Samstag, 21. September 2013

Ab Montag muss (wieder) gearbeitet werden: Sozialpolitische Themen und Baustellen für die kommende Legislaturperiode



Wie auch immer die genaue Regierungskonstellation in der vor uns liegenden Legislaturperiode aussehen wird – die Akteure werden mit einigen großen sozialpolitischen Baustellen konfrontiert sein, denen man nicht auf Dauer wird ausweichen können. Schon viel zu lange wurden und werden wichtige Grundsatzentscheidungen auf die lange Bank geschoben und auch die um sich greifende Seuche einer „Playmobil-Sozialpolitik“ (zu denen ich solche Kreationen wie das Betreuungsgeld oder den Pflege-Bahr zähle) erschweren objektiv die Aufgabenstellung, wieder mehr Ordnung in die sozialpolitischen Systeme zu bringen, denn immer mehr problematische Schnittstellen werden produziert, die zu teilweise skurrilen Folgen führen, die dann erneute Partikular-Maßnahmen auslösen.

Insofern stellt sich anlässlich der Bundestagswahl die - natürlich nur in sehr groben Linien skizzierbare - Frage, mit welchen grundsätzlichen Themen und Arbeitsaufträgen sich die neue Bundesregierung wird auseinandersetzen müssen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen im folgenden Beitrag einige große Schneisen in das sozialpolitische Dickicht geschlagen werden.

Eine der wichtigsten Herausforderungen betrifft die Pflege. Und dies nicht nur im Sinne einer sofortigen Engführung auf die sicher sehr wichtige Pflegeversicherung und deren Weiterentwicklung bzw. Umbau. Damit soll angedeutet werden, dass für die Sicherstellung und nachhaltige Gewährleistung einer menschenwürdigen Pflege zur Kenntnis genommen werden muss, dass diese Mega-Aufgabe nicht in oder von einem System bewältigbar ist, sondern das kann praktisch nur in einem vielgestaltigen Mix in konkreten sozialräumlichen Bezügen geleistet werden, wo die Leistungen der Pflegeversicherung eine wichtige, aber eben nur eine anteilige Rolle spielen. In diesem Kontext wird es um höchst komplexen Fragen der Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen gehen müssen, also neben der stationären und häuslich-ambulanten Pflege die Entstehung und Ausdifferenzierung zahlreicher neuer Formen der Pflege und Betreuung. Bereits heute müssen die Bundesländer Antworten geben, wie sie denn neben den „klassischen“ Heimen und Pflegediensten mit Wohngemeinschaften und anderen Formen umgehen wollen. In diesem Zusammenhang wird eine der großen Aufgaben der vor uns liegenden Jahre der Auf- und Ausbau von Tageseinrichtungen gerade für die vielen Menschen am Anfang oder im mittleren Stadium einer demenziellen Erkrankung sein – und an diesem Beispiel kann man zugleich zeigen, was besonders Not tut in der höchst versäulten und aussegementierten Soziallandschaft: Feldübergreifendes, vernetztes Denken. Konkret: Von den Erfahrungen, die wir in vielen Jahrzehnten mit der Tagesbetreuung für Kinder und aktuell gerade mit der von sehr kleinen Kindern gemacht haben, für die notwendigen Strukturen und Prozesse für die älteren Menschen lernen, idealerweise die Strukturen verbinden und einer gemeinsamen Nutzung zuführen. Im Ergebnis bedeutet das alles, dass wir eine starke Rolle der Kommunen in diesen Bewältigungsprozessen brauchen werden.

Für den Sozialpolitiker keine Frage: In der neuen Legislaturperiode müssen endlich die jahrelangen Vorarbeiten zur Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsgesetzes in die Wirklichkeit gehoben werden. Weitere Verzögerungen seitens der Politik müssen als vorsätzliches Handeln bezeichnet und skandalisiert werden. Das bedeutet natürlich auch eine Mittelaufstockung für den Bereich der Pflege – auch und gerade in Verbindung mit der unbedingt erforderlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Professionellen in diesem Feld, womit nicht nur eine bessere Vergütung, sondern auch bessere Personalschlüssel gemeint sind. Das wird – man kann es drehen und wenden wie man will – keine billige oder gar „aufkommensneutrale“ Angelegenheit werden.
Darüber hinaus wird man um eine offene Grundsatzdiskussion über die Existenz und konkrete Ausgestaltung der sozialen Pflegeversicherung nicht herum kommen, hier gemeint im Sinne einer Infragstellung der Separierung von Pflege- und Krankenversicherung. Man wird in der alternden Gesellschaft die Frage stellen dürfen und müssen, ob es angesichts der vielen fließenden Übergänge und der bereits heute bestehenden und vielseits beklagten Verschiebebahnhöfe zwischen den beiden Versicherungszweigen nicht sinnvoller wäre, beide Systeme zu integrieren in einem neuen Sicherungsgebilde.

Wenn wir schon an der Schnittstelle zur Gesetzlichen Krankenversicherung und damit mittendrin im großen Formenkreis der Gesundheitspolitik sind, dann kann man auch hier einige Hinweise geben. Weiter und mit zunehmender Dringlichkeit wird es um die Frage nach der (Nicht-)Zukunft des dualen Krankenversicherungssystems gehen. Man kann parteipolitische Kampfbegriffe wie „Bürgerversicherung“ entsorgen – aber die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit oder ganz unideologisch nach der Überlebensfähigkeit des privaten Krankenversicherungssystems werden sich nicht in Luft auflösen. Die Zeichen stehen auf einen Systemwechsel und man sollte das lieber früher als zu spät machen. Darüber hinaus stellen sich weitere große Herausforderungen, beispielsweise im Bereich der Krankenhausfinanzierung. Auch hier darf und muss man systemische Fragen stellen, so nach der Notwendigkeit und Möglichkeit eines sektorübergreifenden Finanzierungssystems. Vor dem Hintergrund der Sicherstellungsprobleme, die wir heute schon und zunehmend haben auch aufgrund der immer noch starren Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wird man sich nicht nur modellhafte, sondern systematische Gedanken machen müssen über die (Nicht)Zukunftsfähigkeit der ärztlichen Einzelpraxen und mutigerer Schritte hin zu neuen Versorgungsformen. Damit unlösbar einhergehend brauchen wir endlich eine systematische Entwicklung des weiten Feldes der Gesundheitsberufe neben den Ärzten, hier gemeint im Sinne einer systematischen Aufwertung und auch größerer Delegation bislang ärztlicher Leistungen an anderer Berufsgruppen. Anders werden sich die Versorgungsaufgaben gar nicht lösen lassen. Das ganze Thema ist komplex und besonders vermint aufgrund der erheblichen Interessenkonflikte und Machtspielereien. Eigentlich notwendig wäre die gemeinsame Ausbildung der Gesundheitsberufe an einer „Medical School“, um die Homogenisierung des Arztberufs schon während des Studiums aufzubrechen.

Kommen wir zu einer weiteren Großbaustelle (und das hoffentlich nicht im Sinne von Stuttgart 21 oder dem angeblich im Bau befindlichen Berliner Großflughafens): Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik. Hier besteht ganz offensichtlich einer erheblicher Bedarf an einer umfassenden Ordnungspolitik und diese gerade nicht nur beschränkt auf die unteren Etagen des Arbeitsmarktes. Das kann man am höchst aktuellen Beispiel der zunehmenden Instrumentalisierung von Werk- und Dienstverträgen verdeutlichen, von denen eben nicht „nur“ osteuropäische Wanderarbeiter in den deutschen Billigschlachthöfen betroffenen sind, sondern die sich immer mehr in die Kernbereiche der Belegschaften hineinfressen, man schaue sich beispielsweise nur die Situation vieler Ingenieure in der Automobilindustrie an. Die Re-Regulierung der Leiharbeit und die Regulierung der Werkverträge werden sicher eine prominente Rolle in der kommenden Legislaturperiode bekommen. Daneben geht es um eine grundsätzliche kritische Infragestellung der 450-Euro-Jobs gerade angesichts der Verwüstungen, die diese Beschäftigungsform in vielen Frauenbiografien anrichtet. Es geht natürlich auch um die hoch aufgeladene Frage nach einem Mindestlohn bzw. ganz vielen einzelnen Lohnuntergrenzen. Hier sollte man von den Erfahrungen in anderen Ländern lernen. Aber „nur“ mit einem Mindestlohn bzw. darauf aufsetzend vielen branchenbezogenen Mindestlöhnen alleine wird es nicht getan sein. Man wird auch über die Struktur und den Verbindlichkeitsgrad des Tarifsystems nachdenken müssen, beispielsweise über eine wieder stärkere Nutzung des Allgemeinverbindlichkeitsinstrumentariums. Eine zentrale Erkenntnis aus vielen Jahren Befassung mit dem Arbeitsmarkt lautet: Keine Engführung auf nur partikulare Regulierungsversuche, die – siehe derzeit die Erfahrungen mit der „Verteuerung“ der Leiharbeit – sofort zu Ausweichreaktionen bei einem Teil der Unternehmen führen werden.

Wenn wir von Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik reden, dann können und dürfen wir vom Grundsicherungssystem nach dem SGB II nicht schweigen – außer man gibt sich der leider gar nicht so selten anzutreffenden Selbstillusionierung hin, wir haben Vollbeschäftigung und das Arbeitslosigkeitsproblem werde sich jetzt gleichsam biologisch durch Verschwinden dieser Spezies „lösen“. Dem ist nicht so und das wird auch nicht passieren. Ganz im Gegenteil haben wir bereits in den zurückliegenden Jahren eine massive Polarisierung in diesem Bereich sehen müssen. Dies in dem Sinne, dass sich die Situation für viele Menschen, die nur kurzfristig arbeitslos sind, tatsächlich deutlich verbessert hat, während gleichzeitig eine massive Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit im Grundsicherungssystem festzustellen ist. Gleichzeitig sind die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel sowie – eigentlich noch schlimmer – die förderrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Arbeitsmarktpolitik, die sich vor allem auf den harten Kern der Langzeitarbeitslosen bezieht, erheblich schlechter geworden. In diesem Teilbereich wird eine der dringlichsten Aufgaben eine umfassende Reform der öffentlich geförderten Beschäftigung sein, wenn man nicht jeden Rest von Teilhabeorientierung für die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffene Menschen entsorgen will. Entsprechend ausgearbeitete und gut begründete Reformkonzepte für eine öffentlich geförderte Beschäftigung, die den Erwartungen und Notwendigkeiten der besonderen Zielgruppe entsprechen würde, liegen seit Jahren vor. Ganz offensichtlich haben wir hier neben Systemproblemen innerhalb des SGB II vor allem ein normatives oder sagen wir es deutlicher: ein ideologisches Problem.

Zum Thema Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik gehören aber auch immer konfliktärer werdende systematische Fragen im Bereich der Ausbildung, sowohl an der ersten Schwelle, also beim Übergang von der Schule in den Beruf, wie auch insgesamt beim Verhältnis von dualer bzw. fachschulischer Berufsausbildung und der immer stärker werdenden Akademisierung in unserer Gesellschaft. Eines der größten Herausforderungen in den vor uns liegenden Jahren wird die Bewältigung des doppelten Drucks auf das gewachsene System der dualen Berufsausbildung sein, also dass immer mehr junge Menschen nicht nur formal die Hochschulreife erwerben, sondern auch ein Studium aufnehmen, während gleichzeitig eine Öffnung der Berufsausbildung nach unten, also in Richtung der „leistungsschwächeren“ Jugendlichen aufgrund der kognitiven Aufladung viele Berufsbilder schwer, manchmal gar nicht möglich ist. Diese strukturellen Herausforderungen des dualen Berufsausbildungssystems verbinden sich mit der demografischen Entwicklung, die zu einer erheblichen Angebots-Nachfrage-Verschiebung zuungunsten der Unternehmen geführt hat, die sich in den vor uns liegenden Jahren weiter verstärken wird. Die bereits heute erkennbare und – wenn sich nichts grundlegendes ändert – weiter zunehmende Schwächung des dualen Berufsausbildungssystems wird sich besonders negativ bemerkbar machen, weil zahlreiche Handwerker und Facharbeiter, die heute das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bilden, demnächst altersbedingt in den Ruhestand gehen werden. Der vielbeschworene Fachkräftemangel wird weniger einer der akademischen Berufe sein, sondern sich im Handwerk und im mittleren Segment der deutschen Industrie abspielen. Aber selbst innerhalb des Hochschulsystems gibt es erhebliche Zweifel an dem bislang eingeschlagenen Weg, als Stichwort sei hier nur die Bologna-Reform genannt. Ganz offensichtlich haben die deutschen Hochschulen den Systemwechsel, der mit der Bologna-Reform verbunden ist, dergestalt umgesetzt, dass die Bachelor-Studiengänge in einer unglaublichen Heterogenität ausgestaltet werden, teilweise mit einer extremen Hyper-Spezialisierung, die möglicherweise den aktuellen, kurzsichtigen Interessen einer Branche oder zuweilen nur einzelner Unternehmen entsprechenden mag, was sich aber mittel- und langfristig bitter rächen kann hinsichtlich der Beschäftigungsfähigkeit der so ausgebildeten jungen Menschen.

Wenn wir über Berufsausbildung und Hochschulbildung sprechen, dann sind wir im großen Formenkreis von Bildung und Betreuung angekommen. Hier dominierten in den vergangenen Jahren der Ausbau der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege, Stichwort: Ausbau der Betreuungsangebote für die unter dreijährigen Kinder, die Diskussion. Nach der formalen Inkraftsetzung des Rechtsanspruchs auf ein Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr muss es in den vor uns liegenden Jahren um eine „Aufpolsterung“ der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege gehen. Dies meint eine deutliche Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen in den Einrichtungen und in der Tagespflege, also vor allem hinsichtlich der Personalschlüssel sowie der Arbeitsbedingungen für die dort arbeitenden Fachkräfte. Angesichts der besonderen Bedeutung einer qualitativ hochwertigen Bildung, Betreuung und Erziehung für die Kleinkinder ist es unausweichlich, dass die seit langem diskutierten und wissenschaftlich abgesicherten Qualitätsanforderungen in einem bundesweiten Qualitätsgesetz für den Kita-Bereich normiert werden, dies auch vor dem Hintergrund der erheblichen Varianz der Rahmenbedingungen zwischen den Bundesländern. Ein auf der Bundesebene normiertes Qualitätsgesetz für diesen Bereich würde zugleich die dringend notwendige Finanzierungsreform vorantreiben. Hier muss es um eine regelhafte Beteiligung des Bundes an den laufenden Kosten der Kindertagesbetreuung gehen. Diese hier nur anzudeutenden offenen Strukturprobleme im Bereich der Kindertagesbetreuung pflanzen sich fort im Schulsystem, das mit den gleichen föderalen Problemen durchsetzt ist. Mittlerweile gibt es konkrete Forderungen, als nächste Stufe der Entwicklung einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz verbindlich zu normieren. An dieser Stelle muss dringend darauf hingewiesen werden, dass dies zwar ein logischer Schritt in der Entwicklung wäre, man aber auf keinen Fall die gleichen Fehler wie bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für die kleinen Kinder machen sollte. Dies bedeutet konkret, dass vor einem solchen Rechtsanspruch nicht nur die finanziellen Fragen der Mittelaufbringung und Mittelverteilung geklärt werden müssen, sondern vor allem auch die personellen Voraussetzungen. Wer soll das machen und wie viele brauchen wir für die Erfüllung eines solchen Rechtsanspruchs?

Gerade der Ausbau der Kindertagesbetreuung sowie die damit zusammenhängende Einführung des unseligen Betreuungsgeldes verweisen auf das Feld der Familienpolitik. Hier müsste jedem unbefangenen Beobachter deutlich geworden sein, auch durch die mittlerweile vorliegenden Ergebisse einer umfassenden Evaluierung der existierenden familienpolitischen Leistungen, dass wir es mit einem Wirrwarr an unterschiedlichen Leistungen, vor allem Geldleistungen, zu tun haben, die dringend einer systematischen Neuordnung bedürfen, dies zu einem im Sinne einer zielorientierten Zusammenlegung der vielen einzelnen Leistungen. Zum anderen muss vor dem Hintergrund der erschreckenden „Infantilisierung“ der Armut über die Einführung einer Kindergrundsicherung diskutiert werden. Die Einführung einer solchen Kindergrundsicherung hätte übrigens erhebliche positive Auswirkungen in anderen Teilbereichen der Sozialpolitik, man denke hier an die zahlreichen Aufstocker im Grundsicherungssystem, von denen viele deswegen aufstocken müssen, weil der bestehende Familienlasten- und -leistungsausgleich defizitär ist.

Gerade für die finanziell schwach aufgestellten Familien wird sich das Themenfeld Wohnen als neue soziale Frage in den vor uns liegenden Jahren besonders schmerzhaft ausformen. Hier wird es in der nächsten Legislaturperiode deutliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt geben müssen, die allerdings recht komplex und mit zahlreichen Nebenwirkungen versehen sein werden. Dies gilt vor allem für Instrumente, die derzeit von den politischen Akteuren besonders gerne diskutiert werden, beispielsweise eine Anhebung des Wohngeldes. Die Verantwortlichen werden eingestehen müssen, dass der massive Abbau der sozialen Wohnungsbauförderung in den vergangenen Jahren im Zusammenspiel mit den vielen aus der Sozialbindung herausfallenden Wohnungen dazu führen wird, dass wir eine neue wohnungspolitische Offensive im Sinne des Baus neuer Sozialwohnungen benötigen. In diesem Themenfeld ist auch die neue Diskussion einzuordnen, die unter dem Stichwort „Energiearmut“ geführt wird und die im Zusammenhang mit dem Ausbau und der Förderung der erneuerbaren Energien stehen. Die damit verbundenen Kostensteigerungen für die Privathaushalte treffen die finanziell schwach aufgestellten Haushalte ganz besonderes und werden das Problem der zunehmenden Wohnungsnot weiter vorantreiben.

Auf der sozialpolitischen Agenda kann und darf natürlich das Thema Alterssicherung und Rente nicht fehlen. Hier erleben wir bereits derzeit und in den kommenden Jahren immer stärker die Zuspitzung der „Systemfrage“ in der Gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der zahlreichen Rentenreformen in der Vergangenheit, insbesondere die Eingriffe der damaligen rot-grünen Bundesregierung um die Jahrtausendwende. Mit Systemfrage ist an dieser Stelle gemeint, dass die zentralen Konstruktionsprinzipien der Funktionsfähigkeit der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung durch die Rentenreformen, aber auch durch die gesellschaftlichen Veränderungen fundamental infrage gestellt werden. Denn die immer mehr zu einer Kunstfigur werdende Person des deutschen „Eckrentners“, der 45 Jahre lang immer und ohne Unterbrechungen Beiträge auf der Basis des durchschnittlichen Arbeitseinkommens eingezahlt hat (und der derzeit daraus eine Brutto-Monatsrente in Höhe von etwas mehr als 1.100 € erhält), wird zunehmend abgelöst von Menschen, die aufgrund ihrer brüchigen Erwerbsbiografien und/oder niedriger Arbeitsentgelte diese Voraussetzungen nicht mehr werden erfüllen können. In Verbindung mit der massiven Absenkung des Rentenniveaus durch die so genannten Rentenreformen wird hier der Marsch in die Altersarmut für sehr viele ältere Menschen, vor allem für Menschen aus dem Niedriglohnbereich, unausweichlich, wenn sich nicht grundlegendes mehr an der Mechanik des Rentensystems ändert. In der kommenden Legislaturperiode muss verhindert werden, dass es zu einer Verengung auf eine „Lösung“ gibt, die den betroffenen Menschen eine Rente garantieren will, die gerade etwas über der Grundsicherung im Alter liegt, die auch die bekommen, die ihr Leben lang nicht gearbeitet haben. Hier muss es zu einem Lösungsansatz kommen, der deutlich über diesem minimalistischen Ansatz liegt. Ein Blick in andere Länder, hier beispielsweise der Schweiz mit ihrer Basisrente in einem stark umverteilenden Alterssicherungssystem, wäre hilfreich.
Auch die teilweise recht problematischen Entwicklungen im Bereich der privaten Altersvorsorge, die mit Milliarden Steuermitteln gefördert wird, also die „Riester-Rente“ wie aber auch die Entgeltumwandlung im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge, gehören in der kommenden Legislaturperiode auf dem Prüfstand. Insgesamt – das zeigen auch die Erfahrungen der Länder mit starken kapitalgedeckten Alterssicherungssystemen im Gefolge der Finanzkrise und der nun schon seit Jahren und absehbar weiter anhaltenden Niedrigzinswelt – muss es um eine deutliche Stärkung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung gehen.
Eine besondere Herausforderung wird in den kommenden Jahren vor dem Hintergrund der deutlichen Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters (Stichwort: Rente mit 67) die Lösung des Problems darstellen, dass es viele Menschen gibt, die tatsächlich nicht in der Lage sind bzw. sein werden, das gesetzliche Renteneintrittsalter erreichen zu können. Hier müssen flexible Lösungen für eine adäquate Absicherung der Betroffenen gefunden werden.
Wenn wir über Alterssicherung sprechen, dann sprechen wir immer auch über eine eigenständige Säule der Alterssicherung in Deutschland, also die Pensionen für die Beamten. Hier nun sind wir nicht nur mit einer generellen Zunahme der Pensionäreund der damit verbundenen Pensionsverpflichtungen, die auf dem laufenden Steueraufkommen gedeckt werden müssen, konfrontiert, sondern vor allem mit einem großen Sprengsatz für die Haushalte der Bundesländer. Denn die meisten Beamten, dann denke hier an die vielen Lehrer, Polizisten, Hochschullehrer, Richter, sind Beamte der Bundesländer. Viele von ihnen wurden in den 1970er Jahren eingestellt und viele von ihnen werden in den kommenden Jahren in die Pension wechseln. Unter sonst gleichbleibenden Bedingungen würde diese Entwicklung die meisten Länderhaushalte komplett paralysieren.

Nein, die notwendige dem Palette für die vor uns liegenden Jahre ist noch nicht abgearbeitet. Ebenfalls eine Mega-Baustelle wird der gesamte Bereich der so genannten Inklusion darstellen. Die Diskussion über die Umsetzung von Inklusion wird in Deutschland sehr schullastig geführt, was vor dem Hintergrund des stark separierenden Schulsystems bei uns, Stichwort Förderschulen, auch nicht überrascht. Alleine die Umsetzung von inklusiven Ansätzen in den Schulen wird zu einer herkulischen Aufgabe werden. Aber darüberhinaus betrifft die Inklusion weitaus mehr Bereiche als nur die Schule. Es geht um eine umfassende Teilhabeorientierung und die lässt sich eben nicht begrenzen auf die Frage der Inklusion behinderter Kinder und Jugendliche in unsere Regelschulen, sondern sie strahlt aus in viele andere Bereiche, man denke hier nur an die Arbeitswelt.
Und mit einer gewissen Zuspitzung kann man eine weitere, ebenfalls nur in Querschnitten bearbeitetbare Aufgabe als eine inklusive wahrnehmen: Gemeint ist hier das gesamte Feld der Integration von „Menschen mit Migrationshintergrund“, wie das heute oftmals etwas verquast genannt wird. Und die Aufgaben, die sich hier zum einen mit Blick auf die in unserem Land bereits teilweise seit vielen Jahren lebenden Menschen stellen, wie auch angesichts des erwartbaren Zuwanderungsdrucks vor dem Hintergrund des großen Wohlstandsgefälles innerhalb der Europäischen Union, sind enorm. Hinzu kommt erwartbar eine wieder deutlich ansteigende Zahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern aufgrund der großen Wanderungsströme, die wir beobachten müssen.

Wer bis zu dieser Stelle durchgehalten hat, der wird sicherlich überwältigt sein von der Vielgestaltigkeit der sozialen Aufgaben und Herausforderungen, die thematisiert, eingeordnet, bearbeitet oder wenigstens zur Diskussion gestellt werden müssten. All diese Themen und Aufgaben und offenen Fragen treffen nun zum einen auf zahlreiche versäulte Institutionen, die nachvollziehbarerweise ihr Eigenleben führen und an ihrer Existenzberechtigung arbeiten, auf der anderen Seite ist auch der sozialpolitische Sach- und Fachverstand in einem zunehmenden Maße kleinteilig strukturiert. Ganz offensichtlich fehlt es nicht nur innerhalb der Politik, sondern auch und gerade in der Wissenschaft und Beratung an ganzheitlich ausgerichteter sozialpolitischer Expertise. Je komplizierter aber die gewachsenen Teilsysteme geworden sind, je mehr Anreicherungen stattfinden, und je stärker die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Teilsystemen ist, umso störungsanfälliger wird das gesamte Sozialsystem. Dies lässt sich ab einem bestimmten Komplexitätsgrad natürlich nicht vermeiden oder gar aufheben, aber wir brauchen dringend ein stabiles Netzwerk für eine umfassende sozialpolitische Begleitung dieser ineinander verschachtelten Prozesse.

In diesem Kontext gehört auch die Forderung, die bestehende und äußerst asymmetrische Kosten-Nutzen-Wahrnehmung der Sozialpolitik und ihrer Leistungen vom Kopf auf die Füße zu stellen: Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass gegenwärtig Sozialpolitik und soziale Leistungen fast ausschließlich als Kostenproblem wahrgenommen werden. Viel zu wenig und in nicht wenigen Fällen sogar gar nicht berücksichtigt werden aber die Nutzeneffekte, die wir durch diese Leistungen generieren beziehungsweise ermöglichen. Wenn es uns in den kommenden Jahren nicht weitaus stärker als bisher gelingt, eine "richtige", zumindest eine korrekterer Kosten-Nutzen-Betrachtung der Sozialpolitik und der dort geleisteten Arbeit, durchaus auch in einer monetarisieren Art und Weise, also in Geldeinheiten ausgedrückt, zu entwickeln und zu kommunizieren, dann werden die aus einer gegebenen Haushaltslogik abgeleiteten reflexartigen Angriffe auf die Substanz vieler sozialpolitischer Handlungsfelder noch mehr an Gewicht gewinnen.