Freitag, 13. April 2018

Die einen fallen sehr weich, die vielen anderen hart. Die Belegschaft von Kaufhof soll das Unternehmen vor der Insolvenz retten


»Kauf- und Warenhäuser sind Einzelhandelsgeschäfte, die ein breites Warensortiment auf großer Fläche (in der Regel ab 3.000 Quadratmeter Verkaufsfläche) für Endverbraucher vorhalten. Als letzte große Unternehmen sind in Deutschland nach einer langen Konsolidierungsphase Karstadt und Galeria Kaufhof verblieben.« So beginnen die Hinweise zum Thema Kauf- und Warenhäuser in Deutschland auf der Statista-Seite. Und weiter erfahren wir: »Historisch entwickelten sich Kauf- und Warenhäuser im Tandem mit der Industrialisierung. Die innerstädtischen Konsumtempel verdrängten kleinere Facheinzelhändler durch ihre stärkere Einkaufsmacht und wurden zu einem Symbol der entstehenden Konsumgesellschaft. Diese Stellung haben sie in den letzten Jahrzehnten eingebüßt.« Das schlägt sich auch in den nackten Zahlen nieder: »Der Branche laufen die Kunden davon. Galeria Kaufhof hat nach Schätzungen ... zwischen 2013 und 2016 etwa zwei Millionen Kunden verloren, Karstadt knapp eine Million Kunden.« Man könnte auf die Idee kommen, dass wir hier mit einem Auslaufmodell konfrontiert sind und der Untergang gleichsam unaufhaltsam erscheint.

Wenn der Untergang eines Angebots unaufhaltsam ist, dann wird man das Sterben nur verzögern, nicht aber aufhalten können. Zugleich aber wird man immer wieder auch mit dem Phänomen konfrontiert, dass Unternehmen durch Entscheidungen des Managements ans Totenbett geführt werden - und die Familie wird dann auch noch während des Siechtums ordentlich zur Kasse gebeten, um im Bild zu bleiben. Die aktuellen Ereignisse rund um die Kaufhauskette Galeria Kaufhof verdeutlichen wie unter einem Brennglas, wer am Ende einer ganzen Reihe an schweren Managementfehlern eine solche Zeche zahlen muss: die Beschäftigten.

Anfang April veröffentlichte Frank-Thomas Wenzel diesen Artikel: Kaufhof und sein Niedergang: »Interne Papiere zeigen, wie die kanadischen Eigentümer der Warenhauskette das Unternehmen in die wirtschaftliche Misere gesteuert haben.«

»Es ist ein düsteres Bild, das in internen Papieren der Warenhauskette Kaufhof gezeichnet wird. Von einer „ausgeprägten Ertragskrise“ des Unternehmens spricht das Management und davon, dass Deutschlands größter Warenhauskonzern „kurz- bis mittelfristig in einer substanziellen wirtschaftlichen Notlage verbleiben“ werde, wenn man nicht gegensteuere.«

Nun sind interne Papiere eigentlich nicht für die externe Verbreitung vorgesehen. Warum sind die dennoch ans Licht der Öffentlichkeit gekommen? »Unter Eingeweihten kursiert die Vermutung, dass René Benko, Eigner des Rivalen Karstadt, dahintersteckt.  Sein Ziel könnte sein, endlich den Konkurrenten zu schlucken, um die Deutsche Warenhaus AG zu schmieden«, so die Vermutung von Wenzel.

»Schon 2015 wollte Benko dem deutschen Metro-Konzern Galeria Kaufhof mit 115 Häusern in Deutschland und Belgien abkaufen. Doch die kanadische Hudson’s Bay Company (HBC) bekam für knapp drei Milliarden Euro den Zuschlag.«

Damals wurden große Versprechen gemacht, u.a. sollten angeblich eine Milliarde Euro in die Filialen investiert werden. Und für die Beschäftigten sehr bedeutsam: »Den Arbeitnehmervertretern wurde Tariftreue für mindestens fünf Jahre, also bis 2020, versprochen.«

Und nun diese Nachrichten: Die Warenhauskette soll 2017 in der betrieblichen Tätigkeit einen Verlust von rund 100 Millionen Euro gemacht haben. In dem internen Papier wird eindringlich gewarnt: „Ohne Gegenmaßnahmen droht die Zahlungsunfähigkeit.“

Wie konnte es soweit kommen? Man muss diese Frage aufwerfen, wenn man in die Zeit vor der Veräußerung von Kaufhof an die HBC zurückgeht:

»Unter den Fittichen des Handelsgiganten Metro haben die Warenhäuser über Jahre relativ stabile Umsätze von rund 2,8 Milliarden Euro eingefahren. Das Unternehmen konnte seine Investitionen aus eigenen Mitteln bestreiten. Zudem lieferte Galeria Kaufhof stetig einen – wenn auch bescheidenen – Gewinn an die Mutter Metro ab.«

Aber: »Mit der Übernahme durch den kanadischen Konzern wurde vieles anders. HBC verhalte sich wie ein Finanzinvestor, der sich den Kauf des Unternehmens vom Unternehmen selbst finanzieren lässt, heißt es. Das soll das operative Geschäft geschwächt und viele Filialen in die roten Zahlen gedrückt haben.«
Das hört sich nach einem dieser pauschal daherkommenden Vorwürfe gegen eine der "Heuschrecken" an, mit denen man immer wieder konfrontiert wird. Aber Wenzel liefert genauere Informationen:

»Das Geld für den Kauf wurde von mehreren Banken bereitgestellt. Die Geldhäuser verlangten Sicherheiten. Dazu dienen die Warenhausimmobilien, die einem Konsortium gehören, in dem HBC die Mehrheit hat. Um den Wert der Häuser in den Büchern hochzuschrauben, wurden die Mieten, die an die Immobiliengesellschaft überwiesen werden, insbesondere von Standorten in erstklassigen Großstadtlagen, deutlich nach oben geschraubt. Viele Filialen konnten dann aber den Umsatz nicht entsprechend erhöhen. So rutschten sie in die roten Zahlen. Die Banken sind längst alarmiert.«

Aber die Beschäftigten haben ja die angesprochene Zusage, dass man sich bis 2020 an die tariflichen Regelungen halten werden. Wenigstens. Oder doch nicht?

»Das Kaufhof-Management versuchte schon im Herbst, das Ruder herumzureißen. Der Tariftreueschwur galt plötzlich nicht mehr. Mit einem Sanierungstarifvertrag sollten die Personalkosten der rund 21.000 Beschäftigten massiv gedrückt werden. Bis 2020 will man die Belegschaft der Kölner Zentrale um 400 auf 1200 Frauen und Männer reduzieren. Kürzlich wurde zudem die Stundung des Urlaubsgeldes und der anstehenden Erhöhung der Tarifgehälter ins Spiel gebracht.«

Aber, so Wenzel Anfang April: »Die Gewerkschaft Verdi hat dies entschieden abgelehnt.« Nun soll man bekanntlich nie nie sagen, wenn man das nicht durchhalten kann.

So auch im konkreten Fall: Stefan Sauer in seinem Artikel Die Belegschaft haftet, dass die Mitarbeiter das Unternehmen, das durch Managementfehler an die Wand gefahren wurde, vor der Insolvenz retten sollen - mit einem Sanierungstarifvertrag.

»Eigenverantwortung gilt in der freien Marktwirtschaft als hohes Gut. Im real existierenden Kapitalismus wird das hehre Prinzip allerdings regelmäßig außer Kraft gesetzt. Wenn Manager den Unternehmenskarren in den Dreck gefahren haben, werden sie zwar meist vor die Tür gesetzt, dies aber mit millionenschweren Abfindungen. Zurück bleiben die Belegschaften, die besagten Karren wieder flott bekommen sollen, etwa indem sie auf Lohn verzichten und längere Arbeitszeiten hinnehmen. In eben dieser Lage befinden sich die 20 000 Beschäftigten der einst blühenden Warenhauskette Kaufhof.«

Der Widerstand gegen dieses Ansinnen ließ nicht lange auf sich warten: So ließ Kaufhofs Gesamtbetriebsratschef Uwe Hoepfel unlängst wissen, man sei nicht bereit, „die Beschäftigten für Managementfehler und dubiose Finanzierungsmethoden zur Kasse zu bitten“. Und auch die Gewerkschaft Verdi zeigt sich empört.

Dennoch wurde die Tarifkommission der Gewerkschaft einberufen zur Frage, ob Verhandlungen über einen „Sanierungstarifvertrag“ mit der Geschäftsführung aufgenommen werden sollen. Man ahnt schon, was die Sitzung ergeben hat: Ver.di will mit Kaufhof über Sanierung verhandeln. Erneut wurde an die Ursachen der Schieflage des Unternehmens auf der Managementseite erinnert. Und dann: »Ver.di sei aber auch zu einem Sanierungsbeitrag der Arbeitnehmer bereit - dieser dürfe den Flächentarifvertrag in der Branche aber nicht beeinträchtigen.«
Da wird einiges auf die Beschäftigten zukommen. Und möglicherweise wird man sich im Rahmen eines Sanierungstarifvertrags zu erheblichen Lohnzugeständnissen bereit erklären - nur um am Ende mit leeren Händen dazustehen. Diese Gefahr eines lediglich verzögerten Ablebens, das man selbst mitfinanzieren muss, ist real.

Aber bei aller Kritik bzw. Frustration an dem möglichen Ausgang eines Sanierungstarifvertrags für Kaufhof - es kann auch mal klappen. Pikanterweise wäre gerade Karstadt ein Beispiel für diese Interpretationsvariante. Karstadt schreibt wieder Gewinn, so ist eine der Meldungen aus dem März 2018 überschrieben:

»Die Kaufhauskette Karstadt hat im letzten Geschäftsjahr einen kleinen Jahresüberschuss von 1,4 Millionen Euro erwirtschaftet. Das ist das erste Mal seit 12 Jahren. Karstadt war 2010 insolvent gegangen, zwei Investoren versuchten sich seitdem an der Sanierung ... Bis Jahresende will Karstadt jetzt seine Filialen mehr als verdoppeln: von 30 auf 79. Man habe bereits neue Standorte im Blick ... Die Signa-Holding des österreichischen Investors René Benko hatte den angeschlagenen Karstadt-Konzern 2014 von Investor Nicolas Berggruen gekauft.«

In diesem Kontext verweist Stefan Sauer in seinem Artikel darauf: »HBC hätte Kaufhof wieder abstoßen können. Der Immobilieninvestor René Benko, der 2014 die marode Karstadt-Kette übernommen hatte, stünde als Käufer bereit. Dem Österreicher ist es – nicht zuletzt durch einen mit Verdi ausgehandelten Sanierungstarifvertrag – immerhin gelungen, Karstadt nach einer Dekade tiefroter Zahlen wieder in die Gewinnzone zu führen. Anfang November hatte Benko dann knapp drei Milliarden Euro für Kaufhof geboten. Doch HBC lehnte Benkos Angebot ab.«

Wie jede Medaille zwei Seiten hat, so ist das auch beim Instrument des Sanierungstarifvertrags - aber bei allen Einschnitten für die betroffenen Arbeitnehmern bzw. Kostenersparnissen für das Unternehmen: das macht nur Sinn, wenn das Management eine umsetzbare Idee hat, wie man dem Tod von der Schippe springen kann. Bei Kaufhof und HBC würde ich derzeit nicht darauf wetten.