Der Bundestagswahlkampf rückt immer näher und alle möglichen Akteure positionieren sich in sozialpolitischen Fragen. Derzeit haben sich Ärztefunktionäre zum 116. Deutschen Ärztetag in Hannover versammelt - und da geht es natürlich um das liebe Geld. Hinsichtlich der Finanzierung des Gesundheitswesens war in der nun auslaufenden Legislatur nichts Neues zu vermelden. Nur die Oppositionsparteien hängen weiter an ihrer Umbauidee einer "Bürgerversicherung", über die nun wieder in vielen Medien berichtet wird - so beispielsweise in dem etwas einseitigen Artikel "Leider bürgerversichert?" in der Online-Ausgabe des Handelsblatts. Dabei geht es nicht nur um die Art und Weise der Finanzierung, sondern auch um die sukzessive Auflösung des im internationalen Vergleichs mittlerweile einmaligen Modells einer dualen Krankenversicherungsstruktur mit gesetzlichen Kassen und privaten Krankenversicherungsunternehmen.
Vor kurzem hat die Bertelsmann-Stiftung gemeinsam mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hierzu das Reformmodell einer "integrierten Krankenversicherung" der Öffentlichkeit vorgestellt: Auch hier wird die Systemfrage gestellt, denn das Modell sieht die Zusammenführung der gesetzlichen (GKV) und privaten (PKV) Krankenversicherung vor. "Die Aufspaltung der Krankenversicherung ist ineffizient und problematisch für Selbstständige und Geringverdiener. Deutschland ist das letzte Land der Erde, wo dieses Modell besteht", so wird Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, zitiert. Bertelsmann Stiftung und vzbv haben einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, um der Zweiteilung durch eine "integrierte Krankenversicherung" ein Ende zu bereiten. Dazu gehört die Angleichung der ärztlichen Vergütung, die für die Ärzte insgesamt aufkommensneutral erfolgen solle. Leistungen sollen künftig gleich vergütet werden – unabhängig von der Krankenversicherung, die der Versicherte hat. Eine Differenzierung von Krankenversicherungsbeiträgen nach Alter oder individuellem Gesundheitsrisiko soll künftig ausgeschlossen sein. Die Finanzierung der Krankenversicherung soll aus drei Säulen gespeist werden: den Beiträgen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern sowie aus Steuermitteln. Zu dem ganzen Modell gibt es eine ausführliche Studie:
Albrecht, M. et al.: Gerecht, nachhaltig, effizient. Studie zur Finanzierung einer integrierten Krankenversicherung, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 2013 >> PDF-Datei
Und dann auch noch die Opposition mit ihrer Forderung nach einer "Bürgerversicherung". Da muss man natürlich etwas entgegen halten und genau diese Rolle übernehmen einige Ärztefunktionäre derzeit in Hannover. Und raus kommt dann beispielsweise eine Schlagzeile bei "Spiegel Online", die gelinde gesagt eine Zumutung darstellt: "Mediziner wettern gegen die Bürgerversicherung". Im Untertitel heißt es dann: »Deutschlands Mediziner stützen Union und FDP. Beim Ärztetag warnen sie in drastischen Worten vor dem Ende der freien Medizin, sollten SPD und Grüne die Bürgerversicherung durchsetzen. Schwarz-gelb favorisiert stattdessen Zusatzbeiträge zu Lasten gesetzlich Versicherter.« Man möchte dann schon der Redaktion zurufen, dass es nun keineswegs "die Mediziner" sind, die das fordern und wen auch immer stützen, sondern eine Gruppe von überwiegend männlichen Standesvertretern. Man kann sicher sein, dass es sicher so einige Ärztinnen und Ärzte vor Ort gibt, die das ganz anders sehen. Zumindest erfahren wir jetzt, wohin die Reise gehen sollte, wenn die bisherige Regierungskoalition weiter machen darf: »Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) kündigte an, stattdessen für einen Ausbau der Zusatzbeiträge einzutreten. Die CDU unterstützte die Forderung. Absehbare Kostensteigerungen im Gesundheitswesen gingen dann vor allem zu Lasten der Versicherten und Steuerzahler.«
Allerdings gibt es auch Dissens zwischen den Regierungsparteien und der Bundesärztekammer hinsichtlich der zukünftigen Finanzierung des Gesundheitswesens. Während der Bundesgesundheitsminister die bestehende Kassenfinanzierung im Grunde verteidigt (mit der erwähnten Verschiebung der Kostensteigerungen alleine auf die Schultern der Versicherten und Patienten), plädiert die Bundesärztekammer für eine Systemwechsel hin zu einer "Kopfpauschale" und hat hierfür eine "Reformskizze" veröffentlicht, über die noch mit Gesundheitsökonomen gesprochen werden müsse.
Ulrike Henning hat ihren Beitrag dazu überschrieben mit "Kopfpauschale light".
»Laut BÄK-Konzept sollen die gesetzlichen Krankenkassen wieder unterschiedliche Tarife festlegen können - allerdings als einheitlichen »Gesundheitsbeitrag« unabhängig vom Einkommen der Versicherten. Die Höhe des monatlichen Beitrags würde im Schnitt über alle Krankenkassen hinweg bei 135 Euro bis 170 Euro liegen. Nach unten abgefedert werden soll diese Variante der Kopfpauschale mit einer Belastungsgrenze von neun Prozent des »gesamten Haushaltseinkommens«. Wer darüber hinaus zahlen müsse, soll einen Sozialausgleich aus dem Gesundheitsfonds erhalten. Dieser würde aus Steuereinnahmen, Mitteln der Rentenversicherung und einem stabilen Arbeitgeberanteil gefüttert ... Über ein steuerfinanziertes Gesundheits-Sparkonto für Kinder soll bis zum 18. Lebensjahr eine Reserve aufgebaut werden, mit der die BÄK offensichtlich auch für die gesetzlichen Krankenkassen Altersrückstellungen einführen will, die es bislang nur in der PKV gibt. Laut Montgomery würde es so zu einer Annäherung des bislang gespaltenen Versicherungssystems in der Bundesrepublik kommen. Allerdings könnten die 18-Jährigen dieses Geld dann auch mit in eine Privatversicherung nehmen.«
Es ist schon mehr als durchsichtig, in welchem Kontext diese Diskussionen stehen. Deshalb soll an dieser Stelle in einen anderen Bereich des Gesundheitswesens geschaut werden, in dem sich die Probleme zunehmend entfalten: den Krankenhäusern. Hierzu gibt es unter der Überschrift "Die Krise im deutschen Gesundheitswesen heißt Fallpauschale" ein lesenswertes Interview mit der Medizinsoziologin Nadja Rakowitz über die fatalen Folgen der Ökonomisierung der Krankenhäuser für Patienten und Personal. Nadja Rakowitz, Geschäftsführerin beim Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ). »Der VDÄÄ sieht das Fallpauschalen-System seit Jahren im Zusammenhang mit dem stetigen Personalabbau und der Arbeitsverdichtung, die die eigentliche Krise für das deutsche Gesundheitswesen bedeuten.«