinzip verhindern. Frau Nahles hat in der ersten Phase mit dem Mindestlohn und der "Rente mit 63" bekommen, was der Sozialdemokratie besonders wichtig war. Also aus Sicht der Koalitionsarithmetiker. Jetzt ist Schluss.
Nun liegt endlich ein Referentenentwurf zu den beiden noch offenen Arbeitsmarkt-Baustellen vor, die man in den Koalitionsverhandlungen als regelungsbedürftig vereinbart hat. Da ist eine Menge Zeit vergangen, waren doch andere Baustellen viel größer und teurer - Rentenpaket 2014 und Mindestlohn. Da mussten sich die Leiharbeit und die Werkverträge hinten anstellen. Nun aber soll es in die gesetzgeberische Zielgerade gehen und - für den einen oder anderen vielleicht irritierend - hat Frank Specht seine Meldung zum Referentenentwurf in der Online-Ausgabe des Handelsblatts so überschrieben: Nahles verlängert Leiharbeitsdauer. War das nicht anders, also genau anders herum geplant gewesen?
Werfen wir zuerst einen Blick in den Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013, was denn genau vereinbart worden ist.
Zum Thema Leiharbeit findet man dort auf S. 49-50 die folgenden Ausführungen:
»Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln
Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Lösungen vereinbart werden.
Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und novelliert:
• Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden.
• Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher.
• Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.«
Und was ist rausgekommen?
»Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wird die Höchstüberlassungsdauer bei der Leiharbeit nicht strikt auf 18 Monate begrenzen. „In einem Tarifvertrag der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung können abweichende Regelungen vereinbart werden“, heißt es im Referentenentwurf ... „In tarifgebundenen Unternehmen sind damit längere Einsatzzeiten von über 18 montan möglich“, heißt es in dem Entwurf weiter. Ausgenommen von der Ausnahmeregel sind aber Unternehmen, die zwar Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind, aber nicht der Tarifbindung unterliegen (sogenannte OT-Mitgliedschaft).«
Ganz offensichtlich will man mit diesem Regelungsansatz zwei Fliegen mit einer Klapper schlagen: Zum einen soll den Unternehmen im Prinzip die Option offen gelassen werden, Leiharbeiter auch länger wie 18 Monate zu nutzen, also wie bisher. Zugleich verknüpft man dieses Entgegenkommen damit, dass es sich um tarifgebundene Unternehmen handeln muss. Die anderen bleiben außen vor. Zur "18-Monats-Frage" vgl. ausführlicher die Darstellung in meinem Blog-Beitrag 18 Monate und nicht länger. Oder darf es doch mehr, also länger sein? Die Leiharbeit und die Versuche, sie zu re-regulieren vom 1. August 2015.
Und wie sieht es aus mit den Werkverträgen?
Dazu auch hier ein Blick in den Koalitionsvertrag (S. 49):
»Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern
Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden. Dafür ist es erforderlich, die Prüftätigkeit der Kontroll- und Prüfinstanzen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu konzentrieren, organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren, die Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats sicherzustellen, zu konkretisieren und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu sanktionieren. Der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht bessergestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Der gesetzliche Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer muss sichergestellt werden. Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt.«
Und was ist rausgekommen (soweit man das anhand der Meldungen der Nachrichtenagentur sagen kann, denn der Entwurf ist noch nicht unter die Leute gebracht worden, sondern die Nachrichtenagentur AFP wird als Quelle angegeben)?
»Die Informationsrechte von Betriebsräten über den Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten werden gestärkt. Wann ein Werkvertrag vorliegt, soll anhand von acht Kriterien definiert werden, die bislang nur in der Rechtsprechung verwendet wurden. Nun werden sie explizit gesetzlich festgeschrieben.«
Da dürfen wir gespannt sein, wie man die Abgrenzungsfrage zu einem hyperkomplexen Themen- und Minenfeld wie der Abgrenzung von "echten" Werkverträgen und illegaler Arbeitnehmerüberlassung rechtssicher mit acht Kriterien hinbekommen will.
Insofern bewegt sich das, was sich nunmehr abzeichnet für die gesetzgeberische Umsetzung, im Rahmen dessen, was ich in meinem Blog-Beitrag Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine "doppelte Tariffrage" für die IG Metall vom 24.09.2015 als Ausblick so formuliert habe:
»Von der nun anstehenden gesetzlichen Neuregelung der Werkverträge - auch wenn sich der Aktionstag hier ausdrücklich an Berlin gerichtet hat - werden sich die Gewerkschaften außer einem Informationsrecht für Betriebsräte nicht viel erwarten dürfen. Das von ihrer Seite aus geforderte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte wird es nicht geben. Dazu ist der Widerstand der Arbeitgeber an dieser Stelle viel zu groß und die politischen Handlungsspielräume der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) innerhalb der Großen Koalition sind zu klein bzw. gar nicht mehr vorhanden, was weitere Regulierungen angeht. Die Formulierung im Koalitionsvertrag spricht nur von Informations-, nicht aber von Mitbestimmungsrechten, so dass sich die Union hier auch nicht weiter wird bewegen müssen.«