Jeder weiß, wie umstritten die "Riester-Rente" ist. Immerhin gibt es derzeit fast 16 Millionen "Riester-Veträge" und erhebliche Steuermittel fließen in die Förderung dieser Produkte (und der dahinter stehenden Finanzinstitutionen). Es gibt zahlreiche Gründe für einen mehr als kritischen Blick auf diese Form der staatlich geförderten Altersvorsorge. Und umstritten war das schon vor und während der Einführung unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Natürlich haben zu dieser Zeit diejenigen, die den großen Reibach ante portas gesehen haben, alle zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung gesetzt, um das Vorhaben Wirklichkeit werden zu lassen. Alles andere wäre ja auch überraschend. Und es ist fast schon banal, darauf hinzuweisen, dass eines der wirksamsten Schmiermittel in der Politik persönliche Beziehungen und Netzwerke sein können, nein: sind. Das merken die, die nicht über diese Ressource verfügen, am besten und oft auch schmerzhaft.
Die Zeitschrift "Stern" hat in einem Artikel einen Ausschnitt aus dieser wichtigen Phase der deutschen Sozialgeschichte genau mit Blick auf diesen Beziehungs- und Netzwerkaspekt hin untersucht. Konkret: Die Beziehung zwischen der schillernden Figur des Carsten Maschmeyer, zur damaligen Zeit Chef der euphemistisch als "Finanzdienstleister" bezeichneten Drückerkolonne AWD, und dem Politiker Gerhard Schröder. Die Journalisten haben herausgefunden, dass Carsten Maschmeyer dem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder zwei Millionen Euro für die Rechte an dessen Autobiografie gezahlt haben soll. Hier interessiert aus sozialpolitischer Sicht besonders die Frage: Gab es einen Zusammenhang zur Reform der Riester-Rente während Schröders Amtszeit?
Diese Frage wird auch in dem Artikel Eine innige Beziehung von Robert Birnbaum, Antje Sirleschtov und Stephan Haselberger aufgeworfen. Neben dem Umstand, dass sich die bislang bekannten angeblich "nur" eine Million Euro für die Memoiren des Herrn Schröder nunmehr wohl verdoppelt haben - besonders pikant ist das folgende Detail: Der Deal zwischen den beiden wurde schon vor dem Wahltag, der den SPD-Kanzler Gerhard Schröder das Amt kostete, vereinbart. Die Autoren des Artikels stellen sie, die wichtige Frage: »Steht hinter der Abmachung mehr als nur ein Buchgeschäft, das sich kaum rechnen konnte? Womöglich sogar eine Neuauflage jener „politischen Landschaftspflege“, die seit der Flick-Affäre in den 80er Jahren für Gefälligkeiten steht, mit denen sich Firmen Politiker gewogen machen?«
Hier interessieren vor allem Aspekte der Geschichte , die einen Bezug zur Sozialpolitik haben. Man wird in dem Artikel fündig:
»Die Grundlage legte Maschmeyer im Februar 1998 mit Zeitungsanzeigen im niedersächsischen Landtagswahlkampf, in denen anonym zur erneuten Wahl Schröders zum Ministerpräsidenten aufgerufen wurde. Kosten: 650 000 Mark. Mit dem Wahlsieg sicherte sich Schröder im Konkurrenzkampf mit dem damaligen SPD-Chef Oskar Lafontaine die SPD-Kanzlerkandidatur. Für Maschmeyer war die Anzeigen-Kampagne auch deshalb ein lohnendes Investment, weil sich Schröder schon damals für die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge ausgesprochen hatte.«
Und hier ein Auszug aus dem Artikel, der im "Tagesspiegel" veröffentlicht wurde, bei dem es um die "Riester"-, aber auch um die Rürup-Rente geht. Wirklich gut auf den Punkt gebracht:
»Für einen Vertriebs-Unternehmer wie Maschmeyer musste die 2002 eingeführte Riester-Rente als Form der privaten Altersvorsorge ein Geschenk sein. Schließlich hatten Versicherer und Banken ein Interesse daran, ihre Riester-Produkte zu verkaufen. Das Riester-Geschäft jedoch hatte zunächste einige Haken: Die Förderbedingungen waren undurchsichtig, die Produkte unattraktiv und nicht zuletzt durfte die Provision an Vermittler wie den AWD nur im Zeitraum von zehn Jahren ausgezahlt werden. Damit konnte das Massengeschäft aus Sicht der Verkäufer nicht richtig rund laufen.
Die Chance, diesen Umstand zu ändern, durften Branchenkenner wie Maschmeyer aber erkennen, als das Bundesverfassungsgericht die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder verpflichtete, bis 2005 die Rentenbesteuerung grundsätzlich zu regeln. In diesem Moment kam der Ökonom und „Wirtschaftsweise“, Bert Rürup ins Spiel. Rürup, SPD-Mitglied, galt als Renten- und Sozialversicherungsexperte. Unter seiner Führung wurde ein Konzept zur Neuorientierung der Altervorsorge erarbeitet, das Rot-Grün Ende 2004 als Blaupause für das Alterseinkünftegesetz diente. Zum Vorteil für Unternehmer wie Maschmeyer. Denn mit dem Gesetz wurde nicht nur der Katalog der Förderbedingungen für die Riester-Rente radikal entschlackt, was den Vertrieb der Produkte allein schon anheizte. Auch die Provision wurde rascher fällig – zum Vorteil auch von AWD-Vermittlern.
Zur Gelddruckmaschine allerdings taugte die zeitgleich und nach ihrem Erfinder benannte „Rürup-Rente“, ein Sparmodell für Besserverdiener, bei dem die Einzahlungen direkt steuermindern geltend gemacht werden können – ein Gottesgeschenk für Versicherungs- und Fondsanteil-Verkäufer in Kundengesprächen. Was der Politiker Gerhard Schröder als Zukunftsmodell für die alternde Gesellschaft stolz verkünden konnte, war für den Unternehmer Maschmeyer eine Geschäftsgarantie. Im Februar 2005 zahlte Maschmeyer Bert Rürup für einen 45-minütigen Vortrag beim AWD 12 000 Euro. Wenige Jahre später wechselte der Wissenschaftler schließlich ganz zum AWD und gründete mit Maschmeyer eine Beratungsgesellschaft für Versicherungsunternehmen.«
Und: Die dem „stern“ vorliegenden Dokumente belegen: Der Finanz-Unternehmer wandte sich bei dem Thema direkt an den Kanzler oder an dessen damalige Sekretärin im Kanzleramt, Sigrid Krampitz, berichten die Autoren des Artikels.
Das Fazit der Autoren: »Justiziabel sind solche Beziehungsgeflechte in der Regel nicht ... Ob ein Netzwerk-Flechten nach der Methode Maschmeyer noch mit demokratischen Normen vereinbar ist, steht auf einem anderen Blatt.«
Dazu kann man eine klare Antwort geben: Nein, sind sie nicht. Und das gehört ans Tageslicht gezogen. Und ihre Akteure sollten wenigstens mit Verachtung gestraft werden, vor allem die, die einen Eid auf das Gemeinwohl geleistet haben. Wieder einmal scheint sich zu bewahrheiten: Alles hat seinen Preis.
Aber trotzig muss man an dieser Stelle einwenden: Nicht alle haben einen Preis. Und das ist gut so.