Dienstag, 12. Mai 2015

Die Pflege allein zu Haus. Diesseits und jenseits der auch am diesjährigen Tag der Pflege vorgetragenen warmen Worte braut sich was zusammen


Der internationale Aktionstag "Tag der Pflege" ("International Nurses Day", eigentlich müsste man also richtigerweise von "Tag der Krankenschwestern und -pfleger sprechen) am 12. Mai wird in Deutschland seit 1967 veranstaltet. Es ist der Geburtstag von Florence Nightingale, der Begründerin der systematischen Krankenpflege. Solche mehr oder weniger sinnvollen Tage des ... werden dann gerne genutzt, um den Müttern, Vätern (kommt diese Woche auch noch) oder wem auch immer seine Aufwartung zu machen und auf die Schulter zu klopfen.

Aber sie können auch einen Impuls setzen, einen etwas genaueren Blick zu werfen auf das, was da meistens als toll, wertvoll und unverzichtbar semantisch eingenebelt wird. Gerade im Bereich "der" Pflege ist das auch wahrlich dringend angezeigt. Wobei die Anführungsstriche bereits andeuten, dass es mit "der" Pflege gar nicht so einfach ist.

Welche Pflege meinen wir denn? Die in den Krankenhäusern oder Psychiatrien? Die in den Altenpflegeheimen oder ambulanten Pflegedienste, die wiederum nicht nur die Pflegebedürftigen nach dem SGB XI betreuen, sondern auch in die häusliche Krankenpflege nach dem SGB V involviert sind und damit die versorgen, die immer schneller aus den unter Fallpauschalenbedingungen agierenden Kliniken wieder ausgestoßen werden (müssen)? Oder meinen wir vielleicht die "24-Stunden-Pflege" eines demenzkranken Familienangehörigen in seinem häuslichen Umfeld mithilfe einer osteuropäischen Pflege- oder Betreuungskraft? Oder die Pflege der vielen Angehörigen, die das allein machen, ohne auf professionelle Unterstützung zurückzugreifen? Bereits diese erste Annäherung verdeutlicht, dass wir es mit einem mehr als unübersichtlichen Gelände zu tun haben.

Sozialpolitisch im engeren Sinne besonders relevant sind dann beispielsweise solche Äußerungen:

»Mit eindringlichen Worten hat die Freie Wohlfahrtspflege in NRW Reformen bei der Pflege angemahnt. "Es wird einen gesellschaftlichen Knall geben», warnte der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege, Ludger Jutkeit, am Dienstag in Düsseldorf. Bis 2030 werde die Zahl der Pflegebedürftigen im bevölkerungsreichsten Bundesland nach offiziellen Behörden-Schätzungen auf 700.000 ansteigen, bis 2050 sogar auf 930.000. Unter dem Motto "Wir für Sie" haben die Mitgliedsverbände am Dienstag eine landesweite "Initiative für eine gute Pflege heute und in Zukunft" gestartet.
Dringend nötig sei eine Aufwertung des Pflegeberufs, forderte Jutkeit. Mehr wohnortnahe Pflegeangebote seien ebenso notwendig wie eine stärkere Einbindung von Ehrenamtlichen. "Sonst werden wir das nicht schaffen", betonte der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege. Bereits jetzt werden knapp 580.000 kranke und alte Menschen in NRW gepflegt. Knapp ein Drittel lebt nicht mehr zu Hause, sondern in Heimen.«

Dabei ist das noch eine sehr zurückhaltend formulierte Stellungnahme mit kritischen Tönen. Aus den Reihen der Pflege selbst kommen da ganz andere Stimmen und auch die Medienberichte als gesellschaftliches (Problem-)Beobachtungssystem zeichnen überwiegend ein düsteres Bild von der Pflege. Hier nur einige Beispiele aus der aktuellen Fernseh-Berichterstattung:

Kontraste: Streit um abgelegene Dörfer für Demenzkranke (07.05.2015)
Zur Betreuung und Pflege von Demenzkranken gibt es in Deutschland erste "Demenzdörfer". In diesen Einrichtungen soll den Erkrankten in einem Maße Sicherheit und Bewegungsfreiheit ermöglicht werden, was sie in konventionellen Heimen nicht finden. "Demenzdörfer" liegen meist abseits, dort, wo bauen preiswert ist. Die Betreiber werden hart kritisiert: Inklusion sei da nicht möglich, die Kranken würden einfach abgeschoben. Obwohl gerade die dort alles finden, was sie brauchen.

Zu wenig Pfleger für zu viele Heimbewohner – bereits jetzt ist zu spüren, was angesichts immer älter werdender Generationen auf uns zukommt. Das Problem: Es entscheiden sich viel zu wenige Menschen für einen Job als Pflegekraft. die story stellt die Frage: Was macht diesen Job so unattraktiv? Djamila Benkhelouf und Philipp Kafsack begleiten zwei erfahrene Pflegekräfte bei ihrer Arbeit in einem Haus für demenziell erkrankte Menschen und bekommen einen intensiven Einblick in diesen emotional und körperlich extrem herausfordernden Beruf. Gleichzeitig überprüft die story die groß angekündigte Pflegereform der Bundesregierung auf deren Praxistauglichkeit und trifft eine Frau, die Deutschland verlassen hat, weil sie die miserablen Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte hier nicht mehr ertragen hat. die story will wissen: Sind die Pfleger Opfer eines völlig veralteten und falsch organisierten Pflegesystems? Und was bringt die Pflegereform tatsächlich?

Alte Menschen, die krank oder dement sind, brauchen Pflege. In Deutschland sind das zweieinhalb Millionen. Doch die Rente reicht oft nicht aus, um die Kosten zu decken, etwa eine Unterbringung im Heim. Deshalb sind heute schon 40 Prozent der Pflegebedürftigen auf das Sozialamt angewiesen. Und es werden immer mehr. Die Autoren Hauke Wendler und Carsten Rau haben gefragt: Was läuft bei der Pflege falsch? Was sollten Betroffene und ihre Angehörigen wissen?

Report Mainz: Riskante Nächte im Pflegeheim (14.04.2015)
In vielen Pflegeheimen arbeiten viel zu wenig Nachtwachen, teilweise ist eine Pflegekraft für 90 Bewohner verantwortlich. Die bayerische Pflegeministerin will das jetzt ändern.

WDR tag 7: Pflege macht arm (07.04.2015)
Sieben Jahre lang hat sie ihre schwerkranke Mutter gepflegt, rund um die Uhr. Jetzt aber, nach dem Tod der Mutter, nimmt Renate Lonn die Fäden ihres Lebens wieder auf. Sie will raus aus Hagen. Die Realität aber treibt sie ins Jobcenter, sie muss Hartz IV anmelden.

Wir sind noch gar nicht auf Betriebstemperatur beim Verlinken der aktuellen Beiträge, stoppen aber an dieser Stelle in Anbetracht des wahrscheinlichen Einwands des einen oder der anderen, dass das eben eine sehr verzerrte Wahrnehmung dessen sei, was Pflege ist, denn Medien neigen bekanntlich dazu, oft oder ausschließlich einen eher skandalisierenden, zumindest einen nur problem- bzw. defizitfokussierten Zugang zum Thema zu wählen.

Aber auch die eher wissenschaftlich fundierte Literatur ist da nur graduell - nicht aber von der Richtung - anders, natürlich mit einem höheren Differenzierungsgrad versehen. Aus der Vielzahl an Studien zu den sehr unterschiedlichen Bereichen seien hier nur neuere Arbeiten zu einem Teil des Pflegesystems exemplarisch herausgegriffen, der immer im Schatten der Pflegedebatte steht: Die zahlreichen osteuropäischen Pflegekräfte und Haushaltshilfen, die in vielen deutschen Familien dafür sorgen, dass Pflegebedürftige zu Hause versorgt werden können und (noch) nicht ins Heim müssen.
Patrycja Kniejska thematisiert in ihrer im Mai 2015 veröffentlichten Expertise die All-inclusive-Pflege aus Polen in der Schattenzone. Ergebnisse von Interviews mit polnischen Pflegekräften, die in deutschen Privathaushalten beschäftigt sind. In diesem Kontext sei auch auf die im Juli 2014 publizierte Expertise Haushaltsnahe Dienstleistungen durch Migrantinnen in Familien mit Pflegebedürftigkeit. 24 Stunden verfügbar – Private Pflege in Deutschland von Andrea von der Malsburg und Michael Isfort hingewiesen. Man muss sich an dieser Stelle darüber im Klaren werden, dass die meisten dieser Menschen in halb-legalen bzw. illegalen Verhältnissen arbeiten (müssen), die seit Jahren beklagt werden und die es mit sich bringen, dass die Betroffenen hier bei uns eigentlich – wenn es denn jemand kontrollieren würde – ständig mit einem Bein im Gefängnis stehen.

Die Politik ist seit vielen Jahren über diesen Tatbestand informiert, vergleiche dazu beispielsweise meine Ausführungen in dem bereits 2010 erschienenen Paper Abschied von einer „Lebenslüge“ der deutschen Pflegepolitik. Plädoyer für eine „personenbezogene Sonderregelung“ und für eine aktive Gestaltung der Beschäftigung von ausländischen Betreuungs- und Pflegekräften in Privathaushalten). Faktisch nutzen wir in erheblichem Umfang das immer noch enorme Wohlstandsgefälle zwischen Osteuropa und uns in Form der Beschäftigung von osteuropäischen Pflegekräften und Haushaltshilfen zu unseren Gunsten aus, aber die politischen Entscheidungsträger agieren weiterhin im Grunde nach dem Vogel-Strauß-Prinzip.  Gleichzeitig sind die betroffenen Menschen aus Osteuropa in der unguten Situation, dass sie im Regelfall alleine auf sich gestellt in Privathaushalten arbeiten, ohne dass es eine systematische Einbettung und Begleitung durch Außenstehende gibt, was selbstverständlich Ausbeutungssituationen befördert. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Frauen in ihren Herkunftsländern erhebliche Lücken reißen, den viele von Ihnen haben kleine Kinder, die sie oft monatelang zurücklassen müssen. Außerdem fehlen viele von ihnen in den Pflegesystem ihrer Länder. Das teilen Sie dann mit den vielen Ärzten aus Osteuropa, die mittlerweile in deutschen Krankenhäusern den Zusammenbruch des medizinischen Versorgungssystems gerade in den ländlichen Regionen bei uns verhindern. 

An dieser Stelle soll ein Blick auf die mehr als heterogenen Pflegewelt geworfen - und mit einem besonderen Fokus auf die Menschen, die in der Pflege arbeiten - die Frage gestellt werden, was denn die zentrale Baustellen in der Pflegelandschaft sind. Nicht wirklich überraschend landen wir da bei einigen wenigen zentralen Entwicklungen, die wir auch aus anderen Handlungsfeldern der Sozialpolitik kennen, die aber in der Pflege - sowohl in den Krankenhäusern wie auch in der Altenpflege - massive Schneisen geschlagen haben, mit der Folge einer erheblichen Druckzunahme im Kessel.

Wenn man es auf den Punkt bringen muss, dann lässt sich sagen, dass in den beiden großen Bereichen der Pflege in den vergangenen Jahren Prozesse stattgefunden haben, die dazu führen, dass nicht nur generell davon gesprochen werden muss, dass zu wenig Pflegepersonal vorhanden ist, sondern dieses dann auch noch ständig unter Volllast-Bedingungen arbeiten muss. Man kann sich das sowohl mit Blick auf die Krankenhäuser wie auch auf die Altenheime ganz einfach verdeutlichen:
  • Anfang des Jahrtausends wurde die Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland fundamental umgestellt, von der bis dahin dominierenden Finanzierung über tagesgleiche Pflegesätze in zu einem Fallpauschalensystem auf DRG-Basis. Die Absicht, die mit diesem Systemwechsel damals verbunden war, wurde keineswegs verschwiegen: Es ging um eine bewusste Ökonomisierung der Krankenhäuser dergestalt, dass die Kosten der Krankenhausbehandlung dadurch gesenkt werden sollten, dass die Patienten immer kürzer zu behandeln sind und gleichzeitig auf die Kliniken ein enormer Spezialisierungsdruck ausgeübt wurde. Beide Effekte sind eingetreten – allerdings mit der für das Pflegepersonal durchaus als fatal zu bezeichnenden Folge, dass die – wie gesagt beabsichtigte – deutliche Erhöhung der Umschlagsgeschwindigkeit der Patienten dazu geführt hat, dass man in den Krankenhäusern nur noch mit pflegeintensiven Fällen konfrontiert ist und der in früheren Zeiten immer vorhandene Puffer an Patienten, die letztendlich in den letzten Tagen ihres Aufenthalts lediglich Hotellerie-Leistungen in Anspruch genommen haben, nicht mehr vorhanden ist. In der Konsequenz für das natürlich dazu, dass das Pflegepersonal permanent unter Druck arbeiten muss, weil es eine Konzentration im Sinne einer deutlichen Zunahme der Pflegeintensität gegeben hat.
  • Einen durchaus vergleichbaren Prozess haben die Altenheime in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren durchgemacht. wenn man früher ein Altenheim betreten hat, dann wurde man mit einer typischen Drittel-Mischung der Bewohner konfrontiert. Ein Drittel der Menschen waren noch so fit, dass sie im wesentlichen nur auf Hotellerie-Leistungen angewiesen waren  Und in unterschiedlicher Art und Weise durchaus am gesellschaftlichen Leben innerhalb des Heims teilnehmen konnten. Ein weiteres Drittel der Bewohner war normal und das andere schwer pflegebedürftig. Wenn man heute in ein Pflegeheim in Deutschland kommt, dann wird man mit einer ganz anderen Konstellation konfrontiert: Das durchschnittliche Heimeintrittsalter liegt bei über 85 Jahren und die meisten Bewohner sind in der Pflegestufe zwei oder drei und der Anteil der Demenz Kranken beläuft sich oft auf über 60 %. Wir sehen etwas, was der Heimkritiker Klaus Dörner als „Konzentration der Unerträglichkeit“ für beide Seiten im Pflegeprozess, also für die Bewohner wie auch für die Pflegekräfte, bezeichnet hat. Eine – wohl gemerkt aus Sicht der Institutionen und der dort arbeitenden Menschen – „gesunde“ Mischung der Bewohnerschaft ist heute nicht mehr gegeben. Auch hier haben die Pflegeintensität und die damit verbundenen Belastungsprofile ganz enorm zugenommen. 
Insofern kann man – summa summarum – die an vielen Stellen von den Pflegekräften vorgetragenen Klagen über eine dauerhafte Überlastung absolut nachvollziehen. Angesichts der deutlichen Verschiebung der Grundgesamtheit ihrer „Kunden“ in Richtung auf schwerere Fälle bringt es mit sich, dass immer mehr Pflegekräfte im wahrsten Sinne des Wortes „auf dem Zahnfleisch gehen“.

Was wäre die eigentliche Konsequenz, die man aus einer solchen Situation beziehen müsste? Natürlich, die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer müssten versuchen, die Arbeitsbedingungen des Personals (wieder) zu verbessern. Aber die in diesem Bereich zuständige Gewerkschaft Verdi bewegt sich eben nicht auf einem normalen Markt, sondern die Finanzierung der Krankenhäuser wie auch der Pflegeheime wird im wesentlichen determiniert über administriere Preise, die vom Staat bzw. den Sozialversicherungen – wenn auch formal in Verhandlungen – diktiert werden. Und wie soll beispielsweise ein Pflegeheim, dessen Gesamtkosten anteilig zu 70 % oder mehr aus Personalkosten besteht, die Vergütungen der Pflegekräfte deutlich anheben, wie es vielleicht bzw. sicher angebracht wäre, wenn die so genannten „Kostenträger“ über harte Budgetregeln eine solche Maßnahme aufgrund der begrenzten Refinanzierung gar nicht zulassen.

Gerade in solchen Systemen zeigt sich die besondere Bedeutung und Sinnhaftigkeit von – idealerweise auf fachwissenschaftlicher Basis kalkulierter – Standards, beispielsweise einer konkreten Verpflichtung, bestimmte Personalschlüssel zu realisieren. Gerade im Krankenhausbereich wird darüber seit vielen Jahren erbittert diskutiert und gestritten. Und natürlich versucht die Krankenhaus-Seite jeden Vorstoß in diese Richtung abzublocken und zu verhindern.

Aber wir sehen erste zarte Pflänzchen des Widerstands gegen die ständige Verweigerungshaltung hinsichtlich der angesprochenen Standards der Personalausstattung. Vgl. dazu mit Blick auf die Krankenhäuser den Diskussionsbeitrag Personalbesetzungsstandards für den Pflegedienst der Krankenhäuser: Zum Stand der Diskussion und möglichen Ansätzen für eine staatliche Regulierung von Michael Simon aus dem vergangenen Jahr oder auch die Studie Instrumente zur Personalbemessung und ‐finanzierung in der Krankenhauspflege in Deutschland von Dominik Thomas, Antonius Reifferscheid, Natalie Pomorin und Jürgen Wasem.

Auch die Beschäftigten selbst haben in jüngster Zeit die Initiative in diesem Bereich ergriffen und das, was beispielsweise an der Charité in Berlin abgelaufen ist, kann gar nicht hoch genug bewertet werden: »Die Krankenschwestern und -pfleger gehen auf die Barrikaden: Sie wollen kommende Woche streiken. Es geht ihnen nicht um mehr Geld, sondern um mehr Personal auf den Stationen«, so  Jörn Boewe und Johannes Schulten in ihrem Artikel Diagnose: Heilung kaum mehr möglich. Da wurde im Vorfeld über den damals noch geplanten Streik der Pflegekräfte an der Charité berichtet. Und die Forderung hinter der damaligen Streikandrohung geht so:

»Es ist ein ungewöhnlicher Ausstand. Denn es geht dabei nicht um mehr Geld, sondern um mehr Personal auf den Stationen. Eine Pflegekraft soll auf einer Normalstation nicht mehr als fünf Patienten betreuen, auf Intensivstationen zwei, fordert die Gewerkschaft Verdi. Nachts soll niemand mehr allein auf einer Station eingesetzt werden. Derzeit betreut eine Pflegekraft an der Charité im Schnitt zwölf Patienten.«

Und die Pflegekräfte haben durchaus konsequent ihr Anliegen vorangetrieben: „Gravierender Warnstreik“ an der Charité - 400 Operationen fallen aus, so eine der vielen Schlagzeilen. »Der Charité-Ausstand ist im Kern ein politischer Streik - er fordert nicht nur die Universitätsklinik, sondern das Gesundheitswesen heraus. Zu Recht«, so die Kommentierung von Hannes Heine unter der Überschrift Ein krankes System:

»Manchmal macht eine Handvoll engagierter Männer und Frauen einen Unterschied, der bald Hunderttausende, mittelbar gar Millionen betreffen wird. Als am Montag der Streik an der Charité begann, könnte das so ein Moment gewesen sein: Die Schwestern und Pfleger der Universitätsklinik legten die Arbeit nicht etwa nieder, weil sie mehr Lohn wollten – obwohl viele von ihnen auch damit einverstanden wären. Die Streikenden fordern hingegen mehr Kollegen auf den Stationen. Sie wollen nachts nicht mit 25 Patienten allein sein, sie wollen mit Schwerkranken reden, ohne gleich zum nächsten Patienten hetzen zu müssen, sie wollen Überstunden abbauen, statt anzuhäufen. Kurz: Sie wollen ein anderes Gesundheitssystem.«

Und er fügt an: »Bislang ist es nur den Ärzten gelungen, aus den gedeckelten Töpfen mehr zu erkämpfen. Die Pflegekräfte aber werden kaum irgendwo in der westlichen Welt so verheizt wie in Deutschland. Selbst in den USA gehen Kliniken pfleglicher mit ihrem Personal um.«

Und auch in der Altenpflege geht es immer wieder und immer stärker um dieses eine Thema: mehr Personal ist erforderlich.

Warum aber tut sich dann so wenig? Neben vielen anderen Aspekten muss man schlichtweg zur Kenntnis nehmen, dass das Arbeitsfeld, in dem sich die Pflegekräfte bewegen, eben nicht vergleichbar ist mit einer Automobilfabrik bei Daimler oder VW, die man durchaus lahmlegen kann durch eine Streikaktion, ohne dass deshalb die Republik zum Stillstand kommt oder neben den Schäden für die Arbeitgeber irgendwelche weiteren Auswirkungen auf die Bürger zu beobachten sind. Denn, seien wir ehrlich: Ein Streik in einem Pflegeheim ist erst einmal eine apokalyptische Vorstellung für die Betroffenen, die ja 24 Stunden am Tag den Pflegekräften im positiven wie negativen Sinne ausgeliefert sind. Und auch viele Pflegekräfte äußern genau an dieser Stelle ihre Vorbehalte bzw. ihrer Ablehnung von „klassischen“ Streikaktionen.

Vor diesem Hintergrund werden viele Pflegekräfte überaus aufmerksam den derzeit laufenden und mittlerweile unbefristeten Streik der Erzieher/innen in den kommunalen Kindertageseinrichtungen beobachten und verfolgen. Denn die sind mit den gleichen Problemen konfrontiert, die wir auch in der Pflege antreffen. Sollte es den Gewerkschaften Verdi und GEW gewinnen, die streikenden Erzieherinnen zu einem halbwegs akzeptablen Tarifergebnis zu führen, dann wird sich über kurz oder lang auch und gerade bei den Pflegekräften, die in teilweise noch desaströseren  Arbeitsbedingungen fest hängen, ein großer Arbeitskampf entwickeln, um anzuschließen an die neuere Entwicklung bestimmter Berufe oder Branchen, denen es nicht nur, aber auch aufgrund ihrer Streikfähigkeit gelungen ist, der Gegenseite zu signalisieren, dass man eben nicht mehr alles mit ihnen machen kann.

Der Pflege bzw. korrekter: den Menschen, die pflegen,  wäre genau das wirklich zu wünschen.