Montag, 6. Oktober 2014

Freundliche Nachfrage oder Druck ausüben? Die Krankenkassen und das Krankengeld

Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) hat in ihrem Jahresbericht an den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten gemäß § 65b SGB V - so heißt das offiziell - den Vorwurf geäußert, dass Krankenkassen arbeitsunfähige Patienten, die Krankengeld beziehen, offenbar gerne dazu drängen, den Bezug schnell wieder zu beenden - zuweilen mit unsauberen Methoden. Der der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, will das nun prüfen.

»Das Krankengeld war das Top-Thema in den 80.000 Kontaktgesprächen der UPD. Mitarbeiter der Kassen rufen mitunter Patienten, die lange krankgeschrieben sind, wöchentlich an. "Ob es schon besser gehe? Ob man den Psychotherapeuten wechseln wolle? Oder einen Psychiater aufsuchen? Entsprechende Therapeuten könne man empfehlen, heißt es dann am Telefon", berichtet UPD-Beraterin Michaela Schwabe«, berichtet Susanne Werner in ihrem Artikel Setzen Kassen Patienten unter Druck? Angeblich hätten Kassenmitarbeiter auch nach medizinischen Diagnosen gefragt und die Betroffenen bedrängt. Was könnte - wenn die Vorwürfe stimmen - der Hintergrund für ein solches Verhalten der Kassen sein?  Wie immer könnte ein Motiv in der Größenordnung des Geldes zu finden sein, das hier von den Krankenkassen aufgebracht werden muss: 9,75 Milliarden Euro Krankengeld zahlten die Kassen 2013 aus. 2006 waren es noch 5,7 Milliarden Euro. Zudem ist die Dauer des Bezugs gestiegen: 2008 waren es 79 Tage, 2011 zehn Tage mehr, so Werner in ihrem Beitrag.

Auch komme es vor, dass die Kassen externe Firmen mit dem "Krankengeldfall-Management" beauftragten.

Das ist keine neue Sache. Vgl. hierzu beispielsweise den kritischen Artikel Wenn der Krankengeldfallmanager prüft von Argeo Bämayer, veröffentlicht 2010 in der Zeitschrift NeuroTransmitter, Zeitschrift für Nervenärzte, Neurologen und Psychiater. Darin heißt es:

»Arbeitsunfähige psychisch Kranke erleiden häufig eine Verschlimmerung ihrer Erkrankung, wenn ärztlich tätige „Krankengeldfallmanager“ der Krankenkasse als medizinische Laien Anamnesen und psychische Befunde erstellen und anhand dieser Ergebnisse Patienten dahingehend „beraten“, die Arbeit wieder aufzunehmen. Dieses für alle Beteiligten entwürdigende Verfahren stellt in Form einer strukturellen Gewalt den finanziellen Aspekt über alle humanitären Grundsätze ... Vorrangiges Ziel ist tatsächlich nicht die „Beratung“, sondern die Einsparung von Krankengeld, weshalb behandelnde Ärzte nahezu vollständig und Ärzte des MDK weitgehend ausgeschaltet werden und das schwächste Glied, der psychisch Kranke, persönlich in die „Mangel“ genommen wird.«

 Die Informationslage hinsichtlich des Vorgehens der Kassen ist schwach. Die einen arbeiten mit "internen Abteilungen" an der Bearbeitung der Krankengeldfälle, nur wenige wie die AOK Bayern oder die pronova BKK geben eine Beauftragung eines externen Dienstleisters zu.
Die Interessen der Kassen ergeben sich aus der Ausgestaltung des Krankengeldes. Nach der im Regelfall sechswöchigen Lohnfortzahlung des Arbeitgebers setzt normalerweise die Krankengeldzahlung der Kasse ein, die im Prinzip unbefristet ist,  wegen derselben Krankheit jedoch längstens für 78 Wochen innerhalb einer Blockfrist von 3 Jahren. Dadurch kommen - wie oben dargestellt - erhebliche Beträge zusammen.

Aber auch die Arbeitgeber haben so ihre eigenen Interessen. »Kehrt ein Beschäftigter, der bereits Krankengeld bezieht, für wenige Tage an den Arbeitsplatz zurück und fällt kurze Zeit später wieder aus, stehen für den Betrieb oft erneut mehrwöchige Lohnfortzahlungen an«, so Susanne Werner. Das hat ganz handfeste Auswirkungen, denn vor diesem Hintergrund ist es vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen angesichts der damit verbundenen Kostenbelastung rational, die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in Frage zu stellen, was dann auch passiert:

»So einen Verdacht muss der Medizinische Dienst dann prüfen. 1,4 Millionen Begutachtungen waren es im Jahr 2013. In 15 Prozent der Fälle sahen die Prüfer eine weitere Krankschreibung als unnötig an.«

Die Kasse kann dieser Empfehlung folgen, muss es aber nicht.