Sonntag, 27. April 2014

Wenn "Dialoger" um Mitglieder für das Gemeinwohl werben und sich dabei in sittenwidrigen Vergütungsmodellen verfangen

Es gibt zahlreiche Verbände, die sich das Gemeinwohl auf die Fahnen geschrieben haben - und die für die Umsetzung ihrer Ziele vor allem Mitglieder brauchen. Besonders gebraucht werden zahlende Mitglieder neben denen, die ehrenamtlich der eigenen Organisation ihre Zeit und ihr Engagement zur Verfügung stellen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verständlich, dass diese Organisationen immer wieder auf die Suche gehen müssen nach neuen Mitgliedern, um die eigene Existenz sichern zu können. Zuweilen - denn das ist heutzutage ein mehr als mühsames Unterfangen - werden dann auch professionelle Agenturen beauftragt, sich dieser Aufgabe zu widmen und effektiver und effizienter als mit Bordmitteln möglich den auftraggebenden Organisationen die neuen Ressourcen zuzuführen. Verständlicherweise wollen die Agenturen dafür bezahlt werden, denn sie machen das ja nicht für Gottes Lohn. Und die, mit denen sie das dann umsetzen, die wollen und sollen natürlich auch bezahlt werden. Und bei denen fängt das Problem an.

Werber für DRK und BUND arbeiten oft für Hungerlöhne, so die prägnante Überschrift eines Artikels von Hannes Koch. Und er berichtet von Dingen, die hinter denen, die an vielen Haustüren klingeln (müssen), ablaufen und die so gar nicht zu dem passen, wofür sie da werben.
Koch berichtet beispielhaft von einem Berliner Schüler, der sich auf eine Anzeige gemeldet hat, die attraktive Arbeitsbedingungen versprach, unter anderem eine „Vergütung von etwa 2000 Euro pro Monat plus Prämien“. Mehrere Wochen sollte er Mitglieder werben für den Umweltverband BUND. Konkret: »Die Tätigkeit bestand darin, von Haustür zu Haustür zu gehen, zu klingeln, vielleicht 100 Gespräche am Tag zu führen und auf diese Art zahlende Unterstützer für den Umweltverband zu gewinnen.« Solche Leute nennt man heute "Dialoger".

Das Ergebnis allerdings war ernüchternd: »Als Entlohnung für zwölf Arbeitstage mit jeweils neun Stunden im Spätsommer  2013 habe er unter dem Strich 201,20 Euro erhalten, erklärt er unserer Redaktion. Umgerechnet ergibt dies einen Stundenlohn von rund zwei Euro.«

Screenshot des "Sozialökonomischen Impulszentrentrums"
von "holub.stein.partner": www.hsp-werbung.com (27.04.2014)

Der zum "Dialoger" mutierte Berliner Schüler war unterwegs im Auftrag der Agentur Holub, Steiner und Partner GmbH. Der Zweig des Unternehmens, der professionelles Fundraising für Non-Profit-Unternehmen anbietet (und sich selbst mit dem Phantasienamen "Sozialökonomisches Impulzentrum" tituliert), firmiert in Herbolzheim.

Dieses Unternehmen betreibt Werbung für den BUND, das Deutsche Rote Kreuz, den Malteser Hilfsdienst und andere Organisationen. Die Rubrik "Referenzen" auf der Webseite des Unternehmens - auf der man mit Fotos von Werbeaktionen für das DRK wie auch den BUND für sich selbst zu werben versucht - ist (mittlerweile?) allerdings leer.

Zurück zu dem Berliner Schüler, der behauptet, 201,20 Euro für zwölf Arbeitstage erhalten zu haben. Dem widerspricht das Unternehmen, denn nach dessen Angaben »betrug der „Verdienst“ des Schülers allerdings 496,87 Euro. Davon seien jedoch 246,30 Euro für Kosten abgezogen worden, die die Firma ausgelegt habe. Außerdem habe die Agentur eine „Stornorücklage“ einbehalten, die erst 2015 an den Schüler ausgezahlt werde, falls die von ihm geworbenen BUND-Mitglieder weiterhin Beiträge entrichten.« So kann man das dann eindampfen.

Bei der Bezahlung setzt die Agentur auf ein Provisionsmodell. In der ersten Woche werden die "Kosten für Quartier, Benzin und Auto" übernommen. „Ab der zweiten Woche arbeitet der Dialoger auf reiner Erfolgsbasis“, so wird der Geschäftsführer Horst Holub in dem Artikel von Hannes Koch zitiert. Und weiter erfahren wir von Holub zu dem hier wirkenden Geschäftsmodell:
Weil die Werber als Selbstständige tätig seien, „müssen sie natürlich ab der zweiten Arbeitswoche ihre Wohnung, anteilige Benzinkosten und so weiter selber bezahlen. Und dass die Kosten für die eigene Verpflegung von Anfang an selbst getragen werden, ist selbstverständlich.“

Die Logik des Provisionsmodells einer fast vollständigen Risikoverlagerung auf die Dialoger an der Front lässt sich so ausdrücken: »Wer, wie der Berliner Schüler, wenige Neumitglieder für den BUND wirbt, verdient sehr wenig.« Und dann kann man ja immer behaupten, dass es aber andere geben soll, die angeblich ganz viel Geld verdienen. Weil sie eben besser sind.

Nun ist es so, dass Arbeitsgerichte Verträge, die eine ausschließlich provisionsorientierte Bezahlung festlegen, oftmals für unwirksam erklären. Weil die Arbeitnehmer das vollständige Risiko der Tätigkeit trügen, würden solche Arbeitsverhältnisse als sittenwidrig nach Paragraph 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches eingestuft. In dem Artikel wird ein Arbeitsrechtler zitiert mit der Aussage: „In der Regel gilt, dass höchstens ein Viertel des Entgelts erfolgsabhängig gezahlt werden darf.“
Der BUND arbeitet bereits seit Mitte der 1990er Jahre mit der Agentur zusammen und deren Vergütungsmodell gilt auch für die Werber, die für andere Organisationen unterwegs sind, also auch für das DRK.

Der DRK-Bundesverband ist Mitglied im Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen, einem Ethikkodex für wohltätige Organisationen. In dessen Leitfaden steht, dass „eine ausschließlich erfolgsabhängige Vergütung“ untersagt ist. „Der erfolgsabhängige Anteil beträgt höchstens 50 Prozent der jeweiligen Vergütung.“

Das ist natürlich ein gewisser Widerspruch zu der Bezahlungspraxis für die Dialoger der Agentur, die im Auftrag des DRK unterwegs sind. Wie kann das zusammen gehen?

»DRK-Sprecher Dieter Schütz: Nicht der Bundesverband betreibe die Mitgliederwerbung, „sondern die rechtlich völlig selbstständigen 500 Kreisverbände des DRK“. Das Rote Kreuz wisse jedoch, dass „Verbesserungsbedarf“ bestehe. Deswegen laufe ein „verbandlicher Abstimmungsprozess“.«

Ach ja, der immer wiederkehrende Spagat zwischen gut Reden und schlecht Handeln. Nun muss aber abschließend - und die Verantwortung der auftraggebenden Organisationen sogar noch zuspitzend - darauf hingewiesen werden, dass es nicht nur eine Drückerkolonnen-Welt bei der Werbung um neue Mitglieder für die vielen guten Sachen gibt, sondern andere Organisationen gehen offensichtlich anders damit um, was dann auch wieder Hoffnung macht, die anderen als das zu markieren, was sie sind: schwarze Schafe:

»Dialoger, die für Greenpeace arbeiten, bekommen beispielsweise einen Grundlohn von 8,50 Euro pro Stunde unabhängig von ihrem Werbeerfolg. Diese Vereinbarung gilt laut den Arbeitsverträgen zunächst für eine Probezeit von einem halben Jahr. Bei der Organisation Foodwatch erhalten Unterschriftensammler derzeit mindestens acht Euro pro Stunde, 8,50 Euro ab Mai 2014.« Geht doch.