Der Mindestlohn - und gerade auch seine Ausnahmen - werfen naturgemäß zahlreiche Fragen auf, vor allem in der Anfangszeit. Ein wichtiger Ausnahmebereich von der Anwendung der Mindestlohnvorschriften betrifft "die" Praktika - allerdings nur für bestimmte Fallkonstellationen. Sowohl für die Regelung von "mindestlohnfreien" Praktika wie auch für die Subsumtion der anderen Praktika unter die neue gesetzliche Lohnuntergrenze gibt es durchaus gute Gründe.
Der eine oder die andere wird sich noch daran erinnern - es ist noch gar nicht so lange her, da wurde über die (angebliche) "Generation Praktikum" diskutiert und nicht wenige haben sich darüber aufgeregt, das und wie hier junge Leute ausgenutzt werden von Praktikantenoptimierern in manchen Branchen. Aktuell kann man im Umfeld der Veränderungen, die das Mindestlohngesetz mit sich bringen, hingegen eine ganz andere Diskussion beobachten: Da wird wortreich beklagt, dass die armen jungen Menschen jetzt ganz schwer einen Zugang finden werden in bestimmten Branchen, denn der Einstieg über längere "Praktika" bleibt ihnen versperrt, vor allem nach einem absolvierten Studium. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Für bestimmte Branchen und darin für viele Unternehmen werden die Zeiten jetzt richtig unangenehm.
Nehmen wir als Beispiel den Marketingbereich und auch die Medien. Wie lief das denn hier ab in der Vergangenheit? Viele hochmotivierte Studienabsolventen haben sich "freuen" dürfen, wenn sie nach dem Studium einen "Praktikumsplatz" in einer Agentur bekommen haben, mickrig vergütet, es gab auch Fälle, wo man gar nichts bekam. Und das nicht nur einen Monat, sondern teilweise mehrere Monate lang. Auf diesem Muster basierten ganze Geschäftsmodelle modern daherkommender Werbeagenturen, die dann mit einigen wenigen Festangestellten und einer großen Zahl an höchst flexiblen, sehr motivierten (weil noch "hungrigen") und vor allem sensationell günstigen Praktikanten ihre Aufträge abarbeiten konnten. Für diese Unternehmen ist jetzt erst einmal Schicht im Schacht, denn jetzt würde grundsätzlich eine Mindestlohnbezahlung fällig, was die "Praktikanten" natürlich erheblich verteuern würde, außer man findet neue Umgehungsstrategien. Um es an dieser Stelle ganz deutlich zu sagen - ja, das ist auch in Ordnung, denn hier hatte sich etwas verselbständigt, was dazu geführt hat, dass man oftmals von einer Ausbeutung der jungen Menschen sprechen muss. Wenn diese Geschäftsmodelle jetzt verhindert oder doch erheblich erschwert werden, dann ist das gut so vor dem Hintergrund einer neuen Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.
Aber es gibt natürlich auch andere Praktika, die man eben auch anders einordnen muss. Denn "richtige" Praktika sind dadurch charakterisiert, dass es bei ihnen primär um Lernen geht, man soll etwas beigebracht bekommen und weniger um die eigenständige Durchführung konkreter Arbeitsprozesse, wie bei vielen Hochschulabsolventen in den Agenturen oder in anderen Unternehmen. Und aus Sicht der Arbeitgeber muss man ganz deutlich sagen: Praktikanten verursachen ganz schön Aufwand, sie kosten den Arbeitgeber Geld, hier vor allem Zeit, die man investieren muss um zu erklären, anzuleiten und ggfs. auch zu korrigieren. Dass man dafür keinen Mindestlohn pro Stunde zu zahlen bereit ist, muss einleuchten und kann auch nicht wirklich kritisiert werden.
Der Gesetzgeber hat versucht, diesen Aspekt in Form einer Ausnahmeregelung in das Mindestlohngesetz einzubauen. Danach trennt sich die Welt jetzt in "richtige", mithin mindestlohnbefreite und "andere" Praktika, für die dann der Praktikant vom ersten Tag an Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn hätte.
An und für sich ist die Regelung einfach: Grundsätzlich ist die Trennlinie die Zeit vor und während einer Ausbildung, zu der auch ein Studium gehört, versus die Zeit nach einer Ausbildung bzw. eine Zeitgrenze von drei Monaten, deren Überschreiten ebenfalls zu einem Einsetzen der Vergütungspflicht nach dem Mindestlohngesetz führt. Alles klar? Man kann es auch so darstellen:
Hier die Praktika, die vom Mindestlohn ausgenommen sind:
=> Pflichtpraktika im Rahmen von Schule, Ausbildung oder Studium
=> Freiwillige Praktika begleitend zu Studium oder Ausbildung bis zu drei Monaten (Achtung mit Ausnahmen - siehe unten)
=> Freiwillige Praktika bis zu drei Monaten, die zur Orientierung bei der Berufs- oder Studienwahl dienen
=> Einstiegsqualifizierungen nach § 54 a des SGB III
=> Praxisphasen wärend eines dualen Studiums, generell bei ausbildungsintegrierten Studiengängen, sowie praxisintegrierten Studiengängen bei denen praktische Tätigkeiten regelmäßig innerhalb des Studiengangs verpflichtend sind.
=> Jeder unter 18 Jahren ohne Berufsabschluss
Und hier kommen die mindestlohnauslösenden Praktika-Konstellationen:
=> Praktikanten außerhalb einer Ausbildung oder eines Studiums mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem Studienabschluss
=> Freiwillige Praktika begleitend zu Studium oder Ausbildung, länger als drei Monate (dann ab dem 1. Tag, so die Bundesregierung)
=> Freiwillige Praktika begleitend zu Studium oder Ausbildung, wenn bereits ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat
=> Freiwillige Praktika zur Orientierung bei der Berufs- und Studienwahl, länger als drei Monate (dann ebenfalls ab dem 1. Tag nach Auffassung der Bundesregierung)
Der eine oder die andere wird sich an dieser Stelle vor dem Hintergrund einer "Optimierung" des Praktikanteneinsatzes sofort die Frage stellen, ob es Möglichkeiten gibt, mehrere mindestlohnbefreite Praktika zu kombinieren, um damit dann die zeitliche Grenze von drei Monaten aufzuweichen. Schau nach bei Frau Nahles, also korrekter bei den "Fragen zum gesetzlichen Mindestlohn", die ihr Ministerium schon im Dezember 2014 veröffentlicht hat, kann man hier antworten, denn dort findet man den folgenden Tipp, also Hinweis:
»Das Mindestlohngesetz ermöglicht, dass verschiedene Praktikumsarten - etwa zunächst ein Orientierungspraktikum und dann ein Pflichtpraktikum- beim selben Arbeitgeber mindestlohnfrei durchgeführt werden können, solange die jeweiligen Voraussetzungen dafür vorliegen. Beispielsweise kann sich an ein Pflichtpraktikum im Sinne des § 22 Absatz Nummer 1 MiLoG ein freiwilliges ausbildungsbegleitendes Praktikum im Sinne des § 22 Absatz 1 Nummer 3 MiLoG anschließen, ohne dass hierfür der Mindestlohn zu zahlen ist.«
Allerdings hilft das unseren Praktikantendauerbeschäftigern in der Werbebranche und sonstigen Unternehmen nicht wirklich weiter, denn auch diese mindestlohnfreie Kombinationsmöglichkeit gilt nur für die Fallkonstellationen während der Ausbildung, nicht nach einem Hochschulabschluss - es sei denn, der frisch gebackene Akademiker schreibt sich wieder für ein Studium ein ... Na ja, rein theoretisch könnte man dann. Aber besser nicht. Es ist gut, wenn dieser Missbrauch ein Ende findet.
Und was bitte hat das jetzt alles mit dem Deutschen Bundestag zu tun? Nun, man kann bzw. man muss dieses Haus auch als Unternehmen betrachten, das Menschen beschäftigt und damit auch Praktikanten. Wobei man da zwei verschiedene Unternehmensteile differenzieren muss: Zum einen die Bundestagsverwaltung, die für den Betrieb dieser Einrichtung zuständig ist, egal, wer da als Abgeordneter wirkt. Und zum anderen die Fraktionen der politischen Parteien mit den einzelnen - bekanntlich nur ihrem Gewissen verpflichteten - Abgeordneten. Und wie halten es nun die beiden Seiten des Unternehmens Bundestag mit den Praktikanten? Darüber scheint uns der bei Focus Online veröffentlichte Artikel Bundestag zahlt seinen Praktikanten keinen Mindestlohn zu informieren, wobei hier ganz bewusst die Formulierung "scheint" verwendet wird. Denn die Botschaft, die schon im Titel des Artikels rüber gebracht werden soll, passt so schön in die Landschaft des Politik(er)-Bashing, die uns umgibt. Dabei sind die Informationen, die man dem Beitrag entnehmen kann, wesentlich differenzierter zu bewerten, wenn auch eine gewisse "pikante" Note nicht übersehen werden sollte.
Hier erst einmal der Sachverhalt:
»Seit dem 1. Januar 2015 gilt der Mindestlohn – doch Praktikanten im Bundestag profitieren davon nicht«, so heißt es ganz am Anfang des Artikels. Im Lichte der vorangegangenen Ausführungen stellt sich dem informierten Leser sogleich die Frage, warum sollten sie auch, wenn es sich um Fälle handelt, die mindestlohnbefreit sind und das mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten.
Schauen wir zuerst einmal auf die Bundestagsverwaltung: »Die Bundestagsverwaltung bietet nur sogenannte „Pflichtpraktika“ an. Diese aber sind laut Gesetz vom Mindestlohn ausgenommen. Für die Verwaltungs-Praktikanten gibt es keinen Cent. 2014 waren rund 500 Praktikanten in der Bundestagsverwaltung im Einsatz.«
Und auch in den Fraktionen der einzelnen im Bundestag vertretenen Parteien gibt es Pflichtpraktika-Angebote, die weniger als drei Monate umfassen und mithin, wenn sie unter die anderen Voraussetzungen fallen, mindestlohnbefreit sind.
Allerdings gibt es bei den einzelnen Parteien zum einen unterschiedliche Regelungen, was die ggfs. zu zahlende "Aufwandsentschädigung" für die Praktikumszeit angeht und dann auch noch auf einer zweiten Ebene "Empfehlungen" an die eigenen Abgeordneten, was sie zahlen sollen, wozu man sie aber rein rechtlich nicht verpflichten kann. Werfen wir abschließend einen Blick auf die einzelnen Parteien und sortieren das nach den "besten" Bedingungen, wenn man sich auf die Informationen aus dem Artikel stützt:
Die Grünen: Die Abgeordneten der Grünen haben im Dezember eine Selbstverpflichtung beschlossen, der zufolge sie ihren Praktikanten in den ersten drei Monaten 400 Euro monatlich zahlen. In der Fraktion sind nur Pflichtpraktika möglich.
Die CDU/CSU-Fraktion: Wie in der Verwaltung werden nur Pflichtpraktikanten genommen, für die sechswöchigen Praktika werden aber 100 Euro Aufwandsentschädigung wöchentlich gezahlt. Für die Abgeordneten gibt es jenseits des Mindestlohngesetzes keine Vorgaben.
Die SPD-Fraktion: Die Praktika dort dauern maximal acht Wochen, weniger als die drei Monate, ab denen Mindestlohn gezahlt wird. Es gibt eine Aufwandsentschädigung von 80 Euro wöchentlich. Die Abgeordneten sind aufgefordert, ihren Praktikanten, die keinen Mindestlohn erhalten, mindestens 350 Euro pro Monat zu zahlen. Man achte auf die Formulierung "aufgefordert". Besonders putzig der folgende Hinweis an die SPD-Agebordneten aus der Fraktion: »In einem internen Papier wird den Parlamentariern geraten, "aktuell bei freiwilligen Praktika maximal drei Monate zu vereinbaren". Zur Begründung heißt es, es stünden keine "Vertragsmuster für die Bezahlung auf Mindestlohnniveau zur Verfügung“.« Immer diese fehlenden Vordrucke ...
Die Linke: Die schießen den Vogel ab. In der Linksfraktion bekommen Praktikanten nichts, weil die Praktika maximal drei Monate dauern. Man kann es auch so formulieren: Hier hält man sich halt an die bestehende Rechtslage.
Aber schlussendlich noch mal der Hinweis: Der Artikel versucht natürlich eine ganz bestimmte Botschaft auszusenden, die schlichtweg nicht korrekt ist: Die beschließen einen Mindestlohn und halten sich selbst nicht daran. Das dürfte nun klar sein: Das müssen sie auch gar nicht, wenn die Praktika unter die Befreiungstatbestände fallen, für die es sehr wohl gute Gründe gibt. Nur bei der "Aufwandsentschädigung" gibt es - wie dargestellt - teilweise deutliche Unterschiede. Und die besten Regelungen gibt es hier offensichtlich nicht bei den ansonsten glühendsten Befürwortern von Mindest- und sonstigen besseren Löhnen. Also für die anderen.