Doch bevor wir in die Details der geplanten Maßnahmen einsteigen, lohnt ein Blick auf die sich überaus differenziert und gespalten darstellende Entwicklung beim Thema Wohnen. Im Frühjahr des vergangenen Jahres hat das Eduard-Pestel-Institut eine Analyse vorgelegt über "den" Wohnungsmarkt in Deutschland:
Pestel-Institut: Mietwohnungsbau in Deutschland - regionale Verteilung, Wohnungsgrößen, Preissegmente - im Auftrage der Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“, Hannover 2012 >> PDF-Datei
In dieser Studie wird beschrieben, mit welcher durchaus auseinanderlaufenden Entwicklung wir es auf dem Wohnungsmarkt zu tun haben: «Der demografische Wandel bringt noch keine Entlastung der Wohnungsmärkte. Rückläufig ist wegen der niedrigen Geburtenzahlen die Zahl der Kinder. Die Zahl der Erwachsenen - und nur dieser Personenkreis bildet Haushalte und fragt Wohnungen nach - wird noch einigen Jahre ansteigen. Hinzu kommen die Singularisierung und die Veränderung des Wanderungsverhal- tens der Bevölkerung. Die Landflucht und das Verbleiben in den Städten führen zu wachsenden Leerständen in ländlichen Räumen bei gleichzeitiger Verknappung von Wohnraum in den Ballungsräumen. Deutschland hat eine neue Wohnungsnot« (Pestel-Institut 2012: 47)
Gleichzeitig hebt die Studie hervor, dass sich der Anteil der Haushalte mit einem Einkommen unter 1.500 € pro Monat von knapp 39 % im Jahr 2002 auf über 44 % im Jahr 2010 erhöht habe. »Diese „ungleicher“ gewordene Einkommensverteilung sowie erheblich gestiegene kalte und warme Betriebskosten haben dazu geführt, dass die Wohnkostenbelastung gerade der unteren Einkommensschichten in den letzten zehn Jahren trotz bereits eingeleitetem Konsumverzicht (Rückgang der spezifischen Wohnfläche) deutlich angestiegen ist.«
Dieser trocken beschriebene Sachverhalt kann einen verleiten zu der Diagnose, dass es eine neu-alte soziale Frage rund um das Thema Wohnen gibt und diese an Bedeutung zunehmen wird.
Zwei wichtige Ableitungen kann man an dieser Stelle machen:
- Während das Problem des Wohnungsmangels gerade in den (groß)städtischen Bereichen weiter massiv anschwellen wird (vor allem aufgrund der fehlenden Bauleistung in den zurückliegenden Jahren), geht dieser Prozess einher mit erheblichen Leerstandsproblemen in den eher ländlich oder auch je nach Lage kleinstädtisch strukturierten Räumen einher, was kein Widerspruch sein muss.
- Und das Problem des weiter anwachsenden Wohnungsmangels ist dann vor allem ein Problem für die unteren Einkommensgruppen, denn sehr hochpreisige Wohnungen findet man eigentlich überall, aber gerade nicht die für Hartz IV-Empfänger, Rentner oder auch zunehmend für Haushalte normaler Arbeitnehmer, die mit ihren Gehältern vorne und hinten nicht zurecht kommen.
Und genau an dem letztgenannten Punkt versucht die Politik nun, mit dem Instrument der "Mietpreisbremse" anzusetzen. »In Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten darf demnach die neue Miete bei einem Mieterwechsel maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen«, so die FAZ in ihrem Bericht. Und für die Bestandsmieter soll es ebenfalls ein Hürde gegen übermäßige Vermieterforderungen geben: »Bestehende Mieten sollen in angespannten Wohnungsmärkten künftig höchstens um 15 Prozent in vier Jahren steigen dürfen - bisher gilt dies für eine Frist von drei Jahren.«
Aber, um das gleich zu betonen: Die angekündigte Mietpreisbremse wird es eben nicht flächendeckend geben, sondern: »In welchen Städten die Maßnahmen greifen, sollen die Länder festlegen. Angespannte Wohnungsmärkte mit stark steigenden Mieten gibt es vor allem in begehrten Vierteln vieler Großstädte und etwa auch in Hochschulstädten.«
Der hier zu skizzierende "Pakt für bezahlbares Wohnen und Bauen" sieht noch eine andere Maßnahme vor, die auf den ersten Blick eine der größten Herausforderungen adressiert, die man auf einem Teil des Wohnungsmarktes vorfinden muss: Das enorme Gefälle Nachfrage > Angebot, vor allem im preisgünstigen Bereich. So etwas kann nur aufgelöst oder wenigstens gemildert werden, wenn man das Angebot deutlich ausgeweitet bekommt. Zur Grundproblematik hier nochmal ein Zitat aus der Pestel-Studie:
»Notwendig ist eine erhebliche Ausweitung des Wohnungsbaus in Ballungsräumen, wobei die Ausweitung des Wohneigentums nur sehr begrenzt helfen kann. Insgesamt ist beim Mietwohnungsbau nahezu eine Verdoppelung der Bauleistung auf rund 130.000 Wohnungen pro Jahr erforderlich. Knapp ein Drittel dieser erforderlichen neuen Mietwohnungen entfallen auf die zehn größten deutschen Städte. Aber auch Schrumpfungsregionen brauchen Neubauten, um die Qualität des Wohnens zu erhalten« (Pestel-Institut 2012: 47).
Eine gewaltige Aufgabe. Und sofort stellt sich auch an dieser Stelle wieder eine ökonomische Grundsatzfrage: Wie bekomme ich die potenziellen Investoren dazu, gerade in Wohnraum zu investieren, mit dem sich nur niedrige bzw. normale Mieten realisieren lassen, was natürlich Auswirkungen haben muss auf die erzielbare Rendite?
Sven Böll hat in seinem Beitrag mit der provozierenden Überschrift "Die Mietpreisbremse hilft nur den Reichen" die Problematik adressiert: Die Idee, Mieter mit geringen und normalen Einkommen über eine Mietpreisbremse vor der Ausbeutung durch profitgierige Investoren zu schützen, leuchtet auf den ersten Blick ein. Aber Böll ist der Auffassung, dass sich hier einmal mehr ein chronisches Leiden der Politik zeige: »Es wird nur der Status quo betrachtet, aber nicht die Auswirkung der Regulierung«. Seine These: »Gering- und selbst Normalverdiener werden auch künftig keine Wohnungen in attraktiven Lagen finden. Es kommt noch schlimmer: Die vielbeklagte Gentrifizierung, also das Verdrängen alteingesessener Mieter durch wohlhabende Zugezogene, könnte sich noch verschärfen.« Er versucht eine Beweisführung anhand eines Beispiels:
»Bei der Besichtigung einer 100-Quadratmeter-Wohnung im schicken Berliner Stadtteil Mitte erscheinen 50 Bewerber. Die bisherigen, langjährigen Mieter haben für die Vierzimmerwohnung 600 Euro bezahlt, nun will der Vermieter zwölf Euro pro Quadratmeter nehmen, also 1200 Euro im Monat. Den Zuschlag erhält der solventeste Bieter, ein Doppelverdiener-Ehepaar ohne Kinder, das 6000 Euro netto monatlich zur Verfügung hat.
Nun kommt die vermeintlich segensreiche Preisbremse, die Miete darf also höchstens zehn Prozent über dem Wert des Mietspiegels liegen, das entspricht gut sieben Euro. Die Wohnung kostet statt 1200 künftig 700 Euro. Bekommt nun endlich der Rentner, die Mitarbeiterin des Drogeriemarktes oder der alleinerziehende Altenpfleger die Wohnung? Mit Sicherheit nicht! Schließlich hat das Doppelverdiener-Ehepaar ohne Kinder nun noch mehr Interesse an der schönen und dazu dank Mietpreisbremse auch noch billigen Wohnung. So lange die Nachfrage das Angebot übersteigt, haben die Schwächeren, die mit geringem Einkommen und vielen Kindern, auf dem Mietmarkt immer das Nachsehen.«
Für Böll stellt sich die Mietpreisbremse im Ergebnis dar als ein "Noch-mehr-Netto-Projekt für die Oberschicht und die gehobene Mittelschicht". Allerdings muss sich der Autor schon die Frage gefallen lassen, zu welcher Konsequenz seiner Argumentation den im Ergebnis führt? Die Idee, eine Mietpreisbremse einzuführen, um die einkommensschwachen Gruppen am Wohnungsmarkt zu schützen, resultiert ja gerade aus den Fehlern einer Preisbremse, die den beschriebenen Effekt, dass nur die besser situierten Nachfrager aus der Mittel-und Oberschicht zum Zuge kommen, abzubremsen. Was also wäre denn die Alternative? Wenn man dem Autor folgt und angesichts der möglichen Effekte auf eine solche Regulierung verzichtet, dann würde die derzeit laufende Entwicklung ungehindert fortgeschrieben.
Die kritische Sicht auf eine Mietpreisbremse wurde bereits am 23.10.2013 in einem Beitrag des Politikmagazins "Klartext" (rbb-Fernsehen) thematisiert: "Mietpreisbremse - Wahlgeschenk ohne Wert?". In diesem Beitrag wird auch Michael Müller (SPD), der Bausenator von Berlin zitiert, der am Beispiel seiner Stadt deutlich macht, welche Bedarfe in den kommenden Jahren auf die Stadt zukommen: »Wir gehen von 250.000 Menschen aus, die in den nächsten 15 Jahren kommen. Das bedeutet, wir brauchen rund 100.000 neue Wohnungen. Und das wiederum bedeutet, von heute an gerechnet brauchen wir pro Jahr zwischen 7.000 und 10.000 neue Wohnungen, die entstehen müssen, um allein dem gerecht zu werden, was wir an Bevölkerungszuwachs erwarten.« Aber auch dieser Beitrag lässt uns am Ende allein mit der Frage: Und nun?
Aber vielleicht setzen wir auch aufs falsche Pferd, wenn man überhaupt der Mietpreisbremse so ein großes Gewicht zukommen lässt, das sie eigentlich gar nicht beanspruchen kann. So konnte man bereits im Oktober im Umfeld der Messe Expo Real in einem Artikel des Tagesspiegels lesen:
» Auffällig war auf der Expo Real allerdings, dass sich Verbandslobbyisten und Immobilienunternehmer in vertraulichen Gesprächen deutlich gelassener über die Auswirkungen der Mietpreisbremse zeigten als in ihren offiziellen Verlautbarungen. Die Maßnahme, hieß es, werde vor allem eine psychologische Wirkung entfalten und faktisch auf wenige Gebiete mit besonders angespanntem Wohnungsmarkt beschränkt bleiben. Zudem werde die genaue Ausgestaltung des Gesetzes viel Zeit beanspruchen. So sei zum Beispiel offen, wie die ortsübliche Vergleichsmiete definiert werden solle, da längst nicht alle Städte und Kommunen einen qualifizierten Mietspiegel hätten.«
Es wird ungemütlich angesichts der sich auswachsenden sozialen Frage hinter dem Wohnungsproblem, was für einen Teil der Menschen immer größere Auswirkungen annimmt. Man schaue sich hierzu nur aus der Flut an Berichten die folgenden Artikel an: "Wie Mieter in Berlin aus ihren Wohnungen vertrieben werden", "An der Heizung sparen, um die Wohnung zu bezahlen" oder "In drei Minuten obdachlos": »Steigende Mieten und Luxussanierungen vertreiben arme Menschen aus ihren Vierteln. Wer nicht freiwillig geht, dem droht Zwangsräumung. Viele landen auf der Straße.« Die Auflistung ließe sich beliebig verlängern, was darauf hindeutet, dass sich hier ganz enormer sozialer Sprengstoff aufbaut.
Die Antwort angesichts des erkennbaren "doppelten Nachfrage-Angebots-Problem" (doppelt, weil zum einen grundsätzlich Nachfrage > Angebot und dann auch noch für die einkommensschwachen Gruppen ein mehrfach ausgeprägtes Nachfrage > Angebot vorliegt) kann nur lauten, das Angebot an bezahlbaren Wohnraum deutlich auszuweiten, also nicht generell das Angebot, sondern eine "doppelte Angebotsausweitung" (doppelt im Sinne von Angebot ausweiten für die unteren Einkommensgruppen und das dann gezielt in den Mangelgegenden).
Man kann es drehen und wenden wie man will: Für eine wenigstens teilweise Realisierung dieser Aufgabe müsste der in der Vergangenheit viel gescholtene und quasi gegen Null heruntergefahrene Soziale Wohnungsbau nicht nur reaktiviert, sondern erheblich ausgeweitet werden. Denn wir zahlen jetzt die Zeche für das Absenken des Sozialen Wohnungsbaus in der Vergangenheit, was dazu geführt hat, dass jetzt immer mehr Sozialwohnungen aus der Sozialbindung herausfallen.
Das Pestel-Institut in Hannover schätzt, dass in Deutschland vier Millionen Sozialwohnungen fehlen und fordert die öffentliche Förderung von Neubauten, den Ankauf von Belegungsrechten und eine wirksamere Mietpreisbindung, so Ulrich Zawatka-Gerlach in seinem Artikel "Sozialwohnungen - ein knappes Gut", der bereits im August 2013 erschienen ist. Schon der Ersatzbedarf ist enorm. Beispiel Berlin: Momentan gibt es in Berlin etwa 143.000 Sozialwohnungen zur Miete. Nach Berechnungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung werden es im Jahr 2023 nur noch 101.000 Mietwohnungen sein. Jährlich gehen rund 2.000 bis 10.000 Sozialwohnungen verloren, weil die öffentliche Förderung ausläuft. Gleichzeitig werden keine neuen Wohnungen dieser Art mehr gebaut, was sich ab 2014 wieder ändern soll. Aber man kann sich vorstellen, welche gewaltigen Kraftanstrengungen nötig sein werden, wenn man nun auch noch dringend notwendige zusätzliche Sozialwohnungen bauen wollte. Die Größe des Problems lässt sich auch an dieser Zahl verdeutlichen: »Den eigentlichen Sinn, Bürgern mit begrenztem Einkommen guten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, hat der soziale Wohnungsbau teilweise verloren. Einkommensgrenzen wurden so erweitert, dass in Berlin 60 Prozent aller Haushalte eine Sozialwohnung beziehen dürfen.«
Fazit: Auch wenn es als eine herkulische Aufgabe daherkommt: Notwendig ist nicht nur eine Partial-Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus, sondern durchaus eine Renaissance dieses Ansatzes wie in den 60er oder 70er Jahren. Eine gezielte Förderung von Wohnungsbaugenossenschaften und auch eine deutliche Zunahme der kommunalen Träger-Aktivitäten. Dazu würde man sich Hilfestellung aus Berlin wünschen. Statt dessen kommen wieder einmal Signale, dass entweder Placebos verteilt oder aber Geschäfte zulasten Dritter vorbereitet werden, man also selbst keinen monetären Beitrag beisteuern muss.