Freitag, 25. September 2015

Ruf mich (lieber nicht) an. Vom Recht auf Durchwahl in Zeiten der Jobcenter

Die Jobcenter - diese letzten Außenposten unseres Sozialstaates - sind schon eigenartige Gebilde. Auf der einen Seite sind sie die sichtbaren Zitadellen des Hartz IV-Systems und stehen immer wieder vor Ort und auch ganz grundsätzlich in der Kritik, nicht nur seitens der Betroffenen, sondern auch aus Wissenschaft und Politik. Auf der anderen Seite müssen sie eine Menge ausbaden, so eine hyperkomplexe Gesetzgebung mit einer Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen, die in der Realität dann mit mehr oder eben weniger Leben zu füllen sind. Oder eine kapitale Unterfinanzierung vor allem der einen Seite des "Fordern und Fördern". Zugleich sind sie Objekt einer "BWL-besoffenen" Ausrichtung von Verwaltung, symbolhaft am deutlichsten erkennbar an der Etikettierung der Menschen, die Leistungen aus dem Grundsicherung bedürfen, als "Kunden". Bei diesem Begriff denkt der Normalbürger nicht selten an Zuschreibungen wie der "Kunde ist König". Und das im Jobcenter, wird jetzt der eine oder andere denken. Genau. Allein schon diese eben durchaus naheliegende Assoziation verdeutlicht die leider nicht nur semantische Verirrung, die wir in diesem Bereich beklagen müssen.

Man muss sich klar machen, dass es bei vielen Kontakten zum Jobcenter nicht um ein Coaching-Seminar nach dem Motto, was würden sie denn gerne machen wollen, geht. Sondern um existenzielle Geldleistungen. Um das Dach über dem Kopf, das man möglicherweise zu verlieren droht. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass diese Konfiguration zu einem Dilemma werden muss, wenn man beide Seite berücksichtigt. Also vereinfachend gesagt: Aus der Perspektive der betroffenen Menschen kann und ist es nicht selten existenziell, die eigenen Probleme besprechen zu können, was voraussetzt, dass man Zugang hat zu jemanden, mit dem man kommunizieren kann. Also den Sachbearbeiter oder den Fallmanager, der für einen "zuständig" ist. Auf der anderen Seite des Schreibtisches ist es aber zugleich eben auch so, dass genau das angesichts der enormen Heterogenität der Fälle den Laden blockieren kann, dass man nicht mehr zu seiner anderen Arbeit kommen kann, dass es nicht möglich ist, in einer notwendigen Ruhe Fälle oder Menschen zu bearbeiten.

Genau um dieses Dilemma geht es letztendlich, wenn man eine solche Nachricht serviert bekommt: Vom Recht auf Durchwahl, so hat Thomas Öchsner seinen Artikel überschrieben. Und weiter erfahren wir: »Müssen Jobcenter interne Nummern nennen? Ein Rechtsanwalt hat bereits 70 Klagen eingereicht. Jetzt kann er seinen ersten Erfolg vorweisen.«

Bevor wir uns vertiefen in den aktuellen Fall, den Öchsner hier aufgreift, muss eingefügt werden, dass der eine oder andere "alte Hase" stutzen und die Frage aufwerfen wird, war da nicht schon mal was genau in diese Richtung - und sogar vom gleichen Verfasser? Eine Kompetenz übrigens, die in unserer schnelllebigen Zeit immer mehr ausdünnt. Ja, da war was.

Am 22. Januar 2013 hat Thomas Öchsner einen Artikel veröffentlicht unter der Überschrift Auskunft unter dieser Nummer. Und damals konnten wir lesen: »Beim persönlichen Sachbearbeiter durchklingeln, um drängende Fragen zeitnah zu klären? Bislang war das Arbeitssuchenden nicht möglich - die Jobcenter hielten die Durchwahlen ihrer Mitarbeiter mit Verweis auf den Datenschutz unter Verschluss. Ein Gerichtsurteil könnte die Telefon-Praxis nun kundenfreundlicher machen.« Ausgangspunkt für seine Überlegungen war: Das Leipziger Verwaltungsgericht hatte entschieden, dass das Jobcenter Leipzig die Durchwahlnummern seiner Sachbearbeiter herausgeben muss. Die grundsätzliche Frage, um die es damals ging: Dürfen Ämter die persönlichen Dienstnummern ihrer Mitarbeiter geheim halten oder widerspricht dies dem Informationsfreiheitsgesetz?

»Im Fall des Jobcenters meinten die Leipziger Richter, die Durchwahlnummern der Bearbeiter würden nicht unter den persönlichen Datenschutz fallen. Auch habe der Informationsanspruch der Bürger Vorrang vor der inneren Organisation des Jobcenters.«

Erreicht hat diese Aussage ein Mann, dessen Name gleich wieder auftauchen wird: Der Leipziger Rechtsanwalt Dirk Feiertag.  Eine schnelle Hilfe für Arbeitslose werde "durch die Abfertigung der Betroffenen in einem Callcenter systematisch verhindert", so wurde er damals zitiert. Auch Anfang des Jahres 2013 gab es natürlich eine Gegenposition, die der Bundesagentur für Arbeit (BA), die hier nicht unterschlagen werden soll:

»Die Behörde weist darauf hin, dass die insgesamt 76 Callcenter für Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger jährlich gut 30 Millionen Anrufe erhielten. Mehr als 80 Prozent der Anfragen ließen sich sofort klären. Jeder Jobsuchende könne über die Hotline einen persönlichen Gesprächstermin mit seinem Vermittler buchen, der nur so Zeit und Ruhe hätte, mit dem Arbeitslosen zu reden.«

Vor diesem erneut grundsätzlichen Hintergrund ist klar, dass das Jobcenter Leipzig diese Entscheidung nicht hat akzeptieren wollen und wir werden aus dem Artikel entlassen mit dem Hinweis, dass man deshalb Revision eingelegt habe.

Und im September 2015 taucht eben dieser Rechtsanwalt Dirk Feiertag erneut auf in einem Artikel - der wie der 2013 von Thomas Öchsner geschrieben wurde: Vom Recht auf Durchwahl. Er hält die Hotline- und Callcenter-Arechitektur der meisten Jobcenter, die sich diesem System unterworfen haben,  für "alles andere als bürgerfreundlich". Wenn die telefonische Kommunikation besser wäre, ließen sich viele Konflikte in den Jobcentern schnell ausräumen, so Feiertag. Und offensichtlich ist er ein Mann der juristischen Tat, denn er hat »bundesweit mittlerweile etwa 70 Klagen gegen Jobcenter eingereicht, um die Herausgabe von Durchwahlen gerichtlich zu erzwingen. Stets beruft er sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz. Jetzt kann er seinen ersten rechtskräftigen Erfolg vorweisen.« Und es geht nicht um den 2013 beschriebenen Fall aus Leipzig, sondern:

»Das Verwaltungsgericht Regensburg verpflichtete das Jobcenter im Landkreis Regen, die Diensttelefonnummern der Mitarbeiter herauszurücken und fand dabei klare Worte: So hielten die Richter die Behauptung des Jobcenters, es gebe eine solche Liste nicht, für "verwunderlich und nicht nachvollziehbar". Weder sei durch eine Herausgabe die öffentliche Sicherheit gefährdet, noch sei ein erhöhter Arbeitsaufwand oder ein etwaiges Interesse schutzwürdig, "von direkten Kontaktaufnahmen von Kunden verschont zu bleiben". Dieses Urteil hat die Behörde nun akzeptiert. Gegen die Nichtzulassung der Berufung geht das Jobcenter nicht mehr vor.«

Andere Verwaltungsgerichte gaben Feiertags Klägern ebenfalls recht. Aber offensichtlich geht es hier zu wie im Fußball: Ein Spiel gewonnen, dann verloren, denn:

»In der zweiten Instanz hatte der Rechtsanwalt jedoch bislang weitgehend das Nachsehen, so zum Beispiel beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen. Dessen 8. Senat wies darauf hin, dass die Weitergabe von Informationen nicht die Funktionsfähigkeit einer Massenverwaltung gefährden dürfe. Genau dies sei der Fall, wenn viele Leistungsempfänger anrufen würden, "zu denen mitunter auch Personen mit querulatorischer Neigung zählen". Wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung sei aber "eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht geboten".«

Gegen die Entscheidung des OVG NRW hat der Anwalt Feiertag bereits Revision eingelegt und damit wandert das nun weiter nach oben. »Vielleicht entscheidet das Bundesverwaltungsgericht schon 2016, ob es ein Recht auf Durchwahl gibt«, so schließt der Artikel.