Mittwoch, 1. März 2017

Dauer-Leih-Schwestern vom DRK: Auch in Zukunft im Angebot? Da muss die Ministerin selbst Hand anlegen, um das hinzubiegen

Täglich werden zehntausende Kranke von Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gepflegt. »In bundesweit 33 Schwesternschaften beim DRK ... sind derzeit etwa 25.000 Schwestern organisiert. Einige Tausend arbeiten in DRK-Einrichtungen, 18.000 werden nach Angaben ihres Verbandes über spezielle Vereinbarungen dauerhaft in anderen Kliniken und Krankenhäusern in ihren Pflegeberufen eingesetzt. Die Schwesternschaften überlassen quasi öffentlichen oder privaten Kliniken ihre Vereinsmitglieder. Sie bekommen dafür ein Entgelt, das die Personal- und Verwaltungskosten umfasst«, so die Darstellung in dem Artikel Sind DRK-Schwestern Leiharbeiter? Das hört sich an wie Arbeitnehmerüberlassung, also Leiharbeit. Das wurde aber bislang nicht so gesehen. Bisher haben sie einen Sonderstatus - sie gelten nach der Rechtsprechung auch des Bundesarbeitsgerichts als Mitglieder eines gemeinnützigen Vereins und damit wurde ihr jahrelanger Einsatz in anderen Kliniken nicht als Leiharbeit gewertet.

Wenn man sie hingegen als Leiharbeiterinnen einstufen würde, dann würden sie unter das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) fallen und mithin auch unter die Höchstüberlassungdauer von 18 Monate nach dem AÜG in seiner am 1. April 2017 in Kraft tretenden Fassung.

Man muss sich klar machen, mit was für einer Beschäftigungskonstruktion wir es hier zu tun haben: Die DRK-Schwestern sind (bis vor kurzem) nach der Definition des Bundesarbeitsgerichts keine Beschäftigte nach dem Betriebsverfassungsgesetz und verfügen über keine Arbeitsverträge und -rechte. Sie besitzen keinen Kündigungsschutz und dürfen auch keinen Betriebsrat wählen. Sie leisten Arbeit aufgrund ihrer DRK-Mitgliedschaft, ihr Gehalt auf Tarifniveau wird ihnen offiziell als „Aufwandsentschädigung für karitativen Einsatz“ von der Schwesternschaft gezahlt. Bei Konflikten zählt ausschließlich die Vereinssatzung.

Aber das ganz Konstrukt wurde in Frage gestellt und der Streit darüber vor die Gerichte getragen. Nicht von einer Schwester selbst, sondern von dem Betriebsrat der Ruhrlandklinik in Essen. Der »verweigerte seine Zustimmung, eine DRK-Schwester auf unbestimmte Zeit im Pflegedienst zu beschäftigen. Er sah darin einen Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Klinik zog wegen der verweigerten Betriebsratszustimmung vor Gericht - und gewann in den ersten beiden Instanzen.«

2015 landete der Fall dann vor dem Bundesarbeitsgericht und das hat sich der Rechtsauffassung der Vorgängerinstanzen angeschlossen und die Nicht-Anwendbarkeit des AÜG bestätigt. Allerdings war man sich wohl nicht sicher in Erfurt, denn: Das BAG hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen: »Es wollte wissen, ob die deutsche Regelung zu den Rotkreuzschwestern mit der europäischen Leiharbeitsrichtlinie vereinbar ist. Der EuGH erkannt im November 2016 (Urteil vom 17. November 2016 - C-216/15) den Sonderstatus der DRK-Schwestern nicht an, übertrug die Entscheidung aber den deutschen Richtern.«

Lange Vorrede, kurze Überleitung in die Gegenwart: Am 21. Februar 2017 hat das Bundesarbeitsgericht seine Entscheidung verkündet: Unter der erst einmal nichtssagenden Überschrift Arbeitnehmerüberlassung - DRK-Schwester erfahren wir: Nun ist Schluss mit dem Sonderstatus.

»Wird eine DRK-Schwester, die als Mitglied einer DRK-Schwesternschaft angehört, von dieser in einem vom Dritten betriebenen Krankenhaus eingesetzt um dort nach dessen Weisung gegen Entgelt tätig zu sein, handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Der Betriebsrat des Krankenhauses kann dieser Einstellung die erforderliche Zustimmung verweigern, wenn der Einsatz gegen das Verbot der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verstößt.«

Das Schlüsselsatz in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

»Der Betriebsrat hat die Zustimmung zu Recht verweigert. Bei der Gestellung der DRK-Schwester handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung.«

Und nun? Die "Rettung" naht in Gestalt der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, die sich doch gerade erst hat feiern lassen, dass sie die Leiharbeit aber jetzt so richtig begrenzt hat - und dabei immer wieder auf die ab April geltende Überlassungshöchstdauer hinweist. Dem eingangs zitierten Artikel Sind DRK-Schwestern Leiharbeiter? kann man das hier entnehmen:

»Weil die Gerichtsentscheidung von Brisanz für das Gesundheitswesen ist, wurde vorgebaut: Ende vergangener Woche verständigten sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und DRK-Präsident Rudolf Seiters auf einen Weg zum Erhalt des Schwesternschaftmodells. Nach Angaben beider Seiten soll das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zwar auf die DRK-Schwestern Anwendung finden. Ein Passus jedoch nicht: Die Befristung von Einsätzen auf 18 Monate.«

Über diesen Ansatz berichtet Kai von Appen in seinem Artikel Die Dauer-Leih-Schwestern: »Für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) macht Andrea Nahles eine Ausnahme: Für Krankenschwestern, die das Rote Kreuz ähnlich wie eine Leiharbeitsfirma an Krankenhäuser entsendet, will sie einen Teil des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes außer Kraft setzen.«

Man fragt sich an dieser Stelle dann schon, wie das praktisch umgesetzt werden kann. Dazu Kai von Appen:

»Das Arbeitnehmer­überlassungsgesetz finde zwar Anwendung, aber ohne die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Entsprechend soll das DRK-Gesetz geändert werden. „Dank der zugesagten Ausnahmeregelung wäre auch zukünftig die unbefristete Gestellung von Rotkreuzschwestern möglich“, sagt die Präsidentin des Schwesternschaft-Verbands, Gabriele Müller-Stutzer.«

Dazu auch die entsprechende Pressemitteilung des Verbandes der Schwesternschaften vom DRK, die am Tag der Urteilsverkündung des BAG unter dieser Überschrift veröffentlicht wurde: BAG revidiert jahrzehntelange Rechtsprechung. Zugesagte Ergänzung im DRK-Gesetz würde aber auch weiterhin unbefristete Gestellung von Rotkreuzschwestern ermöglichen.

Schaut man allerdings in das DRK-Gesetz, ein überaus schmales und aus nur fünf Paragrafen bestehendes Werk, dann fragt man sich schon, was die offensichtlich schon vereinbarte vollständige Ausnahmeregelung für die Schwesternschaften dort zu suchen hätte. Das Gesetz ist ein Bundesgesetz, das in Deutschland auf der Basis der Genfer Konventionen die Rechtsstellung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), des Malteser Hilfsdienstes (MHD) und der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) sowie die Aufgaben des DRK regelt.

»Das Deutsche Rote Kreuz e. V. ist die ... freiwillige Hilfsgesellschaft der deutschen Behörden im humanitären Bereich«, so heißt es im § 1 DRKG. Es geht um die Einbindung des DRK und der beiden anderen Hilfsorganisationen in das hoheitliche Gefüge des Staates, unterstützend tätig zu werden.
Eine Formulierung, dass die Schwestern des DRK vom Anwendungsbereich des AÜG ausgenommen werden, passt nicht in dieses Gesetz. Aber irgendwo muss man die - nach dem bestehenden Recht gar nicht zulässige Sonderbehandlung bei den Verleihzeiten - ja unterbringen.

Kai von Appen schreibt dazu:

»Für den Hamburger Arbeitsrechtsanwalt Klaus Bertelsmann, der bereits mehrere Verfahren zur Gleichstellung der DRK-Schwestern geführt hat, ist die Ausnahmeregelung „unerfindlich“. „Die DRK-Schwestern könnten dann – wie bisher – über Jahre und Jahrzehnte hinweg in anderen Krankenhäuser tätig sein, ohne dort angestellt zu sein“, bemängelt Bertelsmann. Anscheinend sei der Druck der DRK-Leitung auf Nahles groß genug gewesen, „um unsinnige Ausnahmen zu schaffen und auch die absurde Stellung der DRK-Mitgliedsschwestern als Nichtarbeitnehmer nicht anzufassen“.«

Eine unbefristete vollständige Herausnehme dieser Personengruppe aus dem Geltungskreis des AÜG wäre ein rechtssystematisch "mutiger" Ansatz, um das nett zu formulieren. Mögliche Folgeprobleme (beispielsweise die absehbare Forderung anderer Branchen und Unternehmen, eine vergleichbare Sonderregelung für die eigenen Beschäftigten zu bekommen) liegen auf der Hand.

Der Fremdkörpercharakter einer solchen einmaligen Sonderreglung wird erkennbar, wenn man sich anschaut, worauf man sich im nunmehr vergangenen Jahr bei den Änderungen des Auges geeinigt hat. Grundsätzlich gilt: Die zeitliche Limitierung der Überlassungsdauer ist zwingend, da ansonsten der nur temporäre Einsatz des entliehenen Personals in eine Dauerbeschäftigung außerhalb der eigenen Belegschaft (aber zugleich eingebunden in den Betrieb) möglich wird.

Die Zielsetzung des Koalitionsvertrags der Unionsparteien und der SPD aus dem Dezember 2013 hinsichtlich der Überlassungsdauer lässt sich auf diese Formel eindampfen: 18 (+ x).
Damit ist das hier gemeint: Die Präzisierung des „vorübergehenden“ Verleihs soll durch eine Fixierung der zulässigen Höchstdauer auf 18 Monate präzisiert werden – zugleich werden „abweichende Lösungen“ durch tarifvertragliche Regelungen in Aussicht gestellt.

Was ist daraus geworden? Auch hier wieder ein Formel-Ansatz zur Illustration: 18 + (ohne Obergrenze) oder (24).
Die Dauer des Einsatzes von Leiharbeit soll auf 18 Monaten begrenzt werden. Sogleich folgt allerdings die Umsetzung der (+ x)-Öffnungsklausel, denn in einem Tarifvertrag (der Tarifparteien der Einsatzbranche wohlgemerkt) können abweichenden Regelungen und eine längere Einsatzdauer vereinbart werden. Damit gibt es im Fall der tarifvertraglichen Regelung nach oben keine definierte Grenze bei der Überlassungsdauer, festgelegt werden muss nur eine Höchstdauer, die von den 18 Monaten nach oben abweichen kann.
Diese Option gilt aber nicht nur für tarifgebundene Unternehmen auf der Entleiher-Seite, denn: Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages der Einsatzbranche können auch nicht tarifgebundene Entleiher von der Höchstüberlassungsdauer abweichende tarifvertragliche Regelungen durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen übernehmen. Bei denen wird dann aber eine zweite Höchstüberlassungsdauergrenze eingezogen, die bei 24 Monate liegt.
Insofern ist es irreführend, wenn immer wieder behauptet wird, dass nach 18 Monaten Schluss sein muss mit Leiharbeit in einem Entleih-Unternehmen. Aber selbst wenn sich die Tarifparteien der entleihenden Branche auf ein Überschreiten der 18 Monate verständigen, muss (irgendeine) Höchstüberlassungsdauer ausgewiesen werden.

Genau davon will man nun bei den DRK-Schwestern irgendwie abweichen, denn ansonsten wäre ja die im Grunde unbefristete Gestellung des Personals nicht mehr möglich.

Es wird spannend sein, ob eine - derzeit noch nicht im gesetzgeberischen Detail bekannte - konkrete Herausnehme der DRK-Schwestern aus diesem Regelwerk vor den Gerichten Bestand haben wird. Fragezeichen wären hier mehr als berechtigt.