Aber dass sie jetzt sogar von der anderen Seite fast schon überholt werden bei diesem Thema, das wird weh tun. Die Online-Ausgabe des Handelsblatts vermeldet: "Manager plädieren für Mindestlohn". Berichtet wurde über ein - manchen sicher überraschendes - Ergebnis des Handelsblatt Business-Monitors, einer repräsentativen Umfrage des Handelsblatts, für die das Meinungsforschungsinstitut Forsa regelmäßig rund 700 Führungskräfte deutscher Unternehmen befragt.
Der wichtigste Befund:
»In der Umfrage sprechen sich 57 Prozent der Firmenlenker für einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Mit 60 Prozent war die Zustimmung aus mittelgroßen Unternehmen mit zwischen 500 und 5000 Beschäftigten am höchsten. In der Dienstleistungsbranche plädieren sogar 61 Prozent der Manager für einen Mindestlohn aus. Die Befürworter halten im Durchschnitt einen Mindestlohn von 8,88 Euro je Stunde für angemessen.«
Aber wird nicht immer vor den schrecklichen Arbeitsmarktkonsequenzen eines Mindestlohns gewarnt, also dass die Wirtschaft dann ganz viele Arbeitsplätze einfach abbauen wird? Eine Argumentation, die besonders wichtig ist in der Bedenkenträgerei inmitten des Mainstreams der deutschen Volkswirte, über die noch zu sprechen sein wird.
Offensichtlich sehen die Manager das wesentlich entspannter: »Nur sieben Prozent der Befragten sagen für den Fall einer Einführung einen Abbau von Arbeitsplätzen im eigenen Unternehmen voraus.« Dass die nicht ganz naiv geantwortet haben und dass es natürlich einen gewissen Zusammenhang gibt zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung verdeutlicht dann auch der Hinweis, dass es erhebliche regionale Unterschiede bei dieser Einschätzung gibt: »Je zwölf Prozent der nord- und ostdeutschen Firmen erwarten einen Stellenabbau wegen des Mindestlohns, aber nur sechs Prozent der Manager aus der Mitte und fünf Prozent aus dem Süden des Landes.«
Alles in allem zeigt die Mehrheit der Manager ganz offensichtlich ein Bewusstsein über ökonomische Zusammenhänge, das so manchen hauptberuflichen Ökonomen eher abzugehen scheint. Denn die meisten Unternehmenslenker wissen, dass man nicht deswegen die Arbeit einstellen wird, weil jetzt ein Teil der Beschäftigten, die bislang 6 oder 7 Euro in der Stunde bekommen haben nunmehr in den Genuss von 8,88 Euro kommen. Das Niveau insgesamt wird angehoben und wenn jemand deswegen über die Wupper geht, dann handelt es sich um Unternehmen, deren Ausscheiden aus dem Markt durchaus auch positive Aspekte haben kann, denn sie existieren häufig nur durch eine brachiale Lohndumping-Strategie, die wiederum die "guten" Anbieter trifft. Dies scheint auch der - verständliche - Hintergrund der besonders hohen Zustimmung zu einem Mindestlohn in der Dienstleistungsbranche zu sein, denn gerade hier bekommt jeder halbwegs aufrechte Manager tagtäglich zu spüren, zu welchen Exzessen der Markt in der Lage ist, wenn es keine funktionsfähigen Lohnuntergrenzen gibt. Man schaue sich nur die Rutschbahn nach unten an, auf der sich viele Unternehmen des Einzelhandels befinden, seit im Jahr 2000 die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags aufgehoben worden ist.
Letztendlich ordnen sich die Befragungsergebnisse der Manager ein in die allgemeine Bewertung der Forderung nach einem Mindestlohn, wie man sie in der Bevölkerung vorfinden kann - glaubt man beispielsweise den Befunden einer aktuellen Umfrage von Anfang Juni 2013: "Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Eine Studie von infratest dimap im Auftrag des DGB". Die wichtigsten Ergebnisse dieser Umfrage lauten:
Die große Mehrheit der Deutschen (86 Prozent) spricht sich im Juni 2013 für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes aus. Etwa jeder zehnte Deutsche (12 Prozent) lehnt die Einführung eines Mindestlohnes ab.
Bei den Anhängern der SPD (94 Prozent), der Grünen (93 Prozent) und der Linken (89 Prozent) fallen die Zustimmungsraten überdurchschnittlich hoch aus. Die Zustimmung bei den Union-Anhängern liegt mit 79 Prozent unter dem Durchschnitt, bewegt sich aber ebenfalls auf sehr hohem Niveau.
m Vergleich zum Jahr 2006 hat die Zustimmung zu Mindestlöhnen bei der Gesamtbevölkerung erheblich zugenommen (Februar 2006: 57 Prozent, Juni 2013: 86 Prozent), bei Anhängern von SPD, Grünen und Union gleichermaßen stark (jeweils rund 30 Prozentpunkte).
Damit hat sich eine Einschätzung in der Bevölkerung verfestigt, die nun kein neues Phänomen am aktuellen Rand ist, denn schon vor Jahren wurde auf der Basis von Umfragen eine Zustimmung zu Einführung eines Mindestlohns ermittelt. So beispielsweise im Jahr 2008 - da hatten wir noch eine große Koalition -, als Spiegel Online unter der Überschrift "Mehrheit der Deutschen will den Mindestlohn" berichtete: »Das Votum ist eindeutig: In einer Befragung für den "Stern" sprachen sich 71 Prozent der Bürger für die Einführung eines Mindestlohns aus, wie das Hamburger Magazin berichtet. Nur 25 Prozent seien dagegen. Bei den Unionswählern wünschten sich 59 Prozent eine gesetzliche Lohn-Untergrenze ... Geteilter Ansicht waren die Befürworter in der Umfrage, ob es einen generellen Mindestlohn für alle geben soll – dafür sprachen sich 49 Prozent aus - oder ob jede Berufsgruppe den Mindestlohn nach ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten festsetzt, was 50 Prozent der Befragten vorziehen.«
Getan hat sich seitdem hinsichtlich eines allgemeinen Mindestlohns nichts, zumindest aber wurden einige Branchen-Mindestlöhne eingeführt. Übrigens wurden diese Branchen-Mindestlöhne zwischenzeitlich evaluiert - auch hinsichtlich der immer wieder postulierten negativen Beschäftigungseffekte, die sich aber nicht nachweisen ließen. Wer sich für die Evaluationsergebnisse der Mindestlöhne in den Branchen Maler- und Lackiererhandwerk, Dachdeckerhandwerk, Abfallwirtschaft, Elektrohandwerk, Bauhauptgewerbe, Pflegebranche, Wäschereidienstleistungen, Gebäudereinigung interessiert, der kann die Abschlussberichtedazu auf der Webseite des Bundesarbeitsministeriums abrufen.
Bleiben noch die Bedenkenträger innerhalb weiter Teile der deutschen Volkswirtschaftslehre, die partout den Teufel an die Wand malen, wenn es um die Forderung nach Mindestlöhnen geht. Einer der Vorreiter hinsichtlich der Schreckensszenarien ist Hans-Werner Sinn - und das war er schon Jahren. So wird er beispielsweise in dem Artikel auf Spiegel Online aus dem Jahr 2008 folgendermaßen zitiert:
»Nach Ansicht des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn wird die allgemeine Einführung eines Mindestlohnes zu vielen zusätzlichen Arbeitslosen führen. "Wir schätzen, dass etwa 1,9 Millionen Arbeitsplätze verloren gingen, wenn tatsächlich für alle Branchen 9 Euro im Osten und 9,80 im Westen als Mindestlohn fixiert würden", sagte Sinn ... Sinn plädierte für eine Politik der Sicherung von Mindesteinkommen«.
Professor Sinn schafft es hervorragend, in einen Absatz eine scheinbar "wissenschaftlich" fundierte Prognose über die dramatischen Auswirkungen eines Mindestlohns auf die Beschäftigung mit einer handfesten politischen Gegenforderung zu verbinden, die es in sich hat und die nur auf den ersten Blick "harmlos" daherkommt: Er fordert eine "Sicherung von Mindesteinkommen". Es geht hier - in anderen Worten - um das System der Aufstockung niedriger Löhne durch Steuermittel, also das, was wir bereits haben mit Hartz IV, was er aber gerne noch ausbauen würde:
»Sinn sprach sich für eine negative Einkommenssteuer aus. "Damit würden Geringqualifizierte auf Dauer ein zweites - staatliches - Einkommen erhalten, das das selbst verdiente Einkommen ergänzt."« Das wäre dann der Traum für Arbeitgeber, die auf Dauer Niedrigstlöhne zahlen möchten auf Kosten der Steuerzahler.
Die ablehnende Position gegenüber einem Mindestlohn hat sich seit Jahren bei den vorherrschenden Epigonen der deutschen Volkswirtschaftslehre um keinen Zentimeter bewegt. So kann man auch in dem aktuellen Frühjahrsgutachten 2013 einer Gruppe von Wirtschaftsforschungsinstituten den folgenden Passus finden: »So wird gegenwärtig die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns vorgeschlagen. In der politischen Diskussion über diesen Vorschlag sollten die Zielkonflikte zwischen Allokationseffizienz und Verteilungszielen klar angesprochen werden. So dürfte die gegenwärtig geforderte Einführung eines Mindestlohns in der Höhe von 8,50 Euro erhebliche negative Beschäftigungseffekte haben« (Frühjahrsgutachten 2013: 53). Man muss allerdings klar herausstellen, dass diese Fraktion der deutschen Volkswirte mit ihrer rigiden Ablehnung von Mindestlöhnen per se im internationalen Vergleich sehr isoliert dastehen. Selbst in den angelsächsischen Ländern vertritt die Mehrheit der Ökonomen eine mindestlohnfreundliche Position.
Umfragen hin, Umfragen her - die mögliche Lösung der Mindestlohnfrage wird nun warten müssen bis nach der Bundestagswahl. Und dann wird man erst einmal abwarten müssen, ob nicht am Ende ein zersplittertes System regional differenzierter Branchen-Lohnuntergenzen herauskommt, wie es Teilen der Union offensichtlich vorschwebt. Aber auf alle Fälle - irgendwie Mindestlohn wollen doch mittlerweile fast alle, bis auf die "Top-Ökonomen" der deutschen VWL, aber die finden ja sonst auch nicht wirklich Gehör.