Montag, 16. Oktober 2017

Auf dem Boden ist die Freiheit eben nicht grenzenlos. Vor allem nicht für die Arbeitnehmer im Insolvenzfall. Die Air Berliner und ein zweifelhafter Ruf aus Österreich


Der Absturz von Air Berlin hat die Medien bewegt. Und die Geschichte dahinter, von der Lufthansa, die bereits als Geier an der Landebahn wartet, um den gerupften Konkurrenten weiter zu verwerten. Was offensichtlich auch passiert: Lufthansa übernimmt große Teile der Air Berlin, so lauteten vor wenigen Tagen die Schlagzeilen. »Die Lufthansa übernimmt den größten Teil der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin. An den Branchenprimus im deutschen Luftverkehr gehen 81 von 134 Flugzeugen. Zudem können 3.000 der rund 8.000 Air-Berlin-Beschäftigten zu dem Konzern wechseln, wie Lufthansa-Chef Carsten Spohr ankündigte.«

Und die anderen sollen sich mal keine Sorgen machen, kann man aus solchen Botschaften lesen: Gute Jobchancen für Air Berliner, teilt uns das "Handelsblatt" mit. Die bislang größte Insolvenz einer Airline in Europa könnte mit überraschend wenig Jobverlusten enden, können wir dem Artikel entnehmen. Denn überall werden doch Arbeitskräfte gesucht. Und den "Air Berlinern" wird gleich eine warnende Botschaft mit auf den Weg gegeben - sie sollten nicht zu lange warten und auf andere Lösungen hoffen. Denn das tun offensichtlich einige:

„Einige von uns hoffen immer noch, dass die Gewerkschaften einen geregelten Betriebsübergang zu den neuen Eignern durchsetzen können“, beschreibt eine Stewardess die Stimmung. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und auch die Pilotenvereinigung Cockpit sind der Auffassung, dass es sich bei dem Teilverkauf etwa an die „Hansa“ um einen Betriebsübergang nach Paragraph 613a handelt. Dabei würden die bisherigen Tarifverträge mindestens ein Jahr gelten und es gebe die Verpflichtung, alle betroffenen Mitarbeiter zu übernehmen. Lufthansa etwa hat aber bereits deutlich gemacht, dass sie keinen Betriebsübergang sehen. Denn dann könnten sich womöglich alle 8000 Air Berliner bei der „Hansa“ einklagen ... Auch das Warten auf einen möglichen Sozialplan und Auffanglösungen wie eine Transfergesellschaft – beides wird gerade verhandelt – könnte riskant sein. Denn es ist unklar, wie schnell diese Gespräche zu einem Ergebnis kommen, zumal eine Transfergesellschaft ohne die Unterstützung Dritter, etwa Landesregierungen, wohl nicht funktionieren würde.«

Und dann findet man in dem Artikel noch diesen an sich unscheinbaren, mit einem leichten Vorwurf garnierten Satz: "Aus dem Umfeld des Unternehmens" sei zu hören, »dass wohl immer noch überraschend viele Mitarbeiter, vor allem fliegendes Personal, (zögern), sich an anderer Stelle, etwa bei Eurowings, zu bewerben.«

Das klingt irgendwie, als ob die Air Berliner eine Alternative hätten, die sie aus irgendwie fragwürdigen Motiven nicht oder eben nur zögerlich in Anspruch nehmen.

Aber ist dem wirklich so? Die andere Seite der Geschichte wird von solchen Schlagzeilen beschrieben: Air-Berlin-Mitarbeiter beklagen Psycho-Krieg. Es handelt sich um ein Interview mit einem Insider aus dem Unternehmen. Seine Perspektive sieht so aus:

»Das Management von Air Berlin führt seit acht Wochen eine Art Psychokrieg gegen seine Mitarbeiter. Erst hieß es, dass Lufthansa 80  Prozent der Belegschaft übernehmen würde. Jetzt stellt sich heraus, dass Eurowings zwar die Flugzeuge und die Slots übernimmt, die Mitarbeiter vorher aber alle entlassen werden sollen. Das Personal bekommen die auf diese Tour doch viel billiger. Wir werden momentan ja geradezu bedrängt, uns bei Eurowings zu bewerben. Freitag gab es im Unternehmenssitz eigens dafür eine Jobbörse, ausgerichtet von Eurowings Europe. Das ist nämlich der Haken an der Sache: Eurowings Deutschland hat einen Unternehmens-Ableger in Österreich gegründet. Für die Mutter, die Lufthansa AG, ist das äußerst lukrativ, denn so entgeht sie den Tarifverpflichtungen, die in Deutschland bestehen.«

Da war doch was, wird der eine oder andere treue Leser dieses Blogs grübeln. Genau, in dem Beitrag Über den Wolken ist die Freiheit eben nicht grenzenlos. Von tatsächlicher und postulierter Arbeitsunfähigkeit bis zur "Ryanairisierung" einer Branche vom 7. Oktober 2016, in dem es um die damalige "Krankheitswelle" bei Mitarbeitern von TUIfly ging, findet man diesen Passus, in dem Nicoley Baublies von der Gewerkschaft UFO (Unabhängige Flugbereiter Organisation) zitiert wurde: »Man muss sich nur anschauen, was bisher schon passiert ist. Die Eurowings hat es vorgemacht: Es gibt eine Eurowings in Deutschland mit Tarifbedingungen. Jetzt wird aber eine Eurowings Europe gegründet mit einem sehr ähnlichen Konstrukt - ohne Tarifbindung.« Eben die besagte Eurowings Europe mit Sitz in Wien.

Wieder zurück zu dem Interview mit dem Air Berlin-Insider. Was würde es denn bedeuten, wenn sich die Air Berliner auf die scheinbaren Sirenenklänge der Eurowings einlassen?

»Dass die Mitarbeiter zwischen 40 und 80 Prozent Lohneinbußen in Kauf nehmen müssen. Für einen normalen Flugbegleiter, der fünf Jahre lang bei Air Berlin angestellt war, bedeutet das grob gerechnet, dass er am Jahresende statt 38.000 Euro nur noch 28.000 Euro verdient hat.«

Und dass das Unternehmen Air Berlin die eigenen Leute da rein drängt, ist durchaus "verständlich":

»Die Mitarbeiter sollen sich ... nach dem Ausspruch der widerruflichen Kündigung bei Eurowings Europe bewerben. Mit dem Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages verzichten sie dann aber auf sämtliche Rechte gegenüber Air Berlin. Sie haben dann keine Möglichkeit mehr, Klage auf Kündigungsschutz einzureichen. Durch diesen Psychokrieg versucht man, sich Tausende Klagen und Prozesse vor den Arbeitsgerichten zu ersparen.«

Und dann kommt noch eine Spitze gegen die Gewerkschaft ver.di:

»Verdi forderte bislang offiziell für die knapp 3500 Kabinenbeschäftigen einen geregelten Betriebsübergang nach § 613a BGB zum Erwerber, was bedeuten würde, dass neben den Betriebsmitteln auch das Personal übernommen werden muss. Mir liegt aber ein internes Schreiben vor, das die Mitglieder darauf vorbereitet, dass Klagen ggf. erfolglos sein könnten und in der Folge dazu geraten wird, sich doch lieber, wenn auch bedauerlicherweise zu schlechten Konditionen, bei Eurowings Europe zu bewerben ... wie das Leben so spielt – die Verdi-Bundesvorsitzende Christine Behle ist nebenbei auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa-Gruppe. Da muss sie ihre Kräfte einteilen.«

Man könnte an dieser Stelle natürlich auch vortragen, dass es vielleicht schlichtweg so ist, dass die Gewerkschaft weiß, dass die Arbeitnehmer aus diesem ganz schlechten Spiel nicht anders herauskommen werden. Sie werden auf dem anderen Weg nicht voran kommen. Sie stehen eben am unteren Ende der Nahrungskette.

Dazu passen dann wohl eher solche Meldungen: Staatliche Arbeitsagentur bezieht Büro in Air-Berlin-Zentrale. Abwicklung nennt man das dann wohl.

Foto: © Stefan Sell