Dienstag, 25. März 2014

Praktisches und theoretisches Streikrecht: Die einen (warn)streiken für ihre Forderungen, die anderen im Windschatten hoffen und bekommen Schützenhilfe vom Bundesverwaltungsgericht

Jetzt warnstreiken die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund und Kommunen wieder - bzw. genauer: die, die streiken dürfen, also die Angestellten. Die Beamten begleiten das als Zaungäste und drücken die Daumen. Die Forderungen der Arbeitnehmerseite liegen seit längerem auf dem Tisch und die Arbeitgeberseite hat sich noch nicht durch ein eigenes Angebot hervorgetan. Am kommenden Montag und Dienstag gibt es die nächste Verhandlungsrunde und für die sind alle Beteiligten "zuversichtlich", was einen Abschluss angeht. Bis dahin werden wir Zeugen des "Showdown vor der letzten Runde", wie Eva Völpel ihren Artikel über die neue Warnstreikwelle überschrieben hat. "Streik trifft Pendler, Rentner und Eltern in der Region", so kann man es in der Online-Ausgabe der WAZ lesen.
Am Mittwoch und Donnerstag legt die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erneut Hunderte von Bussen, Straßen- und U-Bahnen, Kitas, die Müllabfuhr und viele Servicebereiche in Krankenhäusern lahm. Diesmal sind 70.000 Kommunalbedienstete in Nordrhein-Westfalen aufgerufen – fast doppelt so viele wie vorige Woche. Am Donnerstag »werden speziell Kitas, Kliniken, Theater, Stadtverwaltungen, Müllbeseitigungen und Jobcenter einbezogen und sogar manche Seniorenheime. Verdi will auch den Flughafen Köln/Bonn blockieren, wo die Bodendienste in den Nachtstunden aufgerufen werden, die Arbeit niederzulegen.« Und wofür? Das Ziel der Gewerkschaften für die bundesweit betroffenen 2,1 Millionen Beschäftigten ist eine 3,5-prozentige Lohn- und Gehaltserhöhung, 100 Euro pauschal für alle mehr und zusätzlich 70 Euro mehr für jeden Bediensteten im Nahverkehr, so lassen sich die Kernforderungen zusammen fassen.

Der öffentliche Dienst ist ein kompliziertes Gebilde und man läuft schnell Gefahr, angesichts der erheblichen Heterogenität der Berufe und Arbeitsfelder, durcheinander zu kommen. Die aktuelle Tarifauseinandersetzung bezieht sich auf Bund und Kommunen, während die Bundesländer nicht tangiert sind, die verhandeln wenn, dann separat mit den Gewerkschaften. Die Bürger jedenfalls haben (noch) im Durchschnitt großes Verständnis für das Anliegen der Gewerkschaften: »Eine Emnid-Umfrage hat ergeben, dass 63 Prozent Verständnis für die Forderungen haben. Nur 30 Prozent halten sie für übertrieben.«

Nun ist das mit den Umfragen a) immer so eine Sache und b) Durchschnittswerte können oft eine große Streuung verbergen. Die auch dadurch zustande kommen kann, dass die Bürger differenzieren zwischen verschiedenen Berufsgruppen und Arbeitsfelder, ob berechtigt oder vorurteilsbeladen. Und würde man genauer fragen, dann wird man weitaus höhere Zustimmungswerte in der Bevölkerung finden bei Berufen wie den Erzieher/innen in den kommunalen Kindertageseinrichtungen oder den Pflegekräften in kommunalen Kliniken oder Pflegeheimen oder anderen Berufen, die schlecht bezahlt sind, die aber mehr wert sind in den Augen vieler Bürger. Schon anders wird das Ergebnis aussehen, wenn auch nach den Verwaltungskräften in den Amtsstuben gefragt werden würde. Und höchst fragil wird das Ergebnis ausfallen, wenn auch "die" Beamten mit einbezogen werden, wobei auch hier differenziert wird beispielsweise zwischen Polizeibeamten und Ministerialbeamten. Ein weites Feld, hier aber nicht zu vertiefen.

Die Beamten können bekanntlich das nicht tun, was wir diese Tage als Warnstreiks und möglicherweise bei einem Scheitern der Verhandlungen auch als "richtigen" Arbeitskampf der Angestellten erleben werden: Mit dem Status des Beamten verbunden ist ein Streikverbot. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Infragestellungen des Streikverbots und auch Durchbrechungsversuche, zumindest auf der Ebene der Warnstreikteilnahme seitens verbeamteter Menschen. Aber gerade die vehementen Befürworter des Beamten an sich wie beispielsweise der Deutsche Beamtenbund halten an dem unbedingten Streikverbot für diese besondere Gruppe fest, ahnen sie doch, wohin die Reise geht, wenn man die bestehenden Vorzüge des Beamtenstatus mit den Möglichkeiten des Streikrechts kombinieren möchte, ohne wiederum so behandelt werden zu wollen wie die, die nicht verbeamtet sind.

Doch nun gibt es Schützenhilfe vom Bundesverwaltungsgericht, welches wie andere hohe Gerichte in Deutschland derzeit auch einen Blick auf die europäischen Rechtsebene geworfen hat. Und das Bundesverwaltungsgericht hat nun eine wegweisende Entscheidung gefällt, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden kann: Die Pressemitteilung des Gerichts vom 27.02.2014 ist überschrieben mit "Beamtenrechtliches Streikverbot beansprucht weiterhin Geltung; Gesetzgeber muss die Kollision mit der Europäischen Menschenrechtskonvention auflösen" und die Ausführungen beziehen sich auf BVerwG 2 C 1.13 - Urteil vom 27. Februar 2014. Und das hat es in sich.
Am Anfang kommt alles wie gewohnt daher: »Beamtete Lehrer dürfen sich auch weiterhin nicht an Streiks beteiligen, zu denen die Gewerkschaften ihre angestellten Kollegen aufrufen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.« So kennt man das und insofern keine Überraschung.

Ausgangspunkt für das BVerwG-Urteil ist der folgende Sachverhalt:

»Die Klägerin, eine Lehrerin, die in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mit dem beklagten Land stand, blieb im Jahr 2009 dreimal dem Unterricht fern, um an Warnstreiks teilzunehmen, zu denen die Gewerkschaft GEW während der auch von ihr geführten Tarifverhandlungen aufgerufen hatte. Die Gewerkschaft wollte  ihrer Forderung nach einer Gehaltserhöhung von 8 % und deren anschließender Übernahme in die Beamtenbesoldung Nachdruck verleihen ... Die Beklagte verhängte gegen die Klägerin durch Disziplinarverfügung eine Geldbuße von 1 500 € wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst. Die Anfechtungsklage ist in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht erfolglos geblieben. Die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht dem Grunde nach zurückgewiesen; es hat jedoch die Geldbuße auf 300 € ermäßigt.«

Die Begründung des hohen Gerichts bewegt sich im Rahmen dessen, was man auch in der Vergangenheit immer wieder zu hören bekommen hat:

»Nach deutschem Verfassungsrecht gilt für alle Beamten unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich ein generelles statusbezogenes Streikverbot, das als hergebrachter Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG Verfassungsrang genießt. Dieses Streikverbot gilt auch für Beamte außerhalb des engeren Bereichs der Hoheitsverwaltung, der nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Regel Beamten vorbehalten ist. In der deutschen Rechtsordnung stellt das Streikverbot einen wesentlichen Bestandteil des in sich austarierten spezifisch beamtenrechtlichen Gefüges von Rechten und Pflichten dar.«

Richtig interessant wird es erst, wenn man nun weiterliest, denn das, was wir kennen und auch in der vorliegenden Entscheidung perpetuiert wird, bekommt mächtig Druck von der europäischen Ebene und man sollte sich jeden einzelnen der folgenden Sätze genau durchlesen:

»Demgegenüber entnimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als authentischer Interpret der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) deren Art. 11 Abs. 1 ein Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen und ein daran anknüpfendes Streikrecht. Diese Rechte können von den Mitgliedstaaten des Europarats nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK nur für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der hoheitlichen Staatsverwaltung generell ausgeschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR gehören nur solche Staatsbedienstete - unabhängig von ihrem Rechtsstatus - der hoheitlichen Staatsverwaltung an, die an der Ausübung genuin hoheitlicher Befugnisse zumindest beteiligt sind. Die deutschen öffentlichen Schulen und die dort unterrichtenden, je nach Bundesland teils beamteten, teils tarifbeschäftigten Lehrkräfte, gehören nicht zur Staatsverwaltung im Sinne der EMRK. Die Bundesrepublik ist völkervertrags- und verfassungsrechtlich verpflichtet, Art. 11 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR in der deutschen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen.«

Vor diesem Hintergrund konstatiert das BVerwG einen inhaltlichen Widerspruch in Bezug auf das Recht auf Tarifverhandlungen und das Streikrecht derjenigen Beamten, die außerhalb der hoheitlichen Staatsverwaltung tätig sind, in der deutschen Rechtsordnung. Der Bundesgesetzgeber, so das Gericht, sei verpflichtet, das Statusrecht der Beamten zu regeln und fortzuentwickeln. Dafür hat er verschiedene Möglichkeiten, eine davon skizzieren die Richter explizit:

»So könnte er etwa die Bereiche der hoheitlichen Staatsverwaltung, für die ein generelles Streikverbot gilt, bestimmen und für die anderen Bereiche der öffentlichen Verwaltung die einseitige Regelungsbefugnis der Dienstherren zugunsten einer erweiterten Beteiligung der Berufsverbände der Beamten einschränken. Die Zuerkennung eines Streikrechts für die in diesen Bereichen tätigen Beamten würde einen Bedarf an Änderungen anderer, den Beamten günstiger Regelungen, etwa im Besoldungsrecht, nach sich ziehen.«

Man beachte den letzten Satz. Die Zuerkennung des Streikrechts - vom europäischen Recht offensichtlich auch nach Auffassung des BVerwG vorgezeichnet - wird nicht ohne Änderungen anderer, für die Beamten günstigeren Regelungen abgehen. Dass es hier keinen Spielraum gibt, verdeutlicht die folgende Formulierung:

»Für die Übergangszeit bis zu einer bundesgesetzlichen Regelung verbleibt es bei der Geltung des verfassungsunmittelbaren Streikverbots.« Es geht (nur noch) um eine Übergangszeit.

Folgt man also dieser Argumentation, dann zeichnet sich außer für einen eng definierten hoheitlichen Bereich eine Ausweitung des Streikrechts beispielsweise für den Schulbereich ab, das ist nur noch eine Frage der Zeit. Dann aber - und das macht den Widerstand des Beamtenbundes gegen diesen Weg so verständlich - wird es eine Debatte über das Beamtentum beispielsweise von Lehrern geben (müssen).

Aber wir sind noch nicht am Ende, denn das Urteil beinhaltet einen weiteren "Hammer" vor dem Hintergrund, das beispielsweise Länder wie Rheinland-Pfalz die Anhebung der Bezüge des Landesbeamten abgekoppelt haben von den Tarifabschlüssen für die Angestellten auf der Länderebene. Bis 2016 gibt es aus Spargründen für die Beamten jedes Jahr nur pauschal 1% mehr. Das wird jetzt - folgt man dem Urteil des BVerwG - richtig schwierig bis eigentlich unmöglich, denn:

»Die Besoldungsgesetzgeber im Bund und in den Ländern sind verfassungsrechtlich gehindert, die Beamtenbesoldung von der Einkommensentwicklung, die in den Tarifabschlüssen zum Ausdruck kommt, abzukoppeln.«

Das wird die Beamten und ihre Interessenvertreter merklich freuen und deshalb werden sie auch den (warn)streikenden Angestellten ganz fest beide Daumen drücken, um im Windschatten der Tarifabschlüsse mitsegeln zu können. So lange sie noch Beamte sind. Vielleicht können sie ja auch mal in absehbarer Zeit selbst für ihre Rechte Arbeitskämpfen. Als Angestellte.