Thailand ist der weltweit größte Exporteur von Garnelen, deren Produktion wiederum Teil einer umfangreichen thailändischen Fischereiindustrie ist mit einem Volumen von 7,3 Mrd. US-Dollar. Über multinationale Konzerne wie Charoen Pokphand (CP) Foods exportiert Thailand etwa 500.000 Tonnen Garnelen in andere Länder, vor allem nach Europa und in die USA - alleine 10% davon werden von CP Foods produziert. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als "the kitchen of the world". Und diese Firma steht auch im Mittelpunkt der aktuellen Kritik. Aber wo genau ist jetzt der Link zur Sklavenarbeit?
Dazu muss man sich zuerst einmal die "Wertschöpfungskette" verdeutlichen: "Sklavenschiffe" operieren in den internationalen Gewässern vor der thailändischen Küste und fangen dort Thunfisch und andere Fischarten. Dabei fallen große Mengen an "Fischmüll" an, also zu junge oder ungenießbare Fische. Dieser "Beifang" wird dann in Fischfabriken zu Fischmehl verarbeitet und dieses Produkt wird dann an CP Foods verkauft, die das Fischmehl wiederum verwenden als Futter in den Garnelen-Farmen, die sie an der thailändischen Küste betreiben. Die Garnelen werden dann an die internationalen Kunden verkauft.
Der Guardian weist darauf hin, dass es schon seit längerem Berichte von NGOs und in Reports der Vereinten Nationen gegeben hat, in denen von Sklaverei in der thailändischen Fischereiindustrie gesprochen wurde. Die Journalisten haben nun aber erstmals ganz konkret die einzelnen Stücke der langen, komplexen Wertschöpfungskette von den Fischkuttern bis hin zu den Supermärkten in Großbritannien (und auch bei uns in Deutschland) zusammensetzen können.
"If you buy prawns or shrimp from Thailand, you will be buying the produce of slave labour," mit diesen Worten wird Aidan McQuade, Direktor von Anti-Slavery International, zitiert.
Wie sind die Zusammenhänge? Erst vor kurzem wurde über eine neue Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) berichtet (Profits and Poverty: The Economics of Forced Labour): »Weltweit werden 21 Millionen Kinder, Frauen und Männer wie Sklaven gehalten. Die Profite der modernen Leibeigenschaft sind gigantisch – auch in den vermeintlich jochentwickelten Industrienationen«, so beispielsweise die Frankfurter Rundschau in einem Artikel. Thailand wird als »major source, transit and destination country for slavery« bezeichnet, also sowohl als einer der großen "Liefer-, Durchgangs- wie aber auch als Zielländer" für Menschenhandel herausgestellt.
Man geht davon aus, dass derzeit fast eine halbe Million Menschen innerhalb der thailändischen Grenzen versklavt sind. Die thailändische Regierung schätzt die Zahl der in der Fischereiindustrie beschäftigten Menschen auf bis zu 300.000, mehr als 90% von ihnen sind Migranten vor allem aus Ländern wie Burma oder Kambodscha, die aufgrund ihrer Lage besonders verletzlich sind für Ausbeutung bis hin zum Verkauf an die Betreiber der Fischerei-Schiffe. Dies muss in einem ökonomischen Kontext gesehen werden und Menschenrechtsgruppen »have long pointed to Thailand's massive labour shortage in its fishing sector, which – along with an increased demand from the US and Europe for cheap prawns – has driven the need for cheap labour.« Das kommt abstrakt daher, man kann und muss es konkreter ausdrücken:
»Die Männer auf den so genannten thailändischen "Geisterschiffen" würden wie Tiere gekauft, gegen ihren Willen auf den Booten festgehalten, zur Arbeit gezwungen und wieder verkauft. Oft sähen sie über mehrere Jahre kein Land. Im Guardian erzählen die wenigen Männer, die es geschafft haben, von den Booten zu fliehen, von entsetzlichen Bedingungen an Bord: von 20-Stunden-Schichten, regelmäßigen Schlägen, Folter und hinrichtungsartigen Tötungen. Sie hätten mitansehen müssen, wie andere Sklaven getötet wurden oder sich das Leben genommen hätten, um diesen Bedingungen zu entgehen«, so Valérie Müller in ihrem Artikel Wirbel um Sklavenschiffe erfasst Aldi Nord.
Um das in aller Deutlichkeit herauszustellen - das sind keine Vermutungen, sondern Tatsachen. Selbst die betroffene Firma CP Foods äußert sich entsprechend, jedenfalls die mit den Vorwürfen konfrontierte Niederlassung in Großbritannien. Bob Miller, CP Foods' UK managing director wird mit diesen Worten zitiert: "We're not here to defend what is going on." "We know there's issues with regard to the [raw] material that comes in [to port], but to what extent that is, we just don't have visibility." "We'd like to solve the problem of Thailand because there's no doubt commercial interests have created much of this problem."
Auch Aldi Nord in Deutschland hat mittlerweile bestätigt, dass es Garnelen von dem Unternehmen beziehe. Aldi Süd hingegen sagte, es gebe keine Zusammenarbeit mit dem thailändischen Konzern.
Natürlich wird sich der eine oder die andere an dieser Stelle fragen, ob man sich als Nachfrager hinsichtlich des konkreten Produkts anders verhalten kann. Dazu Jost Maurin in dem Artikel Garnelen in Weißweinsauce - und Sklavenblut: »Doch es gibt Alternativen zu Shrimps, die mit Hilfe von Sklaven produziertes Fischmehl gefressen haben: beispielsweise im Nordatlantik gefangene Eismeergarnelen. Diese werden auch mit dem Siegel des Marine Stewardship Councils (MSC) angeboten, das Überfischung verhindern soll.«
Fazit: Was da in Thailand passiert, ist sicher eine überaus skandalöse Form der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Aber zwei Dinge sind festzuhalten: Zum einen kann und darf man das nicht abschieben "auf die da unten" und zur eigenen Entlastung die Empörung auf die thailändische Fischereiindustrie fokussieren, denn die hohe Nachfrage hier in Europa und in den USA nach möglichst billigem Fisch ist der zentrale Antreiber für diese menschenverachtenden Ausformungen auf Seiten der Produzenten.
Und man sollte zum anderen nicht glauben, dies sei nur auf einige wenige Bereiche beschränkt. Bleiben wir beispielsweise im Fisch-Bereich, dann sei an dieser Stelle stellvertretend für einen ebenfalls guten, weil aufklärenden und informativen Journalismus allen die folgende ZDF-Dokumentation empfohlen: Vorsicht Krabbe!Das große Geschäft mit dem kleinen Tier. »Schon lange werden die Nordseekrabben nicht mehr in Deutschland gepult, sondern vor allem im Billiglohnland Marokko. Mehrere Tage braucht ein LKW für die knapp 3.000 Kilometer von Deutschland bis Marokko. In den afrikanischen Fabriken pulen Tausende Frauen bei Temperaturen um die neun Grad das Tier aus der Nordsee. Der Lohn für diese Knochenarbeit entspricht häufig nicht einmal dem in Marokko gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn. Und: Um die lange Reise von Europa nach Afrika und zurück gut zu überstehen, werden die Krabben ordentlich in Konservierungsmittel eingelegt.« Wie gesagt, nur ein weiteres Beispiel von vielen möglichen.