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Donnerstag, 22. August 2013
Des einen Leid, des anderen Freud und für viele (wahrscheinlich) ganz normal: Arbeit, Sucht und die Zahlen darum herum
Immer diese Zahlen, mag der eine oder die andere gedacht haben bei der Berichterstattung über neue Daten zu der Entwicklung von Suchterkrankungen, ihren Folgekosten und der - angeblichen - Verursachung durch die Arbeit, worüber nun heftig diskutiert wird.
Der AOK-Bundesverband und das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) haben den "Fehlzeiten-Report 2013" veröffentlicht und die Pressemitteilung dazu überschrieben mit "Keine Entwarnung bei Suchterkrankungen – neue Suchtmittel auf dem Vormarsch": »Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage, die durch die Einnahme von Suchtmitteln verursacht wurden, ist in den letzten zehn Jahren um rund 17 Prozent angestiegen: Von 2,07 Millionen Fehltagen im Jahr 2002 auf 2,42 Millionen Fehltage im Jahr 2012. Alkoholkonsum und Rauchen sind laut Fehlzeiten-Report 2013 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) die Hauptursachen. Experten sehen aber auch einen Trend zu einer verstärkten Einnahme von leistungssteigernden Mitteln.« Da werden zwei Dinge miteinander vermengt, die man erst einmal auseinanderhalten sollte.
Die Daten zeigen auf der einen Seite einen Anstieg der vor allem alkoholbedingten Ausfalltage bei den AOK-versicherten Arbeitnehmern, gemessen an den Fehltagen. Fast 44 Prozent aller suchtbedingten Arbeitsunfähigkeitsfälle entfallen auf Alkoholkonsum. Allein die Kosten von Alkohol- und Tabaksucht belasten die deutsche Wirtschaft jährlich mit etwa 60,25 Milliarden Euro, so wird Uwe Deh zitiert, Geschäftsführender Vorstand beim AOK-Bundesverband.
Bereits einen Tag vorher hat die Techniker Krankenkasse (TK) anlässlich der Vorstellung ihres "Gesundheitsreport 2013. Berufstätigkeit, Ausbildung und Gesundheit" mitgeteilt, dass alkoholbedingte Ausfälle in den letzten Jahren enorm zugenommen hätten. Laut den jüngsten TK-Daten gab es bundesweit im vergangenen Jahr 1,8 Millionen alkoholbedingte Fehltage. Diese Zahl ergebe sich, wenn die rund 236.000 Krankheitstage durch Alkohol bei der TK bundesweit hochrechnet werden. Und die TK stellt expressis verbis einen Zusammenhang her mit der Arbeitswelt: »Deutschland ist verhältnismäßig gestresst. Wie der aktuelle Gesundheitsreport der TK zeigt, sind es nicht nur Arbeitspensum, ständige Erreichbarkeit und Überstunden, die für Stress unter Deutschlands Berufstätigen sorgen, sondern vor allem die Verhältnisse, unter denen sie arbeiten. Der Report zeigt, dass vor allem diejenigen unter psychischen Belastungen leiden, die befristet, in Teilzeit oder in Leiharbeit beschäftigt sind, sowie diejenigen, die durch Familie und Beruf mehrere Rollen gleichzeitig erfüllen müssen. Insgesamt haben auch in 2012 psychisch bedingte Fehlzeiten weiter zugenommen. Sie machen mittlerweile über 17 Prozent aller Fehlzeiten aus, das heißt, jeder sechste Krankschreibungstag läuft unter einer psychischen Diagnose.«
Da will die AOK und ihr WIdO nicht nachstehen, also schreiben sie:
»Einen detaillierten Einblick in den Umfang von Süchten in der Arbeitswelt ermöglicht eine aktuelle Studie des WIdO für den Fehlzeiten-Report. Über 2.000 Erwerbstätige zwischen 16 und 65 Jahren wurden dafür nach ihren Belastungen am Arbeitsplatz sowie den Umgang mit ihrer Gesundheit befragt. Es zeigte sich, dass 5,3 Prozent der Befragten täglich Alkohol konsumieren. Der Anteil der Männer liegt dabei mit 8,9 Prozent fast viereinhalbmal über dem der Frauen (2 Prozent). Unabhängig vom Geschlecht steigt die Wahrscheinlichkeit eines regelmäßigen Alkoholkonsums mit dem Bildungsstand.«
Bereits an dieser Stelle könnte man innehalten und sich fragen: Warum steigt der regelmäßige Alkoholkonsum mit steigendem Bildungsgrad, wenn denn der Arbeitswelt eine offensichtliche Kausalität für das suchtförmige Verhalten zugeschrieben wird? Ist es nicht so, dass bei anderen Krankenstandsanalysen immer wieder gefunden und herausgestellt wird, dass gerade bei den höher qualifizierten Arbeitnehmern der Krankenstand deutlich niedriger sei als bei denen, die auf Arbeitsplätzen arbeiten müssen, die nur wenig oder gar keine Spielräume eröffnen? Man könnte an dieser Stelle die These wagen, dass der Stress und die psychische Belastung der Arbeitnehmer mit steigendem Qualifikationsniveau zunimmt und damit auch die Suchtgefahren für die davon betroffenen Arbeitnehmer. Aber ebenso ließe sich die Hypothese formulieren, dass möglicherweise die Ursache für die Suchterkrankungen und die in der Arbeitswelt gemessenen Auswirkungen in Form von Fehltagen ganz woanders liegen, nicht aber in der Arbeitswelt, beispielsweise in individuellen Dispositionen oder familiären Konfliktlagen. Da es sich bei Suchterkrankungen zumeist um ein multifaktorielles Geschehen handelt, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Wahrheit wieder einmal irgendwo in der Mitte befindet.
Nun könnte die Zunahme der Fehltage auch darin begründet sein, dass die Betroffenen länger krank sind, wenn sie denn mal als krank identifiziert werden. Aber für Teile der Berichterstattung ist die Sachlage klar: "Immer häufiger Suchtprobleme bei Arbeitnehmern", so beispielsweise die "Berliner Zeitung". Und weiter: »Stress ohne Abschalten, anhaltender Druck, Jobängste - die anstrengende Arbeitswelt kann den Griff zur Flasche oder zu anderen Suchtstoffen befördern. Die AOK legt neue Zahlen vor.«
Etwas anders stellt sich die Situation dar, wenn es um die Verwendung leistungssteigernder, aufputschender Mittel für die Arbeit geht, kann man hier doch von einer engeren kausalen Verknüpfung ausgehen. Die "Berliner Zeitung" schreibt hierzu: »Umfangreiche Studien über den Gebrauch von aufputschenden Mitteln im Job sind in Deutschland bisher Mangelware. Allerdings stand der DAK-Gesundheitsreport 2009 unter dem Motto «Doping am Arbeitsplatz»: In einer Umfrage unter 3000 Arbeitnehmern gaben fünf Prozent an, Substanzen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit oder des Wohlbefindens zu konsumieren, zwei Prozent seien regelmäßige «Doper» am Arbeitsplatz.«
Vergleichbare Befunde hat jetzt auch der neue "Fehlzeiten-Report" von AOK und WIdO präsentiert:
»Andere Süchte wie die Einnahme leistungssteigernder Substanzen gewinnen aber – ausgehend von einem geringen Niveau – an Bedeutung. „Um berufliche Stresssituationen zu bewältigen, haben nach unserer Befragung immerhin fünf Prozent der Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten Medika- mente wie beispielsweise Psychopharmaka oder Amphetamine zur Leistungssteigerung bei der Arbeit eingenommen. Bei den unter 30-Jährigen trifft dies immerhin auf jeden Zwölften zu“, sagte Helmut Schröder, Stellvertretender Geschäftsführer des WIdO. „Die Dunkelziffer dürfte noch erheb- lich größer sein, denn Studien zeigen, dass viele Menschen bereit sind, bei hoher Arbeitsbelastung stimulierende Mittel einzunehmen.“«
Immer wieder also tauchen diese fünf Prozent auf - was anderseits aber eben auch bedeutet, ohne die Problematik damit klein reden zu wollen, dass 95% der Arbeitnehmer ihren Job ohne solche Doping-Methoden schaffen. Das sind doch wesentlich erfreulichere Werte als wir sie im Sport, geschweige denn im Radsport sehen müssen.