Donnerstag, 18. September 2014

Mindestlohnpflicht bei öffentlichen Aufträgen? Ja, aber nicht für Subunternehmer im Ausland. Ein deutsch-polnisches Modell der Bundesdruckerei wird vom EuGH bestätigt


Ein wichtiges Argument für einen gesetzlichen Mindestlohn war und ist, dass ein solcher auch für die Beschäftigten gilt, die nach Deutschland kommen und hier arbeiten. Ansonsten könnten diese Arbeitnehmer mit Löhnen vergütet werden, die auf dem Niveau des Herkunftslandes und damit möglicherweise deutlich unter dem liegen, was in Deutschland gezahlt werden muss. Mit einem für alle geltenden Mindestlohn kann man die daraus resultierende Verzerrung vermeiden - jedenfalls grundsätzlich, denn es gibt natürlich weitere Möglichkeiten, trotzdem ein Kostengefälle zu nutzen, wenn man beispielsweise an die Sozialversicherungsbeiträge denkt, die ebenfalls erheblich variieren. Unabhängig davon gibt es auch die Option, einen Teil oder den gesamten Auftrag an einen Standort mit deutlich niedrigeren Arbeitskosten zu verlagern. Dagegen ist man im Inland dann machtlos, vor allem, wenn die Verlagerung innerhalb der EU passiert, denn hier gilt grundsätzlich die Dienstleistungsfreiheit. Nun gibt es in den meisten Bundesländern Tariftreue- und Vergabegesetze, mit denen bei öffentlichen Aufträgen u.a. die Einhaltung von Mindestlohnbestimmungen eingefordert wird, um einen Auftrag bekommen zu können (vgl. dazu die Abbildung über Tariftreue-Regelungen in Deutschland vom WSI Tarifarchiv). Insofern bietet es sich für ein Unternehmen an, über die Auslagerung des eigentlichen Auftrags an einen öffentlichen Auftrag im Inland zu kommen, was aber beim öffentlichen Auftraggeber sauer aufstoßen kann.

Zum Sachverhalt erfahren wir:

»Im aktuellen Fall ist der Bieter für einen Dienstleistungsauftrag der Stadt Dortmund die bundeseigene Bundesdruckerei. Sie wollte den Dienstleistungsauftrag in Polen durch ihre dort ansässige hundert-prozentige Tochtergesellschaft ausführen lassen. Die Bundesdruckerei sah sich nicht in der Lage, gegenüber dieser Nach-Unternehmerin durchzusetzen, dass diese ebenfalls die Verpflichtungserklärung zur Zahlung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohnes (in NRW derzeit 8,62 Euro pro Stunde) abgibt. Es kam zum Rechtsstreit, weil die Bundesdruckerei nach Ansicht der Stadt Dortmund den Auftrag deshalb nicht erhalten soll. Die Vergabekammer Arnsberg hatte wegen europarechtlicher Bedenken einen Vorlagebeschluss an den EuGH gerichtet.«

Subunternehmer im Ausland müssen keinen Mindestlohn zahlen. Europäischer Gerichtshof: Bundesdruckerei darf Auftrag nach Polen auslagern - so die knackige Überschrift eines der Berichte über die nun vorliegende Entscheidung des EuGH. Das höchste EU-Gericht hat damit zu Ungunsten der Stadt Dortmund, die über eine Ausschreibung einen Auftrag zur Aktendigitalisierung und Konvertierung von Daten ihres Stadtplanungs- und Bauordnungsamts vergeben wollte, entschieden, denn man hatte mit Bezug auf das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG – NRW) in Anwendung dieses Gesetzes von allen Bietern verlangt, dass das Mindestentgelt von 8,62 Euro auch den Arbeitnehmern zu gewährleisten sei, die bei einem vom Bieter vorgesehenen Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Polen) beschäftigt sind und den betreffenden Auftrag ausschließlich in diesem Staat ausführen.

Der EuGH hat sich nicht mit der Frage befasst, welche Mindestlohn-Regeln gelten, wenn der ausländische Subunternehmer die Arbeit vor Ort in Deutschland verrichtet, sondern es geht um die vollständige Dienstleistungserbringung in einem anderen Land als Deutschland.

Hier die Kernaussage der Entscheidung des EuGH, die man der Pressemitteilung Nr. 129/14 entnehmen kann:

»Ein bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vorgeschriebenes Mindestentgelt kann nicht auf die Arbeitnehmer eines Nachunternehmers mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erstreckt werden, wenn diese Arbeitnehmer den betreffenden Auftrag ausschließlich in diesem Staat ausführen. Die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts, das keinen Bezug zu den Lebenshaltungskosten in diesem anderen Mitgliedstaat hat, verstößt gegen die Dienstleistungsfreiheit.«

Der EuGH hat entscheiden, dass es der »Dienstleistungsfreiheit zuwiderläuft, wenn der Mitgliedstaat, dem der öffentliche Auftraggeber angehört, den Nachunternehmer verpflichtet, den Arbeitnehmern ein Mindestentgelt zu zahlen.«

Die Begründung des EuGH für seine Entscheidung ist eine ökonomische:

»Indem diese Regelung nämlich ein festes Mindestentgelt vorgibt, das zwar dem entspricht, das erforderlich ist, um in Deutschland eine angemessene Entlohnung der Arbeitnehmer im Hinblick auf die in diesem Land bestehenden Lebenshaltungskosten zu gewährleisten, aber keinen Bezug zu den in dem Mitgliedstaat bestehenden Lebenshaltungskosten hat, in dem die Leistungen im Zusammenhang mit dem betreffenden öffentlichen Auftrag ausgeführt werden (im vorliegenden Fall Polen), und damit den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Nachunternehmern die Möglichkeit vorenthalten würde, aus den zwischen den jeweiligen Lohnniveaus bestehenden Unterschieden einen Wettbewerbsvorteil zu ziehen, geht sie nämlich über das hinaus, was erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass das Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht wird.«

Diese Argumentation ist für sich genommen auch nachvollziehbar, denn wie sollte das Gericht auch anders entscheiden angesichts der Fallkonstellation, dass die gesamte Dienstleistungserbringung in einem anderen Mitgliedsstaat der EU stattfinden soll? Ansonsten würde im Extremfall jeder aufgrund seiner niedrigeren Kosten günstigere Anbieter aus dem Ausland abgeblockt werden können. Vor diesem Hintergrund erscheint auf den ersten Blick eine solche Kritik überzogen:

»Die Europaparlamentarierin Evelyne Gebhardt (SPD) beklagte, der EuGH gewichte einmal mehr Unternehmerinteressen von Anbietern aus Billiglohnländern stärker als die Interessen heimischer Unternehmen und ihrer Mitarbeiter. »Die Ausbreitung von Subunternehmertum darf nicht mit dem Geld der Steuerzahler finanziert werden«, kritisierte sie.«

Auf der anderen Seite steckt natürlich auch ein Kern Wahrheit in dieser Wahrnehmung der Entscheidung, denn der vorliegende Fall ist ja auch dadurch gekennzeichnet, dass der Bieter, also die Bundesdruckerei, die eigenen Lohnkosten dadurch zu unterlaufen versucht, in dem ein Tochterunternehmen in Polen gegründet wird, über die man dann die Auftragserledigung der Stadt Dortmund zu einem Preis anbieten kann, bei dem die inländische Konkurrenten, die sich an die Bestimmungen des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen halten müssen, nicht mitgehen können und aufgrund des Dumpingpreises ausscheiden werden. Man könnte dies logisch gesehen nur ausschließen, in dem man die Auftragserledigung an ein bestimmtes Territorium bindet, was wiederum europarechtlich nicht funktionieren wird.

Ein schlechter Geschmack bleibt natürlich mit Blick auf die Aufträge, die man tatsächlich auch vollständig auslagern kann, denn dann wird das beschriebene Ungleichgewicht im Ausschreibeverfahren nicht auflösbar sein, wenn der Preis entscheidend ist für die Vergabe. Letztendlich folgt das Modell dem Outsourcing vieler produzierender Unternehmen, die Teile der Produktion oder diese insgesamt an billigere Standorte verlagern.

Der DGB kritisiert die EuGH-Entscheidung. Unter der Überschrift "Körzell: Geschäftsmodelle à la Bundesdruckerei stoppen" wird Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand zitiert:

»Unabhängig von juristischen Auseinandersetzungen sieht Körzell vor allem den Bund in der Pflicht: „Gerade die öffentliche Hand sollte mit gutem Beispiel vorangehen und alles unterbinden, was Lohndumpingprozesse befördert. Der Bund als Eigner der Bundesdruckerei darf keine Mindestlohn-Umgehungsstrategien zulassen, indem über Tochterfirmen in Nachbarländern Leistungen billiger eingekauft werden.“ Das „Geschäftsmodell“ der Bundesdruckerei berge die Gefahr, dass die Interessen der Beschäftigten in Deutschland unter Druck gerieten. Dies habe auch Auswirkungen auf die Sozialversicherungssysteme.«

Juristisch gesehen ist die Entscheidung des EuGH aber eine Niederlage für die Gewerkschaften, die im Vorfeld ein Gutachten in Auftrag gegeben hatten: Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler hatte in seinem Gutachten zu diesem Fall (Sind die Mindestlohnvorgaben des TVgG NRW für öffentliche Auftragnehmer und deren Nachunternehmer mit dem Unionsrecht vereinbar?, Düsseldorf, 20. Januar 2014) festgestellt, dass das nordrhein-westfälische Tariftreuegesetz europarechtskonform ist: Weder die Entsenderichtlinie noch die Dienstleistungsfreiheit seien verletzt. Dieser Sichtweise ist das EuGH offensichtlich nicht gefolgt.