Es gehört nicht viel Phantasie dazu, die in Teilen des Landes, vor allem in den (Groß)Städten, immer schwieriger werdende Versorgung mit Wohnraum als eines der ganz großen sozialpolitischen Themen in den vor uns liegenden Jahren zu identifizieren. Das spüren nicht nur die Hartz IV-Empfänger und die Menschen mit sehr kleinen Einkommen, sondern Wohnungsmangel diffundiert als Problem immer stärker in die Reihen der "Normalverdiener": Normalverdiener finden in deutschen Städten kaum Wohnraum, so die Überschrift eines Artikels. Das ist irritierend, denn auf den ersten Blick scheint doch alles rund zu laufen: » ... vielerorts (drehen sich) die Kräne: Allein von Januar bis Juni genehmigten die Behörden laut Statistischem Bundesamt bundesweit 137.000 neue Wohnungen, knapp zehn Prozent mehr als ein Jahr zuvor.« Für die Auflösung dieses eben nur scheinbaren Widerspruchs braucht man keine Studien, sondern man muss sich nur die meisten der neu errichteten Wohneinheiten genauer anschauen.
In dem Artikel heißt es weiter: »Zehntausende drängen in die großen Städte und Ballungsräume, auch aus dem Ausland. Sie finden dort viele neu gebaute Wohnungen, die mit allerlei Luxus und Extravaganz ausgestattet sind. Aber es gibt nur wenige Wohnungen, die zu den Geldbeuteln der Suchenden passen ... Mitterweile drohe ein Überangebot an teuren Wohnungen.« Da hat man Auswahl, aber naturgemäß ist die Zahl der potenziellen Kunden begrenzt. Die Entwicklung bei den höherwertigen und richtig teuren Wohnungen scheint eine ähnliche Entwicklung zu nehmen wie das Überangebot, das sich beispielsweise im Segment der "Seniorenresidenzen" herausgebildet hat. Letztendlich, weil der "Markt" in diesem Bereich bis zu einem gewissen Grad funktioniert: Höhere Preise führen zu einem höheren Angebot, bis der Markt "bereinigt" werden muss, wenn die Nachfrage nicht mehr mithalten kann oder will. Höhere Preise lassen sich im gegebenen System für die Investoren nun mal nicht mit Wohnraum für Menschen mit wenig Einkommen erzielen, sondern nur im höherwertigen (= höherpreisigen) Segment.
Hinzu kommt gerade in den städtischen Räumen die Kostenseite: »Bauen in der Stadt ist ohnehin teurer als auf der grünen Wiese, die Anforderungen an Energieeffizienz steigen, die große Nachfrage macht zusätzlich das knappe Bauland teurer. Das treibt die Baupreise. "Unter 3.500 bis 4.500 Euro pro Quadratmeter geht in Berlin nichts mehr", sagt etwa André Adami, Analyst beim Beratungsunternehmen Bulwiengesa.« Der Boom in diesem Bereich wird auch angeheizt durch den "Anlagenotstand" angesichts des renditesuchenden Kapitals im Gefolge der Geldpolitik, die sich auch im Jahr 2014 immer noch im "Krisenbewältigungsmodus" befindet.
Aber für die breite Masse, also für die Menschen mit niedrigen und zunehmend auch für die mit "normalen", durchschnittlichen Einkommen wird die Wohnungsfrage immer drängender - gerade dort, wo die Arbeitsplätze sind und neue entstehen, und das ist eben nicht in den meisten ländlichen Räumen, die mit ganz anderen Problemen konfrontiert sind (Stichworte wie Abwanderung und Leerstände mögen hier genügen).
»Günstige Wohnungen sind dagegen kaum zu finden. Von den landes- und genossenschaftseigenen Wohnungen in Berlin ist durchschnittlich nur noch jede fünfzigste Wohnung leer, so wenig wie seit mindestens 1995 nicht - ältere Zahlen hat der Verband Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen nicht. Und wer eine günstige Innenstadtwohnung hat, gibt sie nicht mehr her; die Umzugsquote sinkt immer weiter.«
Die Neubaukosten in den meisten Städten lassen sich für Investoren nur mit Kaltmieten über 10 Euro je Quadratmeter refinanzieren, heißt es beim Verbändebündnis Wohnungsbau, für eine "bezahlbare Miete" werden jedoch höchstens 7,50 Euro für akzeptabel gehalten.
Nach den Schätzungen einer vom Deutschen Mieterbund sowie von Verbänden der Bau- und Wohnungswirtschaft in Auftrag gegebenen Studie müssten in den Problemregionen, zu denen Großstädte und Ballungsräume gehören, jedes Jahr 40.000 Mietwohnungen zusätzlich gebaut werden, um die um sich greifende Wohnungsnot in den Griff zu bekommen. Und es geht hier eben nicht um Wohnungen an sich, sondern um bezahlbare Wohnungen.
Um das erreichen zu können, haben Mieterbund und Verbände der Bau- und Wohnungswirtschaft gemeinsam auf dem 6. Wohnungsbau-Tag einen "Deutschland-Plan für bezahlbares Wohnen" vorgestellt. Mit diesem Plan soll ein zentrales Ziel anvisiert werden: ein deutliches Absenken von Kaltmieten für Neubauwohnungen. Das will man erreichen, in dem - vereinfacht gesagt - »der Staat eingreift: indem er auf Steuern verzichtet, die Finanzierung bezuschusst und indem Bund und Gemeinden Grundstücke unter Wert verkaufen, wenn dort Mietwohnungen gebaut werden sollen.«
Dazu wurde eine vom Verbändebündnis in Auftrag gegebene Studie der Öffentlichkeit vorgestellt: Mietwohnungsbau 2.0. Bezahlbarer Wohnraum durch Neubau, erstellt vom Pestel Institut in Hannover. Der Mieterbund schreibt zu dieser Untersuchung:
»Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass eine Verbesserung der steuerlichen Abschreibungsbedingungen, eine Reduzierung der Baulandkosten und verbesserte Finanzierungskonditionen einen enormen Preiseffekt auf dem Mietwohnungsmarkt hätten.
Im Idealfall könnten die Kaltmieten in Neubauten um bis zu 4,14 Euro pro Quadratmeter gesenkt werden, rechnen die Wissenschaftler des Pestel-Instituts in ihrer Studie vor. Notwendig hierfür wäre in dem Paket kombinierter Maßnahmen insbesondere die Einführung einer linearen Abschreibung (AfA) in Höhe von 4 Prozent jährlich.«
Das kostet den Staat natürlich Geld und vor diesem Hintergrund ist dann auch der folgende Hinweis in der Pressemitteilung des Mieterbundes zu verstehen:
»Rechnen würde sich dies für den Staat ohnehin, so das Verbändebündnis Wohnungsbau. Immerhin fließe beim Mietwohnungsbau rund ein Drittel der Investitionssummen über Steuern und Sozialabgaben zurück an den Staat. So ermittelt das Pestel-Institut am Beispiel eines neu gebauten Mehrfamilienhauses mit 12 Wohneinheiten Gesamtkosten von 2,6 Millionen Euro. Davon gehen, so das Institut, knapp 470.000 Euro an Steuern in die Staatskasse und weitere 406.000 Euro an die Sozialkassen.«
Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber wir sind jetzt wieder angekommen an der Stelle, wo die heutige und ohne eine Richtungsänderung sich weiter zuspitzende Problematik letztendlich generiert wurde: Beim Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau, mit dem konkret die Angebotsseite für den unteren Preisbereich adressiert worden ist.
In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Sozialwohnungen deutlich verringert, weil bestehende Bindungen ausliefen: Zwischen 2002 und 2012 sank deren Zahl um 40 Prozent von 2,6 auf 1,5 Millionen. In der Spitze gab es mal mehr als 6 Mio. Sozialwohnungen.
Eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus wird seit längerem diskutiert und gefordert, so beispielsweise in dem Kommentar Zwischen Beharrungseffekt und Verarmungsrisiko von Barbara Dribbusch vom 11.06.2014:
»Die politische Lösung liegt einerseits in der Bremse für den hohen Anstieg bei Wiedervermietungen in Citylagen, so wie es die Große Koalition plant. Entscheidend aber ist der Neubau. Gebraucht werden größere Wohnungen für Familien und kleinere barrierefreie Wohnungen für Ältere, die durchaus umziehen würden, aber eben in ihrem alten Kiez. Neuer Wohnraum muss bezahlbar sein. Das geht nur mit öffentlicher Förderung, denn eine freie Marktmiete von 10 Euro netto kalt können sich nur wenige leisten. Die geförderten Neubauvorhaben, die es dazu in Hamburg, München, Berlin und anderen Städten gibt, reichen für den Bedarf längst nicht aus.«
Aufschlussreich - und darüber hinausgehend - beispielsweise die Audio-Datei eines Beitrags, der vom Deutschlandfunk gesendet wurde: Wohnungspolitik - Warum Wohnen immer teurer wird: »In vielen deutschen Großstädten wächst der Protest gegen überteuerte Mieten, die mit der sogenannten Gentrifizierung, der Aufwertung von Stadtvierteln, einhergehen. Das Kräfteverhältnis von Vermietern und Mietern gerät immer stärker in die Schieflage. Der Soziologe Andrej Holm wirft der Politik Versagen vor.«
Auch die Bundesbauministerin Barbara Hendricks will sich für mehr bezahlbaren Wohnraum einsetzen und hat eigens ein "Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen" ins Leben gerufen.
»Doch den Kern des Problems tastet sie nicht an: Ohne ein radikales Umdenken in der Immobilien- und Förderpolitik werden die Mieten weitersteifen«, meint Gereon Asmuth in seinem Kommentar Von Österreich lernen. Seine Argumentation geht so:
»Bei Wohnungen bestimmen zwei Faktoren den Preis: die Kosten für den Bau und die für das Grundstück. Doch statt Immobilien klug zu nutzen, werden sie von Bund, Ländern und Kommunen reihenweise verscherbelt. Gerade hat der Bund ein paar Berliner Mietshäuser für den Meistbietenden im Angebot - bisher günstige Mieten fallen dadurch weg. Der Staat füllt seine Kassen und gibt das Geld wieder aus, um günstige Mieten zu schaffen. Welch ein Irrsinn! Immobilien werden von der Politik nur mit ihrem Geldwert bemessen. Dass mit ihrem Verkauf auch Gestaltungsmacht verloren geht, wird mutwillig übersehen.
Das Gleiche passiert in der Wohnungsbauförderung als Baukostenzuschuss. Ist ein Haus nach 25 bis 30 Jahren refinanziert, bleiben die dann zwangsläufig entstehenden Gewinne beim Eigentümer.«
Und was hat das nun mit Österreich zu tun, wie die Überschrift nahelegt?
»Dort gibt es "revolvierende Wohnungsbaufonds". Überschüsse aus geförderten, gemeinnützigen Projekten fließen langfristig in diesen staatlichen Topf zurück; so können weitere günstige Bauten finanziert werden. Das kann eigentlich nur einer Gruppe nicht passen: der profitorientierten Baulobby.«
Allerdings sollte man nicht den Fehler machen, ein einfaches Zurück in die Vergangenheit könnte unsere Probleme heute lösen, denn dafür würde es nicht nur viel zu lange dauern, sondern die Kritik am alten System der sozialen Wohnungsbauförderung war und ist ja nicht unbegründet.
Radikal argumentiert beispielsweise Claus Schreer, Mitarbeiter des isw - Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung in München, in seinem Artikel Bezahlbare Mieten - statt Rendite. Ihm geht es um grundsätzliche Änderungen, die der Wohnungs- und Grundstücksspekulation einen Riegel vorschieben würden.
»Das Hauptinstrument, die teuren Mieten erträglicher zu machen, ist seit Jahrzehnten das Wohngeld, eine staatliche Subvention, die die Mieten nicht senkt, sondern weitere Mietpreissteigerungen ermöglicht. Die steigenden Mieten haben wiederum immer höhere Wohngeldzahlungen und höhere Ausgaben für die Übernahme der Kosten der Unterkunft für ALG-II-Empfänger und für die soziale Grundsicherung zur Folge. Dafür wird heute bereits die astronomische Summe von 17 Milliarden Euro ausgegeben.«
Für Schreer ist die Rendite der preistreibende Faktor bei den Mieten. Er macht folgende Rechnung auf:
»Bei Neubauwohnungen führt bereits eine Rendite bzw. Verzinsung von 5 Prozent auf das investierte Kapital (für Baukosten von 1.500 Euro und Grundstückskosten von 700 Euro pro qm) zu einer Mietbelastung von 9,20 Euro pro qm monatlich.«
Schreer spricht sich gegen eine Wiederbelebung der bisherigen sozialen Wohnungsbauförderung aus und plädiert statt dessen für dieses Modell:
»Einen wirklichen sozialen Wohnungsbau, der mit der Garantie dauerhaft preiswerter Mieten einhergeht, kann es überhaupt nur unter völliger Ausschaltung von Kapital- und Bankprofiten geben. Das heißt, dass dieser soziale Wohnungsbau vollständig aus staatlichen Mitteln finanziert und ausschließlich mit gemeinnützigen oder genossenschaftlichen Trägern verwirklicht werden muss.«
Der an dieser Stelle sofort vorgetragenen Kritik, die dafür notwendigen umfangreichen öffentlichen Gelder sind nicht vorhanden und dass der Wohnungsbau nur über den privaten Kapitalmarkt finanziert werden kann, entgegnet Schreer:
»... seit jeher wird auch der sogenannte freifinanzierte Wohnungsbau, einschließlich aller Luxusimmobilien, Zweit- und Drittwohnungen, vom Staat großzügig mitfinanziert. Die staatlichen Steuersubventionen für private Eigentümer und die großen Wohnungsunternehmen sind häufig sogar wesentlich höher als die tatsächlichen Herstellungskosten. Die Mieter haben davon nichts.
Genaue Berechnungen ergeben, dass der Staat im Laufe der Jahre mit Steuerfreibeträgen und Abschreibungen die ursprünglichen Baukosten doppelt oder dreifach finanziert.«
Und auch um die Frage der hohen Grundstückspreise drückt sich der Autor nicht:
»Auf teuren Grundstücken, die für Kommunen oder gemeinnützige Genossenschaften unbezahlbar sind, kann natürlich auch kein Wohnungsbau mit sozialen Mieten entstehen. Ohne grundlegende Änderung des Bodenrechts ist deshalb eine soziale Wohnungspolitik gar nicht möglich.
Grund und Boden müssen deshalb der ausschließlich an Rendite orientierten privaten Verfügungsgewalt entzogen und in demokratisch kontrolliertes gesellschaftliches Eigentum überführt werden.«
Dieser Ausflug in die Argumentationsführung eines radikalen "Systemkritikers" soll die Darstellung des "Deutschland-Plans für bezahlbares Wohnen" kontrastieren und aufzeigen, in welchem Spektrum wir uns hinsichtlich der wohnungspolitischen Ansätze bewegen.
Wie dem auch sei: es muss etwas passieren auf dem Wohnungs(nicht)markt. Auch wenn eine Sozialisierung von Grund und Boden nicht mehr ist als eine radikaler Gedankenspielerei, muss mit Blick auf die von einem breiten Bündnis der interessierten Verbände vorgetragenen Forderungen kritisch diskutiert werden, ob damit wirklich das erreicht wird bzw. werden kann, was erreicht werden soll. Und ob es Alternativen gibt.